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Jene Menschen sind toll, so sagt ihr von heftigen Sprechern,
Die wir in Frankreich laut hören auf Straßen und Markt;
Auch mir scheinen sie toll; doch redet ein Toller in Freiheit
Weise Sprüche, wenn ach! Weisheit im Sclaven verstummt.
Goethe.
Die Eroberung der Bastille, die Zerstörung derselben, das grausenvolle Geschick jenes unglücklichen Greises, welches durch öffentliche Blätter allgemein verbreitet wurde, wirkte berauschend auf die Gemüther. Ergründen zu wollen, wie viel von jenem schaudervollen Ereignisse der französischen Verschönerungssucht angehöre, fiel keinem ein.
Lag doch in dem ganzen Vorgange an und für sich nichts Unmögliches oder Unwahrscheinliches, waren doch die entsetzlichen lettres de cachet wirklich bis zur Zerstörung der Bastille als eines der bedeutendsten Vorrechte des Königs noch in voller Kraft! Selbst Ludwig XVI., so wenig er zu türkischem Despotismus sich hinneigte, hatte aus alter königlicher Gewohnheit mehrere derselben ohne Bedenken ausgefertigt und zu beliebigem Gebrauch dem ihn darum Ersuchenden in die Hände gegeben.
Jetzt war das Rächerschwert der strafenden Gerechtigkeit in den Händen des wüthenden, im Blutdurst und wilder Zerstörungssucht immer mehr sich entflammenden Volkes. Die Stelle der damals noch nicht erfundenen Guillotine vertrat einstweilen der berüchtigte Laternenpfahl, die Prozedur dabei war noch kürzer; schauerliche Mordthaten fielen täglich vor, doch wir in der Ferne gedachten nur der Missethaten der Mächtigen und Großen, die das jetzt nicht mehr zu bändigende Volk bis zur Verzweiflung getrieben, und entschädigten, was wir nicht billigen konnten.
Lustig sangen wir ah ça ira, ça ira, ça ira! les aristocrates à la lanterne! und wären halb des Todes gewesen, hätten wir Einen von ihnen hinführen sehen müssen, absonderlich ich, die ich über meine gefiederten Unterthanen aus dem Hühnerhofe nie ohne bängliches Herzklopfen ein Todesurtheil aussprechen konnte.
Das aber ist die alles Schauerliche, alles Traurige mildernde Gewalt der Entfernung; über einen gebrochenen Arm im Hause des Nachbars, über die blutende Stirn eines auf der Schwelle gefallenen fremden Kindes traten Thränen des Mitleids uns ins Auge, aber gelassenen Sinnes lesen wir den Bericht einer Schlacht, in welcher Tausende fielen, der brennenden Wunden, des unendlichen Jammers der schwerverwundet auf dem Schlachtfelde Vergessenen, des peinlichen Todeskampfes der verlassen Hinterbliebenen gedenken wir dabei nicht.
Wer aber hielte es aus, wer könnte die Stunde überleben, in welcher all das Elend sich recht anschaulich vor ihm ausbreitete, das nur in kurzem Verlaufe von nicht mehr als sechzig Minuten sich fortwährend über unsere Erde ergießt! Wohl uns, daß wir sind, wie wir eben sind, und daß der dichte Schleier, der unsere Zukunft deckt, auch jene durch den Raum weit von uns getrennte Gegenwart uns schonend verhüllt!
Die Macht des Wortes, die Alles mit sich fortreißende Gewalt jener ohne Vorbereitung unmittelbar dem Herzen, der innersten, festesten Ueberzeugung entströmenden Beredsamkeit zeigte sich damals in Paris in ihrer höchsten Kraft. Auf öffentlichen Plätzen, auf den Boulevards, an jeder Straßenecke erhoben sich Stimmen aus der Mitte des Volkes, deren Zauber sich unwiderstehlich erwies, indem er die Menge zu Thaten hinriß, über welche, wenn sie vollbracht waren, vielleicht die Thäter selbst mitunter ein Grausen überkam.
La Fayette! Mirabeau! Péthion! Bailly! und so Viele noch, deren damals auf allen Zungen schwebende Namen jetzt verklungen sind! wie erglühte ich in freudiger Begeisterung, wenn ich in stillen Abendstunden meinem Manne und etwa noch zweien oder dreien seiner vertrautesten Freunde ihre Reden vorlas, welche der Moniteur uns getreulich mittheilte! Wie beseligte uns die sichere Erwartung einer jetzt zwar im Sturm nahenden, aber gewiß einst Freiheit, Friede und Bürgerglück verbreitenden goldenen Zeit.
Bei alledem hütete ich mich davor, mit meinem Enthusiasmus für das Treiben in Paris prunken zu wollen. Mirabeau's häßliche Fratze, von der behauptet wurde, daß sie, wenn er begeistert, in ernste Schönheit sich umwandle, war zwar auf meinem Fächer gemalt, und La Fayette's edlere Züge schmückten mein Armband; doch das waren gewissermaßen aus Paris uns zukommende Modeartikel, welche auch von Frauen getragen wurden, die weiter keine besondere Idee damit verbanden. Andere äußere Andeutungen meiner politischen Gesinnungen habe ich mir nie erlaubt; nie habe ich die drei Farben als Wahrzeichen derselben zur Schau getragen und hätte um keinen Preis die rothe Jakobinermütze aufsetzen mögen, mit welcher durch Geist und Talent übrigens ausgezeichnete deutsche Frauen in Mainz öffentlich herumspazierten und zur allgemeinen Aufregung des Volkes nach Kräften beitrugen. Des berühmten Forster'sJohann Georg Forster, 1754 in Nassenhuben bei Danzig geboren, Sohn des dortigen Predigers und berühmten Naturforschers Reinhold Forster, begleitete denselben auf seiner Reise um die Welt (1772–1775) und war beim Ausbruche der französischen Revolution Professor und Bibliothekar in Mainz, woselbst er an der Spitze der republikanischen Partei stand. Er trennte sich nach der Wiedereroberung der Stadt durch die Preußen von seiner Gattin Therese, welche dann seinen Freund Huber heirathete. Er starb 1794 in Paris. Gattin, späterhin die als Therese Huber rühmlichst bekannte Schriftstellerin, wurde unter diesen besonders genannt.
Alles männliche Thun war und blieb mir von jeher an Frauen verhaßt; wenn es Noth thut, im Herzen männlicher Muth, übrigens aber kein Versuch in Kleidung, Ansprüchen und Betragen uns den Männern zu nähern, schien allein mir geziemend und recht.
Bei aller innern Aufregung ging das Leben übrigens mit mir seinen gewohnten friedlichen Gang. In Stutthof, in Danzig, in meinem geliebten Oliva verlebte ich im angenehmsten Wechsel gar freundliche Tage, nur wollte, besonders wenn ich meines schönen Besitztums in Oliva mich recht innig erfreute, ohne alle weitere Veranlassung ein wehmüthiges Vorgefühl mich oft beschleichen, als ob das Alles mir nur gleichsam geborgt wäre, und ich vielleicht bald es verlieren müsse.
Unsere Nachbarschaft hatte inzwischen durch den Nachfolger des unlängst verstorbenen Abtes in Oliva an Annehmlichkeit bedeutend gewonnen. An die Stelle jenes frommen Greises, der als ein geborener Pole nur die Sprache seines Landes kannte, in klösterlicher Zurückgezogenheit lebte und an dem, was übrigens in der Welt vorging, keinen Antheil nahm, hatte der König von Preußen den Fürstbischof von Ermland aus dem Hause der Hohenzollern ernannt.Johann Karl, Graf von Hohenzollern-Hechingen † 1803. Nach ihm ist die an den Garten grenzende Anhöhe Karlsberg genannt. Früher Militair, wenn ich nicht irre, Obrist in französischen Diensten, hatte dieser am Abend seines Lebens das ritterliche Schwert gegen den geistlichen Krummstab vertauscht und zog den Aufenthalt in Oliva dem geistlichen Prunk seines Bisthums vor, um in ländlicher Einfachheit sich der letzten Strahlen seiner sinkenden Lebenssonne zu erfreuen.
Seiner hohen geistlichen Würde unbeschadet, war der Fürstbischof im reinsten Sinne des Wortes ein lebensfroher, mit den Convenienzen feinerer Geselligkeit wohlvertrauter Weltmann geblieben. Freilich verreiste er gern, um dem ermüdenden Pomp der Frohnleichnamsprozession zu entgehen, und die drei Predigten, die einzigen, die er sein Lebenlang zu halten verpflichtet war, wurden von einem Jahr zum andern verschoben, bis seine eigne Lebensuhr darüber ablief; aber er war wohlthätig, nachsichtig und schonend gegen Arme und ihm Untergebene, und wurde dafür allgemein geehrt und geliebt. Heiter und anspruchslos von Natur, war er seinen Nachbarn in Oliva ein stets willkommener Gast, Jung und Alt eilte freudig ihm entgegen, wenn man seiner Abbé-Perücke, seines langen violetten Ueberrocks, seiner violetten Strümpfe von fern ansichtig wurde; als Bischof war er dem Tragen der Mönchstracht seines Klosters überhoben.
Zwar sagte er ein wenig öfter als gerade nothwendig gewesen wäre, mon cousin, le Roi! aber wer hätte es übers Herz bringen mögen, dem freundlichen Manne diese kleine Schwäche zu verargen! Seine große Vorliebe für Gartenbaukunst, besonders für Veredlung der Obstbaumzucht, führte ein recht freundliches Verhältniß zwischen ihm und meinem Manne herbei, während ich die größte Freude an den herrlichen Blumen, besonders an den Nelken hatte, die er zog und die ich nie wieder in solch übergroßer Pracht gesehen habe. Verzierung und Anlage seines großen Gartens war freilich barock und würde jetzt lächerlich erscheinen; doch war es der nur etwas überladene, in Deutschland ziemlich allgemein verbreitete Geschmack der damaligen Zeit, die ihn den englischen nannte. Wo nur irgend ein Plätzchen sich dazu vorfand, waren poetische Inschriften angebracht, um die Spazierenden gleich zu belehren, was sie an dieser oder jener Stelle zu empfinden hätten, und da der Bischof in Folge der ihm eignen Gemüthlichkeit den Zutritt in seinen Garten gern erlaubte und sich freute, ihn an Sonn- und Feiertagen recht belebt zu sehen, so wimmelte es an solchen Tagen von Besuchern, die sich eifrig bemühten, die ihnen hier dargebotenen Sprüchlein zu studiren und die sie umgebende Pracht der Natur gänzlich vergaßen.
Aber noch ganz andere Raritäten drängten im Innern des aus dem Französischen ins sein sollende Englische gewaltsam übersetzten Gartens sich auf; fürchterliche chinesische und indische Götzenbilder grinsten aus Rosen- und Jelängerjelieber-Lauben die Vorübergehenden an. Grimmige Bären von Holz, ebenfalls naturgetreu angestrichen, kletterten an den Stämmen alter Bäume empor. Affen, Eichhörnchen, Papageien, Alles aus der nämlichen Fabrik, wiegten sich in den Zweigen, auch Löwe und Tigerthier waren vorhanden, als ob man beabsichtige, Raff's Naturgeschichte in kolossalem Maßstabe hier plastisch darzustellen; und doch war es unmöglich, bittern Spott sich hier zu erlauben. Eines unmerklich über die Lippen hingleitenden Lächelns konnte man sich freilich dabei nicht erwehren, aber der Eigner und Erfinder dieser sonderbaren Schöpfung hatte eine so rein kindliche Freude daran, er selbst war in seinem Gebiet so unablässig für das Vergnügen anderer ihm völlig unbekannter Leute bemüht, daß es barbarisch gewesen wäre, durch herben Tadel ihm sein eigenes zu verderben.
Eine einzige alte Allee zu schwindelnder Höhe emporgewachsener geschorener Buchenhecken, deren Gleichen ich nie gesehen, zeichnet diesen Garten vor allen ihm ähnlichen aus; das grandioseste Rokoko, das sich erdenken läßt. Möge jetzt, wo Kloster Oliva durch den Tod seines letzten Mönchs verödet ist, der gute Genius des Ortes Wind und Frost davon abwehren und nie dulden, daß eine mörderische Axt vernichtend ihm nahe.Der Wunsch der Verfasserin ist in Erfüllung gegangen, da sowohl der Garten als auch der Karlsberg nach dem Tode des letzten Abtes Joseph von Hohenzollern Königliches Eigenthum geworden sind, und die prächtige, geschorne Hecke noch immer eine Zierde des schönen Gartens bildet.
Im schönsten Verhältniß ihrer Breite, zu der erstaunenswürdigen Höhe ihrer grünen Laubwände, durchschneidet diese Allee von der Gartenfronte des Schlosses an nicht nur die Länge des Gartens, sondern reicht noch wenigstens eine Stunde über denselben hinaus, bis dicht an das ferne Gestade der Ostsee, deren tiefblaue Wogen sie begrenzen. So scheint es wenigstens dem durch optische Kunst getäuschten Auge, und diese Täuschung schwindet nicht, bis man die Allee hinunter an die eigentliche durch ein breites AhaDas »breite Aha« kann wohl nur der unwillkürliche Ausruf des Erstaunens sein, in welchen jeder Besucher des Gartens ausbricht, wenn er am Ende der Allee die geschickt angelegte optische Täuschung bemerkt. – Der Ausdruck ist allerdings etwas dunkel und zwar besonders dadurch, daß »Grenze derselben« sich sowohl auf die Allee als auch auf die Täuschung zu beziehen scheint. gebildete Grenze derselben gelangt. Das bedeutende, die Allee von einem ihr gegenüberliegenden Fichtenwäldchen trennende Stück Feld, sowie auch das nicht kleinere, auf der anderen Seite des Gehölzes zwischen diesem und dem Meeresufer belegene, sind durch weise Berechnung der Grundfläche dem Auge völlig entzogen; der Wald so durchhauen, daß er wie eine ununterbrochene Fortsetzung der hohen Buchenwände der Allee und die Ostsee wirklich die äußerste Grenze derselben zu umspülen scheint.
Wenn man hier an die Stelle dieses Prachtstückes altfranzösischer Gartenkunst eine krausgewundene, von nordamerikanischem Gesträuch umschattete englische Anlage der neueren Zeit sich denkt, die allerdings als Umgebung eines bürgerlichen Landhauses ganz an ihrem Orte sich befindet, dann erst fühlt man, welche fast poetische Lebensweisheit in Le Nôtre'sDer berühmte Gartenkünstler, welcher für Ludwig XIV. den Garten von Versailles anlegte. Beginnen vorwaltete. Vornehme Leute müssen auch im Grünen sich vornehm ergehen können, und die ihre Paläste zunächst umgebenden Anlagen dürfen daher mit vollen Rechte nur als Uebergang aus ihren Prunkgemächern in die freie Natur sich darstellen.
Gegen Ende der achtziger oder ganz zu Anfange der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts führte eine Reise den König von Preußen in die Nähe von Danzig und veranlaßte ihn, Oliva als einen sehr willkommenen Ruhepunkt zu betrachten. Wie entzückt der Fürstbischof über diesen ihm zugedachten Besuch, als neuen Beweis der königlichen Gnade war, wie er Alles aufbot, was an Erfindungsgeist ihm zu Gebote stand, um »mon cousin le Roi« recht ausgezeichnet zu empfangen und zu bewirthen, bedarf wohl kaum der Erwähnung.
Während nun im bischöflichen Schlosse Alles mit Vorbereitungen zu dem großen Tage vollauf zu thun hatte, waren aber auch meine schaulustigen Landsleute in der Stadt nicht weniger geschäftig, und unerachtet ihres Hasses gegen Preußen nicht etwa in feindseliger Absicht. Es galt nur den Tag und die Stunde genau zu erspähen, in welcher der König, die Wälle der Stadt von außen umfahrend, durch die nach Langefuhr führende Allee den Weg nach Oliva einschlagen werde. Daß er, die Stadt umgehend, sie seitwärts liegen lasse, war vorauszusehen, und doch wollten die Bürger diese, für den größten Theil derselben erste und wahrscheinlich einzige Gelegenheit, einen König von Angesicht zu Angesicht zu schauen, nicht unbenutzt vorübergehen lassen.
Der Tag kam,Es war der 23. September 1786. Der auf der Huldigungs-Reise begriffene König Friedrich Wilhelm II. fuhr an diesem Tage durch das Petershagener Thor an Danzig vorüber nach Oliva, woselbst ihn eine städtische Deputation begrüßte. die ganze Stadt zog hinaus, nur hülflose Greise, neugeborene Kinder, Krüppel und Kranke blieben in ihren vier Pfählen. Ein unübersehbares Gewühl vieler Tausende aus allen Ständen umwogte in ungeduldiger Erwartung des Monarchen den Platz vor dem Thore, über den er fahren mußte. Friedrich Wilhelm II. war bel homme ganz im französischen Sinne des Wortes, seine imposante Gestalt reichte über das Gewöhnliche hinaus und überragte bei weitem die Köpfe seiner Unterthanen; die weder schönen noch häßlichen, weder anziehenden noch abstoßenden Züge seines Gesichts erinnerten keineswegs an seinen großen Vorfahren, gewannen aber ungemein, wenn ein gewisser Ausdruck wohlwollender Freundlichkeit, der ihm sehr wohl stand, sie belebte.
Schritt für Schritt fuhr er im offenen Wagen durch die ihn umwogende Menschenfluth, und schon aus der Ferne wirkte der Anblick des Königs mit magischer Gewalt. Als er näher kommend nach allen Seiten hin freundlich grüßte, da kannte die Begeisterung keine Grenzen mehr; Hüte und Tücher winkten allgemeines Entzücken ihm zu, Hurrahs waren außerhalb Rußlands noch nicht gebräuchlich, aber in seliger Unbewußtheit glitt manches Lebehoch über Lippen, die bis dahin nur Verwünschung Preußens und alles Preußischen gekannt hatten. In der Stadt war den ganzen Tag nur von dem schönen freundlichen Herrn die Rede, und wer unter den Bürgern sich nahe genug an seinen Wagen gedrängt hatte, um wähnen zu können, daß der Gruß der Majestät ihm besonders gegolten, hörte nicht auf, diesen merkwürdigen Glücksfall zu preisen.
Ich selbst war an jenem Tage mit dem Empfange meiner Freunde und Bekannten in Oliva beschäftigt, die es vorzogen, den König dort vorüberfahren zu sehen und ihm später vielleicht noch einmal auf einem Spaziergange im bischöflichen Garten zu begegnen. Sehr glaubwürdige Männer als Augenzeugen behaupteten indessen, Friedrich Wilhelms II. Anblick habe so durchaus berauschend die Geister aufgeregt, daß es dem Könige möglich gewesen sein würde, vom Volke selbst in die, nach fast zwanzigjährigem Widerstande ihm freiwillig huldigende alte Hansestadt sich triumphirend einführen zu lassen, hätte er, mit Mirabeau's Redekunst begabt, die Gunst des Augenblicks geschickt zu benutzen gewußt.
Wie aber am folgenden Tage nach ausgeschlafenem Rausche das Erwachen aus demselben sich möchte gestaltet haben, das freilich ist eine der Fragen, die am besten unerörtert bleiben.
Soviel bleibt indessen gewiß, wäre den Gesalbten des Herrn der ganze Umfang der ihnen von oben verliehenen Zauberkraft bekannt, wüßten sie genau, was sie mit einem Blick, einem Wort, einem Zeichen rein menschlicher Theilnahme über die Gemüther vermögen, sie würden Wunder bewirken, über deren glückliches Vollbringen sie selbst erstaunen müßten.
Hier endet die Selbstbiographie! Ein sanfter Tod, der, wie ihre Tochter sagt, ungeahnt und unerwartet eintrat, nahm die Feder aus der Hand der liebenswürdigen und begabten Matrone, welche auf ein vielfach bewegtes und geistig angeregtes Leben jugendfrische Rückschau hielt. Wir Danziger können uns freuen, daß es ihr gestattet war, ein lebenswarmes und treues Bild der in und mit der Vaterstadt verlebten Jugend zu entwerfen, aber wir hätten neben diesem Special-Vermächtniß uns und Andern gern die genuß- und lehrreiche Unterhaltung gewünscht, welche die Fortsetzung der Memoiren auch für weitere Kreise jedenfalls geboten hätte. Johanna Schopenhauer begann ja ihr Reise- und Wanderleben erst im Jahre 1793, als sie, die schwärmerische Republikanerin, mit ihrem Gatten das von den Preußen occupirte Danzig verließ und in Hamburg ein ziemlich unstätes Heim gründete. Von hier aus unternahm sie zahlreiche und ausgedehnte Reisen, stets im Verkehr mit literarisch und politisch bedeutenden Persönlichkeiten und immer bemüht, den Kreis ihrer Anschauungen und ihres Wissens zu erweitern. Die Wanderjahre sind für sie wirkliche Lehrjahre geworden! Das zeigt sich, als sie nach dem plötzlichen Tode ihres Gatten 1806 nach Weimar übersiedelt und dort im geselligen Umgange mit hochbegabten Männern und Frauen, auch am Großherzoglichen Musenhofe gern gesehen, eine schriftstellerische Thätigkeit entfaltet, welche selbst ein Goethe wohl zu schätzen weiß. Nach 23jährigem Aufenthalt in Weimar glaubt sie aus Gesundheitsrücksichten ein milderes Klima aufsuchen zu müssen.
Sie lebt einige Jahre an verschiedenen Orten am Rhein, doch zieht es sie bereits 1837 wiederum in ihr, wie sie es nennt, zweites Vaterland zurück und sie wählt Jena zum letzten Aufenthalte. Sechs Monate später starb sie daselbst am 16. April 1838.
C.
Zu Seite 51. »Der berühmte Briefwechsel« ist der 1832–34 erschienene zwischen Goethe und Zelter. Letzterer schickte auf Goethes Bitte mehrfach Teltower Rüben aus Berlin nach Weimar. Man vergleiche z. B. die Briefe vom 16. Decbr. 1804 – 19. Januar 1805. – 28. Septbr. 1807. – 27. October 1807.