Johanna Schopenhauer
Jugendleben und Wanderbilder
Johanna Schopenhauer

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Siebzehntes Kapitel.

Aber da regt sich das wirkliche Leben,
Rauh und feindlich faßt es mich an,
Tödtet des Traumes beglückendes Leben,
Reißt mich mächtig aus kindischem Wahn.
Schulz.

Meine Taubheit verschwand, ich lernte wieder gehen, wurde wieder kräftiger und stärker und war endlich nach einigen Monaten völlig genesen. Auch mein Vater war wieder heimgekehrt, meine Lehrstunden begannen von Neuem; angelegentlicher und eifriger als je zuvor beschäftigten Jameson und Kuschel sich mit mir, um die verlorne Zeit mich einbringen zu lassen. Ich ging wieder, wie gewöhnlich, zu meiner Mamsell Ackermann, und im Aeußern war alles anscheinend wie es zuvor gewesen, doch in mir selbst war es nicht mehr so.

Mein ganzes Sinnen und Trachten ging fortwährend auf Zeichnen und Malen, meine schwachen Versuche, mir allein zu helfen, mißlangen, und doch gestaltete sich meinem Auge alles zum Bilde. An jeder fleckigen Mauer, in den am blauen Himmel hinwogenden Wolken wie in den Draperien der Fenster und jedem achtlos hingeworfenen zerknitterten Tuch sah ich Gesichter, Köpfe, Gestalten und brannte vor Begier, sie zu zeichnen und wollte vor Unmuth darüber, daß mir dieses nicht gerathen könne, vergehen.

Schattenrisse wenigstens wollte ich aufnehmen. Dies ärmliche Surrogat eines Portraits, das damals eben anfing zur herrschenden Mode zu werden, hatte ich aus Lavaters Fragmenten kennen gelernt. Mein Onkel ließ von seiner Vorliebe für neue Erfindungen sich leicht bewegen, mir dabei Hülfe zu leisten; Jeder, dessen wir Beide nur habhaft werden konnten, mußte sich hinsetzen, um seinen auf einen an der Wand angehefteten Bogen Papier fallenden Schatten von mir nachkritzeln zu lassen, während mein Onkel ihm den Kopf festhielt. Auch Jameson gesellte sich zu uns; er verschaffte mir ein Reißbrett, ließ chinesische Tusche und einen schönen metallenen Storchschnabel aus England für mich kommen, lauter bis dahin mir ganz unbekannte Gegenstände. Nun ging es mit großem Eifer an ein Zeichnen, Verkleinern und Schwärzen ohne Ende; viel gutes Papier, viel treffliche Tusche wurden erworben; eine Zeitlang befriedigte mich das neue Spiel, bald aber empfand ich das Unzulängliche desselben und strebte etwas Anderes aufzufinden.

In meinem Lavater hatte ich das Portrait einer geehrten und zu ihrer Zeit sehr berühmten Jungfer Anna Schurmannin gefunden, von welcher zugleich erwähnt ward, daß sie ungemein zierliche und feine Bilderchen aus freier Hand in Papier ausgeschnitten, von denen noch heut zu Tage einige in Kunstkabinetten, ich weiß nicht mehr, ob in Nürnberg oder in Augsburg, zu ihrem Andenken aufbewahrt werden.

Das Talent für diese unbedeutende Kunst war auch mir angeboren. Sobald man es nur hatte wagen mögen, meinen Händen ein so gefährliches Instrument, wie eine Scheere ist, anzuvertrauen, hatte ich auf meine kindische Art sie geübt. Jetzt griff ich wieder darnach, um dem Beispiele der Jungfer Schurmannin zu folgen. Freunde und Bekannte überhäuften meine sehr unbedeutenden Kunststückchen mit Lob, das sie wahrlich nicht verdienten. Mich selbst befriedigten sie gar nicht, bis ich auf den Gedanken kam, Profile von Bekannten, wie ich bis jetzt an der Wand sie gezeichnet, im kleinsten Maßstabe aus freier Hand auszuschneiden. Dies gelang über alles Erwarten; in kurzer Zeit hatte ich deren eine unglaubliche Anzahl zusammengebracht, die meinen Eltern und unsern Freunden viel Unterhaltung gewährten. Alle waren von unverkennbarer, wenngleich oft etwas karrikirter Aehnlichkeit. Das einzige Merkwürdige dabei war wohl, daß ich nie das Profil gegenwärtiger, oder vollends gar mir dazu sitzender Personen, sondern nur solcher, die eben nicht zugegen waren, darstellen konnte.

Mit diesen Künsteleien beschwichtigte ich mich eine Zeitlang, bis Jameson, um mir eine recht große Freude zu machen, einen schönen in Farben abgedruckten Kupferstich mir brachte, eine heilige Cäcilia, meinem Gefühl nach der Inbegriff alles Graziösen, nach einem Gemälde von Angelika Kaufmann.

Angelika Kaufmann! wer war Angelika Kaufmann?Die von Goethe in seiner italienischen Reise so oft genannte und gefeierte Malerin, geboren 1741 in der Schweiz, gestorben 1807 in Rom.

Sie ist eine noch in Italien lebende, allbewunderte, hochverehrte Malerin, erhielt ich zur Antwort. Eine Malerin, also kann es auch Malerinnen geben? ich hatte noch nie von einer gehört. Und von neuem überfiel mich die innere ängstliche Unruhe bei dem bloßen Gedanken; immer flüsterte eine leise Stimme mir zu: was Andere können, warum solltest Du es nicht auch?

Fürs erste versuchte ich auf alle Weise, das Wunderbild zu kopiren, quälte oft unter heißen Thränen unsäglich mich damit ab; es mißlang mir durchaus.

Da erwachte, mitten in meinem Jammer, ein tröstender Gedanke in meiner Seele, ich bedachte, daß kein Meister vom Himmel fällt, und folglich selbst Angelika ohne allen Unterricht keiner geworden wäre. Lernen will ich; was Andere können, kann mir nicht unmöglich bleiben, und eine Malerin, eine zweite Angelika will ich werden; dieser Entschluß stand mit jedem Tage fester in meinem Gemüth; auch den Weg, die Ausführung desselben möglich zu machen, glaubte ich nach vielem Nachsinnen darüber endlich gefunden zu haben.

Die Zeit nahte heran, in welcher mein Vater verabredeter Maßen mit seinen russischen Handelsfreunden in Leipzig zusammentreffen wollte, als ich mir endlich ein Herz faßte und zu einer mir sehr gelegen scheinenden Stunde meinen Eltern meinen Wunsch entdeckte. Inniger, herzlicher als ich je etwas erbeten, zitternd, glühend, kaum fähig, meine Worte verständlich herauszubringen, beschwor ich meinen Vater, mich mit sich zu nehmen, mich von Leipzig nach Berlin zu bringen und mich dort bei Chodowiecki, dem größten Maler, der meiner Meinung nach in der Welt, oder doch wenigstens in Deutschland existirte, förmlich in die Lehre zu geben. Ich hatte von Malerschulen gehört, ich hielt sie für etwas unsern Zünften und Gilden Aehnliches, wie sie in noch früheren Zeiten es wirklich gewesen sind, und meinte in meinem kindischen Wahn, nur auf diese Weise eine wirkliche Malerin werden zu können.

Die Art, wie diese meine Bitte aufgenommen wurde, war die erste recht bittere Erfahrung meines Lebens. Mein bei aller ihm eignen Heftigkeit dennoch gegen Unerfahrenheit und Unverstand seiner Kinder sonst so nachsichtiger Vater, – ich erkannte ihn nicht wieder.

Und noch jetzt, nach mehr als sechzig Jahren, verweile ich ungern bei der Erinnerung, wie unbarmherzig er meinen kindisch-abgeschmackten Einfall, wie er ihn nannte, verlachte.

Spottender Hohn ist viel zu scharf, viel zu schneidend für ein armes, weiches, argloses Kind; er verletzt, er erbittert, statt zu belehren und zu bessern. Niemand vermag die Tiefe und Dauer der Narben zu ermessen, die er in dem jungen Herzen zurückläßt; das sollten Eltern wohl bedenken.

Meine liebe Mutter suchte zwar nach ihrer gewohnten milden Weise mich zu trösten, indem sie zugleich sich bemühte, das, was auch sie eine kindische Albernheit nannte, mir aus dem Kopf zu bringen, aber sie konnte sich nicht überwinden, den seltsamen Einfall ihrer Jeannette den nächsten Verwandten zu verschweigen.

Welch ein Ungewitter brach abermals über mich Arme los! Alle waren empört, daß ein zu ihrer Familie gehörendes Kind auf den erniedrigenden Gedanken hatte verfallen können, gewissermaßen ein Handwerk treiben zu wollen. Sogar mein Onkel Lehmann, auf den ich doch fest gebaut hatte, nahm sich meiner nicht an, sondern schüttelte nur schweigend den Kopf.

Jameson litt mit mir, als ich mit meinen Klagen zu ihm flüchtete; auch er war weit entfernt, auf meine Idee einzugehen, aber suchte doch wenigstens mich von der Unausführbarkeit derselben zu überzeugen. Er bewies mir, daß Chodowiecki eigentlich kein Maler, sondern ein Kupferstecher und zugleich der bewundernswürdigste Genrezeichner im Kleinen sei, der wenigstens in dieser Zeit seines Gleichen nicht habe und in der kommenden ihn schwerlich finden werde. Er machte den zwischen diesen beiden Kunstzweigen bestehenden Unterschied mir deutlich, und zugleich begreiflich, daß der berühmte, bis zum Uebermaß mit Arbeit überladene Meister sich unmöglich darauf einlassen würde noch könne, ein zehnjähriges, sogar in den ersten Anfangsgründen der Kunst noch völlig unerfahrenes Mädchen als Schülerin aufzunehmen.

Und so war ich denn von allen Seiten auf immer und ewig abgewiesen und mußte in mein Schicksal mich ergeben.

Doch der tief in meinem ganzen Wesen eingewurzelte Trieb, das, was sichtlich mich umgab oder auch nur bildlich mir vorschwebte, zu fassen, zu halten und schaffend nachzubilden, ließ sich nicht ausrotten; dreißig Jahre später führte er mich an den Schreibtisch, um mit der Feder auszuführen, was der Geist der Zeit, in der ich geboren ward, mit dem Griffel und dem Pinsel zu können mir verweigert hatte.

Daß Jameson, dem ich immer und in Allem unbedingt glaubte, mein Unternehmen als hoch über die Verhältnisse und meine schwachen Kräfte hinausreichend mir darstellte, statt, wie meine Eltern und Verwandten gethan, schon den bloßen Gedanken als mich und meine Familie erniedrigend zu betrachten, trug viel zur Milderung meines Kummers bei; es versöhnte mich mit mir selbst und mit ihnen. Sie wissen es nicht anders, Jameson versteht das besser: dachte ich, hütete mich aber wirklich, es auszusprechen.

Auch ihre Entscheidung, wäre ich vierzig Jahre später, oder auch zweihundert Jahre früher geboren, würde vielleicht anders ausgefallen sein – ob besser? – Pope zwar sagt:

And spite of pride, in erring reasons spite,
One truth is clear, what ever is, is right.


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