Johanna Schopenhauer
Jugendleben und Wanderbilder
Johanna Schopenhauer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

Es ist das kleinste Vaterland der größten Liebe nicht zu klein,
Je enger es sich rings umschließt, je näher wird's dem Herzen sein.
Wilhelm Müller.

Daß das Land, daß die Stadt, in welcher wir geboren und erzogen wurden, auf die Bildung unseres Geistes, wie überhaupt auf die Entwickelung unseres ganzen Wesens den mächtigsten Einfluß üben, ist eine fast unbestrittene Thatsache. Bei mir aber tritt noch überdem der beinah unglaubliche Fall ein, daß Beides, ja ich möchte sagen, der Gang, den das Leben später mit mir genommen, von dem unbedeutenden Umstande abhing, daß das Haus meiner Eltern gerade an der Stelle und an keiner andern stand. Einige Häuser höher hinaus oder tiefer herunter, sogar in der nämlichen Straße, und wahrscheinlich wäre Alles anders gekommen, und ich selbst eine Andere geworden.

An der Mittagsseite der heiligen Geist-Gasse liegt das Haus, in welchem ich geboren wurde,Es führt heute die Straßennummer 81 und ist an der Schildkröte auf der Giebelspitze leicht zu erkennen. Der Ausdruck »Mittagsseite« ist dahin zu verstehn, daß es die Mittags sonne erhält, also auf der Nordseite liegt. unfern dem nach der langen Brücke führenden Thor, über welchem damals die Räume sich befanden, in welchen die dortige naturforschende Gesellschaft ihre Zusammenkünfte hielt und ihre Sammlungen aufbewahrte.Hier verwechselt die Verfasserin wohl das Heilige-Geist-Thor mit dem am Langen Markte gelegenen Grünen-Thor. In den Sälen des letzteren hielt die Naturforschende Versammlung von 1746 bis 1830 ihre Sitzungen, bis sie nach einigen Wanderungen 1845 ihr jetziges Heim am Frauenthore erwarb.

Die lange Brücke aber ist gar keine Brücke, sondern ein hölzerner Kai, an der Landseite längs den Häusern mit Buden besetzt, in welchen Früchte, Blumen und sonst noch allerlei, was ein Kinderherz erfreuen kann, zum Verkauf ausgestellt wird. Zwischen diesem Kai und der gegenüberliegenden Speicherinsel fließt die hier ziemlich breite, mit Schiffen und Barken belebte Mottlau still und ruhig der nahen Weichsel, und im Verein mit dieser dem Meere zu.

Das Haus meiner Eltern gehörte zu der in Danzig gewöhnlichsten, drei Fenster breiten Mittelgattung, die man weder schön noch häßlich, weder groß noch klein nennen kann; auch wich die innere Einrichtung desselben von der dort gewöhnlichen durchaus nicht ab, und war für den Bedarf unserer Familie bequem und geräumig genug.

Keine besternte Lyra bezeichnete schon vor meiner Geburt unser Dach; die einzige Auszeichnung, deren es sich zu rühmen hatte und wohl noch hat, besteht darin, daß statt der Götter, Engel, Vasen, Adler, Pferde und andern Gethiers, das dort von der Höhe anderer Häuser auf die Straße hinab schaut, auf der höchsten Giebelspitze desselben eine große metallene Schildkröte auf dem Bauche liegt und mit nach allen Weltgegenden ausgestreckten, stark vergoldeten Pfoten und Kopf beträchtlich nickt und zappelt, wenn der Wind heftig weht. Diese langmüthige Kreatur mochte vielleicht schon weit über hundert Jahre sich so abgemühet haben, ohne sonderlich beachtet zu werden, aber Herrn Moser's Scharfblick entging diese Bemerkung nicht; er machte mich darauf aufmerksam, und wir Beide waren die Einzigen im Hause, die dieses bewundernswerthe Kunstwerk gehörig zu würdigen verstanden.

Zur linken Seite stieß die englische Kirche,Die noch jetzt in demselben Hause vorhandene Kapelle besteht seit 1707. zur rechten ein Gasthof an unser Haus, doch bitte ich, daß dabei Niemand an das alte Sprichwort denken möge, nach welchem der Teufel sogleich neben jedem Gotteshause ein Kapellchen sich anbauet, denn jene englische Kirche ist eigentlich nichts anderes, als eine kleine, recht freundliche Hauskapelle, die nur höflicher Weise Kirche genannt wurde; an dem uralten rostigen Schiffergilden-HauseDas Zunfthaus der Schiffergilde wurde um 1500 erbaut und ist seit 1844 in den Besitz des Gewerbevereins übergegangen. aber, das wenigstens viermal größer ist als die Kirche, konnte der Teufel auch keine Macht haben, obgleich es einem verwünschten Schlosse sehr ähnlich sah; denn die Bewohner desselben waren sehr brave ehrbare Leute.

Alle bürgerlichen Gewerbe waren damals noch in Zünfte und Gilden getheilt, deren jede ihr eignes Haus besaß, wo Meister und Gesellen zu besondern, auf ihre Privilegien, Gesetze und Gebräuche Bezug habenden Zwecken sich versammelten, besonders aber zur Fastnachtzeit zu Banketten, bei denen es hoch und wild herzugehen pflegte.

Schon der Name deutet an, daß das Schiffergilden-Haus das Eigenthum der damals sehr bedeutenden und geachteten Gilde der Danziger Schiffer war. Dort kamen sie in den sich dazu vorgehaltenen Räumen zusammen, um sich über die Angelegenheit ihrer Corporation zu berathen, oder auch, um auf allgemeine Kosten und zum allgemeinen Besten es sich bei Tische wohl sein zu lassen. Bunte Wimpel und Flaggen neben einer weißen, mit dem Danziger Wappen bemalten Fahne, groß wie ein Segel, flatterten dann vom Beischlage herab und verkündeten der Nachbarschaft die Feier des Tages.

Die übrigen Räume des weitläufigen, winkligen Gebäudes blieben dem Gastwirth überlassen, der nicht nur für den geschicktesten Koch in Danzig galt, sondern sogar einer über-europäischen Berühmtheit sich erfreute. Seine winzig kleinen eingemachten Glasgurken gingen unter der Flagge seiner Beschützer in alle Welt, und von seinen kolossalen Baumkuchen wurden sogar große Sendungen bis nach Amerika verladen.

Freundlicher, ewig heiserer Herr Nachbar Bergmann, leicht sei Dir die Erde; dankbar gedenke ich Deiner, denn in der glühenden Hitze Deines Küchenheerdes, mitten in den wichtigsten Arbeiten, zur Besorgung einer hochzeitlichen Tafel, hast Du auch Deiner kleinen Nachbarin gedacht! Mit manchem Gläschen süßen Gelée, manchem Tellerchen köstlichen Backwerks, die Du durch Adam mir übersandtest, erfreutest Du bei solchen Gelegenheiten mein kindliches Gemüth. Dafür sei denn in diesen Blättern Deinem Namen ein ewiges Denkmal gestiftet, so weit nämlich in unsern Tagen eine solche papierne Ewigkeit reichen kann.

Doch wenden wir uns jetzt der linken Seite des Hauses meiner Eltern zu.

In Folge eines in früheren Zeiten abgeschlossenen Kontrakts, der bedeutende, sonst nur dem eingebornen Bürger zuständige Rechte ihnen zusicherte, hatte seit langen Jahren eine Gesellschaft englischer Kaufleute mit ihren Familien in Danzig sich niedergelassen, und im Verlauf der Zeit dermaßen sich eingewohnt, daß es weder von ihrer noch von unserer Seite Jemandem mehr in den Sinn kam, sie als Fremde zu betrachten. An der Börse wurden ihre Häuser den ersten der Stadt gleichgestellt, in Sitten und Gebräuchen wichen sie von den übrigen Einwohnern so wenig als möglich ab. Sie sprachen Deutsch, machten die Nacht nicht zum Tage, aßen nach Landesgebrauch um ein Uhr zu Mittag, erzogen ihre Kinder, die größtenteils in unserer Mitte geboren worden waren, auf die bei uns übliche Weise und betrugen sich im Ganzen wie vernünftige Leute thun, die nicht darauf ausgehen, durch thörichte Anmaßung und alberne Alfanzereien sich und Andern das Leben zu erschweren.

Das Haus meinem elterlichen zur Linken war das Eigenthum dieser englischen Kolonie; mit Aufopferung des besten Theils desselben waren die bel-étage und die über derselben durchbrochen worden, und eine hohe, helle, ziemlich geräumige Kapelle entstanden, der es weder an einer Orgel, noch an einer Kanzel fehlte, noch an dem nach englischen Gebrauche unter dieser angebrachten Katheder für den das Morgengebet ablesenden Clerk oder Küster.

Der übrig gebliebene Raum des Hauses war zur Wohnung ihres Geistlichen eingerichtet, den sie selbst sich erwählte.


 << zurück weiter >>