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Kriegsgesichter und Kanonenfutter.

Gedenkt Ihr noch der Jahre 1848, 1849, 1859 und 1866? Jener Jahre, in welchen der Centner Menschenfleisch um zehn Gulden feilgeboten wurde? Und wie überfüllt der Markt war! Fast mehr Geber als Nehmer. Schließlich wurde mit der Waare geradezu geschleudert, und hätte der Handel noch länger gedauert, der Preis wäre unter fünf Gulden gesunken. Die Menschen verkauften sich fast um die Fütterungskosten einer Woche.

Ich meine den » Freiwilligen«-Rummel. Freilich weinten die Mütter und es weinten die Schwestern und jüngeren Brüder, und auch ein Paar sogenannte Bräute weinten, und hin und wieder sah man sogar einen wirklichen oder Titularvater sich die Augen trocknen. Aber was nützte die »Flennerei«, das »Wiener Früchtel« riß sich los und stürmte auf den Assentplatz, wo der präsumtive Held einen nagelneuen »Zehnerbankanoten« erhielt. Eine Summe, die er all sein Lebtag nie sein rechtmäßiges Eigenthum nennen konnte. Und nun hielt er das Geld in der Hand! Krampfhaft! In der ersten besten Branntweinboutike durfte er es wechseln lassen oder für ein Paar »Pitschen« Bier hinwerfen, ohne fürchten zu müssen, »arradirt« zu werden! Der »Busch'n« am »Kappl« war sein Palladium, er war nun »Soldat« und – »fix Dearndl Laudon!« kreischte es aus der heiseren Kehle, »was liegt denn d'ran an dem Bißl Leb'n, aber eh's gar is auf dera bucklaten Welt, no amal in' Prater awi, oder nach Hernals zum Gschwandtner außi – und g'fahrn muaß wer'n und dann – g'freut's enk, ös wällischen Katzelmacher, oder ös französischen Bajazzer, oder ös preußischen Butterbemmerln! Der Karl kummt, und da is 's Eisen! – Pfiart Di God, Muada und grüaß ma d'Lenerl und 'n Voda und n' Poldl, und wann's D'mi nimmer siegst, so denk' D'r, i bin bei unsern Herrgott und schau awer auf enk, wann am Grund Kir'tag is. Serwas Weanerstadt!«

So leicht schieden damals die Leute von Wien, von ihren Angehörigen – vom Leben. Um zehn Gulden! Wenige kamen wieder zurück. Es war » Kanonenfutter«, das in den ersten Stunden preisgegeben wurde. Wie Sandsäcke.

Aufrichtig gesagt, es waren unheimliche Gestalten. Bursche mit verwegenen Gesichtern, die jahrüber das Pflaster der inneren Stadt nicht betreten, und die sich nur an den Grenzmarken der äußersten Gründe, oder auch an den Donauufern, in den Auen des Galizinberges oder des untern Praters, oder in entlegenen Kaffeeschänken und Kneipen, oder in Canälen, oder in fernen Kellerwohnungen scheu verbargen. Wenn die Alarm- oder die Werbetrommel ertönte, da schnellten sie aus ihren Schlupfwinkeln empor, rieben sich die schlaftrunkenen Augen, strichen sich die Haare in's Gesicht und stiegen auf die Straße. So kamen Hunderte – Tausende, von deren Existenz die civilisirte Residenzstadt keine Ahnung hatte. Geld war zu verdienen, ehrlich zu verdienen, es galt zwar das Leben einzusetzen, aber – »was liegt an dem Biss'l Leben!«

Noch andere Gestalten tauchten damals auf. Die » Arbeitshäuser« wurden geleert. Radetzky nahm Alles, er brauchte Leute – Kanonenfutter, obwohl sich die Officiere und die reguläre Mannschaft heftig dagegen sträubten, in solcher Gesellschaft »für das Vaterland zu kämpfen«.

Es war in jenem gewissen »Jahre der Schmach«. Ich stand am Südbahnhofe. Mehr als ein halbes Tausend der bedenklichsten Subjecte, gefolgt von einem Troß veritabelsten Gesindels (beiderlei Geschlechtes) kam anmarschirt. Welch ein Anblick! Erdfahle Gesichter mit verschmitzten Augen, der Auswurf der menschlichen Gesellschaft. Die Inhaftirten der Zwangsarbeitsanstalten meldeten sich sammt und sonders als Freiwillige für den Krieg. Man willfahrte ihrem »patriotischen« Verlangen. Nun standen sie da in Reih' und Glied, seit langer, langer Zeit das erste Mal wieder in freier Luft! Sie waren von diesem Augenblicke an keine Sträflinge mehr, keine Gebrandmarkten, keine Verstoßenen, sie waren ehrliche Soldaten, die ihr Leben wie jeder andere ehrliche Kerl zu opfern bereit waren. Vielleicht – dachten sie aber auch an Beute in dem reichen, gesegneten Italien. ...

Da wand sich ein altes Mütterchen mit Mühe aus dem wogenden Gedränge. Die arme Frau hatte, wie sie mir gestand, seit vielen Jahren ihren Sohn nicht gesehen, sie vermuthete nur, daß er die ewig lange Zeit – in Strafhäusern zugebracht habe. Nun hörte sie, daß die »Zwänglinge« als Freiwillige sich gemeldet und mit dem nächsten Zuge abgehen würden. Ein gewisses Gefühl sagte ihr, daß sie ihren Sohn, den lange Vermißten, unter dieser Schaar heute wieder sehen sollte. Sie ging die Reihen zitternd auf und ab. Angstvoll spähte sie nach ihrem Kinde – da – ein leiser Schrei – im dritten Gliede stand der Gesuchte – er trat vor und reichte der betagten Mutter die Hand.

Sie versuchte zu weinen, aber der Thränen schon lange nicht mehr gewohnt, rang sie vergebens nach dieser Schmerzenslinderung. Der Bursche, nicht mehr jung und fast im Mannesalter, mit einem ausgesprochenen Thunichtgutgesichte, blickte verlegen zu Boden. Vielleicht flog in dieser kurzen Secunde die Erinnerung an sein ganzes – verlottertes und verlorenes Leben durch sein Gedächtniß, vielleicht fühlte er doch Etwas wie Reue – vielleicht schämte er sich sogar vor dem abgekümmerten Weibe, das seine Mutter war und sichtlich in bitterster Noth sich befand. Er griff in die Tasche und gab der Leidenden und Vielgeprüften Etwas von seinem Handgelde. Sie wies es schmerzlich lächelnd zurück und meinte: »Behalte nur, was Du hast, Du wirst es noch brauchen, ich – brauche ja nichts mehr!« Aber dieser Zug seines noch nicht ganz verdorbenen Herzens, dieses letzte Aufflackern der Kindesliebe schien sie unendlich zu freuen, und gewiß vergaß sie nun all das zwanzigjährige Leid, das der Taugenichts über sie gebracht. Sie küßte ihn und steckte ihm ein paar Aepfel und ein Stück Brot zu, mehr besaß sie nicht, es war ein ihr geschenktes Almosen in natura, sie gab es ihm.

Da hieß es antreten. Die langwierigen Umarmungen und das Abschiednehmen mußten endlich allseits aufhören. Rechts um! Und unter lustigem Hurrahgeschrei stürmten die Todescandidaten in die Halle. Das Publicum zerstreute sich. Viele Angehörigen liefen der Linie zu, um von hier aus den Train vorüberbrausen zu sehen. Auch ich ging, aber melancholisch heimwärts. Da, auf einem Sandhaufen, saß das arme Weib, den Blick unverwandt nach der Bahntrace gerichtet. Plötzlich ein schriller Pfiff der Locomotive – die »Freiwilligen!« – die »Freiwilligen!« hieß es, und unter betäubendem Freudengeheul und unter tobenden Hochrufen auf Wien, fuhren sie vorbei – in den sicheren Tod. Es waren früher Gauner und Strolche und Vagabunden, die aber nun wieder ehrlich geworden, und man winkte ihnen deshalb ein freundliches Lebewohl! zu. Erst jetzt konnte auch die Mutter, die vor mir saß, weinen, aus vollem Herzen weinen, und sie weinte bitterlich. Ob sich die Zwei im Leben nochmals sahen? Ach, wohl nie wieder! – –

Dieser dramatische Kriegszug der Wiener »Zwänglinge« hatte übrigens eine tragikomische Schlußpointe. Am Perron des Bahnhofes fanden sich nämlich an jenem Vormittage eine Unmasse ... »Weibsbilder«, meist Dirnen nur eines und desselben Rufes und Metiers ein, welche alle ihre »Freunde« nicht verlassen wollten und etwas ungestüm forderten, mitfahren zu dürfen. Sie wollten ebenfalls in den Krieg, als – Marketenderinnen wenigstens. Ihre Abwehr war ohne Aufsehen erregenden Exceß beinahe unmöglich, so willigte man denn scheinbar in ihr Verlangen und pferchte sie alle zusammen in den letzten Waggon. Welch Jubelgeschrei bei der Abfahrt! Aber, o wehe: Nach einigen Stationen koppelte man den Waggon mit der sonderbaren Fracht ab, der Zug fuhr weiter, in's »Wällische« hinein, und – die »Damen«? – Nun, in Kriegszeiten macht man auch mit dem schönen Geschlechte nicht viel Umstände.

Man lobte später den Muth und die Tollkühnheit der Wiener Freiwilligen im Allgemeinen und auch jener bedenkliche Nachschub soll sich wacker benommen haben. Und Wien spürte eine gewisse Reinigung. – –

Dann kam das Jahr 1859. Und wieder tauchten Gestalten auf und zogen oder fuhren, aufs Lustigste gestimmt, in luxuriösen Comfortables lärmend durch die Straßen der Stadt, Gestalten, von deren Dasein der Städter keine Ahnung hatte. So schnell war der Nachwuchs, die Ergänzung dieser Gattung fertig. Aber von nun an hatten's die Freiwilligen leichter. Von Todesgefahr war kaum mehr die Rede, denn ihre Ausrüstung bis auf das letzte normale »Haftel« dauerte, Dank der herkömmlichen »Brodlerei«, nun meist so lange, bis die Friedenspräliminarien zur Unterzeichnung kamen. Unsummen Geldes wurden auf diese Weise unnöthig verschwendet, förmliche Ausstaffirungen, wie für Hochzeiten wurden auf's Minutiöseste eingeleitet und so lange durchgeführt, bis – der Krieg zu Ende war. Ich erinnere nur an die berühmten »Welden'schen Scharfschützen« Anno 1849, deren malerische Adjustirung die besten Denker des Vaterlandes beschäftigte, und allein die Ausklügelung der exquisitesten Hut- und Federbuschform, dann die praktische Anbringung des Eßbestecks (!) schwierige und endlose Erwägungen verursachten. Die Herren gingen, auf's Schmuckste armirt, in Wien spazieren und harrten der Befehle zum Ausmarsche – da bedurfte man ihrer plötzlich nicht mehr und ihr kostbares Kriegscostüm, sowie das der Anno 1866 auf Kosten der liberalen Wiener Commune ausgerüsteten Freiwilligenbataillone, und auch des ebenfalls ein Heidengeld verschlingenden Mensdorff'schen Alpenjägercorps – wanderte in die Theatergarderoben und in die Magazine der rechtgläubigsten Kleiderhändler. Diese Methode ging so fort, bis die Errichtung von Freiwilligenbataillonen in Wien allgemein als Ende des Krieges galt. –

Nun schreiben wir 1870. Die glücklicherweise abermals eingetretene »Störung des europäischen Gleichgewichtes« könnte wieder einer Legion Menschen Beschäftigung geben. Auch in Wien drängt die »Situation« schon eine Masse jener, in steter Kriegsbereitschaft befindlichen, immer auf's »Schlagfertigste« gestimmten Individuen dunkelster Existenz in den Vordergrund. Seht Euch um, und Ihr werdet Gesichter bemerken, die Euch sonst nicht vor die Augen kommen. Die äußeren Vorstädte sind bereit, ihr übliches Contingent zu stellen. In den Kaffeeschänken wird schon heftig debattirt, und werden Pläne entworfen, wie man sich gegen diese oder jene Kampfweise der eventuellen Feinde zu verhalten habe. Der verunglückte Student, der arbeitscheue Handwerker, der – verzweifelte Ehemann, der bankerotte Kaufmann, der entlassene Beamte, der Betrogene und Getäuschte, der liederliche Sohn und der von der ganzen Welt Verlassene – sie Alle, die zur vielköpfigen Branche der Lebenssatten gehören, sie horchen nun hoch auf bei jedem Knittern eines Zeitungsblattes, bei jedem Ausrufe eines Zeitungslesers. Sie sind auf den ersten Wink bereit, dem »Rufe des Vaterlandes« Folge zu leisten. Die »leidige« Neutralität verbietet es aber noch vorläufig, von ihrem Anbote Gebrauch zu machen. »Nun vielleicht später – später!« seufzen sie und werfen sich in den Winkel ihrer Spelunke, in Träumereien versunken, nieder.

Ja, vielleicht später! Das ist ihr einziger Trost, ihre letzte Hoffnung, denn sie wollen ja Alle ihr jetziges Los abschütteln und als andere Menschen wiederkehren, oder – sterben, sterben, fern von dem Schauplätze ihres Elendes.

Das ist, mit wenigen Ausnahmen, der Stock der üblichen Wiener Freiwilligencorps. – Resolute Vabanque-Spieler mit ihrem Leben, Materiale für Chronikenschreiber oder auch – namenloses, ungezähltes Kanonenfutter. – –

 

 


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