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Beim Trabwettfahren im Prater.

I.

Anspani – schießt er nöt –
Bleibt's a G'frött;
Haßt nöt viel,
G'hört in's Ring'lg'spiel.

(Alte Weisen.)

Ein echtes Volksfest, einen »eminent bürgerlichen Sport« wollte man vor zehn Jahren gründen, als ein Comité von Fachgelehrten des Kutschirbocks das erste Trabwettfahren im Prater arrangirte und damit zu der hochadeligen Passion vom Freudenauer Turf einen lustigen Pendant schuf. Wie üblich sprach man auch in diesem Falle von »Veredlung der Pferdezucht«, und wie sonst noch die optimistisch-volkswirthschaftlichen Schlagwörter heißen, und erträumte in jedem Ackergaul des weitläufigen Vaterlandes schon im nächsten Quinquennium mindestens einen klassischen Bucephalus, wenn schon nicht einen »Beinlstierer« oder »Millimann«.

Wenn auch letztere Prophezeiung sich bisher nicht ganz genau erfüllte, so stieg doch das Interesse des undiplomirten, ahnenlosen Theiles der Bevölkerung an dem anregenden Schauspiele von Jahr zu Jahr; man stritt und ereiferte sich für und um seine Lieblinge, man ergriff die Partei für diese oder jene vaterländische Provinz und deren Abgesandte; man biß sich in die Lippen, wenn wir (noch vor Sadoma und nicht von dem Schulmeister, sondern) von einem gewöhnlichen preußischen Roßkamm vor aller Welt aufs Haupt geschlagen wurden; man jauchzte und jubelte, wenn die Revanche gelang, und behielt die Maihelden der Praterallee fast länger im Gedächtnisse, als die Märzhelden der Herrengasse.

Welche Triumphe feierten: Hofmann aus Salzburg, Schießer und Zizzelsberger aus Linz, und namentlich Bergauer aus Stockerau; wie populär wurde die Rosenwirthin, die » Sofner Lina« und mit welch' hübscher patriotischer Begeisterung sprach man von den ruhmreichen Thaten jener unvergeßlichen Zierden der untaxirbaren Fiakergenossenschaft: von den Secundenkämpfen eines » Has«, Wallner, Edlheim, Alt, Rinnagel! Genug, das heitere Fest war volksthümlich, wie nur Eines, und sollte diesen urwüchsigen Charakter bewahren.

Leider bekam die Sache in den letzten Jahren allmählich eine ganz andere Färbung: der bürgerliche Anstrich wurde durch den vermeintlich erlauchten Firniß gewisser Namen aus der Geburts- oder Geldaristokratie, die auch hier nicht fehlen zu dürfen glaubten, aber auch eine ganz eigene »Damenwelt« herbeigezogen, bis zur Unkenntlichkeit vermischt, und der Actionärraum wie die Concurrentenliste bestanden schließlich nur mehr aus Abonnenten des »Salonblattes«. Mein Gott! Wer Geld hat, kann sogar die glorreichen »Knechte« des Wallner verdunkeln, d. h. noch exquisitere »Schießer« sich kaufen, als der »Zweihundertfünfundzwanziger« mit seinem berühmten »Zungenschnalzer« dirigiren muß.

Diesmal (Mai 1871) nahm die Sache nach langer Zeit wieder einmal eine günstigere Wendung. Von »Gawlier's« war nur ein kleiner, unabwendbarer Rest vorhanden, der aber nicht den Ton anzugeben strebte, und wenn es dem Comité in der Folge auch noch gelingt, die »Milli« sammt Anhang von der Damentribüne fern zu halten, so wird es jeder ehrsamen Bürgersfrau ein Vergnügen sein, dort Platz zu nehmen und die bravourösen Erfolge unserer kühnen Rosselenker zu bewundern.

Vor Beginn des eigentlichen programmgemäßen Wettfahrens hatten mehrere Pferdefreunde einen »Match« vereinbart. Sechs Zweispänner fuhren ab, um die Tour bis zum Lusthause und zurück zu machen. Auf zwei »Russen« (Graf Octavian Kinski) gehörig und von Herrn v. Semsch geführt) wurde viel gewettet – sie blieben zurück; während der Pferdehändler Herr Augustin mit zwei »Braunen« den Vogel abschoß und den ersten Preis (100 fl.) erhielt. Die zwei Thiere, nicht mehr jung, brauchten für die Tour nur 19 Minuten 6 Secunden. (Im Vorjahre siegte Graf Szapary mit zwei prachtvollen Braunen über Alle, denn er fuhr in 18 Minuten 21 Secunden; eine Frist, die selbst dem »Has« etwas zu kurz ist.) Die heurigen Sieger sollen (wie erzählt wurde) Eigenthum des Herrn Dibischofsky, des Rabenwirthes sein, stammen aus dem berühmten Stalle Buchan's, haben in Oberösterreich viele Lorbeeren errungen und sind »Gasselfahrer« par excellence, namentlich der Sattlige von riesiger Kraft und Ausdauer, der nur die Laune hat, nicht allein gehen zu wollen, wo er meist »ausreißt«. Als Zweiter (19 Minuten 10 Secunden, Preis 50 fl,) kam Herr Zizzelsberger (aus Linz) mit einem russischen Rappen und einem baierischen Braun, herrliche Renner; und als Dritter (19 Minuten 49 Secunden, Preis 30 fl,), lärmend begrüßt, der » Has« mit den zwei polnischen Braunen des Herrn Wallner. Vor zwei Jahren brauchte der »Has« um neun Secunden länger, und er wäre diesmal vielleicht der Erste am Pfosten angelangt, aber – »unt' hab i nit glei außi kinna und a bisl g'schreckt san's a no«, meinte dieser populärste Wiener Fiaker und blies sein »Cigarrenpfeiferl« mit Würde aus.

Nun kam die Fahrt der Einspänner. Vierzehn waren angemeldet, zwei ließen sich als unpäßlich melden, und zwar: Herrn Red's aus Linz zehnjähriger Rapphengst Orlof, der sich (von allen Kennern als Sieger im Voraus proclamirt) bei der Generalprobe Tags vorher krumm lief, und Herrn Valentin's (Kohlkreunzen-Wirth) siebenjährige Schimmelstute (auch ein Orlof), die Donnerstag Früh – durchging und erst spät Abends allein, aber kläglich abgeschunden in den Stall zurückkam. So gingen denn diesmal nur zwölf Pferde ab.

Die Fahrt ging bis zum Rondeau und waren fünf Preise (400, 200, 150, 100, 50 fl.) normirt. Zahllose Wetten wurden auf einen (Herrn Eggers aus Dänemark gehörigen) sechsjährigen Rappwallach gemacht, der, in einen niederen Gabelwagen gespannt, während der letzten acht Tage Unglaubliches geleistet haben soll. Bei der ernstlichen Wettfahrt blieb das zusammengehetzte Thier das letzte. Ebenso versprach man sich von Herrn Josef Bergauer's (aus Stockerau) »Probir-Mamsell«, einer braunen Mutterstute, die mit einem elfwöchentlichen Saugfohlen auf dem Turfe erschien, große Dinge. Aber auch dieses arme Thier, von den Strapazen des Wochenbettes vielleicht doch noch nicht ganz hergestellt, erlief sich keinen Preis, obwohl es, freilich alle Kräfte einsetzend, die Tour in nur 8 Minuten 25 Secunden (!) zurücklegte – aber der letzte Preis gehörte 8 Minuten 19 Secunden.

An dem Wettkampfe selbst betheiligten sich nur Renner von bewährtem Rufe, dennoch wurden die Triumphe früherer Jahre nicht ganz erreicht, denn im Jahre 1869 errang sich Würth mit seiner Siebenbürger Stute, die nur 7 Minuten 38 Secunden benöthigte, die Palme, von jenem fast fabelhaften Erfolge gar nicht zu reden, den Sigmund Hofmann aus Salzburg im Jahre 1863 hatte, dessen »Blaßl« nur etwas über 7 Minuten Zeit gebrauchte, um beim »hohen Präsidium« wieder angelangt zu sein, während heuer die beste Ziffer 7, 48 war, die aber merkwürdigerweise zwei Pferden zufiel.

Das Präsidium erklärte deshalb, daß beide Renner sich »stechen« müssen, das heißt, die Wette unter sich nochmals zu versuchen.

Nun ging der Separatkampf los. Zuerst kam die Schärdinger Stute an die Reihe, die, noch immer stark erhitzt, die Tour noch einmal machen mußte. Große Aufregung. Die oberösterreichischen Bauern entriren – das Bierglas in der zitternden Hand, bedeutende Wetten – die Schärdingerin geht dampfend ab, um nach 8 Minuten 18 Secunden wieder beim Pfosten angelangt zu sein. Alles drängt in die Bahn und beglückwünscht den bleich gewordenen ländlichen Groom, der auf seinem Gig finster rollenden Auges sitzt und die dargereichten Biergläser nun erschöpft – zurückweist.

Neuer Lärm. »Bahn frei! Bahn frei!« schallte es, denn der andere Concurrent jagt bereits heran: Zizzelsberger's überdreister Bursche, der mit seinem Braun »Hans« nochmals sein Glück probiren will und – muß. Schreiend, fluchend, die geballte Faust hoch erhebend, macht sich der tollkühne Knirps mit seinem feurigen Gespann durch die dichte Menge selbst Bahn, und ist im Nu entschwunden. Unbeschreibliche Aufregung, in der Damenloge werden enorme Wetten angeboten und galanter Weise acceptirt, die Secunden werden laut abgezählt, Alles zählt sie mit; da, kaum fort – ist er schon wieder, den Hut lustig schwingend, vor dem hochlöblichen Präsidium angelangt, welches es zum Staunen der Nachwelt in ihren Büchern verzeichnete, daß der »Hans«, ungeachtet er die Tour zweimal machte, nun nur 8 Minuten und 1 Secunde brauchte, somit überhaupt als erster Held sich erwies.

II.

»Fahrma a Gnad'n? Sö, fahrma, Sö?
Sollt i's lass'n füri schießen?
Juckt der Schackerl 's Latseil in d'Höh',
Geht's juckerisch außi aus der Welt – auf acht Füßen!«

(Alte Weisen.)

»Der Mausfarbene is krump; schad – war a schön's Dutzet g'west!« So lautete das letzte Bulletin, das kurz vor Beginn des Fiaker-Wettfahrens an der fliegenden Schenke ausgegeben wurde. So fuhren denn nur elf Fiaker, aber ... »eiserne«!

Wie sie heißen? Nun, es waren: der »Spaßapatl«, der »Honi«, der »harbe Bua«, der »Kratznickel«, der »Prager« (seines Hochdeutsch wegen so genannt), der »Schuaster«, der »Wickerl«, der »klane Natzl«, der »Jud« (sehr ökonomisch), dann zwei ohne Spitznamen, worunter der – » Has«.

Der arme »Has«! Die vielen Siege, die er schon erkämpft, waren nun sein Unglück, denn das Turf-Reglement legte ihm zwei volle Minuten als Ausgleichslast auf, die ihn erdrückten und ihn, obwohl er eigentlich den zweiten Preis sich erfuhr, doch von der Betheiligung ausgeschlossen. Als seine zehn Collegen abgingen und er am Pfosten sein doppeltes Minuten-Pönale abwarten mußte, das »Zigarl« in stiller Wuth verbeißend, da schüttelte er den thurmhohen Cylinder auf dem Nestroykopf und rief recht kleinlaut zur Richtertribüne herüber: »Guat'n Murg'n, Herr Fischer! Is Ihna nit lad um mi? Und g'rad von die allerlängsten Minuten suchen's mir's aus, dös is do a weng'l z'hart für die Schwarzbräunl!« – Präsident Fischer erwiderte treuherzig lachend: »Nicht um eine Viertelsecunde geschieht dem Has Unrecht, gleich kann Er abgehen: Eins – Zwei – Drei! Ab!« – »Ola! Lass'n ma's füri!« – »Holla hoch! Der Has hoch! Hoch der Has!« Aber wo war der Has im nächsten Augenblicke; kaum, daß man den historischen Cylinder in der Ferne noch erspähen konnte.

Es waren bange Minuten, die nun folgten. Der sieggekrönte »Sträfling« hat die Sympathie des Volkes sich schon längst erobert, und wenn er seine kaustischen Augen über die Menge schweifen läßt, schallen ihm hundert und tausend freudige Zurufe entgegen. Nun wirbelt Staub in der Ferne auf. Alle Blicke sind nach dem ersten Ankömmling gerichtet. »Wer ist's? Ist's der Has? Sind's die Schwarzbraunen?« »Ein Schimmel ist dabei!« »Das ist der ›Dreihundertundsiebenundvierziger‹, der ›Schuster‹!« Richtig – das »Zeugl« des Alois Alt ist das mit 21 Minuten 15 Secunden erste am Ziele. »Wo bleibt der Has?« – Der Zweite, der Dritte, der Vierte jagt vorbei, laut begrüßt, aber der »Has« ist noch nicht da. Endlich – der Vorletzte, die Zügel stramm in den Händen, den Oberleib halb vorgebeugt, den nie fehlenden Glimmstengel fest zwischen den Zähnen, so rast er mit den schweißbedeckten, schäumenden Thieren heran, in 21 Minuten 36 Secunden, die ihm aber mit 23.36 gerechnet werden. »I hab's ja g'sagt, daß i mit dera Zeitrechnung nicht recht füri kann! Aber macht nix, auf's Jahr fahr ma mit zwa andere! Servus, Herr Fischer!« – Das war seine seufzendste Rechtfertigung und sein gefühltester Abschiedsgruß. –

 


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