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(Eine einfache Geschichte zum Eingang.) Geschrieben am 20. November 1871.
Es war zu Ende der Neunziger Jahre. Ein junger Mediciner, der sich vorerst ein Weibchen nahm, ehe er Patienten hatte, war über diesen Einfall ganz außer sich und in dulci jubilo und lobte Gott den Herrn allstündlich ob des Glückes, das er gemacht. Sie hatten zwar nichts zu nagen und zu beißen, aber sie waren jung und liebten sich – und für das Andere werde schon der Himmel sorgen.
Und des Himmels Segen blieb auch nicht aus. Nach Jahresfrist gab's in dem Kämmerlein, welches das Pärchen in einer der südlichen Vorstädte Wiens bewohnte, plötzlich großes Geschrei. Ein Mägdlein lag an der Mutter Brust, und obwohl an Linnen und sonstigem Aufputz für das herzige Ding nicht allzuviel in Vorrath war, der glückliche Vater sprang dennoch deckenhoch und jubelte und bedeckte die selig lächelnde Mutter mit tausend heißen Küssen.
Nun kamen aber auch der Sorgen eine ernsthafte Zahl. Für Drei galt es zu schaffen und nebstbei gab's noch zu studiren: eine schwere Menge Bücher und Schriften lagen vor dem Lämpchen, das recht kümmerlich stuckerte und dem eifrigen Leser das Geschäft mühselig genug machte. Dann und wann entrang sich wohl ein leiser Seufzer der Brust des Vielgeplagten, aber ein Blick nach den beiden Schlummernden gab ihm neuen Muth und ließ ihn die Qual überdauern. Und endlich fanden sich sogar die ersten Patienten: Geld, wenn auch nur in kleinen Dosen, kam in's Haus, man konnte Holz kaufen und das Stübchen tagüber warm halten; ja ein paar glückliche Curen verschafften dem Namen des bisher Unbekannten in der ganzen Gasse einen Ruf – die Zukunft war geebnet ... Da starb ihm sein gutes Weibchen. –
Nachbarsleute nahmen sich des Kindes an und pflegten es während des Tages, wenn den trostlosen Vater seine Berufspflicht nach auswärts rief. Kam er Abends heim, dann holte er sich das arme Wesen, das ihm die Händchen sehnsüchtig entgegenstreckte, herüber und herzte es und plauderte mit ihm von der Mutter, die verreist sei und bald wieder käme, und wenn die Kleine die schlafmüden Augen lächelnd schloß, da hielt er sie wohl noch stundenlang im Arme und schuf sich aus den holden Zügen das Bild der Mutter, die gewiß segnend über den Beiden wachte. Dann legte er die Schlummernde leise und behutsam zu Bette und sich daneben und horchte jedem Athemzuge, bis sich der Schlaf auf seine eigenen Wimpern senkte.
So ging es ein paar Jahre. Das »schwarze Lenchen«, wie man das Mädchen im Hause hieß, gedieh zusehends, es wurde stark und machte sich zu schaffen, wo es nur möglich war. Das gefiel den Leuten und man lobte das wackere Kind, das, noch nicht volle acht Jahre alt, die, wenn auch überaus bescheidene und kleine Wirtschaft, aber dennoch ganz allein führte, und unausgesetzt scheuerte und fegte und alle Hände voll Arbeit nahm.
Dagegen wollte es leider mit dem Vater nicht recht vorwärts gehen – er kränkelte, er zehrte sich ab, und als sein Lenchen in's neunte Jahr ging, da – starb er. Das arme Kind stand nun allein in der weiten Welt.
Als aber die Verlassene und Vereinsamte, bitterlich weinend, hinter dem Sarge wankte, der ihr Alles umschloß, und als sie im Wahnsinn des Schmerzes dem Sarge nach, sich in die Grube stürzen wollte, da – wurde die Verzweifelnde von einer Frau, die sich als »Tante« zu erkennen gab, am Arme erfaßt und mit den Worten: »Keine Narrheiten! Du bleibst von nun an bei mir!« von der Fremden fortgeführt.
Und die Verwaiste blieb bei der »Tante«. Es war eine kalte, ernste, harte Frau, die die trockene Brotrinde und die »Liegerstatt« keineswegs für Nichts gab, sondern tüchtigen Robot dafür verlangte. Sie entlieh ihre Magd, und die neue »Kostgängerin« mußte deren Dienste versehen. Das war nun allerdings kein kleines Stück Arbeit für ein neunjähriges, von Schmerz und Gram gepeinigtes Mädchen, das seiner »Wohlthäterin« nichts zu Dank machen konnte, obwohl es sich die Hände wund rieb und vor Kummer die Augen roth weinte.
Aber ein Herz erbarmte sich doch der Gequälten. Vor dem Hause stand ein Brunnen, von dem auch Lenchen das Wasser holen mußte. Als nun eines Tages das Mädchen mit einem großen, schweren Schaffe sich recht abplagte, um es weiter zu bringen, und es doch nicht vermochte, da – lief aus der Werkstatte gegenüber ein vierzehnjähriger Bursche herbei, ergriff das volle Schaff mit nervigen Armen und trug es dem erstaunten Mädchen in das dritte Stockwerk. Das war ein echter und rechter Liebesdienst, so aus vollem, uneigennützigem Herzen und ganz unbewußt gethan, und obwohl sich das Kind ob seiner »Faulheit« von der erzürnten Pflegemutter schelten lassen mußte, dankte es doch hellen Auges dem wackern Helfer. Ach, der gute Junge suchte sogar von nun an Gelegenheit, um dem armen Geschöpfe mit Rath und That zur Hand zu sein, das es gar nicht fassen konnte, wie ein wildfremder Mensch so liebreich sein sollte.
Das Alles ging eine Zeitlang seinen Werkeltagsgang ruhig weiter, bis der große Welt-Störefried Napoleon auch in diese kleinen Verhältnisse verwirrend eingriff. Der 11. Mai 1809 kam. Wien wurde bombardirt, Menschen wurden getödtet, Häuser in Brand gesteckt; Entsetzen erfüllte die Menge. Die Tante flüchtete in den Keller, mit ihr Lenchen. Der Junge von drüben stand mit seinem Vater und den übrigen Arbeitern auf den Bastionen. Auch dieses Intermezzo ging vorüber und man kehrte zu seinem Herde zurück. – Nicht lange, und auch die Tante starb, und Lenchen stand wieder allein und verlassen.
Sie hatte gesunde Arme und war die Arbeit gewohnt, so suchte sie denn frohen Muthes ein ehrbares Haus und bot ihre Dienste an. Sie fand es. Man gab sie ihres heiteren Temperamentes wegen zu Kindern und hielt sie selbst wie das Kind des eigenen Hauses.
Vorher aber nahm sie noch Abschied von ihrem Jugendfreunde, Mit dem Bündel in der Hand trat sie in die Werkstätte und bot dem Jungen, der schon gewaltig in die Höhe geschossen und eben mächtig in der Esse rührte, treuherzig ihre Rechte. Der wurde feuerroth und rief: »Ho! Ho! was soll's, was gibt's?« – »Fort muß ich!« war die gelassene Antwort. »Doch nicht etwa aus der Welt?« – »Das wohl nicht. Ich trete in ein Haus, wo ich denke, daß ich's getroffen habe. Aber ehe ich von hier scheide, wollte ich Dir – wollte ich Euch noch einmal recht vom Grund meines Herzens danken, für ...« – »Für was? Du Närrin! daß ich Dir zuweilen ein volles Wasserschaff getragen, oder Holz, oder einen Sack Erdäpfel vom Wagen geholt habe, wie Du noch ein kleines Ding warst? Das sind weiter merkwürdige Geschichten! da hat's viel zu bedanken! – Nun, wenn's sein muß, so geh' halt in Gottes Namen, und denk' öfter an uns, hörst Du! Und wenn es Dir – was der Himmel verhüten möge, schlecht gehen sollte, so komm zu uns, hörst Du! Nicht wahr, Mutter!« – wandte er sich zu der wackeren Frau, »nicht wahr Mutter, wenn es dem Lenchen schlecht gehen sollte, sie darf kommen und – es Dir sagen?« – »Gewiß, gewiß!« erwiderte diese, »und wenn wir helfen können, wollen wir's gerne thun! Und nun leb' wohl!« – »Lebt wohl! ...«
»Ein Blitzmädel das«, meinte der Vater, »steht so mutterseelenallein auf der Welt und verliert nicht die Courage. Wer die einmal zum Weibe bekommt, denk' ich, der hat nicht fehlgeschossen!« – Der Junge schien der letzten Worte nicht zu achten, er warf ein Scheit Holz in die prasselnden Flammen und pfiff sich ein lustig Liedl. –
Jahre vergingen. Lenchen wuchs zur blühenden Jungfrau heran und schaukelte die Kinder des Hauses auf ihren Knien und erzählte ihnen die staunenswerthen, unglaublichen Geschichten, die ihr Vater eine unabsehbare Menge zu erzählen wußte, und womit er in ihrer Kindheit Tagen ihr und sich selbst so manche bittere Stunde versüßte. Und die Kinder horchten ihr gerne und baten um neue und wieder neue Geschichten, und lachten hell auf über die tausend tollen Einfälle und riefen: »Nicht wahr, Du bleibst immer bei uns?« – »Ja, liebe Engel. ich bleibe bei Euch!«
Die Frau des Hauses, voll Güte und Sanftmuth, lächelte zu diesen unschuldvollen Herzensbündnissen oder drohte nur liebevoll mit dem Finger und sagte: »Du raubst mir noch die Kinder!« – »O, meine Mutter!« rief da die treue Hüterin der Kleinen und warf sich schluchzend der edelmüthigen Frau in die Arme.
Diese verstand den Schmerz der Verwaisten, küßte sie auf die Stirne, liebkoste ihre Kinder und rieth ihnen, bald zu Bette zu gehen. Die aber erhoben ein Zetergeschrei und verlangten dringend solch lustige Figürchen, wie sie »Madelaine« zu zeichnen verstand und die die kleinen Knirpse dann jubelnd nachkritzelten, bis der Schlaf sie überwältigte. Aus zweien dieser »Kritzler« wurden später Künstler von achtbarem Namen.
Und wieder vergingen Jahre. Da meldete sich eines Tages ein Mann bei der Frau des Hauses, mit dem Vorgeben, »Wichtiges« zu besprechen zu haben. Man ließ ihn ein. Es war ein junger, kräftiger, stattlicher Mann, im bürgerlichen Sonntagskleide, einfach und modest. Nur etwas verlegen that er und kämpfte sichtbar mit den Worten, um sein Anliegen vorzubringen. Endlich schien er den Anfang gefunden zu haben und platzte mit der Frage heraus: »Gnädige Frau, haben ja noch das Lenchen im Dienste?« – »Das Lenchen? Ja so, Sie meinen Madelaine; im Dienste? Je nun, wie Sie's eben nennen wollen, mir halten sie nicht wie eine Dienerin.« – »Ich weiß, ich weiß!« war die rasche Antwort; »sie hat's hier gut, o – ich hab' mich schon erkundigt, ich hab' sie nicht aus den Augen gelassen, das heißt, Alles in Ehren – sie wußte nichts davon.« – »Und was ist der Zweck Ihres Hierseins? Ueber was soll ich Ihnen noch Aufschluß geben?« – Aber das war zu viel auf einmal gefragt. Der Aermste hatte den Faden seines Conceptes nun vollends verloren, er drehte nur unablässig den frisch gebügelten Cylinder mechanisch zwischen den Händen, stand auf, rückte den Stuhl in die Ecke und murmelte: »Ich werde nächsten Sonntag mir nochmals die Freiheit nehmen, bitte jedoch vorläufig nichts zu erwähnen, daß Jemand ...« Hier stockte er neuerdings.
In diesem für den »Redner« qualvollen Momente wurde die Thüre heftig aufgerissen. Ein bausbackiges Mädchen sprang herein, barg sich in den Schoß der Mutter und rief: »Du findest mich nicht! Du findest mich nicht!« Und ein Viertel Dutzend Kinder folgten und zerrten ein schlankes Frauenzimmer, welches eine Binde um die Augen hatte, herbei und klatschten in die Hände und schüttelten sich vor Lachen.
Und die Geblendete tastete und tastete; da streifte ihre Hand eine fremde Hand, sie fühlte sich von ihr kräftig erfaßt, die fremde Hand glühte ... sie riß sich die Binde von der Stirne ... ein Mann stand vor ihr ... alles Blut wich aus ihrem Antlitze und drang zum Herzen, das zu zerspringen drohte: »Georg, sind Sie es?« waren die einzigen Worte, die sie zu stammeln vermochte.
Die Frau des Hauses gebot den Kindern in das Nebenzimmer zu treten, welche es zögernd thaten, nicht ohne den fremden Mann scheu anzustarren. Als das ungestüme Quartett entfernt und die Drei allein waren, begann Georg, welcher plötzlich all seinen Muth wieder gefunden, also:
»Gnädige Frau, vor allem Anderen denken Sie von uns Beiden nichts Unrechtes! Dieses Mädchen hier kenne ich noch, als es ein Kind war. Als Kind sprach ich es zum letzten Male, als Kind schied es von uns. Ich vermied es seitdem, ihr unter die Augen zu kommen, weil – ich sie nicht hätte ziehen lassen sollen, als sie zu ... fremden Leuten ging. O, die Mutter hätte sie schon behalten ... Nun, ich sagte damals: wenn es Dir schlecht gehen sollte, komm zu uns! Lenchen! verzeihe mir, Gott straf' mich, im Stillen wünschte ich, Du kämest gleich des anderen Tages – Du kamst nicht wieder; das wurmte mich. Ich zog Erkundigungen ein, wie Du Dich ständest, was Du triebst und machtest und thätest. Jeden Deiner Schritte ließ ich bewachen, aber ich hörte nur – Untröstliches! das heißt: ich hörte, daß es Dir gut gehe, über die Maßen gut gehe, daß Du eine Mutter gefunden, und – – weil es Dir so gut ging, da vergaßest Du auf uns ...«
»Ich dachte alltäglich an Euch!«
»Nun, das ist schön, wenn's wahr ist; das ist schön, Lenchen! Aber höre weiter. Ich ließ Dich nicht aus den Augen! Du sahst mich nicht, aber ich sah Dich Sonntags in der Kirche. Wenn Du mit den Kleinen kamst, stand ich schon längst oben auf dem Chore, nun – wenn's da manchmal mit dem Tacte happerte, da warst eben Du Schuld daran; endlich warf ich die Geige auch weg, meine Hände wurden zu schwer – Du weißt, unsere Arbeit ist keine leichte. Aber verstohlen habe ich doch immer nach Dir geschaut. Und weil ich die ganzen Jahre nichts Uebles von Dir gehört – und – weil ich nun mein Handwerk selbstständig ausüben will – so komm' ich,' Dich zu fragen – – das heißt, Du mußt mich recht verstehen – 's sind schwere Zeiten – aber arbeiten will ich früh und spät, und wenn Du mit dem einfachen Lose Dich zufrieden geben willst, das ich Dir bieten kann, und die gnädige Frau es hier erlaubt, so möchte ich, daß Du – Ja sagtest und – –.«
Weiter konnte er nicht. Die Frau des Hauses lachte und meinte, daß sie nichts zu erlauben hätte, aber Lenchen fiel ihr in's Wort und sagte i
»Gnädige Frau! Sie haben an mir gethan, wie eine Mutter nicht anders thun konnte; ich gebe Ihnen deshalb volle Gewalt über mich und werde nie einen Schritt ohne Ihre Einwilligung unternehmen. Was das Anliegen dieses Mannes betrifft, den ich heute das erste Mal wieder gesehen, so gestehe ich, daß mich sein Antrag überrascht und verwirrt. Als Kinder sprachen wir uns das letzte Mal ... wohl dachte ich gar oft an das gute Herz des wackern Jungen – – aber – konnte ich ahnen, daß er des armen Mädchens noch gedenke, dem er einst in Jugendlaune half – Lasten tragen? Es ist edel – – daß er der armen Waise nicht vergessen – aber – ich bin auch heute noch nichts Anderes. Ich ...«
»Lenchen, halt' ein! Ich weiß, was Du sagen willst. Aber ich muß ja Dich vorerst fragen, ob denn Du die folgenlose Zufriedenheit, die Dich umgibt, je vertauschen könntest mit den trüben Tagen an der Seite eines armen Arbeiters? Ob, wenn unsere Pläne scheiterten, nie ein Ton der Klage, des Vorwurfs über Deine Lippen käme, ob nicht qualvolle Reue Dich folterte und –«
Sie sah ihn milde und freundlich an, ergriff seine Hand und drückte sie.
»Lenchen! Lenchen!« rief der Ueberglückliche. »Ach, Du weißt es ja, daß ich nicht von Dir lassen kann, aber daß Du siehst, daß ich's ehrlich meine und auch nicht in Dich stürmen will, so – lasse ich Dir ein volles Jahr Bedenkzeit. Leb' wohl! Ja oder Nein! Mag's kommen, wie es will, aber in einem Jahre siehst Du mich wieder!«'
Damit eilte er davon. Er hielt Wort. Nach einem Jahre kam er wieder und – sechs Wochen später war Lenchen sein ehelich angetrautes Weib. –
Seitdem sind – fünfzig Jahre verflossen. Fünfzig lange Jahre mit ihren Nöthen und Trubel sind in's Land gegangen, fünfzig schwere Winter haben an Mark und Knochen gerüttelt, aber – das Pärchen lebt noch immer. Auf seinen Häuptern liegt der Schnee des Alters, aber in ihrem Gemüthe ist's Frühling geblieben; das Feuer der Augen ist wohl allmählich leise verglommen, aber im Herzen bewahren sie treu das Flämmchen zärtlicher Fürsorge; die Last der Jahre hat ihre Rücken wohl etwas gekrümmt, aber sie vermögen noch aufrecht den Blick zu erheben; in Kummer und Mühsal haben sie das Lachen wohl längst verlernt, aber das sanfte Lächeln innerer Glückseligkeit, der Seelenfreudigkeit spielt noch um ihre Lippen ...
Fünfzig Jahre sind an ihnen vorübergezogen, aber sie zahlten sie nicht und merkten's kaum, und erschraken fast, als sie inne geworden, daß der Herr so gnädig gewesen und sie so lange vereint gelassen. Ein halb Jahrhundert ist in's Grab der Zeiten gestiegen und eingesargt hat man vor ihren Augen Kinder und Kindeskinder und zahllose liebe Freunde und Genossen, sie aber selbst wandeln noch immer ungebrochenen Muthes auf der schönen Erde – die ihnen so wenig bot.
Ach, so wenig! – – Der Pfad, der sie durch's Leben führte, war nicht mit den Rosen des Glücks geschmückt; eine Dornenhecke von Mißgeschick umschlang ihre Wege, die nur von spärlichen Sonnenblicken erhellt wurden. Der eiserne Ring der Noch legte sich um ihre bescheidensten, kleinsten Wünsche; Mangel und Entbehrung wuchs aus all ihrem Mühen und Streben, und ihre genügsamsten Traume und Pläne erstickte der Gifthauch der – Ungunst ihres Schicksals. Sie blieben arm.
Sie blieben arm in bitterster Armuth. Sie konnten sich nichts erbeuten und erobern im schweren Kampfe des Lebens, als ein schuldlos Gewissen, die Liebe ihrer Kinder und die Achtung ihrer Mitmenschen. Sie blieben arm trotz unsäglichen Ringens, und ihr Stern stellte sie unter Jene, die der Bann getroffen: das Stück Brot im Schweiße des Angesichts zu verdienen.
Sie blieben arm. Aber kein Laut des Vorwurfes kam über ihre Lippen, kein unmuthsvoller Blick trübte das Band, das sie geknüpft. Sie harrten aus in Liebe und Treue und einträchtigem, unverdrossenem Zusammenhalten und unüberwindlichem Gottvertrauen und in der Hoffnung, auf eine bessere Zukunft.
Auf eine bessere Zukunft! Noch am Abende des Lebens verlaßt sie der Glaube nicht! – Sie blicken nun lächelnd zurück auf den langen Weg, den sie miteinander gegangen, und wissen selbst nicht, wie sie's getragen, was der Herr ihnen Alles aufgebürdet ...
Gestern war's Jahrestag, daß sie sich vor fünfzig Jahren die Hände zum Bündniß gereicht. Sie hatten Beide Wort gehalten und sind sich, Eins dem Andern, eine Stütze geblieben. Und wenn der Traum ihrer Jugend auch nicht in Allem in Erfüllung gegangen, ihr theuerster Wunsch ist doch zur Wahrheit geworden: Treue Liebe für's ganze Leben!
So feierten sie denn gestern, wie's der Gebrauch will, nochmals eine Hochzeit – die goldene. In derselben Kirche, wo sie einst – es sind bald achtzig Jahre – getauft, und wo sie vor fünfzig Jahren ehelich verbunden wurden, standen sie gestern noch einmal und horchten den mahnenden, tröstenden, liebevollen Worten des Priesters. Und als sie die Kirche verließen und neben einander dahertrippelten, da führte sie der Weg zu dem Brunnen, der heute noch auf demselben Flecke, und sie blieben einige Augenblicke vor ihm stehen. »Weißt Du noch«, begann das Mütterchen-Braut mit zitternder Stimme, »wie Du hier einst dem armen Kinde hilfreich Deinen Arm geboten? Da lernte ich zuerst Dein gutes, edles Herz kennen und Dir vertrauen – ich habe mich nicht getauscht in Dir – ich danke Dir nochmals für alle Liebe, die Du mir im Leben erwiesen.«
Dann gingen sie weiter, in ihre kleine Behausung. Der Rest der Kinder, so ihnen geblieben – neun hatten sie im Laufe der Jahre bestattet – stand um das Jubelpaar, eine Schaar munterer Enkel sprang um die greisen Brautleute lustig herum. Das Fest selbst aber verlief still und geräuschlos.
Warum ich diese einfache Geschichte erzählte? Weil sie mir an's Herz gegangen. Ob ich die Leute genau kenne? – Gewiß, denn es sind – meine eigenen Eltern, die mir der Himmel noch lange erhalten möge!