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Der Vorstadt-Umgang.

(Mai 1869.)

Und wenn ich mir auch den Haß der allersäubersten vorstädtischen Hausfrauen und Mütter zuziehen sollte, und wenn mich die ehrsamen Gilden und Genossenschaften (inclusive ihrer Vorsteher) in allen acht Bezirken in Acht und Bann erklären und schwören sollten, nie mehr eine Zeile von mir zu lesen, ich kann doch nicht anders, als lachen und wieder lachen und auf's Herzlichste lachen, wenn ich der kläglichen Angst gedenke, die vor ein paar Tagen diverse Familienoberhäupter erfaßte, als es hieß, es sollte an dem »vielhundertjährigen Brauch«, an der »althergebrachten Form« des »Umgangs« gerüttelt werden. Das traf so recht in's Herz des fanatischen Urwienerthums und ich kann mir den Höllenspectakel vorstellen, den z. B. nur die Frau von Grammerstätter allein ihrem armen Lebensgefährten machte, als dieser das niederschmetternde Communiqué daheim mittheilte, daß der »Franzl«, der »Ferdl«, die »Mariedl« und die »Schanettl« heuer beim Umgang nicht »mitgehen« dürfen, und wie es ihm unmöglich gewesen sei, gegen diese terroristischen Beschlüsse Einsprache zu thun! –

Nun, es erhoben schon andere »Grammerstätters« ihre warnende Stimme und sie prophezeiten nicht nur religiöse Katzenmusiken, sondern auch tugendhafte Revolutionen mit sittlich entrüsteten Barrikaden etc., während ein besonders weiser Thebaner die Sache von der Gemüthsseite und Gefühlshammelei anzupacken versuchte, indem er, wie sein eigen greinend Söhnchen, welchem man die versprochenen Zuckerbretzel verweigert, Klage darüber führte, daß man dem Bürger jede »Unterhaltung« nehme, worauf er bitterlich weinte. Hahahahahaha! In solchen Augenblicken erst weiß ich die Maßregel, die Wipplingerstraße zur Zeit der väterlichen Berathungen abzusperren, nämlich vor dem Wagengerassel zu schützen, vollkommen zu würdigen, denn es wäre doch jammerschade, wenn auch nur ein Wort solcher oratorischer Productionen dem lauschenden Jahrhundert entgehen würde.

Ja, die alten Vorstadt-Umgänge waren »halt« überhaupt schön, und wenn sie in England auch schon längst die gewisse »Magna carta« und in der Schweiz und in Belgien und in Amerika noch einige andere nicht üble Institutionen hatten, unseren Vorstadt-Umgang mit dem Bürgermilitär-Aufputz hatten sie doch nicht, und ich bin überzeugt, daß die wärmsten Anhänger der Achtundvierziger-Erhebung, hätten sie ahnen können, daß jemals der Bürger von der uniformirten Theilnahme am »Umgang« ausgeschlossen werden könnte, gleich an jenem 13. März feierlichen Protest gegen jede »Neuerung« oder Umgestaltung unserer socialen und staatlichen Verhältnisse erhoben hätten.

Der alte Wiener Vorstadt-Umgang! Welch ein festlicher Tag! Ich gestehe, ich habe mich in meiner Kindheit selbst darauf gefreut; denn meine selige Großmutter steckte mir immer ein paar Mohnbeugel zu, weil ich von sechs Uhr Früh bis Mittag zu fungiren hatte, und obwohl ich alljährlich an einem solchen Nachmittage mit heftigem Kopfschmerz darniederlag und kalte Umschläge nehmen mußte, was liegt daran, ich habe die Procedur doch ausgehalten und bin nun nach vierzig Jahren, nach dem humanen Recept des »Volksfreund« so »abgehärtet«, daß ich sogar seine Artikel ohne nachteilige Folgen lesen kann, und auch sämmtliche Gemeinderaths- und Reichsraths-Protokolle.

Aber Spaß bei Seite – die Sache war nach den damaligen Begriffen und beschränkten politischen Ansprüchen und Bedürfnissen wirklich schön und auch festlich und feierlich genug, denn nicht nur der heilige Tag selbst, sondern schon die vorhergehende Nacht wurde so recht dazu benutzt, um das »Grundhonoratiorenthum« im vollsten Glanze erscheinen zu lassen. In der Nacht brachte man nämlich den angesehenen Bürgern musikalische Ständchen, was in der Nachbarschaft des Gefeierten nicht wenig Aufsehen machte und nicht nur dessen eigenes Bewußtsein, sondern auch das seiner Angehörigen gewaltig hob und sogar seinen letzten Lehrjungen mit Stolz erfüllte.

Und dann der »Tag« erst selbst! Auszeichnungen an allen Ecken und Enden! An dessen Haus ein Altar errichtet wurde, gehörte zu den am Meistbeneideten, wer aus den Kreisen der Bürger begnadet wurde, als »Himmelträger« verwendet zu werden, mußte ein enfant chéri Seiner Hochwürden des Herrn Pfarrers sein; dessen Kind man auserkiesen, das Madonnenbild zu tragen, oder als »Schäferin«, oder »Schäferknabe« zu brilliren, wurde als Glücklicher betrachtet, ja selbst der, dessen Bub' nur die Classenfahne trug, umgab sich mit einer gewissen Glorie, denn die Familie wurde dadurch vom »Herrn Lehrer« ausgezeichnet und dieser Grund-Nimbus blieb ein Jahr lang an ihr haften. Um desto größer war dann auch wohl das Grundgezischel, wenn im nächsten Jahre dieses oder jenes Familienglied von irgend einer Function bei der Frohnleichnams-Procession depossedirt erschien.

Und die guten Mütter! Welche Sorge machte ihnen die Umgangswoche! Wie lief man sich die Füße wund und sprach sich heiser, um für seine Sprößlinge dankbare Rollen im Umzüge zu erhaschen. Wie suchte man das kleine winzige »Pauxerl«, das oft kaum »zwazeln« konnte, mit allem möglichen Flitterstaat und Bandwerk aufzuputzen! Wie trachtete man die Kinder der Nachbarinnen oder Geschäftsrivalinnen zu verdunkeln, und wie weinten diese oft, als sie sich wirklich verdunkelt fühlten!

Die armen Kleinen! Was mußten sie doch Alles mit sich geschehen lassen, um die Eitelkeit der Eltern zu befriedigen! Manches Kind durfte sich z. B. Nachts vorher gar nicht zu Bette begeben, um – die Frisur nicht zu verderben; andere mußten um fünf Uhr, ja schon um vier Uhr Früh zum Bezirks-Friseur wallfahrten, der manchmal wohl achtzig bis hundert Köpfe zu »brennen« hatte, denn »ohne Locken« konnte eine gescheidte Mutter ihr Kind natürlich nicht mitwirken lassen. Das hätte fast an Irreligiosität gestreift.

Dann die Procession! Die »Bürger« und »Befugten« staken im vollen Waffenschmuck. Riesige Bärenmützen und ditto Czako's wackelten unsicher auf den bezüglichen Häuptern, aber man schritt stolz einher in blauen, grauen oder grünen Uniformen und hielt sich so stramm als möglich und marschirte nach den Klängen der auf eigene Kosten pompös adjustirten »Banda« so gut es eben ging. Man blickte martialisch auf die vielen »Bekennten«, die den Zug an sich vorüber passiren ließen, oder huldvoll lächelnd auf seine Angehörigen, die dann jubelnd riefen: »Mutter (oder Muada), da kommt der Vater (oder der Voda)!« Die Kleinen im Zuge schwitzten so viel sie eben schwitzen konnten oder klapperten bei unfreundlicher Witterung in ihrer decolletirten Toilette vor Frost. Als ich meinen Hausarzt einmal um diese Zeit zu einer kleinen Ausflugsreise einlud, refusirte er die Einladung mit den Worten: »Bester Freund! In der Frohnleichnamswoche kann ich von Wien nicht fort, da sind die kranken Kinder auf dem Repertoire!«

Nach beendigter Procession ging man – da fast keine Familie Zeit zum Kochen hatte – in die Wirthshausgärten zum Diner. Viele begaben sich auch in den Prater, zum »Eisvogel«, zum »Papagei«, »Glückshafen«, »Einsiedler«, zur »Sklavin« – die »Decreter« meist zum »böhmischen Wenzel« oder auch zum »Grandauer«. Und da wurde denn hoch getafelt, bis der Abend hereinbrach.

»Ausschreitende« gibt es und gab es von jeher in allen Kreisen und Schichten und Classen der Bevölkerung. So war es denn auch damals gerade nichts Seltenes, daß gewisse Familien in mehr als angeheitertem Zustande an einem solchen Tage den Prater verließen. Der uniformirte Staatsbürger entledigte sich in seiner schwülen Stimmung der beengenden Fesseln und Alles dessen, was ihm in seinem »Fortkommen« hinderlich sein konnte. Die Gattin trug die schwere Bärenmütze am Sturmband und den meerschaum'nen Ulmer oder »Pratzenkopf«. Der Lehrjunge bewaffnete sich mit dem »Schießprügel« und schleppte das Gewehr, wenn es seine Schultern nicht mehr tragen konnten, am »Banganed« nach. Die »Kinder des Hauses« armirten sich mit dem restlichen Zugehör. Das Schäfermädchen trug das »Cravatl«, der Schäferknabe hatte sich das »Katuschl« umgehängt, der Majoratserbe umgürtete sich mit dem ganzen Stolze des »Säbels« u. s. w.

Die bürgerliche »Soldatenspielerei«, wie nüchterne Naturen die uniformirte Reminiscenz an das »Neuner Jahr« nannten, fand bekanntlich vor zwei Decennien überhaupt ihr – freilich gewaltsames Ende. Alles Uebrige hat sich jedoch aus der glorreichen »Backhendl-Periode« so ziemlich bis in die »Giskra-Aera« erhalten, den Grundcelebritäten wurde ihr Nimbus und den Kleinen ihre festliche Mitwirkung gewahrt, selbst der wunderliche Gebrauch, während des feierlichen Umzuges »fesche Tanz« zu spielen, blieb aufrecht, nur daß man dem herrschenden Geschmack insofern Rechnung trägt, als gegenwärtig auch noch Offenbach benützt wird, denn gestern z. B. erklang in der von Weihrauch erfüllten Atmosphäre eines Bezirkes, in dem Frl. Geistinger waltet, das lustige » Säbellied« und man sah sich unwillkürlich um, ob nicht etwa gar die Großherzogin plötzlich – –

Was nun die leidige »Kappenfrage« betrifft, so bleibt sie vorläufig noch in der Schwebe. Auf der demokratischen Wieden gingen, mit Ausnahme der Lehrer und Theresianisten, und großentheils auch im neunten Bezirke, die Kinder mit bedecktem Haupte, und Wien steht heute hoffentlich auch Abends noch auf demselben Flecke. In einem anderen Bezirke war man jedoch »religiöser«, es ging dort Alles barhaupt, nur ein Knabe, der vielleicht im Auftrage seines, wieder dem bürgermeisterlichen Auftrage gehorchenden Vaters handelte, behielt während des Zuges die Mütze auf dem Kopfe. Nun, in diesem Falle war die Angelegenheit rasch erledigt, der Priester schlug sie ihm mit der geweihten Kerze herab. – –

 


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