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Es gibt doch Tage im Jahre, wo ich ein – Millionär sein möchte. Damit will ich nun, so lächerlich es auch vielleicht klingt, es gleich gestehen, daß ich mich gerade nicht sehne, es alle Tage zu sein, weil ich diesen – Zustand für langweilig halte. Ich habe mich eben als schreiendster Contrast eines Millionärs mitunter doch zu gut amusirt und ohne Million zu glücklich befunden, um mich so ganz ohne Bedenken in die Epidermis dieses oder jenes Coupons-Potentaten der Ringstraße zu wünschen, aber – wie gesagt, einzelne Tage gibt es, an denen ich, und wenn ich mir selbst auch nicht einmal ein Paar Sardinen oder anderen Luxus vergönnen würde, doch für mein Leben gerne mit einer gemästeten Brieftasche armirt, aus der Hausflur treten möchte. z. B. am Christabende.
Ich weiß nicht, ob es mir allein so ist, oder ob nicht auch Andere, die ebenfalls Augen haben für das, was zu sehen ist, dasselbe Gefühl beschleicht, aber mir erscheint das Elend, die Armuth, die Noth immer am herzzerreißendsten, am hilfsbedürftigsten und des Mitleids am würdigsten, wenn – das Christfest, unser herrlichstes und poetischestes und lieblichstes Fest naht und mit ihm die »Saison« der gegenseitigen »Bescheerung«, wo jeglich Gemüth erfreut wird und nur die allerärmsten der irdischen »armen Teufel« (beiderlei Geschlechtes) leer ausgehen.
Mein Gott! ich kenne das leider ja aus eigener Erfahrung. Keine traurigeren »heiligen Abende«, als die ich in meinen Bubenjahren selbst verlebte und die wir Kinder in schlecht erwärmter Stube, bei Kartoffeln – natürlich ohne Butter »feierten«. Es ist, glaube ich, keine Schande, zu gestehen, daß man von armen Eltern abstammt, die sich ihr Stück Brot wohl ehrlich, aber auch sauer verdienten und denen der einzige Himmelssegen, dessen sie sich erfreuten: ein Zimmer voll Kinder, genug zu sinnen und schaffen machte. Wir Kleinen waren schon so »gescheidt«, daß uns der Freudenspectakel in nächster Nähe nicht entging, wir sahen recht gut all die Vorbereitungen, die der Nachbar oder gar die »Hausfrau« traf, um dem höchsteigenen Nachwuchse die vorgeschriebene Freude zu machen. Wir sahen dann, als es finster ward, wie ringsum der ganze Apparat in Thätigkeit kam, wie das schöne Fest eigentlich scenirt wurde und wie man allenthalben die Geschenke für Alt und Jung und sogar für das Gesinde ausbarkirte. Denn man gestattete uns, weil wir so artig und sittsam waren, zuzusehen, wie man Anderen Freuden bereitete.
Wenn dann die Stunde kam und wir pochenden Herzens des Augenblickes harrten, wo es losgehen sollte, da – schickte man uns heim; wir schlichen dann seufzend fort und begaben uns zur Mutter, die krank im Bette lag, aber wir schwiegen von all den Herrlichkeiten, die wir geschaut, denn wir erzählten nur einmal davon und nie wieder – die arme, Mutter weinte zu bitterlich ...
Dann aßen wir unsere Kartoffel, aber verstohlen lugten wir, die Vorhänge lüftend, doch hinüber zu den erleuchteten Fenstern; wir sahen, wie die Kerzchen flimmerten und wie sich Gestalten um den prächtigen Baum drängten ... dann sahen wir Geschwister uns heimlich an und zwinkerten wohl mit den Augen und ein ganz kleines, leises Seufzerchen – ein gar bescheidenes Wünschchen entstieg vielleicht unserer Brust, aber um Alles in der Welt verriethen wir nichts davon – mir aßen nur in schonender Verständnißinnigkeit an unseren Kartoffeln schweigend weiter.
Dann huschten mir in's Bett. Freilich umgaukelten uns, bis der milde Schlaf sich auf unsere Augenlider senkte, und dann vielleicht sogar noch üppiger und verführerischer all die reizenden Bilder, die wir noch wachend träumten und uns wohl selbst so entzückend schön ausmalten. Aber unglücklich, so recht unglücklich fühlten wir uns trotz aller momentanen Entbehrungen dennoch nicht. Auch unser »heiliger Abend« kam, wenn auch um ein oder zwei Tage später; mir erhielten dann immer von irgend einer weichherzigen Familie den zwar von allen, selbst den kleinsten Geschenken und dem bescheidensten Backwerk-Ringelchen bereits entblößten Weihnachtsbaum, aber die farbigen Papierstreifen hingen noch daran und ein paar Fetzen Rauschgold, da konnten mir noch eine Woche lang damit spielen und uns ergötzen. – Ach, der freudigste »heilige Abend« meiner Kindheit war doch der, als ich von einer Tante die ersten warmen Handschuhe zum Geschenke erhielt und die Erlaubnis, sie auch an Wochentagen tragen zu dürfen. Heute noch fühle ich die wohlige Empfindung, die mich damals beschließ, als ich in die mit einer Schnur verbundenen prächtigen – Fäustlinge mit beiden Händen zugleich hineinfuhr.
So wuchs ich heran und das Schicksal sorgte emsig dafür, daß es an meinen nächsten Weihnachtsabenden gleichfalls nicht gar zu toll herging, Tann kamen die Jahre, wo ich ein Königreich zu den Füßen eines theuren Wesens hätte hinlegen mögen, aber dem Himmel danken mußte, wenn ich im Stande war, Ziegelhauser's »Thalia« oder ein ähnliches ästhetisches Prachtwerk zu erschwingen und mir dafür den süßesten Dank aus schönen Augen und von schönen Lippen holen durfte. Und als ich endlich nach traurigster Lebensfahrt das erste Weihnachtsbäumchen zwischen meinen eigenen Pfählen selbst aufstellte und die Kerzchen anzündete und – meinen Buben auf dem Arm, ihn all die flimmernde Herrlichkeit schauen ließ – da jauchzte wohl auch zum ersten Male mein Inneres laut auf, und wie ich so des Jammers und der Noth und der Mühsal vergangener Tage gedachte, da wurden meine Augen feucht – aber ich dankte auch Gott aus redlichem Herzen, daß er mich nun so glücklich gemacht ...
Wenn ich deshalb an diesen Tagen ein abgehärmt' Gesicht begegne, in dessen Kummerfurchen es zu lesen, daß hier eine vom Unglück niedergebeugte oder von aller Welt verlassene Seele ist, die ihr Leid doppelt fühlt, weil eben alle Welt – scheinbar – vergnügt und glücklich, aber theilnahmslos vorüberstürmt, da – ist dann der Augenblick, wo ich so gerne in die Genossenschaft der Herren Millionäre mich möchte aufnehmen lassen, beim Himmel! nur um Gutes zu thun und so manche Augen zu trocknen!
Denn es ist so entsetzlich viel Jammer mitten unter uns! Und es gibt einen Jammer, der sich nicht auf die Straße hinaus, an eine günstige Ecke postirt und laut um Mitleid winselt – das wahre Unglück, das uns, wenn wir es aufsuchen möchten, bei seinem Anblicke die Brust zusammenschnürt, bleibt daheim auf seiner Kammer und hungert und friert und fährt sich nur mit zitternden Händen über die bleiche Stirne, wenn es all das Elend überschaut, das zwischen den kahlen vier Wänden so unbarmherzig wüthet. Dann wirft sich der Aermste, wenn er den Seinen, während der Jubel des Nachbars wie höhnend herübertönt, vielleicht zur Stunde nicht einmal eine Kruste trockenen Brotes geben kann, oder die Mutter, der die fahlen Züge ihrer still in einem Winkel kauernden armen Würmer einen verzweifelnden Aufschrei erpressen, auf die schlechten Pfühle und meint und läßt diese heißen Thränen die einzige Anklage gegen das Geschick, den stummen Schmerz der Kleinen den einzigen Fürsprecher der Noth vor dem Auge des Ewigen sein.
Lügt mir darum nicht mit Eurem Wohlthätigkeitssinne und prunkt nicht mit einer Unmasse edler Thaten. Es geschieht wohl Manches, aber wahrlich nicht all zu viel. Geht hinaus in die entfernteren Bezirke und drückt an der erst besten Klinke, und wenn sich die Thüre öffnet, seht Ihr vielleicht mehr der Noth und des Mangels, als Euch lieb ist, um ausgiebige Hilfe bringen zu können. Erfindet mir kein Märchen von verschleierten, vornehmen Damen, die an die »verlassenen Hütten der Armuth« geklopft und die Bescheerung des »Christkindels« durch einen reich gallonirten Diener abgegeben hätten. Kein Mensch hat noch diese wohlthätige Dame gesehen, Niemand ist von diesem fabelhaften »Engel« betheilt worden, der nur zu gewissen Zwecken erdichtet wurde. Geht selbst hinaus, und laßt es Euch an dem wohlfeilen Gedanken, daß irgend ein sogenannter »Incognito-Engel« anstatt Eurer Gutes stiftet, nicht genügen; sucht selbst die »Hütten der Armuth« auf und ist Euch der Weg zu beschwerlich oder das Wetter zu schlecht, Ihr findet dann auch in nächster Nähe des hilfsbedürftigsten Jammers in trauriger Menge und Ihr könnt wohlthun in Hülle und Fülle, ohne daß vielleicht – was immer Eure Sorge ist, etwa auch nur ein Unwürdiger an den Gaben Eurer Milde theilnimmt!
Blickt doch um Euch, Ihr edlen Herren und Damen! Nochmals sei es gesagt, nicht was in Lumpen gehüllt, Euch vor die Füße tritt, ist gerade das jammervollste Elend. Das Elend, das ich meine, die Noth, die ich Euren weichen Herzen anempfohlen wissen möchte, schreit nicht laut um ein Almosen; in stiller Resignation hält sie mit der flehenden Bitte zurück, sie läßt nur ihren zu Boden gesenkten Blick, den scheuen Schritt, die bleichen Wangen, das reinliche, aber dürftige und fadenscheinige Kleid für sich sprechen. Das Weib, das Kind des Arbeiters, der vielleicht auch noch eine alte kranke Mutter zu ernähren und seinen kärglichen Lohn unentschlossen in der Hand wiegt, ob er ihn auf Brot oder – Arzeneien verwenden soll; die arme Nähterin, die mit halbblinden Augen bei einem ärmlichen Lämpchen und dünner Wassersuppe sich die Finger wund sticht an dem Seidenkleide für Eure kostspielige Freundin; der kleine Beamte, dessen winziger Gehalt erst in acht Tagen fällig ist, aber nicht für ihn, sondern für den ungeduldigen Krämer und Fleischer, und der mit schmerzlichem Lächeln ringsum die prunkhaften Geschenke ausgestellt sieht, die für die »Glücklichen der Erde« bestimmt sind, indeß er nicht einmal ein paar vergoldete Nüsse nach Hause bringen kann, um seinen jüngsten Sprößlingen nur einen Abend lang eine Freude zu machen; die elternlose Waise, die sich für schwere Arbeit nur trockenes Brot und einen Hundestall als Lager und weiter nichts, nicht einmal einen freundlichen Blick erkämpft; die arme, von aller Welt vergessene Witwe, die in ihrem Dachkämmerchen in vergilbten Briefen blättert und mit überquellenden Augen noch einmal die alten Schwüre liest, und wieder liest, die ihr einstens geschworen wurden, und die sich mit diesem geschriebenen Immergrün ihrer ersten und letzten Liebe – da sie sonst nichts mehr besitzt, auch einen »heiligen Abend« in ihrer Brust zu bereiten weiß – diese freudenlosen, abgekümmerten Gestalten sind meine Schützlinge. Seht, die Alle drängen sich nicht an Euch heran, sie halten Euch nicht die offenen Hände entgegen und keine widerlichen Gebresten, mit denen sie Euer Mitleid erkaufen wollen – aber ihr stiller Kummer und Schmerz soll lauter und dringlicher zu Euch sprechen, als das lärmende Lamento professioneller Bettler. Seht Euch in Eurer nächsten Nähe um, spornt Euer Gedächtniß an – vielleicht erinnert Ihr Euch an irgend ein hilfbedürftiges Wesen, das Eurer Milde werth ist.
Freilich wird an den Weihnachtstagen ohnehin »viel Geld ausgegeben« und »viel verschenkt«. Da erinnere ich mich z. B. an einen besonders guten alten Herrn, der vor circa dreißig Jahren hier in Wien Unsummen von sich warf. Es galt, diesen siebenbürgischen Magnaten für eine durch Unglücksfälle und Krankheiten in einer entsetzlichen Lage befindliche Familie zu gewinnen; es war gerade zu Weihnachten, d. h. am »heiligen Tage«, und der Fürsprecher fand sich, da die Noth drängte, Früh Morgens bei dem verschwenderischen Krösus ein. Er wurde nicht vorgelassen – Excellenz schlief noch, sie hatte einen tollen »heiligen Abend« zugebracht, mit hohem Spiel u. s. w. Und als die Vertrauensperson der Excellenz gar die Bitte vernahm und hörte, um was es sich eigentlich handele, da schüttelte der Menschenkenner sein Secretärshaupt und meinte: »Excellenz haben mir verboten, ihr mit Betteleien zu kommen.« Nebstbei versicherte der Dolmetsch des gräflichen Herzens aus eigenem Wissen, »daß Excellenz gerade jetzt sehr viele Auslagen gehabt hätten – denn (nur im Vertrauen gesagt) erst gestern hätten Excellenz zwei ›armen Mädchen‹ (Schwestern) ein paar Pelze um eintausendachthundert Gulden und einen unnumerirten Fiaker für ein ganzes Jahr, der auch seine eintausendzweihundert Gulden koste, zum ›Christkindl‹ eingelegt, Excellenz thuen ohnehin viel und seien jetzt nicht in der Lage«. – Die zwei »armen Mädchen« waren nämlich vom Ballet. –