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Fielen in den Monat Mai nicht zufällig die Wettrennen, welch hochadeliger Sport doch einen großen Theil der sogenannten besseren Gesellschaft noch an Wien fesselt, die arme Stadt hatte in dem privilegirten Wonnemond bereits das Aussehen einer – (allerdings weitläufigen) Dorfgemeinde, da gleich nach dem Ostermontag, respective nach der feierlichen Eröffnung des Praters durch die obligate Corsofahrt, die staubbedachte Residenz wohl so ziemlich Alles flieht, was auf Ton Anspruch macht und ihr Glanz und Ansehen zu verleihen gewohnt ist. Aber, wie gesagt, die noblen Passionen, die erst am Freudenauer Turf zum vollen Ausdruck kommen, erhalten uns im Gefolge der Jockey's, Groom's, Trainer's und sonstigen englischen Vollbluts auch noch anderweitiges reines Blut genügend am Lager, und der Stadt bleibt ungeachtet der hervortretenden rothwangigen, bausbackigen Firmlings- und dickbäuchigen Göden-Staffage, sogar während der Pfingstwoche ihre metropolische Physiognomie bewahrt.
Denn in der Pfingstwoche gehören von Gott und Rechtswegen nicht nur das, theure Würfelpflaster der Stadt, sondern auch die (schon von Zedlitz verlästerten) holperigen oder kothigen Vicinalstraßen ihrer nächsten Umgebung, und zwar von Dornbach über das Krapfenwaldl, an dem Rosenhügel vorbei, bis in die romantische sagenreiche Brühl, eigentlich doch nur den Firmlingen und ihren »Pathen«, d. h. letztere Ausflugsorte nur der distinguirten, Backhühner verzehrenden ersten und zweiten Wählerclasse des Firmungspublicums an, während der demokratische Wurstelprater und das populäre Schönbrunn vom – nur Salami oder Weinberlkipfel hinabwürgenden dritten Wahlkörper mit seinen »Göden und Godeln« in Besitz genommen wird.
Und somit habe ich gleich hier den Unterschied zwischen »Pathen« und »Göden« bezeichnet, der ebenfalls am schärfsten am Stefansplatz zum Ausdruck kommt, wenn nach beendigter kirchlicher Function sich die Massen wie zur Zeit der Völkerwanderung scheiden und ein Theil, ich möchte sie die urbaneren Gothen nennen, seine mit goldenen Anker- und Cylinderuhren ausgerüsteten Heersäulen mittelst Fiaker und Equipagen in die genannten Sommerfrischen entsendet, während der andere, mit zahllosen »Bünkeln« Lebzelten beladene Theil gleich den urwüchsigen Hunnen in ungestümen Schaaren durch die Bischofsgasse hinabzieht, um zur Beängstigung des k. k. Oberstjägermeisteramtes in den Prater einzudringen und dort – zwar nicht den Forstculturen und Damhirschen Schaden zu bringen, so doch sämmtlichen Ringelspielschimmeln die pappendeckelnen Weichen wundzureiten.
Und wie der Wurstelprater das Stigma des »Gödenthums« und der Rosenhügel etc. die Domäne des Pathenthums ist, so tritt, das Aeußere der Persönlichkeit gar nicht in Betracht gezogen, der Contrast zwischen Göd und Godel und – Pathe auch in allen übrigen Firmungs-Gestionen bedeutsam zu Tage.
Das Gödenthum z. B. fährt in offenen, das Pathenthum in geschlossenen Wagen. Der Göd oder die Godel bepackt den Firmling vor aller Welt mit den Geschenken; der oder die Pathe erfreut den Schützling daheim mit einer sinnigen Gabe. Der Göd oder die Godel machen es sich zur gewissenhaftesten Aufgabe, dem Firmungsopfer, unbekümmert um die allernächsten Consequenzen, den Magen vollzustopfen; der oder die Pathe wird sogar darüber wachen, daß selbst die Aufregung, welche der heißersehnte Festtag in dem kindlichen Herzen erweckt, ohne Gefahr vorübergehe und deshalb auch die unvermeidliche Festatzung auf die humanste Diät beschränken. Die Godel möchte es übel vermerken, wenn ihr Firmling – und sei das Wetter auch das unfreundlichste, nicht mit bloßem Hals und Nacken – denn »das g'hört si« – und im luftigsten Fähnchen bis zur Beendigung der oft in die Nacht wählenden Firmungs-Parade anwohnen würde; die Pathe wird die Kleine vorsorglich in ein Tuch oder eine Mantille hüllen.
Der Göd führt seinen Firmling, »daß er si do a unterhalt«, vielleicht zu Fürst, um die »Schellerltanz« zu hören; der Pathe überrascht den Kleinen mit einer Fahrt nach Dornbach und erklärt ihm die Schönheiten des Parkes. Der Göd und die Godel werfen sich selbst in den prunkvollsten Sonntagsstaat und flunkern mit sämmtlichen Kostbarkeiten ihres »Gläserkastens«; der oder die Pathe schmücken sich mit dem herzinnigen Vergnügen des entzückten Firmlings u. s. w. Und nach dieser autonomen Classification rangire ich denn auch den Einen oder die Eine, mögen sie auch in eigenem Wagen vorfahren und selbst bei Dommayer mit dem Firmling debutiren, doch unter die Göden und Godeln, und umgekehrt, mag Dieser oder Jene nur in einem kläglichen Comfortable oder gar bescheiden zu Fuße erscheinen, unter die Pathen, denn Pathenthum ist das innerlich veredelte Godel- und Gödenthum.
Welch buntes, fröhliches Aussehen erhält aber die Stadt in der Firmwoche durch das Zusammenwirken der vielköpfigen Firmungstruppe, mit ihren festlich decorirten Acteurs und übereifrigen Comparsen, dann durch die zur verlockendsten Schau ausgestellten Geschenke und die ebenfalls auf's Festlichste herausgeputzten öffentlichen Locale, Productionsbuden etc. In den Straßen zunächst der Domkirche wogt ein Menschenschwarm, der Stefansplatz ist durch eine Wagenburg abgesperrt, schreiende Bandverkäuferinnen, laut anpreisende Bilderhändlerinnen umstürmen die Passanten, die sich mühsam ihren momentanen Lebensweg erst erobern müssen. Und wohin sich Dein Auge wendet, nur freudestrahlende oder neugierige Gesichter, denen der Stempel der Ueberraschung, der Verblüffung unverkennbar aufgedrückt, Gestalten, die Dir noch nie begegnet und die aus fernen Ländern zu kommen scheinen.
Da ist vor Allem Anderen der ländliche Import, der uns auffällt, der »schlichte« Weinbauer, der primitive Waldviertler, jeder mit einem halben Dutzend ihm vom Dorfe anvertrauten Firmlingen, die feiste Landwirthin, die nicht minder begabte Landkrämerin mit ihren weiblichen Schützlingen, die die Gugel über den Kopf, das weiße Schnupftuch an den Mund gepreßt, nicht gar so – unpfiffig in die Menge blinzeln. Aber Alle sind sie sprachlos vor Staunen, betäubt von dem ungewohnten Lärm, verwirrt von dem wirren Durcheinander von Menschen, Wagen und Pferden, in das sie gerathen, und außerdem wie! eingeschüchtert von dem Glanz und den Herrlichkeiten und den riesigen Prachtbauten, die sie fast zu erdrücken scheinen. Und haben diese biederen Landleute Verständniß für die ungeahnten Wunder der imposanten Residenz? Gewiß!
Als ich vor einigen Jahren einen solchen Hinterwäldler, von dem ich wußte, daß er das erste Mal in Wien gewesen und drei Tage sich hier aufgehalten habe, also apostrophirte: »Nu, Vetter, sagt's amal, was hat Eng am Besten g'fall'n? Ihr wart's im Theater, wart's in Schönbrunn, im Prater, lauter Herrlichkeiten, von denen Ihr Euch habt's nie was träumen lassen!« Da erwiderte er, einigermaßen verlegen sich hinter dem Ohre kratzend, aber dennoch treuherzig: »Wann i aufrichti sein soll, 's Komödig'spiel hab' i nit recht verstanden, der Elephant in Schönbrunn hat ma schon a Wengl besser g'fall'n – aber – was 's da unt'n im Prater, in aner Hütt'n ausg'stellt habt's, dö sieb'n Centner schware Sau, dös is schon a Pracht! Unser Gmoanwirth hat a a schwar's Viech, lauter Mastviech, aber auf sieb'n Cent'n hat er's do no nit bracht, so was kann man do nur bei Eng in Wiarn seg'n – d'rum reut's mi a nit, daß i awa ganga bin!«
Der wackere Mann war wenigstens aufrichtig. Er anerkannte das Große, wo er es fand, der leidige Localpatriotismus war ihm fremd, er war gerecht und billig und hatte ein empfängliches Gemüth auch für fremde Sehenswürdigkeiten. Aber dieser unparteiische Sinn stak schon in jener patriarchalischen Familie, denn als ein paar Jahre später der älteste Sohn, der »Loisl«, zum Militär abgestellt und durch eine räthselhafte Fügung des Himmels und in Folge eines noch Wunderbareren Geschmackes des Betreffenden zum Privatdiener ausersehen und von seinem Herrn sogar für eine große Urlaubsreife, die sich bis nach Rom erstreckte, mitgenommen Wurde, da frug ich den Heimgekehrten mit veritablem Neid im Herzen: »Glücklicher! Warst in Rom! Hast die ewige Stadt gesehen! Wie war Dir dabei und was hast Du empfunden?« – Aber der unfreiwillige Tourist auf classischem Boden that sehr unwirsch über mein naives Vorurtheil und brummte, ärger als jener berüchtigte Berliner Nicolai: »Mi soll's in Ruah lassen mit dem Römischen! Was sicht ma denn? Häuser und Kirchen, dö sicht ma bei uns z'Haus a, wann's a nit so hochmächtig san. Und der Heurige, den's dort ausschenken – Falerner haßen's 'n, dös is erst 's wahre G'säuff, da muaß da Vetter unsern G'rebelten kosten, dös is a Tropfen und der schmecket a 'n Papst!« –
Mit dieser, flüchtigen Skizzirung wollte ich in ein paar Figuren nur den Typus jener ländlichen Gäste zeichnen, die Wien in der Firmwoche alljährlich zu beherbergen hat. Aus diesem Teig sind so ziemlich Alle geknetet, und wenn Ihr Euch deshalb auf die residenzlichen Reize vielleicht etwas zu Gute thun und die Gebirgseinfalt damit wahrhaft überraschen, blenden und innerlich belohnen wollt, so seid Ihr groß im Irrthum. Das ländliche Herz fühlt gerade im städtischen Rummel sich einsam und verwaist und sehnt sich in ungeheucheltem Heimweh nach den idyllischen Gefilden Maissau's oder Stammersdorf's zurück und athmet erst wieder auf, wenn die melodischen Hammerschläge des Dorfschmiedes den wiehernden alten Schimmel begrüßen, der ebenfalls froh ist, aus dem Bereich des harten Pflasters, einer drakonischen Fahrordnung und der Kameradschaft übermüthiger Renner gekommen zu sein.
Zu Hause erst ist ihnen Allen zusammen wieder wohl, und wenn das heimatliche Geselchte und die engeren vaterländischen Knödel im weitesten Umfange in der gewohnten Schüssel dampfen, dann – aber auch dann erst schmilzt allmählich das starre Eis, das den rusticalen Busen vor äußeren Eindrücken bewahrt, und ist die Kruste durch Vermittlung einiger »Schluck« eigenen Bodenerzeugnisses aufgethaut, so ist es möglich, daß der Zwangsreisende sich sogar dieser oder jener großstädtischen Merkwürdigkeit erinnert und nicht nur überhaupt von seiner gefahrvollen Odyssee von Zeiselmauer bis zum Rehböckel am Tabor etliche Vorkommnisse zu berichten weiß, sondern selbst einiger Späße schmunzelnd gedenkt, die der primo Buffo eines Marionettentheaters im Prater für das übliche Trinkgeld producirte – ferners, daß der berühmte Wellington, wie der Postknecht im Orte, einen rothen Frack getragen habe, daß vor der Mariahilferlinie ein Kalb mit drei Füßen ausgestellt war und was des »närrischen Zeugs« noch mehr ist, mit dem wir Wiener so reich gesegnet sind. Mehr aber dürft Ihr von dem ungeübten Reporter nicht verlangen.
Nun, die aufregende Woche ist vorüber. Die Großen brauchen das Lied mit dem angsterfüllten Refrain:
Nehmt Euch in Acht, schaut Euch nicht um:
Der Göden- und der Godelfang geht um!
ein Jahr lang nicht mehr zu singen und die Kleinen beschäftigten sich jetzt nur mehr mit der Kritik der Geschenke. Ob die Geber die Zufriedenheit der p. t. Rehmer errungen? Wer weiß! Die heutige Jugend ist in Folge der billigen Volksausgaben der deutschen Classiker und der Verwohlfeilung der Selbstbelehrung vielleicht bereits so klug, daß sie recht gut den Nettowerth einer Gabe zu taxiren versteht und genau anzugeben vermag, wo der fictive Preis, d. i, die Façon oder das Agio beginnt, und für wie viele Gulden ö. W. man sich eigentlich zu bedanken hätte. Um deshalb einer abfälligen Kritik auszuweichen, sind praktische Naturen von jeher dafür gewesen, nur Reelles und Positives zu geben oder zu nehmen, und man einigte sich zu beiden Theilen und kaufte einen hübschen Sommeranzug, eine Mantille oder eine compacte Uhr und man war zufrieden, denn das hatte doch Sinn.
Weniger einverstanden bin ich hingegen mit den »idealen« Gaben, d. h. jenen, wozu eine starke Dosis Fantasie gehört, um den vollen Betrag des »pretii affectionis«, den man dafür beansprucht, sich herausschlagen zu können. In dieser Beziehung sind die schwärmerischen weiblichen Pathen nur mit außerordentlicher Vorsicht aufzunehmen, welche das hoffnungsvolle Pathchen einzig und allein mit dem höchst eigenen Conterfei, nämlich einer – Photographie zu fünfzig Kreuzer zu beglücken geneigt sind. Diese gefährliche Sitte ist heuer besonders stark eingerissen und hat in Familien, die davon betroffen wurden, viel Thränen hervorgepreßt. So sah ich eine solche allerliebste blauäugige – Betrogene, der die Frau Pathe statt jeder anderen Gabe ihre photographische Verewigung, und zwar unter der würdevollsten Ansprache einhändigte und ausdrücklich betonte, daß sie erwarte, diese Gabe – das Porträt der Pathe, werde der Kleinen mehr Freude machen, als ein plumpes Bracelet. Nun, der Geschmack ist eben verschieden, mir wäre das allerplumpeste Bracelet von Nummer zwei lieber gewesen, denn die Photographie war zwar ein kleines Meisterstück von Gertinger, allein die Geberin vergaß, daß sie selbst – kein Meisterstück der Schöpfung sei. Was thun in solchen Fällen? Eine bezirksgerichtliche Klage auf Schadenersatz für getäuschte Hoffnungen? Vielleicht findet sich ein Vertheidiger, der den Fall übernimmt, vielleicht aber haben mir heut' über's Jahr, um ehrsame Familien vor derlei Schäden, die ärger als Hagelschlag, zu bewahren, eine »Firmungsgeschenk-Versicherungs-Actiengesellschaft«, denn das thäte doch wahrlich noth! Wer meldet sich als Gründer?