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Kunst und Religion entspringen in gewissem Sinn einer gemeinsamen Wurzel, nämlich dem Bewußtsein des Leidens, das die Entfernung der Kultur von der Natur mit sich bringt. Kunst und Religion sind aus dem Streben nach Erlösung hervorgegangen. Wovon der Mensch eigentlich erlöst werden soll, ist dem einzelnen oft nicht klar. Deshalb gibt es auch so verschiedene Kunstformen und Religionen, in denen das Erlösungsstreben nach Ausdruck ringt.
Die Kunst als Weg zur Erlösung vom Leiden zu betrachten ist eine alte philosophische Idee. Schon Schopenhauer hat ausgesprochen, daß die Kunst den Zweck habe, den Menschen vom Leid des Willens zu befreien. Wir würden etwa sagen, daß sich der Mensch beim Kunstgenuß seiner Einordnung in das leidvolle Kulturleben nicht bewußt ist; er flüchtet in ein anderes Reich, in dem er der Natur nahesteht, von den Leiden der Kultur befreit ist. So hat etwa die bildende Kunst die Aufgabe, die Welt ohne Unvollkommenheiten und Schwächen darzustellen. Die Großartigkeit der Kunst besteht darin, von allen Unvollkommenheiten zu abstrahieren. Hier kommt der Musik eine besondere Rolle zu – was Schopenhauer auf metaphysische Weise zum Ausdruck brachte. Durch die Musik wird nichts Unvollkommenes geläutert, sondern ein ganz neues Reich geschaffen, also wirklich die Flucht in eine bessere Welt vollzogen, mehr als bei allen andern Künsten.
Weil der Künstler die Welt ganz anders sehen kann, ist er einerseits ein mehr glücksbefähigter Mensch, anderseits muß er die Kulturleiden besonders stark fühlen, damit sich seine Fähigkeit entwickeln kann. Daher findet man beim Künstler häufig eine zwiespältige glücklich-unglückliche Natur.
Die Betrachtung der technischen Kultur ergibt, daß so etwas wie ein asymptotischer Endzustand denkbar und wahrscheinlich ist – kein absoluter, aber ein relativer –, eine Art Gleichgewichtszustand, in dem die Menschen wieder der Natur nahe und darum glücklicher wären.
Diesen Gedankengang können wir auch auf die menschliche Gesellschaft anwenden; auf diesem Gebiet wäre eine ähnliche Entwicklung möglich, die auch das Geistesleben umfassen würde. Die Gesellschaft, die Kunst wäre dann nicht mehr etwas Unnatürliches, wie sie es in gewissem Sinn heute noch ist; denn gegenwärtig besteht nicht nur der Gegensatz von Kultur und Natur, sondern auch der Gegensatz von Kunst und Natur. Die Kunst würde dann nicht mehr abseits vom eigentlichen Leben stehen; sie würde vielmehr überflüssig werden, weil das Leben selbst zu einem Kunstwerk geworden wäre. Die natürliche Kultur würde uns alles das von selbst bieten, was uns heute in der Kunst ergötzt und tröstet. Dieser kühne Gedanke findet sich schon bei Kant (der freilich den Ausdruck »Kunst« in einer allgemeineren Bedeutung gebraucht): »… bis vollkommene Kunst wieder Natur wird, welches das letzte Ziel der sittlichen Menschengattung ist.«