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6. Die Technik

Die Ursachen der Daseinsnot liegen in der Torheit der Staatseinrichtungen, auf die der Verständigungswille ehrlicher Weltbürger kaum noch Einfluß nehmen kann, weil er erdrückt wird durch den nationalistischen Egoismus, den die Demagogen aller Länder unablässig schüren. Demagogen sind Schmarotzer an der Oberfläche der Völker, sie wachsen nicht aus der innersten Seele der Völker hervor, die immer unschuldig und ohne Haß ist. Die Quellen des Daseinsleides entspringen also an der Oberfläche der Dinge – man suche sie nicht tiefer! Unsere Geschichtsphilosophen mit ihrer Sucht nach Metaphysik und ihren lächerlichen Vorstellungen von »tief« neigen dazu, die gegenwärtig uns alle aufreibende Daseinsnot (»Krise« genannt) aus dem Wesen unserer Zivilisation zu deduzieren und ihren charakteristischen Zug, die Technik, dafür verantwortlich zu machen. Die vom Menschen erfundene Maschine habe sich gleichsam von seiner Botmäßigkeit losgerungen und drohe nun, wie der Besen des Zauberlehrlings, nicht nur seine gesamte Kultur wegzuschwemmen, sondern auch ihn selber zu ersäufen.

Aber die Technik, ein Kind wirklich tiefer Bedürfnisse und tiefen Wissens, kann für die Daseinsnot nicht verantwortlich gemacht werden. Die Maschine, in all ihrer Komplikation doch nur ein von seinen Händen geformtes Werkzeug des Menschen, ist ebenso unschuldig wie die Naturprozesse, aus denen sich die Funktion jeder Maschine aufbaut.

Der Vorwürfe, die gegen moderne Arbeitsmethoden, also gegen die Maschine, erhoben werden, sind viele. Man kann sie beiläufig in drei Gruppen bringen: Erstens wird gesagt, daß die Technik schweres, früher unbekanntes Unglück über die Menschen gebracht habe: sie fordere Opfer, deren Größe durch ihre Glücksleistungen nicht wettgemacht werde; zweitens führe sie notwendig eine Verflachung herbei, denn Mechanisierung der Tätigkeiten und Bequemlichkeit des Lebens seien mit Größe im Handeln und Tiefe im Erleben unvereinbar; drittens endlich wird die Technik angeklagt, daß sie dem Menschen die Mittel zur Befriedigung seiner schlimmsten Absichten liefere, denn die von ihr erfundenen Mordwerkzeuge und Gifte erlauben ihm und stacheln ihn an, gegen seinesgleichen zu wüten wie sonst kein lebendes Wesen. Wäre dies wahr, so würde die Technik uns nicht frei machen, sondern knechten.

Aber all diese Vorwürfe sind ungerechtfertigt. Bei genauem Zusehen finden wir, daß es niemals die Technik selber ist, aus der das Leid entspringt, sondern immer nur ihr Mißbrauch. Jedes neue Werkzeug öffnet neue Möglichkeiten, und es kommt einzig darauf an, welche von ihnen wir wählen. Die Wahl aber ist nicht mehr eine Angelegenheit der Technik, sondern der Moral. Die Technik ist natürlich geworden und hat ihren Zweck erfüllt, wenn sie die Umgebung des Menschen, die ihm in unserem Klima zunächst feindlich war, so umgeschaffen hat, daß er mit der neuen Ausrüstung in ihr lebt wie in seinem natürlichen Element, also wie die Vögel im Himmel, wie die Lilien auf dem Feld. Die Daseinsnot soll gänzlich von ihm genommen sein – erst dann ist er frei. Er verzichtet gern auf die barbarische Last, die täglichen Notwendigkeiten mit eigener Faust einer gefährlichen Umwelt täglich abzuringen (siehe Hagen am Anfang von Hebbels »Nibelungen«), um für höhere Freuden Zeit zu gewinnen. Jaspers aber klagt darüber: »Die Folge der Technik für das tägliche Leben ist die zuverlässige Versorgung mit dem Lebensnotwendigen, aber in einer Gestalt, welche die Lust daran mindert, weil es als selbstverständlich erwartet, nicht positiv als Erfüllung erfahren wird. Alles ist bloßer Stoff, für Geld augenblicklich zu haben …« Coudenhove-Kalergi (»Praktischer Idealismus; Apologie der Technik«) läßt es so erscheinen, als wäre die Kultur den Menschen aufgezwungen durch Übervölkerung und Klima: Raummangel habe ihn genötigt, aus südlichen Paradiesen in die unwirtlichen Gegenden des Nordens auszuwandern, und dann habe die Kälte und die Unfruchtbarkeit des Bodens ihn zur Arbeit und zu Erfindungen gezwungen. Ich glaube aber, daß der Menschengeist dabei mehr aktiv gewesen ist, daß er nicht nur passiv aus Not behagliche Wohnsitze verläßt, sondern auch aus Neugierde, aus Abenteuerlust, aus Freude am Sieg über Widerstände und Gefahr in die Ferne strebt, ins Unbekannte. Er wird nicht nur gestoßen, sondern auch gelockt.


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