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XXX.

Aldebarans Abschied

Es war einige Wochen, nachdem der Bergassessor Franz Ziemens und die Försterelse in jener Laube, in welcher sich schon mehrere Wunder begeben hatten, sich ihre Liebe gesagt und gemeinsam für Leid und Freud' einzustehen sich gelobt hatten. Franz konnte trotz aller Sicherheit seiner Vorahnungen für jene Wundertaten der Zukunft Else doch nicht verschweigen, daß sehr wohl auch alles Irrtum sein könne und ja nur eine schöne Möglichkeit bedeute, daß es aber auch für sie an seiner Seite ein Opfergang des Glückes werden möge. Darauf hatte Else einfach gesagt: »Ja, Franz, das ist nun einmal der Sinn der Liebe, daß sie auf Opfern ruht. Und wäre es nicht ein größeres Leid, wenn wir beiden Heimatkinder jedes für sich durch dies Leben gehen müßten, als es jedes Unheil sein kann, das uns eng aneinandergeschlossen träfe.« Da hatte Franz gemeint: »Wirklich, Elselein, jedes Schicksal mit dir ist willkommener, als ein Glück ohne dich!«

So war der Bund besiegelt und Franz war in die Hauptstadt zurückgefahren, teils seiner neuen Stellung wegen, teils um die Vorbereitungen für ein großes Verlobungsfest zu treffen. So hatte es der ganz überglücklich und endlich sehr milde und weich gestimmte Förster durchaus gewollt.

So wandelt die Hand des Segens die Gemüter: der vor zehn Jahren nur immer brummige und knurrige Alte konnte jetzt ganz still vor sich hin lächeln, unter dem Nußbaum sitzen und träumend noch einmal durchleben, wie die Glücksschifflein in der hellen Sonnenluft so eins nach dem anderen einpassiert waren. Erst die Bernsteinfunde, dann die Kalkgrube, dann der Erwerb des Grundstückes, Elses Erblühen, ihre hohe Berühmtheit im Land, die Verehrung, die sein Töchterlein genoß wie eine kleine Heilige, die guten Ratschläge, ihre Schönheit und nun ihre Verlobung mit Franz, »diesem kommenden Mann«, wie der Herr Landrat ihn genannt hatte. Das war ein Eidam nach seinem Herzen. Denn der Junge war ihm immer lieb gewesen und die achtbarsten Leute im Land waren seine Eltern. Ja, er war froh, daß er sich in der Lage fühlte, seiner Tochter einen Mann nach ihrem Herzen zu geben. – So war der milde Dank gegen ein gütiges Walten des Geschickes in seinem Herzen, der auch starke Naturen manchmal zwingt, genau wie ein bitteres Leid, eine einsame Träne ihren Perlenlauf nehmen zu lassen. Und so ging er daran, seiner Tochter Else ein großes Verlobungsfest herzurichten, zu dem die halbe Insel geladen war.

Der breite Kalkschuppen, der wohl an die hundert und mehr Personen faßte, wurde hergerichtet. Die gleichsam von Beruf reinen und weißen Wände wurden von einem Theatermeister aus der Stadt mit farbigen Stoffen und Fahnen geschmückt, eine Arbeit, die ebenso viele Maßkrüge Bieres wie Imitationsgesänge berühmter Tenoristen, für die er einst »auch« den Erfolg gezimmert habe, erforderte. Tannen und Waldlaub deckten die Pfeiler und aus der Kuppel zogen in weiten, gesenkten Bogen Blumengirlanden, die unzählige Lampions trugen. Mutter Förster hatte aufseufzend ihr ganzes Linnen hergeben müssen, um den lang gereihten Tisch mit dem Weiß der Kalkstaubwände erfolgreich konkurrieren zu lassen. So war alles gerüstet und morgen war der Tag der Ehre Elses, an dem sie als königliche Braut den Freunden und Gästen gezeigt werden sollte. –

Zu derselben Zeit, als unser Förster so unter dem Nußbaum gleichsam seine Schicksalsparade abnahm und »sahe«, wie auch einst der Herr der Heerscharen, »daß alles gut war« – segelte eine einfache, aber geräumige Yacht über das Haff dahin. Darin war alles untergebracht, was zur Speisung Hunderter gehörte: Fässer, Kisten, Körbe mit allen Leckerbissen, die zurzeit zu haben waren; ein paar Kälber, ein ganzer Ochse und einige Hammel blökten und grunzten ihrem dunklen Geschick entgegen; Körbe von Obst und Weintrauben, Berge von Rosinen und Mandeln usw. war der Fischeryacht ungewohnte Fracht, die sonst nur weiße Erde die Oder hinauf zu tragen hatte. Aber lustig ging es zu auf dem flotten Segler, hatte er doch auch den glücklichen Franz an Bord und mit ihm drei seiner Farbenbrüder aus der frohen Burschenzeit: einen Maler, einen jungen Dichter und einen Feldchirurgus. Wie hell klangen ihre Quartette über das große Wasser, wie kreisten die Becher, wie sprang das helle Lachen über die Wellen, wie fröhlich ringelte der Rauch aus langen Studentenpfeifen in die Höhe um die Wette mit dem Dampf aus dem kleinen blechernen Schornstein auf »Kapitän Pechs« Kabine, der mit schmunzelnder Miene um die schiffermäßig eingepreßten schmalen Lippen den unvermeidlichen Rundbart unterm Kinn wohlgelaunt streichelte und zuhörte. Er blickte nicht weniger neugierig aus den kleinen sonneverkniffenen Äuglein, als Fips, der Spitz, der seine stets unruhige Deckpromenade aufgegeben hatte und unverwandt schwanzwedelnd neben dem Steuer stand.

So schnell war dem kurzbeinigen Kapitän die Fahrt zwischen der alten Pommernstadt und der Insel noch niemals vergangen wie unter den Gesängen, Scherzen, dem Pokulieren und Kommerzieren der vier lustigen Gesellen, die wieder jung wie die Studenten geworden waren. Ach, wie schön sangen sie vierstimmig ihre feierlichen Lieder von Freiheit und Schwerterkampf, Liebe, Glück und Jugend, und es war, als füllte Lebenslust und froher Wille die Segel noch praller als sonst. So hätte es immer noch weiter gehen können mit Schaum am Bug und Klatschen und Gurgeln an den Planken: »Mienthalben nah' Bornholm, wenn nur die Piep und der waterarme Grogk nich utgeit,« murmelte Kapitän Yech – –

Laß sie der Insel der beiden Seligen zusteuern, alter Kapitän, aber nicht zu schnell: hier hat das Schicksal noch etwas Goldenes aufzulösen, ehe sich der Ring für immer schlicht!

Aldebaran sprach gegen die Zeit des Sonnenunterganges mit Else zum Strand wandelnd:

»Sieh', wie die Sonne den Wolken ein blutiges Mal in das Herz reißt. Wie schwül es ist – wie die Natur den Odem einhält, da die Königin zur Ruhe geht, um die Welt der Träume drüben zu erhellen! Die Wellen schütten behutsam ihre Wäscherinneneimer aus und die alten Kiefern lassen die Harfenarme fallen und erröten wie Tempelsäulen im letzten Abendglanze. Wie bleich und müde wird die fahle Himmelsdecke. Wie ängstlich lauscht die Erde und mit ihr jede Kreatur: als streife sie in höchster Lust die jähe Frage: ›Und wenn sie nun nicht wiederkäme? Wer will es wissen, ob noch ein ›Morgen!‹ tagt – –?‹

Ja, Else, in dieser feierlichen Stunde, eh' noch der Feuerball die heißgelaufene Stirn im Meere kühlt – will ich von dir – des andern Braut – den letzten Abschied nehmen! Still ist mein Herz, nur weiß ich nicht, was furchtbarer ist, sein Leid oder seine Ruhe. –

Aber mein Haupt ist gebeugt, gebeugt sind meine Knie vorm Altar des Geschickes. Ich habe der Mächte Willen treu erfüllt.

Ein einzigmal nur, als Baltharis und Elselein ineinander verschmolzen, griff ich nach des Prometheus Hammer, um einen Ring, der mich an den Fels der Steine fesselt, zu zerschlagen. Ich selbst habe dich gelehrt, daß Liebe Opfer heischt. Ich mußte das höchste bringen:

Verzicht! –

In stillen Stunden, wenn du mich riefst, um deine Träume zu bewachen, da hab' ich wohl gehofft, ich könnte einst dennoch deinesgleichen werden, vergessen Thron und Schloß in jener Welt, wo alles Feuerwolle ist und flammenhaft, wo heißer Odem schon Erscheinung, Gestalt und Offenbarung ist, wo aber die Sekunde Jahrzehnte währt, denn Flammensprühn mißt andere Spannen, als die Sanduhr rinnt, – habe gehofft, ich könnte meines Wesens Schleierhauch umwandeln in Fleisch und Bein und vor dich treten als ein Jüngling deiner Art!

Wohl hätt' ich mir so ein Gewand gewählt wie Franz. Und vielleicht war' es dir dann schwerer geworden, dich zu entscheiden, wer von uns beiden sicherer dein Herz auf seinen Händen tragen könnte – nun aber gab es nichts zu wählen – denn anders ist die Liebe zu mir – zu ihm, und keine Brücke führt zu beiden Strömen deiner Seele! – –

Nein! Else! Nein! Sie gehen durcheinander, sie durchweben sich gleich wie ein Ton nachhallt im Wind, wie Strahlen durch die lichten Wolken ziehn – doch beide Ströme trennt das ewige Gesetz. Ich bin Gedanke, vielleicht deines inneren, wandernden Sinnes Heimat und Herd, deiner Träume altes Wiegenlied und Spinngesang – Franz ist dein Schwanenprinz, der Glückgesandte, der Befreier, der kniend die goldenen Gralsschlüssel auf dem Kissen seines Herzens dir zu Füßen legt – – das ist Gebot!

Nun du dein eigenes Glück gefunden – muß deine Märchenwelt sterben und mit ihr Aldebaran gehn! Weine nicht, Else: es ist ein Unrecht gegen das Glück. Ich selbst habe es ja bauen helfen. Deine Tränen würden mich schelten, daß ich's schon gut gewebt mit meinen Schicksalsfäden!

Fahr' wohl, Else! Kein Mensch wird je so hellsichtig wieder wie er als Kind gewesen. Auch dir wird nun alles sichre Wissen sacht verweben mit dem Nebel des Zweifels und des Verneinens – behalte nur das Grundgefühl: Ehrfurcht vor den Wundern! Nicht Furcht haben Götter geboren aus Menschengeist, sondern Ehrfurcht! Ehrfurcht ist die Furcht, dem, was man tief als Lebensgrund und Ziel im Herzen ahnet, nicht genug der Ehr' zu geben! Nur solche Werke darfst du lieben!

Leb' wohl, Else! Die Himmelsglocke tönt. Du bist jetzt glücklich – ja im Dom des Menschenglücks auf seiner Höhe – nun sag' mir, Else – einst stauntest du, als ich die Sonne eine große Morgenglocke nannte – hörst du sie jetzt? – – –«

Die Sonne sank und im Versinken hörte Else mit wunderbaren tiefen Klängen es über das Meer rauschen:

Für Götterohren ist das Licht Gesang,
Ein Jauchzen rauscht das Firmament entlang,
Und über Wolken geht ein Schrei,
Daß Leben nichts als – Liebe sei!

Da war Aldebaran verschwunden – aber ein großer weißer Schwan stieg mit breiten Schwingen aus den Fluten und segelte in die Höhe wie eine zur Unsterblichkeit entbotene Wellenseele. Rot glühte sein Gefieder und die letzten Strahlen einer schon aus anderen Welten grüßenden Sonne beleuchteten eine Sternenkrone, die das Haupt des Wunderschwanes zierte.

Dreimal in immer höheren Kreisen sich emporschwingend, sah Else noch dreimal über ihm die Krone aufblitzen. Dann breiteten mit einem Male, als jäh die Finsternis hereinbrach, Millionen Sternenbrüder die seligen Arme nach dem wiederkehrenden Aldebaran – und er verschwand im großen Netz der Ewigkeit. – – – – Else war niedergekniet in dem bleichen Sand und hatte die Arme hoch in die Luft erhoben, ihre Tränen rannen reichlich. –

Da tönte es über das Meer:

Sei gegrüßt du Heimatstrand,
Weißer Dünen heil'ge Wand!

Sie rieb sich die Augen.

Da kam Kapitän Yech, und diese helle Stimme, die den Chor überstrahlte wie Stahl und Gold, das war ja Franzens Stimme – Franzens, ihres Bergmanns, ihres Erdenbräutigams!

Auch jetzt brauste, aber von der Erde zum Meer, ein heller Schrei über die Fluten und es klang genau so, als wenn Leben nichts als Liebe sei!

 

Am Abend, als Else ihre stille Stube betrat und gerade unten die vier Sangesbrüder ein Lied anstimmten: »O, mein Lieb!«, da fand sie auf ihrem reinen Linnenkissen ein großes Diadem von eishellen Brillanten, die leuchteten im Dunkel der Nacht und aus dem Geschlinge der Fassungen las sie deutlich: »Aldebaran«.

Das hatte der Getreue an jenem Abend, als er zu Astra stieg, von seiner Königsschwester fertigen lassen. Es war seine Brautgabe.

 

Lange sind Else und Franz ein glücklich Paar. Denn Franz wurde ein berühmter Mann auf Erden, und Else eine brave tüchtige Frau. Aber von Wundern konnte sie nicht mehr berichten, und ihre schönen Märchen hatte sie fast alle vergessen – zwei Kindlein, blauäugig, blondköpfig wie sie, waren ihre ganze Wunderwelt, und ihnen hat sie manch artiges Geschichtchen erzählt. Aber die geheimnisvollen Deutungen hatte sie – vergessen.

Nur abends, wenn sie manchmal an ihrem Eckfensterchen saß und träumte und die Sterne langsam an zu leuchten fingen, dann war es, als grüßten sie dort oben ein paar helle Augen, als würde ihr wieder alles, alles klar und dann kam es unwillkürlich über ihre Lippen:

»AI – de – baran.«


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