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III.

Heilig ist der Augenblick

Viele kleine Mädchen in groben Kleidchen und Holzpantoffeln waren schon in dem niedrigen, ein bißchen finsteren Klassenzimmer versammelt, schnitten sich ihre Federn – damals schrieben alle noch mit Gänsekielen – und sahen nach ihrer aus Lampenruß bereiteten Tinte, wischten ihre Schiefertafeln, rutschten auf den Bänken ausgelassen auf und ab, schwatzten und lachten durcheinander. Elselein, von wenigen kaum mit Kopfnicken begrüßt, nahm ihren Platz ein – natürlich den allerletzten auf der letzten Bank. Aldebaran kletterte auf die Rücklehne und harrte des für ihn ganz neuen Schauspieles, denn er war noch niemals in einer Mädchenschule gewesen. – Jetzt trat der Lehrer ein, und augenblicklich verstummte das vielstimmige Gesumme in diesem von der Behörde gebauten Käfig aller der kleinen Elstern, denen das freie Schnabelplappern zu wohlgesetzter Redeweise gewandelt werden sollte – und das mittels der Dressur des Herrn Schulmeisterleins und Kirchenkantors Johannes Piepkorn, eines kleinen, schmächtigen, bebrillten Männchens mit gutmütigem, aber pfiffigem Gesicht. Die damaligen Schullehrer sahen ganz anders aus wie die heutigen. Johannes Piepkorn war ein sehr würdiges Mitglied dieser Gärtnergilde der Pflanzer und Pfleger kleiner kindlicher Blumenseelen und trug stets bei sich zwei Zauberstäbe zum Erwecken aller geistigen Triebe innig gesellt unter dem linken Arm: den Fiedelbogen und den Rohrstock. Und er hatte eine merkwürdige Geschicklichkeit, je nach Bedürfnis das eine oder andere Zauberlockmittel in blitzschnelle Anwendung zu bringen. Er trug eine Perücke mit kurzem, steifem Zopf und ging mit Kniehosen und Schnallenschuhen.

Die Schulstunde begann.

»Also – Abraham – wir sind bei Abraham! Müllers Marthe! Wohin ging der Herr mit Abraham in voriger Religionsstunde, ich meine am vorigen Montag?«

»In den Hain Mamre!«

»Falsch, das war ja schon vor vier Wochen! Anne Krill!«

»Nach Sodom und Gomorrha!«

»Richtig. Was war Abraham von Lot? Rieke Polzow!«

»Der Bruder,« – »Der Vater,« – »Der Sohn,« – »Der Herr.«

Alle Aufgerufenen antworteten falsch.

Piepkorn fragte verzweifelt: »Wer weiß es?«

Da stand unsere Förster-Else auf und sagte mit klarer Stimme:

»Abraham war der Oheim Lots, denn Lot war das Kind seines Bruders Haran!«

Die Wirkung dieser Antwort, die natürlich Elselein von Aldebaran allen unhörbar vorgesagt wurde, war unbeschreiblich. Die Kinder drehten sich mit offenen Mäulchen nach der sonst immer stummen Sprecherin um, und Lehrer Piepkorn kam nach einer kurzen Pause der Verblüffung herbeigeschossen, um Elselein ganz erstaunt zu betrachten.

»Ei, ei! Richtig, Else. Richtig!« Ein fürchterlicher Verdacht stieg in ihm auf. »Richtig! Aber sag', mein kluges Kind« – dabei nahm er ihr das Religionsbuch fort –, »wenn du das so schön weißt: Wie hieß denn Abrahams Vater?« Else sagte prompt: »Tharan« und fügte getreu nach Luftpeterchens unhörbarer Anweisung hinzu: »Tharan lebte in Chaldäa und stammte aus Sems Geschlecht. Derselbe hatte drei Söhne: Abraham, Nahor und Haran. Haran starb vor seinem Vater und hinterließ einen Sohn namens Lot!« Piepkorn war fassungslos. Er sah unter die Bank, ob sie da vielleicht noch ein Buch versteckt habe, aus dem sie ihre Weisheit schöpfte, er blickte, in seiner Vermutung getäuscht, in die Luft, ob es irgendwo an der Decke oder an der Wand stünde – unglaublich! Das Kind wußte die ganze, so kniffliche Namensgeschichte. »Elselein! Jetzt paß aber auf! Jetzt kommt es ganz schwer! Wen versuchte Lot, von den Engeln gewarnt, vor dem Untergang von Sodom und Gomorrha noch außer seinen Kindern und seinem Weibe zu retten?« »Die Bräutigams seiner zwei Töchter!« sagte Else prompt. »Aber sie gingen nicht mit, denn es war ihnen lächerlich.« – »Lächerlich? Else? So ein Wort gibt es in der ganzen Bibel nicht.« Else wurde verwirrt. »Doch!« flüsterte Luftpeterchen. »Doch!« wiederholte Else mit großer Sicherheit. Piepkorn sprang auf das Katheder, legte Rohrstock und Fiedelbogen beiseite und blätterte im heiligen Buche. Wahrhaftig, da stand es, genau wie Else es gesagt hatte. »Setz' dich zehn hinauf, Else! Ei, ihr faulen Kinder, da nehmt euch ein Beispiel dran. Elselein hat schön und brav gelernt!« Aber es sollte noch toller kommen. Jede Frage beantwortete Else mit ihrem allwissenden Helfer im Rücken wörtlich nach dem Bibeltexte. In der folgenden Stunde aber gab sie so erstaunliche Proben einer nie dagewesenen Rechenkunst, daß der alte Piepkorn ein über das andere Mal sich an den Kopf faßte, mit den Händen in der Luft gestikulierte und vor Staunen hin und her rannte. Als aber Else vielstellige Zahlen aus dem Kopfe richtig addierte, multiplizierte und dividierte – Summen, die Piepkorn erst mühsam an der Tafel nachrechnen mußte – da war es aus mit seiner Fassung, er stürzte aus der Klasse und kam wieder mit seinem Eheweibe, einer würdigen und sehr rundlichen Haubendame, die die Röcke hochgeschürzt und um die Taille zu einer dicken Rolle gewulstet hatte und die nackten Arme herausfordernd in die Seite stemmte. Hinter ihr schritt der Pfarrer, ein hagerer, bartloser Mann.

»Höre einmal zu! Hören Sie, Herr Pfarrer!« rief eifrig mit vom Laufen gerötetem Angesicht der atemlose Piepkorn. Er fragte die Else kreuz und quer. Sie war nicht zu verwirren. »Nein, so was –,« sagte das Eheweib. »In der Tat! Ein Wunderkind!« meinte der Pfarrer. »Lassen Sie mich einmal fragen, Piepkorn,« sagte er. Er ließ sie das Glaubensbekenntnis, die zehn Gebote, die Schöpfungsgeschichte, Gesangbuchverse hersagen. Alles war richtig. »Sing' einmal, Else!« sagte Piepkorn und begann auf seiner Geige einen Choral zu spielen, zu dem Else mit einer so lieblichen Stimme harmonisch begleitete, daß allen Zuhörern ganz weich ums Herz wurde, denn es klang überirdisch schön. Else sang bald die Melodie und bald die begleitende Stimme. Nun war aber Piepkorn ein schwärmerischer Musikus und intonierte nacheinander Volkslieder und Arien und schließlich spielte er frei, was ihm gerade einfiel, und Else und schließlich auch Luftpeterchen fast unhörbar sangen so schön und rührend mit hinein, daß es ein förmliches Konzert wurde. Die gutmütige Lehrerfrau wischte sich die Augen und der Pfarrer faltete die Hände. Ganz entgeistert schritt endlich Piepkorn auf das Kind zu, streichelte ihm das weiche Haar und küßte es auf die Stirn. Das war ein Triumph für Else – die mißachtete, übersehene, zurückgesetzte – der sie völlig übermannte. Ihre Augen standen voll Tränen, und in Demut schritt sie aus der Tür und machte sich auf den Nachhauseweg.

»Warum bist du so traurig, Elselein?« fragte der sie begleitende Aldebaran. »Weil das ja alles nicht wahr ist!« schluchzte Else. »Wir betrügen ja die Leute! Von jetzt ab weiß ich alle die schönen Dinge nicht mehr!« »Doch, mein Kind!« sagte Luftpeterchen. »Zuvörderst denke, ich sei du selbst, dir zugehörig. Viele Leute haben so einen Luftpeter bei sich, wie du, sie sehen ihn nur nicht so vor sich und halten seine Stimme für die ihres Gewissens, ihrer bösen oder guten Doppelseele. Ich kenne welche, die sprechen über ihre Absichten ganz laut mit ihrem Luftpeter; ist er dagegen, so sind sie dafür, und umgekehrt, und so kommt vieles zum Ausruhen und zum Gleichgewicht der Seele. Es sollte jeder genau wissen, welcher Art sein geheimnisvoller Mitwanderer und Schrittmacher ist. – Was ich dir einmal gesagt habe, vergißt du nie wieder! Soll ich die Probe machen?«

Und da zeigte es sich zu maßloser Freude des Kindes, daß sie alles getreu behalten hatte, die Rechenexempel, die Religionsgeschichten, die Verse, die Lieder. Da wurde sie froh und heiter und schritt rüstig aus auf der Chaussee, die sie schon längst erreicht hatten.

Der Himmel war verfinstert, die Natur lag still und verschüchtert, kein Blatt regte sich in den Birken, die den Chausseeweg umsäumten. Auch der angrenzende Wald lag wie im Bann, als halte er den Atem an. Als Elselein sich einmal wie zufällig umdrehte, gewahrte sie in der Ferne eine hohe Staubwolke, wie wenn eine Reiterschar heranjagte. Sie achtete dessen nicht weiter und war daher um so erstaunter, als unmittelbar danach unter lautem Getöse von klappenden Hufen und schnaubenden Pferden ein sonderbares Gefährt blitzschnell herankam und mit einem plötzlichen Ruck just neben ihnen anhielt. Es war eine große, mit Gold und Silber reich verzierte, altmodische Equipage, gezogen von vier feuersprühenden Rappen. Ein kohlschwarzer, riesiger Mohr im Turban lenkte die schnell geöffnete Karosse. Als dem Kutschenschlag ein sehr blasser, vornehmer Kavalier mit Glanzhut, Frack und gespornten Stulpenstiefeln entstieg, erblaßte Aldebaran und sah ihm starr ins Gesicht. Elselein hörte deutlich wie er murmelte: »O weh! Du arbeitest schnell und sicher, alte Hexe! Das ist das Werk der Köhlerfrau!«

Der elegante Herr warf einen drohenden und triumphierenden Blick auf den tief Erschrockenen und sprach: »Heute hast du verspielt, Aldebaran!« Dann sagte er zu Elselein gewandt, mit einschmeichelnder Stimme: »Mein liebes Kind, steig' in diesen Wagen! Für kurze Zeit sollst du meiner schönen, aber kranken Tochter Gesellschaft leisten; du nur kannst sie gesund machen. Laß meines Sohnes Bitte die meine unterstützen!« – Aus dem Wagen sprang jetzt ein etwa zwölfjähriger, bildschöner Knabe mit Sammetjackett und Spitzenkragen. Elselein war wie gebannt von der Schönheit dieser tiefblauen Augen, aus denen sich etwas wie geheimes Leid flehend hervorzuringen schien. Der Knabe trat artig heran und nahm Else mit vollendetem Anstand eines kleinen Herrn von Welt bei der Hand.

»Nicht wahr? Du kommst zu uns. Nicht weit von hier. Auf das Schloß. Wir wollen die schönsten Spiele ausdenken, meine arme Schwester, du und ich!« Else trat unwillkürlich einen Schritt vorwärts zur Wagentür; da rief Aldebaran: »Else, halt ein! Tu keinen Schritt! Es ist dein Verderben!« – Dann breitete er beide Arme hilfeflehend gegen den Himmel, indes der blasse Fremdling ein heiseres Lachen hören ließ. »Licht! Sonne! – Ach, einen Strahl ihr himmlischen Mächte!« Aldebaran war in furchtbarer Aufregung. Eben setzte die ganz verwirrte Else einen Fuß auf den Wagentritt, schon hatte der kleine Kavalier einen Arm um sie gelegt, der grinsende Fremde faßte nach der Tür – da brach ein voller Sonnenstrahl fast senkrecht durch eine Wolkenlücke. Aldebaran jauchzte laut auf, ergriff blitzschnell das goldene Licht wie einen Stab, brach ihn in zwei Stücke, legte sie zum Kreuz zusammen und schlug ohne Erbarmen damit dem Fremdling vor die Stirn. Ein furchtbares Gekrache folgte dem Hieb und im Nu waren Karosse, Pferde, Kavalier, Prinz und Mohr verschwunden. Nur eine dunkle Wolle zog durch die Luft. Am Waldrand aber schrie es auf mit kreischender Stimme, und Else sah ganz deutlich, wie die alte Möller, ihre Krücken in die Luft schwenkend, blitzschnell durch die dunklen Tannen sprang. Von Zeit zu Zeit schrie sie während der rasenden Flucht laut auf. Luftpeterchen aber drückte Else jubelnd an sich und sagte: »Es war die höchste Zeit. Das war des Wichtelkönigs Gnadenwerk. Ohne ihn und diesen Sonnenstrahl wären wir verloren gewesen!«

»War das der Böse?« fragte Else ängstlich.

Aldebaran lächelte. »Kannst du den Schatten böse nennen, weil er an das Licht gekettet ist? Merke: Schatten ist das Maß des Lichtes, eine Probe auf seine Helle. Ich werde dir noch oft Geschichten erzählen, die dir berichten sollen, daß gerade das hellste Licht die tiefsten Schatten haben muß, und wie oft auf sonderbaren Umwegen sich dies Gesetz erfüllt. Es ist das, was ihr Menschen »böse« nennt, eine Prüfung, ein Versuch. Aber ihr könnt nicht sehen, daß das so angeordnet ist, nicht als ob das wahrhaft Gute je schlecht werden sollte, sondern damit das Böse versucht werde, sich zum Guten, zum Ausgleich, zur Harmonie zu bequemen. Der Fürst der Schatten ist mächtig wie sein leuchtender Bruder, der Helle. Von Anbeginn der Welt sind sie beieinander. Ihr Ringen um die Alleinherrschaft ist die Ursache, daß alles sich bewegt. Nur Licht, nur Schatten wäre ein heller oder ein dunkler Tod, ein leuchtendes oder ein trübes Nichts, aber Tod oder Nichts in jedem Falle! Nur Licht, nur Schatten, beides wär der Untergang! Ein bunter Wechsel ist das Leben. Sieh! alle Farbe, alle Form, ja jeder Gedanke stammt aus diesem Spiel. Das vom Schatten gepeitschte Licht ist weiß, schwarz ist verschlucktes Licht, dazwischen ist das bunte Farbenheer ein Spiel des Ringens zwischen schattenhaschendem Licht und lichtjagendem Schatten! In dem Spiel der Farben ist Lust und Trauer oder, wie ihr Menschen sagt, Gutes und Böses. Das ist ein Bild von allem, auch von eurem Menschenherzen. Was wäre euer Glück ohne Qual, was euer Lachen, wenn ihr nie jemand hättet stöhnen hören! Wohl ist's ein Kampf, und jede Kreatur leidet unter diesem wirbelnden Zwiespalt auf zum Licht und nieder zur Finsternis, aber jeder kann seinen Schritt zum Ausgleich tun, der ihn auf höhere Pfade führt!«

»Aber, ich wäre doch beinahe mit dem schönen Knaben gegangen,« sagte Else treuherzig. »Dann hätten wir einen großen, schmerzensreichen Umweg machen müssen, und es hätte vieler Sonnenstrahlen bedurft, dich zu dir selbst zurückzuführen. Komm in den Wald, ich will dir etwas zeigen, Elselein,« sprach Luftpeterchen und ging in die dunklen Tannen.

Bald standen sie vor einem breiten, pechschwarzen Wassertümpel. Seine Fläche war wie ein dunkler Spiegel, klar und blank.

»Nun merke auf, Else,« sagte Aldebaran, nahm eine große Kreuzspinne aus den Zweigen und setzte sie mit ihren langen Beinen auf die Wasserfläche; wo sie hin und her lief, mengte sich Licht und Schatten, und ein bewegtes Bild entstand. Staunend sah Else, niederkniend im Gras und den Blick fest auf die spiegelnde Flut gebannt, die ganze Szene von dem Untergang Sodoms und Gomorrhas von der Spinne gezeichnet und zum farbigen Her und Hin getrieben.

Da war die brennende Stadt, die hastenden und mit Flammengarben überschütteten Menschen, die bebenden Berge, der fliehende Lot mit seinen Töchtern und das Weib Lots, die stehen blieb, sich umsah und mit Lava überschüttet wurde.

Die Spinne kam zurück zu Aldebaran – das Bild war verschwunden. Der trieb sie vorwärts und der Turm zu Babel entstand im Bilde; die verwirrten Völker fluteten durcheinander, überall Zwietracht, Kampf, Vernichtung. Else sah staunend auf das Bild. – Wieder kam die Spinne gelaufen und wieder hieß sie Aldebaran Licht und Schatten mengen. Da wurde eine Riesenstadt im Bilde. Ein Volksaufzug. Eine große Bildsäule trugen sie, unzählige Leichen Enthaupteter am Wege.

»Das, was du jetzt siehst, geschah vor kurzer Zeit in Frankreich. Sie schaffen Gott ab. Da ist die Göttin der Vernunft, ihr Götzenbild. Schau, Else! das waren einige Umwege, die die Völker machten!«

»Ist denn das alles aufbewahrt?«

»Ja, Else, heilig ist der Augenblick! Gewebt aus kleinen Blitzlichterchen der Zeit, erstickt in den Grabtüchlein der Schatten, die für kurze Frist unterbrochene, zuckende, lebende und sterbende, die sich aufbäumende und zurückprallende Ewigkeit, das ist der Augenblick! Alles Geschehene ist ein Kind des Lichtes und des Schattens. Nichts ist ungesehen und unbewahrt! Schlimm für das Böse, herrlich für das Gute, wird alles aufgenommen im Buch der Welt: die Spinnen schauen's, die Pflanzen haben Lichtäugelein, die Wolkenfedern, die Regentropfen, die Schneekristalle, die Sonnenstäubchen selbst haben lichtempfindende Seelchen zu Abertausenden in sich, sie fangen alles auf und behalten es gut. Einst werden, in wenig mehr als hundert Jahren, auch die Menschen lernen, mit Silbernetzen den heiligen Augenblick zu erhaschen und den nur scheinbar flüchtigen ewig festzuhalten. Was auch geschieht werden sie im bewegten Bild Enkeln und Enkelkindern wieder zeigen, und staunend – wie du in diesem Wassertümpel – werden sie der Väter Taten wiederkommen heißen auf großen weißen Flächen in allen Straßen; in wunderbaren Schaustätten werden sie entzückt zuschauen dem gefangenen Augenblick, dem gefesselten Spiel von Licht und Schatten! Der heilige Augenblick, er ist ein großes Wunder!

Denke ein bißchen nach! Während wir sprechen, ist dieser Augenblick, wie ein Lidschlag der Zeit, scheinbar für immer dahin, eingereiht vom Hirten der Ewigkeit in die große Herde seiner Milliarden Brüder vor ihm, kein Verirren, kein Verlaufen gibt's, sie werden alle zurückgefordert ins Meer der Zeiten, und doch ist nichts verloren, immer wieder kann es neu entstehen! Der Augenblick ist ein Fensterchen und ein Steinchen nur in dem Tempel der Ewigkeit; diese große Stumme kennt allein den Sinn der Zeit; aus dem Augenblick begreift man ihn nicht, ebensowenig wie ein Menschendasein allein den Sinn des Lebens offenbart. Auch Leben ist nur ein Durchgang zum Geheimnis, das der Tod umklammert hält, wie die Ewigkeit die Zeit! – Was diese Spinne tat, tut jede spinnende Seele: sie spinnt ein Netz vom Gewesenen und Werdenden mit den Gedanken der Gegenwart! Es ist der Zauber eurer Menschenseele, euch Vergangenes wie Zukünftiges als Gegenwart empfinden zu lassen! Was auch geschah, die Seele des wirklich Lebendigen war stets dabei und er kann Kommendes nicht anerkennen, ohne daß er in dessen Mitte steht. Erinnern führt zum Wissen, Vordenken zum Entdecken, zum Schöpferischen. So konnte, was du heute gelernt, die Zauberspinne in deinem Köpfchen auch alles wieder erzeugen: Du hast es eben behalten!

Jetzt aber laß uns heimgehen! Deinen Eltern ist eine große Freude widerfahren.«


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