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XVIII.

Das heilige Viereck

Sie traten in einen dunklen Raum ein. Nur eine Wand strahlte in grünlichem Licht. Darauf erschien, nachdem alle auf Glassesseln Platz genommen, folgende Figur in roten leuchtenden Linien.

»Ah, das heilige Quadrat,« dachte Else.

»Ja, Kind,« sprach Astra, deren Stimme in der Dunkelheit ganz leise klang. »Das ist das heilige Quadrat, alles Geformten Daseinsfessel, wie auch der heilige Zaun, der alles Starre vom Lebendigen scheidet. Erst wenn dies kalte Viereck sich in Schöpferhand zu einem Kreise dichtet, beginnt des Lebens Wogenschlag. Das wird dir mein königlicher Bruder alles noch sagen, der ja dein Lehrer ist. Hier laß dir von den Wundern dieses zum Würfel ausziehbaren Vierecks erzählen. In ihm ist jede Form des erstarrten Lebens begründet, kein Kind der vielen tausend Möglichkeiten von Gestein, Kristall, Metall, das nicht in dieser Wiege von vier Seiten oder acht Flächen geboren wäre.

»Sieh'! Nur vier Stäbe heben sich und, wie sich Schatten bilden durch Verdichtung!

Von der Mitte her siehst du sich's schon zur Pyramide heben. Noch deutlicher von der Seite geschaut, nicht wie dort, von oben.

Eine Hand, die meine, nahm nur den Mittelpunkt empor und hob die vier Strahlen in die Höhe, da war eben dieses Grabmal der Ägypter da. Die Masse der Platte folgte, sich verdünnend, der Idee und füllte den Gitterbau mit ihren Stäben. Zugleich kann ich den Treffpunkt nach unten ziehen, und du bekommst diese Form:

Ich nehme mein Quadrat zurück und mach' daraus einen Würfel; indem ich alle Seiten zu Pyramiden ausziehe, so erhalte ich diesen Pyramidenwürfel von schon verzwickterer Gestalt.

Wenn ich mehrere solcher Vierecke ineinander verschiebe, diese Figur, bei der alle Seiten des Quadrates etwas verzogen sind.

Wir schneiden nun dem Würfel viele Ecken ab, beschneiden auch seine Kanten gleichmäßig und siehe, was da wird:

Wenn du nun viele solcher Vierecke miteinander zusammensetzt, so erhältst du diesen Körper, in dem du leicht die einzelnen quadratischen Flächen in stets gleichem Winkel miteinander verbunden siehst.

Dann diese 24-Ecker mit verzogenen Quadraten:

Viereck und Achteck lassen sich ineinandersetzen. Dann gibt's dies und, wenn du die Ecken abschneidest, das Bild daneben:

Hier siehst du zum ersten Male eine Fläche von sechs Seiten umrahmt und deren fast kuglige Anordnung. Ach! Stets nur fast, nie ganz führt es zur Kugel, soviel wir auch geschnitten haben und gespalten, denn den runden Schnitt hält eben keiner unsrer Sargdeckel aus. Hier wechseln immer Sechsecke mit Quadraten. Zieh' in beiden hier gezeichneten Sechsecken Linien zum Mittelpunkt, und du siehst, wie durch ein Wunder wieder aus jedem ein Würfel entsteht.

Jetzt kommt das Schwerste, Kind, was selbst dem Teufel Kopfschmerzen und Unbehagen machte, so daß er rief:

›Das Pentagramm macht mir Pein!‹

Das Fünfeck! Warum wohl zerschellte der Teufelswitz an diesem Zeichen?

Sieh' seine abgeleiteten Pyramiden, die wir darum ›des Teufels Sargdeckel‹ nennen, an dem er immer scheu und mit verklemmter Nase vorbeischleicht. Es ist sehr schwer, das Fünfeck mit den Augen in eine körperliche Figur langsam aufzulösen.

Denn es gelingt wohl, wie gezeigt, eine Pyramide daraus zu zaubern, aber nie ein Sechseck oder Viereck, die ja Skelettverwandtschaft haben, nämlich so:

Auch kannst du im Fünfeck nie eine volle Form sehen, wenn du die Mittelpunktslinien ziehst, immer hapert's irgendwo mit der Körperlichkeit! Man sieht zwar einzelne Vierecke und Dreiecke entstehen, aber keine Kastenform außer Kegel oder Pyramide will sich ergeben.

Ich will dir das Rätsel lösen, Kind, behalt' es gut! Der Teufel kann nicht darüber weg, weil er nicht weiß, daß man zwei Spangen fortnehmen muß, welche die Form sperren.

Das Pentagramm entsteht zwar aus dem Sechseck auf diese Weise: durch Fortnehmen zweier Spangen oder durch ihre Streckung auf eine Linie (die unten), so:

Aber eine Form mit Viereckbasis können wir nicht schaffen ohne Notbehelf. Hat man alle Verbindungslinien gezogen zum Mittelpunkte und drückt nun auch das gegenüberliegende Linienpaar (b und c) zu d zusammen und nimmt die Spangen e und f fort, so springt die Wunderkammer auf. Sieh'!

Diese klare Figur entsteht. Ein Keil, ein Prisma, meine Krone, das Netz der Farben und aus der fünfeckigen Pyramide wird des Dreizacks heiliges Symbol!

Sag's aber nicht dem Teufel, Else. Er ersinnt sonst doch noch einen Dietrich. Auf vielen unserer Geheimnisse der Natur liegt das Pentagramm.

Nun will ich dir noch etwas zeigen, was dich freuen wird. Sieh', wie ich durch Heben eines Quadrates eine Säule machen kann auf diese Weise, indem ich alle Ecken gleichfalls hebe und der Strom von Kristall mir folgt wie dicke, fast erstarrte Zuckermasse. Wie ich daraus Säulen machen kann, so kann ich eine Figur schaffen, wenn ich nach allen Seiten des Würfels vier solche Säulen ausziehe, die heilig ist und eures Glaubens Symbol.

In ihm ist Tod gewiß und als Versprechen ruft in ihm das heilige Leben, die Auferstehung.

Ein Würfel liegt in seiner Mitte, die Urform aller kristallischen Bildungen, also alles ewigen Friedens und der Ruhe Todesbild, aber einst wird dieser Würfel sich verdichten zu einer Kugelform, und dann wird das Leben beginnen.

Das wird dir Aldebaran gewiß einmal besser zeigen als ich es kann, aber ich sage dir im voraus, ein Anfang war im Chaos und niemals war das Weltall öde und leer, zuerst war Tod, aber mit ihm Kristall, und dann kam das Gedicht des Lebens.

Die Kugel ward aus dem Quadrat, und das Leben entstand.

Darum ist das Kreuz, das dieses Wunder in sich schließt, ein siegreich Mal.

Noch glüht auch mir eine Hoffnung, mich selbst, die Königin im Reiche dieser starren Gesetze, zu befreien und die Verbannung von mir zu nehmen, nämlich wenn es mir und meinem fleißigen Volke gelingt, von der Linie zum Bogen, vom Viereck zum Kreise als Vollendung des Formenzaubers zu gelangen. Dann springt die Fessel, aus dem Kristall wird Leben, und ich gehe wieder zu den Göttern ein! Wisse, Else, daß mit einem edelsten Steine, dem Diamanten, es mir gelang. Seine Flächen sind in schönem Bogen geschwungen, nicht mehr im toten Geradeaus erstarrt, sein Leib ist aus dem edelsten Gestein in reinster Form, ohne den auch Leben nie besteht: Carbon, aus dem das Leben glüht!

So sagt auch mir das Kreuz, wie euch, die frohe Botschaft:

›Auferstehn!‹

Nun aber, Else, komm'! Deine Augen sind schauensmüde. Ich will dir etwas zum Andenken geben.«

Der Saal wurde hell. Sie rief einen kleinen Bildhauer herbei:

»Hole Meißel und Spachtel! Forme mein Gesicht in diesen Stein!«

Einen wunderbaren Topasstein brach sie aus ihrer Krone. Der Bildhauer nahm ihn hin und ging.

Die Königin und ihr ganzes Gefolge geleiteten Else und Aldebaran in die Königskuppel zurück.

Astra zog Else an ihr Herz.

»O, du geliebtes Kind! Könnte ich mit dir gehen auf die Höhen des Sonnenlichtes! Könnte ich Mensch sein, zu leiden und vergängliche Tränen zu weinen wie du, lachen und jauchzen in Frühling und Lust – ach, einmal nur hinauf aus diesem glänzenden Grab – alle Schätze der Erde würfe ich hin – trüg' ich einen Tag ein Menschenherz! Aber ich muß ewig harren und Sonnenschein bestatten und Licht zu Grabe tragen! Leb' wohl!« – –

Da sah Else traurig auf zur schönen Prismakönigin.

Draußen am Eingang der Höhle gab ihr der Torwächter ein kleines Paketchen, darin war ein schöner Topas, umgeben von kleinen Rubinen; in der Mitte zeigte sich frei ein großer Diamant, der war in der Grundform des Quadrates und des Achtecks geschnitten und als Else im Mondschein hineinblickte in die schön glitzernden Diamanten, da sah sie erst, daß auf dem Grunde so kunstvoll der Königin Astra Antlitz geschnitten war, als wenn es lebte, lächelte und mit Augen Abschied winkte.


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