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AIdebaran hatte recht gehört. Franz, nach Vollendung seiner Studien in die Heimat zurückgekehrt, war im Walde umhergestreift und suchte, von dem Unwetter überrascht, Schutz im Försterhause. Er mochte es sich nicht eingestehen, daß der Wunsch, Else wiederzusehen, ihn einzig und allein in den Wald getrieben hatte, und die Gewalt des Gewitters gab ihm eine gar nicht unwillkommene Entschuldigung vor sich selbst.
So trat er auf Elses: »Herein!« über die Schwelle. Else war erstaunt, wie stattlich, groß und hübsch der Franz in den wenigen Jahren geworden war. Trotz der Durchnässung seiner Kleider und trotzdem ihm der Regen vom Hut und aus dem dunkelbraunen Haar herabtroff, erkannte sie gleich die vorteilhafte Veränderung in Haltung und Tracht, die mit ihrem einstigen Schulkameraden vorgegangen war. Mit ruhigem und sicherem Anstand sich bewegend, die Worte treffend und lebhaft setzend, glühte im Auge Wärme und, wenn er Else ansah, jener verzögerte und haftende Blick, der viele geheime Fragen barg. Else errötete bei der Begrüßung, denn es war ihr, als wollten diese Augenstrahlen geradewegs in ihr Herz.
»Franz! Willkommen! Wie bist du groß geworden; wie ein feiner Herr schaust du aus!«
»Else,« sagte Franz mit weit tieferer und klangvollerer Stimme, als sie Else in der Erinnerung hatte, »sei nicht böse, daß ich hier so hineinwehe, aber ich bin bis auf die Haut durchnäßt. Vielleicht darf ich mich hier bei euch ein wenig trocknen. Was macht Vater, Mutter?«
»Danke, Franz! Alles gut imstande. Ja, schau' dich nur um – hier ist vieles anders geworden im Lauf der Zeiten. Angebaut und verbessert. Hast du die schönen Scheunen und Ställe gesehen? Nur die alte Hausfront ist dieselbe, Mutter wollte sie nicht missen, – sonst leben wir hier mehr in einem Schloß als in einem Försterhäuschen. Ja, Franz, es ist viel Segen über uns gekommen alle die Jahre. Aber du, nun sag', wie ist es dir ergangen?«
Zuerst mußte er die Oberkleider an den Nagel hängen, einen großen weichen Mantel des Försters, der inzwischen, ihn zu begrüßen, gekommen war, anlegen und Mutter Försterin hüllte ihm eine Decke um die der Stadtschuhe entledigten Füße.
»Ja, mit solche Löschblattstiebeln mußt du hier nich rümmer lopen, Franz,« sagte sie – »dat mag woll gut vör'n Ballkram und Theaters sin, för unse'n Kalkmatsch is dat quatsch!« sagte sie lachend. »Nee! Franz, wat is ut den Jung' worden!« rief sie dann, ihn wieder und wieder betrachtend.
»Nun mußt du aber wirklich erzählen!« sagte Else und rückte nahe zu ihm ans Fenster. – Schon war die Sonne wieder Herrin der Elemente und legte sich tröstend über das zerzauste Feld und löschte alle Tränen – nur Aldebarans Wehmut nicht. Der saß in einer Ecke und hörte dem Gespräch der beiden zu, etwa wie ein invalider Kapitän am Strande Schiffer ihre Segel rüsten sieht zur Abfahrt auf das Meer. Da legte Franz los. Wie er nun schon lange Student der Bergwissenschaften sei und daß er dicht vor seiner Prüfung stehe: dann würde er als Bergassessor vom Staate angestellt und alle seine Pläne und Vorhaben kämen zur Ausführung. Er habe schon mehrere Entwürfe eingereicht und die Behörden hätten schon Anstalten getroffen, ihm die Mittel zu gewähren, die Bohrungen, Entwässerungsanlagen und Schürfungen erforderten.
»Dann geht es hinab in die Tiefe, Else,« rief er, indem er die hüllenden Decken von sich warf und sich stolz empor reckte. »Und ich will mal sehen, wieviel ich von den Wundern, die ich dort vermute, ans Licht rufen werde!«
»Sag' einmal, Franz,« sagte Else. »Ich habe so nur recht dunkle Vorstellungen von der Erde, wie sie da drunten wohl aussehen mag.«
»Ja, Else! Das kann ich dir schon sagen. Es ist ein wundervolles um die Erde. Ich hatte es immer vermutet. Die Bücher haben mich belehrt: ich selbst habe vieles gesehen und vermute noch vieles mehr. Die Erde war doch einst eine Feuerkugel. Das weißt du noch von Vater Piepkorn. Sie ist es noch im Innern. Aber du müßtest tausend Meilen hinabbohren, ehe du jetzt diesen flüssigen Feuerkern erreichtest. Aber vorher würde aus solchem Bohrloch eine furchtbare Explosion erfolgen: die frei gewordenen Gase, die unter ungeheurem Druck von der dicken, dicken Schale gefesselt liegen, würden in ihrer kolossalen Kraft das Bohrloch zerreißen und geschmolzenes Gestein, Metallfluß, glühenden Dampf emporschleudern. Du hättest einen künstlichen Vulkan gemacht und wer weiß was angerichtet. Denn ein Vulkan ist immer noch ein Weg zum Feuerheizen der Erde. Ein Ausbruch erfolgt, wenn die Feuergase sich einen Weg bahnen durch alle die Spalten und Buchten, die die geschmolzene Glut vom vorigen Male mit metallischem und glasigem Kitt verlegt hat. In tiefen Höhlen sammelt sich Schmelzwasser des Schnees und der Regenfeuchte. Seine unterirdischen Becken reichen oft bis in heiße Tiefen; hier kann es sein, daß ungeheure Feuermassen plötzlich den nagenden Krallen des Wassers die Hand reichen. Heiße Quellen geben uns Kunde von der Nachbarschaft dieser unterirdisch angestauten Gewässer mit der feurig-gasigen Grundesse. Der Preßdruck der sich mühsam befreienden Gasmassen schleudert jäh die heißen Quellen empor, die Sprudel mit all ihren gelösten Heilsäften und die Geiser, die auf Island sind. Manchmal aber treten Brüche der metallischen Schalen und Steinschmelzschichten über dem Glutenkern ein, vielleicht gerade unterm Meer bildet sich solch Erdriß, und der Ozean der Flut bricht ein in den der Glut und reißt in der ungeheuren Explosion der Erde eine entsetzliche Wunde, so daß Inseln versinken, Ozeane überschülpen wie Wasser in einer umgekippten Schüssel und wohl ein ganzes Stück der Erde ein neues Antlitz erhält. Wohl verharscht die Wunde mit der Zeit durch die zurückstürzende und wieder erstarrende Schmelze, aber unaufhörlich brodelt es in kleineren Spalten, weil unaufhörlich Wasser sich und Feuer mischt. Dann dampfen die Vulkane und künden von dem in ihren Tiefen wogenden Kampf. Hohl ist hier der Raum unter der Erde und Verschiebungen, die die drückende und trockene Rinde vornimmt, wenn sie plötzlich und ruckweise einsinkt, wirken das Zittern des Bodens – die Gänsehaut der frierenden Erdhülle, die Erdbeben!«
»Franz! Was du alles weißt! Bist du schon einmal hinabgestiegen in ein Bergwerk?«
»Gewiß, Else, in Claustal! Wohl an die dutzendmal. Da fördern sie Metall und Kohle, wertvolles Gestein, Eisen, Zinn und Blei!«
»Wie kommt das nur alles in den Grund?«
»Es ist abgesetzt aus der Glut. Sieh'! Dort die Sonne am Himmel. In ihr und in den meisten selbst leuchtenden Sternen ist all dasselbe noch in Glutenform, was hier auf der Erde jetzt schon fest und niedergeschlagen ist. Kein Metall, kein Salz, keine Säuren, keine Gase, die nicht auch dort oben wären, aber dort in weißer Glut und hier gekleidet in eine Fasson, wie sie eben der große Glockengießer Temperatur und sein Geselle Druck gemeistert hat. Denn, Else, das ist auch so ein Punkt, den ich klarstellen möchte, wenn ich so einmal alles sagen darf, was ich will. Es muß eine Einheit sein in allen Stoffen. Es muß eine Möglichkeit sein, alles aus wenig Formen entstanden zu denken. Es sind die Bedingungen, die Widerstände, die Hemmungen, die das Aussehen der Stoffe verschieden gestalten. Im Grund muß dahinter etwas Einheitliches stecken, aus dem die Riesenfaust des Zwanges die verschiedenen Arten Metalle, Gase, Gesteine, Salze usw. gestaltet. Und welche Fäuste haben hier gewaltet, als noch die rasende Glut von Tausenden von Hitzegraden die ganze Oberfläche dieser Feuerkugel umsauste und sie anraste gegen die Zone der ewigen Kälte, die die rollende Tochter der Sonne durchschoß! Da bildete sich eben die Dunstatmosphäre und unter ihrer Hülle tobten und rasten die Elemente. Denn die gewaltigen Unterschiede der Temperatur am Himmelsraum gegen die Feuerhülle ließen blitzschnell Niederschläge entstehen, die niederfallend ihren Wasserdampf verloren und nun schon verwandelt gegen das Glutenchaos zurückprallten. Mag immerhin ursprünglich alles eine Masse gewesen sein. Der kalte Weltenraum knetet daran herum, bis tausend und tausend andere Masken der Urstoffe fertig sind. Es ist ja der schönste Beweis, der mir vorschwebt, für die Mutterschaft der Sonne für alle Planeten und ihres Lieblingstöchterchens, die kleine Erde, wenn man die Übereinstimmung aller dort brodelnden mit den hier festen Elementen herausfände und so zeigen könnte, wie recht unser Königsberger Weise hat: Die Erde ist eben Fleisch vom Fleisch der Sonne!«
»Wie will man das beweisen, Franz?«
Aldebaran horchte sehr interessiert auf und nickte mit dem Kopf, als Franz antwortete:
»Das muß mit den Wundern des Lichtes geschehen. Ich glaube, mit den Farben hat es eine noch verborgene Bewandtnis. Ein buntes Prismaband leuchtet nicht nur, es schreibt auch Briefe. Briefe aus seinen Heimaten vom Ergehen und Haß und Lieben der Elemente dort in andern Welten!« »Ja, ja,« sagte Else. »Die Lichtreiterchen haben unsichtbare Knappen!«
»Das ist wunderhübsch, was du da sagst, Else! In allen meinen Büchern steht es nicht deutlicher!«
Aldebaran lächelte wehmütig.
»Also, wenn nun alle diese Veränderungen des feurigen Grundelementes Mischungen von der Hand der Temperatur, der Faust des Druckes und dem Rührlöffel der Bewegungen sind, so müssen sie schon etwas anders sich gestalten am Pol und Äquator, weil hier die Temperatur und die Bewegung anders ist. So drücken und schieben ungeheure Stürme von den Polen zu den heißen Gegenden stürzend, die seinen Schlacken und Gerinnungshäute durcheinander, die schäumend aus den Höhen der Abkühlung herabfallen und wieder anders schmelzen und locken kristallinische Massen aus dem gerüttelten und geschüttelten Brei. Je nach dem schnellen oder verzögerten Verpuffen der Gase hier und dort müssen darüber Sturmwirbel der wärmeren Dämpfe in die kühleren Gebiete gestürzt sein, und diese örtlich wechselnde Dichte der Luftschichten über der Erde ist es ja noch heute, die mit dem wechselnden Wärmestand und dem Druck der Lüfte den Winden das himmlische Steuerrad dreht! Wäre dieser lebhafte Wechsel nicht von dichter und dünner Luft, wir hätten nur zwei Winde: Südwest und Südost, die Passate am Äquator, weil das Abströmen vom Äquator zu den Polen durch die rasende Drehung der Erde nicht rein Nord und Süd ist, sondern abgelenkt wird. Wenn nun schon jetzt aus diesem Grundgesetz der Luftströmungen ein solches buntes Gemisch von Winden und Wetterstürzen zu beobachten ist, wie mag es erst damals ausgesehen haben mit den Feuerwirbeln, Dampfstürmen und Glutorkanen, die den brodelnden Topf der Erde durchwühlten und durchpufften und alle ein bißchen modelten an den ersten Faltenzügen auf dem Angesicht der Erde, das sich langsam aus den Dampfschleiern und Dunstkissen herauswälzte wie etwas, das noch gar keine Ähnlichkeit mit Erde hatte! Denn das Gesicht der Erde ist uralt, durch Millionen über Millionen Jahre muß sie seitdem im Wandel der Zeit auch ihre Züge gewechselt haben, denn damals war sie noch ein Neugeborenes, Weiches, Charakterloses und erst die Riesenkralle der Zeit meißelte ihre Züge. Freilich ihre eigentliche Lebensgeschichte hat sie selbst geschrieben. Und wir Bergmänner sind ihre Schriftgelehrten und Zeichendeuter!
Aber, Else, ich langweile dich mit meinem Geschwätz. Erzähle mir lieber von dir und deinen zarten Gedanken, die gewiß so viel schöner sind als mein bißchen Wissen!«
»Nein! Franz! Fahre nur fort. – Nun sage mir endlich, wie eigentlich die Erde innen aussieht!«
»Else! Wie sie aussieht an irgendeiner Stelle ist schwer zu sagen, weil wir ja nicht die ganze Tiefe durchdringen können. Eher kann ich dir schon sagen, wie sie aussehen müßte, wenn sie nicht die Tausende von Verwitterungsstürmen, Eissprengungen und Eisschüben, Durchbrechungen von vulkanischen Ausbrüchen und Überschüttungen mit Schmelzwasser, Verwehungen, Wasserwühllarbeiten usw. hätte über sich ergehen lassen müssen. Da ist buchstäblich oft das unterste zu oberst gekehrt, und diese oder jene Stelle war im Laufe der Millionen Jahre mehrmals Ufer, Meeresgrund, Tal oder Gebirge. Ja, wahrhaftig, viel ist geschüttelt und gerüttelt worden an diesem Mantelkleid, das sie sich einst wohl aus metallischem Gestein umgezogen vor dem Frost des Weltalls um sie her, durch das die Reise ging, und dieser noch so dicke Mantel ist zerrissen und zerschlissen, gefasert und verwittert, geflickt, unterpolstert und neubezogen unzählige Male, bis er das erste grüne Sammetfeld bekam mit Bergspitzen und Eiskronenbesatz darüber. Aber auch dies mußte noch viele Male abrasiert werden, in die Tiefe sinken, verwittern und versteinern – ein ungeheures Grab – bis dieses Kleid ein dauerndes geworden ist.
Da bildete im Grunde sich die Scheidungsmauer des Festen von dem Feuerflüssigen – eine gewaltige Schicht der schwersten Granit- und Porphyrlager. Die eherne Schale gleichsam, auf der alle Schichten ruhten, ein langsam zu Kristallen erstarrtes Grundgestein und Urskelett, dessen Gefüge wohl oft durchbrochen wurde von den Fluten des feurigen Metallkernes, der viele Glutmassen aus allen möglichen Metallverbindungen auch aus Steinsalz, Kalk und Gips emporschleuderte. Über dieser Urschale lagerte sich das niederträufelnde Wasser aus dem luftförmigen Atmosphärengürtel und seine nagenden Tröpfchen mit der in ihnen gelösten Kohlensäure und der Säge des Frostes sind es, die den Granit in Feldspat, Gneis und Glimmer zernagten. Dann kam des Urmeeres auflösende, wühlende Kraft, die von der vierzigtausend Fuß hohen Schicht des Urgranites einige Taufende von Fuß zu Gneis und Glimmer zerfraß. Aber auch diese Gneisschicht wurde weiter zerspalten, zerfressen zu Tonschiefern, Grauwacken und Buntsandsteinen, alles Abkömmlinge vom Granit, der unter der Hobelkraft des Wassers durch Hunderttausende von Jahrzehnten schließlich durch Feldspat, Quarz und Gneis zu Mergel, Lehm und Sand abgebaut wurde und das alles in ganz gewaltigen Schichten, die ebenso mächtig sind wie die Zeiten, welche zu ihrer Bildung nötig waren. Eine große Wassermühle rieb den Granit zu Ton, Mergel zu Sand und ließ dichte Schichten, ein still gebreitet Maß der Zeit, am Boden liegen: die gewaltigste Sanduhr der Welt! Da kam der Abschnitt, da Tier und Pflanze Boden und Nahrung fanden auf dem zersplitterten Gestein. Ungeheure Strecken bekleideten sich mit Urbäumen und gewaltigen Farnen, Moosarten und Schachtelhalmen; wo die Erde unter Wasser stand und wo die See herrschte, bildeten sich Algenpflanzen, Seetange und die Schalentiere, die regneten den Kalkschlamm nieder zu ungeheurer Seitenzahl im Buch der Erde und bildeten einen dicken Band, von dem dein Vater ja so ein paar Blättchen aufgeschlagen hat in eurer Grube. Aber was die Tierchen säten, ist wenig gegen das, was Pflanzenurwald auf dem Lande schuf. Dann wieder stieg einmal das Meer empor, gewälzt von tiefen Faltungen seines Bodens – die Erde schüttelte einmal wieder ihre Bettdecke auf – und Ozeane von Urwäldern sanken schnell in die Tiefe. Sie faulten nicht, sie moderten nicht zu Torf, Moor oder Sumpf, wozu sonst Pflanzliches verwest, sondern sie wurden zusammengepreßt zu einem schwarzen, dunklen Grab der Sonne. Das ist dieser wunderbare Prozeß der reinen Kristallisation des Pflanzlichen und Tierischen, wobei der Kohlenstoff, dieser Kettenring, der alles Leben innerlich hält und bindet, sich immer dichter ineinander fügt und alles Bauwerk, Fett, Wachse, Öle und Säfte mit dem Feuerstoff der Luft langsam entweicht. Verkohlen heißt unter Sauerstoffmangel sich verdichten von dem vielgestaltigen Leben bis zur starren Grabmauer des Lebendigen, der Kohle, zu seiner noch reineren Form Anthrazit und Graphit und endlich zu seiner himmlischen Urgestalt im Kristall, dem Diamanten! Das ist der Rückwärtsweg, den Leben nimmt, einst emporgeblüht aus dem Kohlendiamanten, der des ersten Lebens Zeichen trägt bis zur kleinen Pflanzenzelle und schließlich den gewaltigen Bäumen; so preßt die Faust der Vernichtung das Lebendige durch Erstickung eines Ozeans von Pflanzen, Fischen und Amphibien durch langsamen Raub des Feuergases wieder zurück in ein schwarzes Kristallgrab!
Darüber warf sich wieder der Schnee der Kalktierchen und der Korallen! Inseln tauchten auf aus Korallen; Verwitterung, Verwehung, Verzehrung schafften Mergel, Sand und Ton, und neue Revolutionen der sich im Bette werfenden Mutter Erde wühlten wieder alles durcheinander. Wo einst Meer war, da ist jetzt Flugsand, und Gebirge reckt seinen nackten Geierhals aus dem Gelände auf. Feuerströme von Vulkanen streuen neuen Erdendünger aus ihren Schlammkegeln, die ihre Staubwolken wie Palmenzweige über die Erde breiten. Und Falten rollen auf im Decktuch der Erde, bilden Hügel und Gebirge, die knicken um und brechen ein wie Wellenkämme und kehren oberstes zu unterst. Aber der Kern jeder Falte muß einem Bergmann doch erkennbar bleiben: Granit mit Porphyrströmen vom Vulkan, Basalt und die kristallen erstarrten Fluten der Vulkane; darüber Gneis und Glimmer, Aufschüttungen angeschwemmten und verwitterten Gesteins der Höhen; Senkungen der Meeresschichtungen, der Pflanzen und Tier schüttenden Sanduhr aus Kalk und Kiesel und Kohle – und über allem darüber die Decke der verwehten Trümmer aus allen Reichen, die Spülströme des Baches, der Flüsse, die abgeschwemmte Trümmer der Gebirge zum Meeresgrund führen, und die Stranddünen, die das Meer heranschwemmt. In unsern Breiten darüber aufgeschichtet der Ackerboden, den Pflanze und Bodentier uns fruchtbar machen aus dem angeschwemmten Sand, der dadurch zum Humus wird; dann Moor und Sumpf und Torflager, die ersten Andeutungen des Umbildungsprozesses zu Braun- und Kristallkohle; daneben das Endprodukt des Feldspats (Granit) in Ton und Lehm, der Kieselkalierden – und da hast du, Else, ein buntes Bild der Erde! Sie ist gewesen wie eine runde Baumrinde, die sich im Innern dauernd zusammenzieht. Die Rinde wirft sich, macht Falten und Gebirge, das sind der Erde Becken, Berg und Tal; Regen läuft in den Rinnsalen dem Meere zu, und die Vulkane sind des Feuerwurms Bohrlöcher, der aber in der Erdenrinde stets von innen kommt.«
»Und was will nun der Bergmann in diesem Wirrwarr der Schichten und Schichtenbrüche?« fragte Else.
» Die begrabene Sonne zur Auferstehung zwingen!« rief da Franz. »Nicht Gold, nicht Silberstein und Diamant kann mir genügen! Ich will der Sonne Fessel sprengen, die da im schwarzen Grabe schläft. Die schwarze Witwe soll aufspringen zu unerhörten Taten, ich will einer ihrer Ritter, ihrer Propheten werden!
Denke, wieviel Kraft schläft unter jenen Kohlenwänden! Die tausend Milliarden Pflanzengeisterchen, die einst den goldenen Lebenssaft hinaufpumpten in die Höhen der Riesenschachtelhalme und Sumpfzypressen – sie könnten, zusammen entfesselt und ihrer Ketten ledig, einen Ozean bewegen. Die Spannkraft, die in dem Gefüge der Stämme steckt und die sich nun aufgerollt hat zu einer Riesenuhrfeder mit ungeheurer, schlummernder Gewalt, hat Macht zu Hammerhieben, die Felsen zu Staub zertrümmern und Wege durch ewige Mauern schlagen müssen. Die Glut, die Milliarden von Sonnenäuglein selig tränten, die ihre Lider plötzlich schließen mußten dort in dem unterirdischen Grabe, sie heben sich vereint zu Feuerquellen, die wohl Blitze werden könnten und Lichtströme über und durch den Leib der Erde! – Und welche Feuerwärme schläft in diesen Katakomben! Die heißen Düfte all, die jene Urväter der Linden und der Rosen in sich brodelten und brauten, zu welchen Wohlgerüchen können sie erwachen! Zu welchen Farben könnte diese begrabene Blumenwelt erstehen, welch Segen ruht in ihren Särgen, der Krankheit, dem Fieber und dem Schmerz Halt zu bieten und dem Tod! – Licht müssen sie wieder hervorströmen lassen, die Sonnenstrahlen nachahmen in der Finsternis, um Millionen Händen ihre Schwielen, den Stirnen Runzeln und Schweiß zu ersparen! Die Kraft zu Fahrten über Ozeane, spottend Wind und Wellen – ja, es müßten von dieser auferstandenen Sonne Hauch getrieben, Schiffskolosse ohne Segel gleiten können von Kontinent zu Kontinent – gepeitschter Tiere Muskelqual, der Sklaven ewiger Hackenschlag und Ambostragen wird aufgehoben – von ihrem Odem angetrieben könnten einer Erdenmühle unzählige Hebel klappern und Räder rollen, die Menschen Windeseile geben, und Flügel die sie spreiten, treiben zum seligen Flug durch Luft und Wolken der ewigen Mutter Sonne goldenem Spinnetz näher, immer näher!
Was ist geschürftes Gold, was ist der Wert der Diamanten gegen die eisernen Schmuckgeschmeide fruchtbarer Arbeit, die jene noch tote Riesin in ihrem Kohlengrab fest an sich mit erstarrten Fingern preßt – – – und drum schürf ich einst als freier Bergmann nicht nach Gold, ich will der schwarzen Sonnenwittib Ritter sein und meiner Hacke erster Schlag und letzter sei ein wilder Ruf: »Wach' auf! Die Prinzen kommen dich zu wecken!« Es gilt, das Jahrhundert der Kohle anzuheizen, Else, und ich fühle in mir eine, wenn auch winzige, aber zündende Fackel des Erkennens! Wer weiß, was das noch für ein heiliges Feuer gibt!«
Else war ganz erstaunt über die Halbvisionen des sonst so stillen Franz. Es war schön, wie das Feuer, von dem er eben prophezeite, ihm schon zuvor aus Stirn und Augen wetterleuchtete, wie sich die Locken kräuselten und ringelten vor dieses Feuertopfes Ungeduld und Tatbegier, wie sich die starken Finger krallten zur Mannesfaust, die eine selbstgeformte Hacke griff und nach Siegerkronen langte ohne Scheu und Zittern. – Da sah sie auf Aldebaran – der saß und starrte Franz mit traurigverwundertem Blick an. »Schon gut. Der wird mich bald entbehrlich machen,« flüsterte er. »Kehr' nur zurück auf deinen Stern, mein guter Aldebaran!«
Zu Else aber sagte er, als Franz sich verabschiedete und draußen in der Luft, durch die er stolz dahinschritt, sich die heiße Stirn küssen ließ: »Vertraue ihm immer ganz, Else! Er ist mir ebenbürtig, und ich liebe ihn!« Else aber sagte abends, als sie sich entkleidete: »Der dumme Franz! Wie schön er von seinem Beruf sprach – aber er merkt gar nicht – was er mir für ein Feuerchen ins Herz gelegt! – Was geht ihn das dumme Schwarzwittchen da im Grabe an – das wollen wir doch erst einmal sehen! Gute Nacht, Franz!« Dann schlief sie ein.