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Gutgelaunt winkte der neuernannte Ministerialdirektor Egon von Ingenheim aus dem Kupeefenster des einfahrenden Zuges dem Regierungsrate von Bredow zu, der ihn auf dem Bahnsteig erwartete.
»Tag, lieber Bredow,« rief er schon im Aussteigen, »nett von Ihnen, daß Sie mich abholen. Habe aber auch ein Mitbringsel für Sie. Habe die Freude, Ihnen mitzuteilen, daß Sie zum –«
Jäh brach er ab. »Nanu, Bredow, was machen Sie für ein Gesicht! Ist etwas geschehen?«
»Ich habe leider die Pflicht, Herr Regierungspräsident, Ihnen eine sehr traurige Botschaft zu überbringen.«
Der Baron übergab mechanisch einem herbeieilenden Gepäckträger seine Handtasche. Erst jetzt fiel ihm auf, daß der Diener nicht erschienen war.
»Etwas Dienstliches?« fragte er hastig.
Der Regierungsrat schüttelte schweigend den Kopf.
»Meine Frau!« schrie Ingenheim auf.
»Ein Unglücksfall.«
Die beiden Männer sahen sich sekundenlang in die Augen, dann sank des Barons schwarzer Bart schwerlastend zur Brust nieder. Da schob Bredow seine Hand unter des Präsidenten Arm und stützte ihn zum Ausgang. Die Ingenheimsche Equipage wartete nicht. Bredow rief eine Droschke. Mühsam hob der Baron den schweren großen Körper hinein. Endlich räusperte er sich rauh und fragte: »Wie ist es gekommen?«
Bredow berichtete. Dann hielt der Wagen vor der Villa. Noch immer staute sich die neugierig erregte Menge. Schnell gingen die Herren ins Haus.
In der Diele verabschiedete sich Bredow mit kurzem Händedruck.
An der beileidmurmelnden Dienerschaft vorbei ging Ingenheim stumm in das Schlafzimmer seiner Frau.
Zag nahm er das Leinen von dem entstellten Gesicht und ließ es langsam wieder niedergleiten. Dann ging er hinaus, verhörte den noch immer stammelnden Diener und traf eisenhart die notwendigen Anordnungen.
»Wo ist Paul?« fragte er das Stubenmädchen.
»In seinem Zimmer. Fräulein Lotte ist bei ihm.«
Der Baron ging in das Zimmer seines Sohnes. Er kauerte auf dem Bettrand und sprach mit der Zofe über den Tod. Seine Augen waren vom Weinen entzündet. Als er den Vater sah, begannen die Tränen wieder zu rinnen. Der Baron strich ihm wortlos über das Haar, sagte zu dem Mädchen: »Bleiben Sie bei dem Kinde!« und schritt wieder hinüber in das Totenzimmer. Er setzte sich an das Bett und hob wieder sacht das Laken von dem Gesicht. Nein, in diesem zerschundenen Schmerzensantlitz konnte er die seinen Züge seines Weibes nicht mehr erkennen. Rasch ließ er das Tuch niedersinken.
Und dann saß er lange, lange und hielt Erinnerung. Die zehn Jahre, die sie sein Weib gewesen, schritten an seinem Gedenken vorüber. Und alles Zarte und Feine und Kluge an ihr ward lebendig und wuchs ins Sagenhafte. Und Wehmut kam und tränende Trauer. Nein, so wunderhell war es wohl nicht zwischen ihnen geworden, wie sie es beide damals in dem gelehrten vornehmen Hause des alten van Deelen erträumt hatten. Nein, nein. Sie ist zu weltentrückt gelehrt gewesen, sann der gebeugte Mann. Und er – er wurde ganz klein und schmal in seinem Stuhle – er war zu bodenbreit, zu stämmig, zu allerweltsklug für die Zartheit ihres geistigen Geschmacks und ihre erlesene Weisheit. Nein, so war es nicht geworden, wie sie es beide in ihrer Brautzeit erträumt hatten. Aber – er sah mit nassen Augen vor sich hin – wem reifen alle kirschblütenbunten Brautträume – wem? Gut und ehrlich und treu war es zwischen ihnen gewesen und ritterlich. Jeder wanderte in seinem Lebenskreise, gewiß, aber von Lebenszentrum zu Lebenszentrum wölbte sich eine festgefügte Brücke, auf der sie sich begegneten in gerader chevaleresker teilnehmender Freundschaft. In Rausch und Seligkeit, grübelte der Mann verzagt, ist sie mit mir nicht glücklich geworden. Aber hochgehende, aufschäumende Wellen schlug wohl ihre tiefgründige Natur überhaupt nicht. Doch sanft und lind beglückt war sie in meiner Hut bei ihren Arbeiten und ihren Büchern.
Und seine Gedanken wanderten ab in die Zukunft. Gerade jetzt war sie ihm entrissen, da ihrer die geistige Anregung der Residenz harrte. Und er? Und der Junge? In bebendem Schmerze streichelte er die armen feinen Glieder, die sich marmorn durch das Laken abzeichneten, immer wieder, immer wieder, und das Wasser sprang ihm aus den Augen.
Dann pochte es leise an die Tür. Der Baron trocknete hastig die Wangen und öffnete. Das Mädchen meldete, der Geheimrat Helmholtz sei im Salon und bäte, den Herrn Regierungspräsidenten auf einige Minuten sprechen zu dürfen.
»Helmholtz?« der Baron hob erstaunt den schwarzen Bart. Richtig, morgen war der Termin. Er ging hinunter.
Der Geheimrat stand, den Zylinder wie eine Trauerfahne gesenkt, mitten im Zimmer. Er kam dem Baron mit seinen kleinen trippelnden Schlitten entgegen, reichte ihm die alterszitternde Hand und sagte: »Mein schmerzlichst empfundenes Beileid, Herr Baron.« Und schüttelte trostlos den Kopf mit dem weißen Haarkranz.
Ingenheim deutete stumm auf einen Stuhl und setzte sich.
»Verzeihen Sie,« begann der Geheimrat, »wenn ich Sie aus Ihrem Schmerze mit etwas Geschäftlichem herausreiße. Es eilt nur sehr.«
»Morgen ist der Termin,« schaltete der Baron ein.
»Der Termin wird aufgehoben,« schüttelte der Alte den Kopf, »ich habe mit Herrn Kollegen Doktor Wurm vereinbart, daß wir angesichts dieses Trauerfalls nicht erscheinen.«
Der Baron zog die Brauen empor. »Ja – was eilt dann, Herr Geheimrat?«
»Ich wollte die Vergleichsverhandlungen nicht ohne Ihre Ermächtigung beginnen, Herr Regierungspräsident.«
»Vergleichsverhandlungen? Welche Vergleichsverhandlungen?!«
»Es erscheint mir das Wichtigste,« sprach der Geheimrat und faltete die mausegrauen Handschuhe, »dem Gegner so schnell als möglich entgegenzukommen.«
Die Lider des Barons zuckten nervös. »Ich verstehe Sie gar nicht, mein lieber Geheimrat,« sagte er belästigt.
Der Geheimrat hob mit einem schnellen Ruck das erdwärts gebeugte Gesicht und fixierte den Baron scharf durch die Brillengläser. »Ja,« fragte er langsam, »glauben Sie denn an einen Unglücksfall?!«
Ingenheims Kopf schnellte zurück – die Männer starrten sich in die Augen – dann umklammerten des Barons Hände die beiden Seitenlehnen des Empirestuhles, daß sie brachen wie Rohrstiele; die Augen rissen sich auf, daß das Weiß darin aufglänzte, ein heller Schrei drang aus dem weit geöffneten Munde, kurz, furchtbar, stark, wie das Aufbrüllen eines losbrechenden wilden Tieres.
Die Blicke des Alten senkten sich schwer zu Boden. Er hörte es in dem Stuhl vor sich ächzen und knarren, als wenn ein Mensch sich bäumt im Sterben. Des Alten Blicke blieben am Boden. Beim Sterben kann keiner dem andern helfen. Auch nicht beim blutigen Verröcheln der letzten Illusion. Es stöhnte, brodelte, rasselte, knisterte in dem Stuhle, die Holzstäbe der Lehnen polterten ratternd zur Erde. Des Alten Blicke blieben am Boden. Dann pfiff es, fahl und hohl, aus Ingenheims Lunge: »Sie – Sie glauben –? Das ist – das ist Wahnsinn! –«
Ohne aufzusehen, sprach der Geheimrat: »Es ist nicht nur meine Meinung. Herr Kollege Wurm, mit dem ich eine längere Konferenz hatte, äußerte die gleiche Ansicht. Auch Herr Seebeck teilt sie.«
»Nein – nein!!« Das war eine verzweifelte, grell aufschlagende Flamme. Der Alte hob den Kopf. Des Barons Finger tasteten um seine behaarte Kehle. Der Alte wartete. Der Oberkörper des großen Mannes bog sich in Qualen vor, daß die Brust auf den hochgelichteten Knien lag. Und vor sich hin zischelte er: »Das ist Wahnsinn – das ist Wahnsinn.«
Der Alte schwieg. Langsam, ganz langsam schlug der Oberkörper zurück, der Baron lag verfallen im Stuhle. Ein alter, zerbrochener Mann. »Das ist Wahnsinn!« flüsterte er irre. Plötzlich kroch er mühsam aus dem Sessel und schleppte sich zur Tür.
»Darf ich fragen, was Sie beabsichtigen, Herr Baron?« hielt der Geheimrat ihn besorgt zurück.
»Den Diener noch einmal hören,« lallte er mit schleifender Stimme.
»Ich würde raten, davon Abstand zu nehmen. Wir müssen alles vermeiden, was Aufmerksamkeit weckt. Ich bin überzeugt, der Gegner wird heute, erschüttert von dem Unglück, wie er ist, bereitwillig auf alles eingehen, was wir vorschlagen. Ich würde darum raten, alle bindenden Erklärungen heute zu tauschen, ehe die milde Stimmung weicht. Die strikteste Verpflichtung zur Geheimhaltung scheint mir zur Ehrenrettung der Verblichenen unumgänglich notwendig. Zum Glück hat die Presse anscheinend noch keine Kenntnis von dem schwebenden Prozeß.«
Der Baron machte halt an der Tür. »Ich glaube es nicht,« biß er sich in seinen aufkeimenden Zweifel hinein, »ich glaube es nicht. Es ist unmöglich.«
Der Geheimrat schwieg, Entschlüsse heischend. Ingenheim wischte mit beiden Händen über das Gesicht. »Ich kann Ihnen jetzt keinen Bescheid geben. Es kommt zu plötzlich. Sie müssen mir Zeit lassen. Ich kann jetzt nicht.«
Unschlüssig stand der Alte. »Die Zeit drängt leider sehr. Wenn Herr Seebeck heute plaudert, weiß es morgen die ganze Stadt.«
Der Baron schloß die Augen und schwankte wie ein pendelndes Brett. »Ich glaube es nicht,« flüsterte er wieder. »Ich muß überlegen. Ich klingle Sie nachher an. Oder komme zu Ihnen.« Er gab ihm die Hand, ohne die Augen zu öffnen. »Es ist unmöglich, Herr Geheimrat. Die Frau hatte keinen Grund zu solcher Tat.«
Stumm ging der Geheimrat aus dem Hause, altersmatt, gramgebeugt und kopfschüttelnd. Hätte der Baron doch damals auf seine Warnungen gehört! Dann brauchte das junge Weib nicht zerschmettert dort oben zu liegen und der Mann sich jetzt nicht die Stirn einzurennen an der grausamen Gewißheit.
Der Baron ging in dem Salon auf und nieder und flüsterte unablässig vor sich hin: »Nein, nein.« In seinem Verstande aber rauften sich die Zweifel. Der erste Hinweis hatte sie geweckt. Er hatte es von Anbeginn nicht gefaßt, daß die Stute durchgegangen war, sich aber der grimmen Unabänderlichkeit ohne Grübeln gefügt. Jetzt fauchten die Zweifel. Die Stute war ein wenig nervös, rassig. Aber sie ging nicht durch. Sechs Jahre ritt Manja sie. Sie ging nicht durch. Gerade heute, am Tage vor dem Termin! Just auf der Sankt Annenhöhe vor der gefährlichen Kurve.
Die Zweifel tobten in seinem hellen Verstande. Er klingelte dennoch dem Diener.
»Erzählen Sie noch einmal, wie es gekommen ist!« herrschte er ihn an.
Erschreckt fuhr der arme Bursche zusammen. Und stockend berichtete er wieder, wie die Baronin galoppiert sei, und plötzlich sei die Stute durchgegangen, die Baronin konnte sie nicht halten und geradeaus über die Steinwand sei sie geflitzt.
»Hat irgend etwas das Tier erschreckt?« fragte Ingenheim mit dunkeldrohenden Falten an der Nasenwurzel.
»Daß ich nicht wüßte, Herr Baron. Da war nichts, was sie erschrecken konnte.«
»Begreifen Sie, daß die Stute durchgegangen ist?«
»Nein, Herr Baron, das ist mir unbegreiflich. Bißchen unruhig war sie ja manchmal. Aber 'n Durchgänger? Nein.«
»Es ging gleich so schnell, daß Frau Baronin das Tier nicht halten konnte?«
»Erst ging's im gewöhnlichen Galopp. Und da muß Frau Baronin wohl die Kontenance verloren haben und hat der Stute furchtbar den Sporen reingeschlagen, das konnte ich noch deutlich sehen. Dann war's denn vorbei.«
»Danke, Jean.«
Als er allein im Zimmer war, drehte sich der Baron langsam um seine Achse. Dann sank er in einen Stuhl. Sie hatte den Sporn gegeben – im Galopp den Sporn gegeben! Sie, die nie den Sporn brauchte. Nie ihn nur als ritterlichen Reiterschmuck trug. Die Kontenance verloren! Manja, die besonnene Manja, die beste Reiterin, die er je gesehen, bei einem gewöhnlichen Galopp die Kontenance verloren!
Er stand auf. Kalt, ruhig, ein beherrschter Edelmann. E ging zur Tür. Zögerte. Es war doch Wahnsinn. Es gibt Unmöglichkeiten in Charakteren. Es war doch Wahnsinn. Die Hand, die auf der Türklinke lag, fiel überlegend herab. Sie wußte ja auch nicht, daß morgen der Termin war. Woher sollte sie das wissen! Es war doch Wahnsinn. Sein Weib ehebrechen! Dieses stolze, selbstgewisse, kühle Weib. Es war trotz allem ein Unglücksfall, eine dieser unseligen Unheilsverkettungen, vor denen das Hirn ohne Begreifen steht.
Aber jetzt ging er erst recht. Das war er dem Andenken seines Weibes schuldig. Mit Fabers Ehrenwort wollte er vor diese Rotte der Zweifler hintreten und sie niederschmettern mit dem Donnerkeil dieses Wortes. Das war er dem Andenken seines Weibes schuldig. Energiebeseelt schlug er die Adresse im Telephonbuch nach, rüstig verließ er das Haus.
Als der Regierungspräsident gemeldet wurde, war es wie ein ruhiges Sinken in Fabers Brust. Das wie Wetterstrahl in sein Begreifen einschlagende Erkennen: jetzt schwingt die Schicksalsstunde deines Lebens, gab ihm die eherne Ruhe und tapfere Festigkeit, die Helden schafft. Ohne Staunen, ohne Zagen trat er dem Baron entgegen.
Weltmann, wie immer, begrüßte ihn Ingenheim. »Guten Tag, Herr Professor oder vielmehr Hofrat. Ich habe die Freude, Ihnen die Ernennung zu bestätigen.«
Faber neigte kaum den Kopf.
»Sie werden sich wundem, mich heute hier zu sehen.«
Faber deutete auf einen Stuhl. Er hatte das Gefühl, er müsse irgend etwas Bedauerndes über Manjas Tod sagen. Doch wie ein Riegel sperrte es die Kehle. Der Mann dort war trotz seiner gesellschaftlichen Liebenswürdigkeit nicht gekommen, Höflichkeitsphrasen zu tauschen.
Der Baron setzte sich: »Sie haben gewiß von dem Unglück gehört?«
Faber nickte.
Erschreckt über die Starrheit des Mannes fuhr Ingenheim schneller fort: »Der Zweck meines Kommens ist ein sehr peinlicher. Sie wissen, daß der Termin in dieser leidigen Privatklagesache morgen stattfinden sollte.«
Faber bewegte kein Glied.
»Dieser Unfall am Tage vor dem Termine, in dem im Fall einer Schuld schwer kompromittierende Dinge zur Sprache gekommen wären, erregt Verdacht. Ich betone von vornherein, Herr Hofrat, nicht den meinigen. Ich kenne mein armes Weib – ich habe die Ehre, Sie zu kennen.«
Faber sah unbeweglich.
Dem Baron ward der tote Mann mit den Fieberaugen unheimlich.
»Aber,« stemmte er sich weiter, »es sind doch erhebliche Zweifel an der Zufälligkeit dieses Unglücks auf. getaucht. Bei ernsten Männern. Mein Anwalt, Geheimrat Helmholtz, durch und durch ein Muster von Ehrenhaftigkeit, hat mir seinen Verdacht rund heraus ausgesprochen.«
Er schwieg und sah dem Professor scharf in die Augen. War der Mann über den Tod seiner Freundin von einst so erschüttert? War es eine andere Phase der Unbeholfenheit, die er neulich abends offenbart hatte? Oder – ? –
Dem Baron schlug die Pulsader im Halse gegen den Kragen, daß es schmerzte. Der Mann saß unbewegt mit aufreizend verschwiegener Stirn.
»Ich halte es für meine Pflicht,« sprach der Baron heiser und hatte alle Sicherheit verloren, »solchem Verdacht im Interesse der Toten auf das entschiedenste entgegenzutreten. Ich gebe zu, es spricht manches für die Annahme, daß etwas Gewolltes vorliegt – wenn man die Frau nicht gekannt hat. Ich habe mich daher entschlossen, mich an Sie, Herr Hofrat, zu wenden.«
Er schwieg und sah dem Manne auf die Stirn.
»Was ist es also, das Sie von mir verlangen?« fragte der Professor. Die Worte fielen wie Kiesel in einen tiefen Brunnen.
»Ich bitte Sie – ich wiederhole, Herr Hofrat, ich habe nicht eine Sekunde lang dem Gerücht ernsthaft Glauben geschenkt. Ich frage Sie nicht um meiner Ruhe willen. Ich frage Sie allein um der Ehre der Toten: Hatte meine Frau Anlaß, den morgigen Termin zu fürchten?«
Ohne Zeichen seiner stürmenden Pein saß der Baron aufrecht im Stuhle.
»Ja,« sagte Faber und stieß seine Blicke wie Messer in die Augen des Präsidenten.
Dem Baron riß etwas in der Brust. Es war ein heißer blutsprudelnder Schmerz, als habe die große Schlagader sich vom Herzbeutel losgerissen.
Das Denkvermögen schwand auf Sekunden, das aufwirbelnde Blut ertränkte das Gehirn. Ein Schwindel bog den Kopf hinten über. Dann stand der Mann. Grün schimmerte die Stirn über dem schwarzen Bart. Er preßte die Lippen aufeinander, daß eine tiefe Rinne um den Mund sich einkerbte. Zwischen den malmenden Zähnen drangen die Worte gewölbedumpf hervor: »Soll ich das so verstehen, daß mein Weib Ihre Geliebte gewesen ist?!«
Auch Faber stand. »Meine Geliebte ist sie nicht gewesen,« sagte er fest, »aber ich hätte nicht unter meinem Eide sagen können, daß sie mir niemals mehr gewesen ist als eine Freundin.«
»Ich bitte um eine deutlichere Erklärung!« Dunkle Drohung zerknitterte des Barons Stirn.
»Damals in Norderney,« sprach Faber und ließ kein Auge von dem Manne vor ihm, »als Sie fortgereist waren, war es. Vierzehn Tage blieben wir noch. Nichts hat sich in unseren Beziehungen geändert. Am letzten Tage ist es geschehen.«
»Was? Ich bitte um Klarheit.« Das kam heftig und barsch.
Da wirbelte auch den Professor der Zorn. »Mein Blut ist mit mir durchgegangen!« schleuderte er dem andern vor die Füße.
»Soll ich das so verstehen, daß Sie mein Weib überfallen haben?«
»Verstehen Sie es so!« Die Backenknochen traten weiß aus dem gebräunten Gesicht.
Der Baron trat einen Schritt vorwärts. Faber nahm ihn noch eiserner in die Augen, ohne sich zu rühren.
»Sie haben sie überfallen wie ein Strolch!« Die Hände ballten sich zu knochenharten Klumpen – gingen empor – öffneten sich zu mordgierigen Krallen. –
»Lassen Sie das!« Faber stand wie eine gefährliche Pause im Sturm. »Ihr Weib trägt keine Schuld. Mehr habe ich nicht zuzulassen.«
Der Baron sah hundert spitze Lichter vor seinen Augen. Im Kopf brauste ein orkangepeitschtes Wintermeer. Sie hatte ihm nichts gesagt, weil sie geschändet war. Weil sie sich ihres Körpers schämte, den dieses Tier da besudelt hatte. Sie hatte den Kerl da wie einen Hund, der plötzlich seinem Herrn tollwütig an die Kehle springt, von sich geschleudert. Jetzt wußte er, warum, jetzt wußte er es.
Und noch jetzt, nach so vielen Jahren, hatte sie sich in ihrem überzarten Weibtum ihrer Schändung geschämt, vernichtend geschämt, daß sie sterben mußte, ehe er die Schmach ihres Leibes erfuhr. Hochauf sprühte ein furchtbarer Gedanke.
»Hat meine Frau in den letzten Tagen mit Ihnen gesprochen?«
Er ließ die Hände sinken.
»Ja.«
»Hat sie von Selbstmord gesprochen?«
»Ja.«
»Und Sie haben –!« Der Baron schaukelte aus den Sohlen.
»Ich wollte – Ihnen alles bekennen. Damals, als ich wegen der Berufung bei Ihnen war. Sie ließen mich nicht zu Worte kommen,«
»Was?!« Der Baron bohrte den Kopf vor wie ein zustoßender Stier.
»Sie haben mich nicht zu Wort kommen lassen. Sie haben nur von der Berufung gesprochen. Glauben Sie, ich wäre hier geblieben, ohne Bedingungen zu stellen? Sie haben mich an jenem Abend für einen Tölpel gehalten. Jawohl, das haben Sie!« Sein Haar sträubte sich vor Grimm.
Da kam Ingenheim noch näher an ihn heran, daß ihre Kleidung sich streifte, die Äderchen in seinen Augen waren dick von Blut wie roter Kordel. »Das – das wagen Sie zu sagen! – Sie sind nicht zu Wort gekommen? – Wenn Sie es hätten sagen wollen, hätten Sie nicht Zeit gefunden?!«
Blitzschnell umkrallte er Fabers Kehle. »Sie feiger Lump – Sie! – Sie haben mein Weib sterben lassen, um sich zu retten.« Auch die andere Hand packte zu.
Da umfaßten Fabers Hände seine Gelenke. Mit blutigen Hautfetzen riß er die Finger von seinem Halse. Keuchend rangen die beiden starken Männer. Ihr Atem dampfte ihnen ins Gesicht, ihre Augen versengten sich. Vergeblich wandten sich des Barons Gelenke in Fabers Fäusten.
Der Professor trat zurück und gab den andern frei.
Da spie der Wilde, der tief im Grunde dieses altadeligen Barons lauerte, das Wort: »Meuchelmörder!« mitten ins Zimmer, ging hinaus, ließ die Stubentür weit offen, riß den Hut von dem Halter und schmetterte die Entreetür ins Schloß, daß die Glasfüllung in Stücken niederregnete.