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XVIII.

Lange mußte Professor Faber im Dunkel der Bäume einherlaufen, bis er die Herrschaft über sich soweit errungen hatte, daß er in gefaßter Männlichkeit vor sein Weib treten konnte. Doch ihre liebesscharfen Augen schauten durch die bleiche äußere Ruhe hindurch in die darunter zuckende Verstörtheit.

Aber sie sagte nur hausmütterlich: »Wir wollen gleich essen, Fritz. Du wirst hungrig sein. Ich habe mit dem Abendbrot auf dich gewartet.«

Und als sie einander gegenübersaßen in dem einfriedend-kleinen Eßzimmer, erzählte sie von all den lieben Nichtigkeiten ihres häuslichen Abends. Der Oberst war dagewesen und hatte sich auf der Erde mit Seiner Niedlichkeit, Herrn Bob, herumgewälzt und Seine Winzigkeit hatte bei der Abendwäsche ganz bestimmt »Papa« gesagt, ganz bestimmt. Es war kein zufälliges Lallen gewesen, nein, ein geistig bewußtes Papasagen. Und Helene hatte vom Laboratorium aus angeläutet und gefragt, ob sie nun endlich der Vernunft und München entgegengingen. Das und vieles andere erzählte sie wichtig-heiter. Doch davon schwieg sie, daß sie lange auf seinem Sessel am Schreibtisch gesessen und das Manuskript seines neuen Werkes über Greco gestreichelt und so weh bewegt an ihn gedacht hatte.

Ihre Altstimme strich wie balsamische Kühlung über die wunde brennende Erniedrigung in seinem Gemüte und linderte den Schmerz, der physisch in der Brust wie eine blutende Ader klopfte. Die hohen schwarzen, seine Selbstachtung einkerkernden Wände wichen. Und plötzlich verloren die Dinge ihr finsteres würdeloses Gesicht. Er war ja ein Narr! Es war ja alles nur überhitzte Empfindlichkeit. Was war ihm denn Demütigendes zugestoßen?

Hatte Ingenheim denn überhaupt das Bewußtsein einer Übertölpelung! Die einstürmenden Ereignisse des Tages hatten seine Nerven überreizt, er sah Gespenster. Wirr, begreiflich menschlich wirr, war er gewesen, weil alle seine Gedanken sein Bekenntnis umkreisten.

Mitten in Sophiens anmutiges Geplauder hinein schnitt er mit der Auskunft: »Wir bleiben hier, Fieze.«

Sie hatte die ganze Zeit über auf seine Mitteilung gewartet. Ruhig stand sie auf, knisterte mit den frischen Leinenröcken zu ihm hinüber, geriet irgendwie hinter seinen Stuhl, beugte sich über die Lehne, schlang die Arme unter sein Kinn, beugte sein Gesicht zu sich hinauf und küßte ihn innig auf den Mund. »Gut ist dein Entschluß,« summte sie an seinen Lippen, »weil es ein Entschluß ist. Das ist ja nun wie der Beginn eines neuen Lebensabschnittes.« Und ihre Wange in Feierlichkeitsscheu an seine Backe schmiegend, segnete sie mit Flüsterworten: »Es soll zum heil und Glück sein, mein Junge, für dich, für dein Lebenswerk, für deine Schüler, für deine Kinder und –« sie lächelte hold – »für mich.«

Da arbeitete der glücksverwöhnte Lebensbezwinger in ihm sich trotzig und kraftvoll heraus aus den moorigen Untiefen, die dieser schwere Tag in seinem Dasein aufgedeckt hatte. Wie es kam, wußten sie beide nicht. Sie saß mit einem Male auf seinen Knien, seine Arme umspannten stark und innig ihren schlanken Leib, sein Mund feierte an ihren feuchten Lippen die Auferstehung seiner Mannhaftigkeit. »Ja,« stürmte er mit knatternder Lebensfackel in die Zukunft, »ein Glück soll es uns allen sein! Ein Glück, das die Arbeit und das Leben lohnt.« Und in ihm schrie eine Kraft: »trotz alledem!« Ja, trotz all der Not, die draußen vor der Tür stand. Niederzwingen wollte er sie, den Mann in ihm ihr beheizt entgegenstellen und ringen um das Glück für das Weib in seinen Armen, für seine Kinder in ihren weißen Traumbetten, für all die Jugend, die verehrend und nacheifernd zu ihm emporblickte, für seine schönheitsblühende Wissenschaft, für sein reiches tatenfrohes Leben. Und er küßte sie lebensdurstig und trotzend dem Tode, immer wieder, immer wieder, und trank von ihrem Munde und ihrem Odem seine alte junge brausende Kraft zum Glück.

Und als sie dann wieder ihm gegenübersaß, lockenzerzaust und liebesheiß, gestand er wie ein Junge, der einen übermütigen Streich beichtet: »Bedingungen habe ich aber nicht gestellt.«

Sie lächelte: »Das habe ich mir gleich gedacht.« Und ernst bedauernd fügte sie hinzu: »Du hättest eine Erhöhung deines Gehaltes –«

»I!« lachte er in seiner gewohnten burschenfröhlichen Art und zeigte die prachtvollen starken Zähne, »bin doch kein Erpresser. Wenn ich es jetzt in Ruhe und Frohsinn bedenke, ist es gut so. Bin kein Wissenschaftströdler. Entweder ich bleibe, dann bleibe ich, weil ich hier mein Ackerfeld bestellen will. Oder ich gehe. Schachern – nein, das liegt mir nicht!«

»Du bist ein Kind!« lachte sie, ein wenig strafend und sehr stolz.

»Im übrigen nannte der Regierungspräsident mich ostentativ ›Herr Hofrat‹. Ich bitte dich, dich also hofrätlich zu präparieren.«

»Werd' ich,« rief sie und die Mädelausgelassenheit hatte sie an den braunen Zöpfen, »mache dir den Hof und küsse dich – redlich.« Und ehe er sich noch mit einem »Au« über ihren Kalauer Luft machen konnte, saß sie wieder auf seinen Knien und erfüllte ihre Verheißung – sehr redlich.

Und dann hatten sie ihren ›schönen‹ Abend, wie sie es nannten. Die Zeit nach dem Abendmahle gehörte stets seinem Weibe. Sie saßen im Musikzimmer: Fieze am Bechstein, und er hinter ihr im Dunkeln. Sie konnte nicht spielen, wenn er ihr ins Gesicht sah. Und wenn es dann in ihm zu klingen begann, ging er leise zu dem schwarzen Holzkasten: hellauf klirrten die Schlösser, sein liebes Cello leuchtete goldbraun aus den grünen Polstern. Und dann begleitete sie ihn hinaus in das Land der weltentrückenden, himmelöffnenden Klänge.

In dieser Nacht schlief auch Professor Faber wie Manja von Ingenheim tief und sorgenfrei. Dann kam ein neuer schwerer Tag.

Ruhig und alltäglich setzte der Morgen ein. Faber war Frühaufsteher. Seine fruchtbarste Arbeitszeit lag im Tagesgrauen. Morgenfrisch ging er in seinem Zimmer einher und überdachte die nächsten Kapitel seines Werkes über Greco. Die dräuende Wolke an seinem Lebenshorizont versuchte seine Gedanken aufzusaugen. Hart fing er die Ausreißer ein. Jetzt war Arbeitszeit. Nicht die Tagesordnung stören lassen! Heute nachmittag ging er zu Ingenheim und rettete Manja. Dann kam das Duell – nun ja. Auch das würde zu überstehen sein. Er war oft genug als Student unter schwersten Bedingungen angetreten. Auch auf Pistolen, noch als junger Dozent in Berlin, als die Intrigen eines neidischen Kollegen ihm die Waffe in die Hand zwangen. Was weiter! Deswegen sollte sein Tagewerk nicht leiden. Uns Leben braucht es nicht gleich zu gehen. Und wenn! Dann war es wie ein Ziegel, den der Sturm vom Dach riß und ihm auf den Schädel schlug. Ein Mann denkt an die Arbeit, nicht an die Gefahr.

Er bändigte die flatternden Gedanken und dachte an Grecos Lebenswerk. Als um acht Uhr seine Sprechstunde rief, war er arbeitserhitzt, heiter und froh des Beratens.

Diese Sprechstunde war im Anfang seiner Lehrtätigkeit nichts anderes gewesen als die übliche Sprechstunde jedes akademischen Lehrers, eine bestimmte Zeit, zu der er außerhalb der Universität seinen Hörern zur Besprechung der Dissertationen und anderer akademischen Dinge zur Verfügung stand.

Sie war aber im Laufe der Zeit zu einer Beicht- und Beratungsstunde der akademischen Jugend geworden. Ganz allmählich und ganz natürlich war die Entwicklung gekommen. Erst nahte der eine, der zu dem Manne mit der hinreißenden Menschlichkeit auf dem Katheder Zutrauen gefaßt hatte, mit einer kleinen Sorge, deren Bannen er von diesem Professor erhoffte, der immer das kraftvolle Bezwingen des Geschicks so stark betonte. Und dann kam ein zweiter und ein dritter. Es sprach sich herum. Und heute wußte es das jüngste Semester jeder Fakultät, daß der Professor der Kunstgeschichte und der Menschlichkeit ein stets bereiter, immer verstehender Berater in aller jungen Not des Lebens war.

Diese frühe Sprechstunde, die Faber zweimal die Woche hielt, war ihm die freudigste Betätigung. Reicher an kraftvoller Einwirkung noch als das Entflammen vom Katheder aus, eindringender als die Begeisterungsentfachung im Seminar. Hier griff er mit beiden Händen, wie ein Bildhauer in feuchten Ton, hinein in die weiche, noch bildungsfähige Masse, aus der Männer geknetet werden. Und das wußte Fritz Faber sehr wohl, daß es nicht das schlechteste Material war, das ihm in diesen Beichtstunden in die Künstlerhände kam.

Der erste, den Faber sich heute aus dem Wartezimmer jenseits des Flures herüberholte, war der schmucke Fuchsmajor seines Korps.

»Brav, Lieber,« gab er ihm ermunternd die Hand und wußte, was den jungen Hanseaten zu ihm führte.

Erstaunt fuhr der blonde Kopf in den Nacken. Faber lächelte. »Nanu, erschrick nur nicht! Du willst über deine – Beziehungen zu – jener Dame sprechen, mit der ich dich getroffen habe.«

»Ja, Professor,« bekannte der junge Mensch.

Faber strich ihm sacht, fast liebkosend über die Schulter. »Brav, Junge! Wußte, daß du meine Mahnung neulich abend bei euch verstehen würdest.« Und sehr ernst werdend, warnte er: »Nur die Finger aus fremden Ehen halten!«

»Es ist – rein platonisch,« wagte der Student.

Faber machte eine heftige Bewegung mit der Rechten durch die Luft: »Lieber, glaub' mir, es ist immer – rein platonisch.«

»Nein, Professor, es ist so. Mein Wort darauf! Sie ist so einsam in ihrer Ehe. Der Mann hat nur Sinn für sein Geschäft. Ich bringe ihr – es klingt überheblich, Professor, aber du wirst es verstehen, etwas Geistiges bringe ich ihr ins Leben.«

Der Professor bot dem jungen Platoniker eine Zigarre.

»Setz' dich!« wies er auf einen Stuhl, »wir wollen es in Ruhe besprechen.«

»Es ist schon sehr voll drüben,« hob der Student bescheiden das Kinn in der Richtung des Wartezimmers.

»Laß! Jeder kommt dran. Jede Sache hat ihre unaufschiebbare Wichtigkeit. Und nun höre einmal zu, mein Junge, und glaube mir, ich spreche aus bitterster Lebenserfahrung, hörst du? Ich rede nicht das Blaue vom Himmel, sondern etwas Schwarzes der Erde. So, wie du es da schilderst, fangen alle diese Dinge mit verheirateten Frauen an. Ein bißchen gröber, ein bißchen zarter, je nach der Anlage des Mannes und des Weibes, in der Sache selbst immer gleich. Eine Zeitlang bleibt es auch bei dem ›Geistigen‹. Dann kommt etwas Zartes hinein, wenn der Mann so ist, wie du, mein lieber Lorenz, und eines Tages ist die Stimmung lind und heiß und elektrisch gespannt, und deine junge Manneskraft fordert selbstvergessen ihr Recht. Laß, ich weiß alles, was du entgegnen willst! Man ist kein Tier, man hält die Frau und die Rechte des andern heilig. Ich weiß, ich weiß. Lieber Junge, das glauben wir alle. Alle sind wir berauscht und seelenduselig in diesen Selbstbetrug hineingerannt. Alle.«

Der junge Mensch blickte zu Boden, ohne sich zu rühren. Zum ersten Male hörte er einen bitterwehen Unterton in des geliebten Lehrers metallfester Stimme. »Und dann,« fuhr der Professor fort, »dann wird es eine schwere eiserne Kette, die man durchs ganze Leben schleift. Nie reckt man wieder frei die Glieder. Nie kommt der Frieden. Läßt man sich unter seinem erkämpften Glücksbaum im Lebenshaine nieder, breitet die Arme aus, die niederrieselnden Blätter aufzufangen, – plötzlich klirrt ehern die Kette auf und scheucht dein Glück und deinen Frieden.«

So schmerzerfahren hatte er gesprochen, daß der Student jäh die Stirn hob. Des Professors Augen waren weit geöffnet und hingen ohne Glanz irgendwo in der Ferne. Nie hatte der junge Mensch ihn so gesehen. Nie hätte er gedacht, daß diese leuchtenden Glücksaugen so gramverloren trauern könnten. Im Tiefsten erschüttert stand er auf, gab dem Professor wacker die Hand und sagte: »Ich danke dir, ich werde heute mit ihr brechen.«

Da riß sich Faber in die fordernde Stunde zurück. Warm hielt er die junge nervige Schlägerhand. »Brav!« nickte er. Und in seiner alten hinreißenden Herzlichkeit fügte er bei: »Donnerdoria, Fuchsmajor, es gibt doch Mädel genug. Was brauchst du deine Jugend an altes Holz zu hängen? Geh' zu deinesgleichen! Junge Füße klimmen mit dir zu begeisternden Höhen. Alte Beine halten dich in modrigen Niederungen.«

Noch ein gelobender Händedruck, dann waren sie im Korridor, und Faber ging zurück in sein Arbeitszimmer, einen schüchternen blassen Knaben in entwachsener dürftiger Kleidung vor sich herleitend.

»Bitte, setzen Sie sich!« bot er dem armen Bedrückten den Sessel an, den der blitzblanke Hamburger Patriziersohn soeben verlassen hatte. Scheu hockte er auf der Stuhlkante nieder.

»Sie waren schon einmal bei mir,« suchte Faber in seinem Gedächtnis. »Ja, Herr Professor,« der Schüchterne schnellte auf wie eine Uhrfeder, »zu Beginn des Semesters hatte ich mir erlaubt –«

»Richtig.« Da hatte Faber es. »Sie wollten damals mein Kolleg über attische Kunst belegen.«

»Ja, Herr Professor,« stotterte er eifrig.

»Nun, haben Sie etwas daraus nach Hause getragen?« lächelte er.

»O, Herr Professor,« schwelgte der bleiche Junge enthusiastisch, und seine schwarzen Augen leuchteten auf, »o!«

»Und was führt Sie heute zu mir? Aber setzen Sie sich doch!«

»Ich,« er schwebte wieder auf der Stuhlecke – »ich – Herr Professor haben mir damals gütigst das Kollegiengeld erlassen –«

»Ja doch. Sprechen wir nicht davon!«

»Ich wollte am Ende des Semesters den Betrag nachzahlen.«

»Aber lassen Sie doch!«

»Ich habe gespart und gespart, Herr Professor. Meine Mutter ist Witwe. Ich sagte es damals dem Herrn Professor –«

Faber nickte.

»Wir sparen, so sehr wir nur können.«

»Was studieren Sie?« fragte Faber.

»Naturwissenschaften. – Ich möchte so gern etwas darin erreichen,« fügte er bescheiden errötend hinzu.

Faber blickte sehr einst.

Da legte der blasse Junge mit zitternden verschämten Fingern Silber- und Nickelgeld auf den Tisch. »Es sind nur siebzehn Mark fünfundzwanzig Pfennige,« gestand er rotglühend. »Den Rest will ich bitten, mir noch einige Zeit zu stunden.«

Da stand Faber. All seine Liebe zur Jugend blühte farbenbunt in ihm auf. Beide Hände legte er zart wie eine Frau auf die schmächtigen Schultern des armen Burschen.

»Lieber Junge,« sagte er, und die Worte träuften von überquellender Güte, »nehmen Sie das Geld! Was fällt Ihnen ein! Ich bin doch kein Händler mit Wissenschaft. Daß die, die es zahlen können, Opfer für ihre Bildung bringen, ist gerecht. Aber Ihr Magen soll nicht Ihre Wissensbegeisterung zahlen. Sie sind ein Prachtkerl, daß Sie sich das Geld für Kollegien vom Munde absparen, die nicht in Ihr Spezialfach schlagen, die Sie nur aus Liebe zur Schönheit besuchen. Doch glauben Sie mir, wir Professoren sind solcher Hörer würdig! Wir Professoren sind wie rinnende Brunnen am Marktplatz, an denen jeder Wanderer seinen Durst nach Genügen stillen darf. Nehmen Sie das Geld an sich!«

Der Student zögerte.

Da legte Faber die Hand unter sein spitzes Kinn und hob das Gesicht zu sich empor. Tiefe schwarze brennende Forscheraugen glühten in dem darbenden Antlitz.

Ganz zag sprach der Professor. »Wie heißen Sie doch?«

»Fritz Salomon.«

»Sie sind mein Namensvetter,« lächelte Faber. »Aber darüber hinaus sind wir Brüder im Ringen um Erkenntnis.«

»O,« wehrte verlegen der Student.

»Doch!« beharrte Faber. »Und nun, mein lieber Bruder in litteris, wollen Sie mir eine ehrliche Freude bereiten?«

»Gern, Herr Professor,« flammten die Feueraugen auf. Ganz still gefügig hielt er noch immer das Gesicht in des Lehrers Hand.

»Dann zeigen Sie mir, daß Sie die Größe Ihres Forschertriebes haben! Glauben Sie, Ihr Körper und Ihr Geist ist großen Anstrengungen gewachsen, wenn beide schlecht ernährt werden?«

Faber fühlte das Blut siedend unter seinen Händen zur Höhe rauschen.

»Brauchen sich nicht zu schämen, Fritz Salomon. Ihre Armut ehrt Sie, lieber Freund. Also: Sie gestatten mir, Ihnen bis zur Beendigung Ihrer Studien zu helfen –«

»Nein,« riß er sich los, »nein, Herr Professor!«

»Das schmerzt mich,« sagte Faber traurig.

»Das soll es nicht, Herr Professor, aber –«

»Was aber? Erlaubt es Ihr Stolz nicht? Trauen Sie mir zu, daß ich Ihren Mannesstolz beugen will?«

»Nein, Herr Professor. Aber wie kann ich – ein ganz Fremder –«

»Fremder?« lächelte Faber. »Haben wir nicht eben noch unsere Geistesbrüderschaft festgestellt? Im Ernst, lieber Junge. Die paar hundert Mark kann ich vorläufig entbehren, Sie aber nicht. Was nützen alle Ihre schweren entbehrungsbitteren Studienjahre, wenn Sie als entkräfteter Mensch nachher ins Leben treten. Sie werden sich durchringen – in Ihren Augen liegt die Verheißung – und wenn Sie was geworden sind, dann kommen Sie eines Tages her und geben Sie mir alles zurück! – Wollen Sie?«

»Sie sind so – gut, Herr Professor. Ich möchte aber erst meine Mutter fragen.«

»Ehren Sie Ihre Mutter in anderer Weise! Das hier ist Mannessache. Also – abgemacht!«

Da kam eine tränenschimmernde Dankbarkeit über den armen Jungen. Er umklammerte des Professors Hand und stammelte: »Ich werde etwas werden, Herr Professor. Sie sollen es sehen.«

»Ich werde es sehen. Und nun wollen wir gleich heute anfangen. Ich weise es Ihnen heute und weiterhin jeden Ersten bei der Unionbank an. Sie können es dort ohne – gêne erheben; man glaubt bei der Bank, es sei ein Stipendienfonds.«

Und schon waren sie im Korridor, und ehe der junge Mensch recht wußte, wie ihm geschah, öffnete der Professor die Tür des Wartezimmers. Der junge Fritz Salomon war, weiß Gott, nicht sein einziger ›Stipendiat‹.

In dem Zimmer saßen noch acht Harrende. Die Sprechstunde ging weiter. Da kam der schlanke Beamtensohn von Bries, der vor kurzem aus dem Korps ausgestoßen worden war. Schambleich und vergrämt kam er herein. Doch mit hoffnungsgeröteten Wangen schied er. Kein Wort des Vorwurfs kam über Fabers Lippen. Der arme Kerl hatte seine harte Strafe. Aber ein gutes Wort gab er ihm mit zu seinem Wegzug auf eine andere Hochschule. »Gib einmal im Leben,« sagte er mit einem hellen Blick seiner Dichteraugen, »einer Frau das Glück, einen ganzen Mann in dir zu beglücken, und du wirst deine Stirn wieder frei erheben können, wenn von Mannesredlichkeit gesprochen wird!«

Und weiter zog der Zug der Beichtkinder, Schicksal nach Schicksal ordnete er väterlich streng und freundlich mild, Leben auf Leben gab er die Richtung zum Guten und Wahren und Schönen. Da nahte ein junger romantischer Herr, der seine Herzallerliebste entführen wollte, weil die Eltern der seltsamen Marotte huldigten, ihre Tochter einem Studenten zur Ehe zu versagen. Mit herber Ironie wusch Faber ihm den Abenteurerschädel, daß es nur so schäumte. Da kam ein ernster Bursche mit quadratischem Hirnkasten, der wegen einer Lappalie auf Säbel gefordert worden war und aus Überzeugung dem Duell ausweichen wollte und nicht wußte, wie er auf andere Weise seine verdächtigte Tapferkeit erweisen sollte. – »Im Ertragen der Zweifel der andern,« riet Faber. Da waren junge Studentinnen mit ernsten Wissenszweifeln, da waren enthusiastische Damen, die seine Vorträge in der Lessing-Akademie besuchten und unter dem Vorwande des Wissensdranges dem Drange ihrer Schwärmerei folgten.

Und als die Sprechstunde ihrem Ende entgegenging, saß da Beatrice Herforth und wartete bescheiden, bis ihre Zeit der Arbeit kam. Faber gab ihr die Hand und sagte: »Gehen Sie doch zu meiner Frau hinüber, Frau Herforth! Sie plaudert so gern mit Ihnen.«

Und errötend zog die große schöne, in ihrem Leid verschüchterte Frau hinaus, Sophie zu suchen. Sie fand sie in ihrer Traumecke im Wohnzimmer am Fenster. Die Kinder waren mit dem Mädchen im Stadtpark.

Nachdem sie über allerlei Nichtigkeiten geplaudert hatten, sagte Beatrice plötzlich: »Ich fahre heute nach Hause, Frau Sophie.«

Die junge Professorenfrau blickte auf.

»Ich halte es nicht mehr aus,« sprach die andere leise fort, »ich gehe zugrunde. Den ganzen Tag gestern war ich im Zimmer. Auf die Straße gehe ich nicht; ich weiß nicht, wohin. Wenn ich Arbeit habe, ist es gut. Ich ziehe sie hin, solange wie möglich. Aber dann. Ich kann nicht lesen. Alles in mir fliegt. Ich gehe von einer Ecke des Zimmers in die andere. Stunde um Stunde. Und wenn ich verzweifelt vor Nervosität nicht weiter kann und alle Fasern in meinem Kopfe zittern und zerren, dann ist es vier. Und ich gehe weiter und weiß: nun muß ich noch sechs Stunden so gehen, ehe es zehn ist und ich ins Bett kriechen kann, um die Nacht hindurch wachzuliegen.«

»Aber – liebste Frau Beatrice – warum kommen Sie nicht zu mir?« rief Sophie. »Wir könnten doch spazieren gehen oder plaudern.«

Die Frau schüttelte den schwarzen Kopf, den das eindringende Julilicht mit bläulichem Schmelz überhauchte. »Ich bin keine Gesellschaft. Ich kann, wenn ich nicht arbeite, an nichts denken, als an meinen Kummer.«

Und alle ihre Scheu zu Boden werfend, brach sie aus: »Ich sehne mich so nach den Kindern! Ich sehne mich so nach meinem Manne!«

Sophie blickte feinfühlig zur Erde. Sie kannte nun längst Beatrice Herforths traurige Geschichte.

»Haben Sie denn nicht an – ihn – geschrieben?« fragte sie nach einer kleinen Pause.

Beatrice nickte. Da wußte Sophie, daß ihr Mann nicht geantwortet hatte, und fragte nichts mehr.

»Ich habe das Gefühl,« wagte Beatrice endlich ihre letzte Hoffnung, »wenn ich vor ihm stehe und spreche, wird er alles verstehen.«

»Ist sie nicht noch ein bißchen zu kurz, die Zeit?« bedachte Sophie milde.

»Kurz!« Beatrice starrte. Und dann hastete sie: »Es ist doch schon so lange her. So endlos lange! Was mögen nur die Kinder ohne mich anfangen? Irmgard hatte damals gerade eine Erkältung. Sie ist solcher Wildfang. Wenn nur nichts Schlimmes daraus geworden ist! Und Horst konnte nie einschlafen, wenn ich nicht seine Hand hielt.« Ihre Augen wurden hell in Tränen – »Manchmal packt mich die Angst, daß irgend etwas Schreckliches geschehen ist, und er deswegen nicht schreibt.«

Da öffnete Faber die Tür seines Zimmers und bat Beatrice zu sich herein. Gleich beim Eintreten sagte sie: »Herr Professor, verzeihen Sie! Ich weiß sehr wohl, es ist nicht recht. Sie sind mir so überaus menschlich entgegengekommen. Ich kann aber nicht weiter.«

Und sie sprach von ihrer Reise.

»Hm,« machte Faber, »schade! Aber wenn Sie meinen, daß es für Ihre Zukunft gut ist. Natürlich gebe ich Sie frei. Dann werden Sie wohl nicht mehr in der Stimmung sein, heute zu stenographieren?«

»O ja,« sagte sie kleinlaut, »ich will es heute nachmittag noch abschreiben und bringe es Ihnen dann mitsamt der Maschine.«

Es wurde ein stürmischer Morgen im Hause Faber. Denn nach einem Klingelwirbel stürmte der Oberst Pahlow herein und gleich hinter ihm – das Brautpaar. Jawohl, das Brautpaar, das ihn telephonisch hierher zitiert hatte, um die große Mär ausführlich zu berichten. Die große Mär lautete also:

Gestern war Professor Hancke nachmittag nicht mehr ins Laboratorium gekommen. Das Problem, das er lösen wollte, konnte er nicht chemisch ausexperimentieren. Aber heute morgen war er gekommen. Helene stand bereits an ihrem Tische. Er sah nicht, der gute Professor Karl Hancke, daß sie heute so hübsch aussah, wie lange nicht. Er bemerkte nicht, wie schalkhaft die schwarze breite elsässische Schleife im schwarzen Haar kokettierte. Er ahnte nicht, die gute Seele, wie sorgfältig sie sich heute vor dem Spiegel gekleidet hatte – für ihn – nur für ihn.

Er stand neben ihr und sah ihren hurtigen klugen analysierenden Fingern zu.

Endlich sagte er: »Mein Freund Ostwald in Leipzig unterscheidet romantische und klassische Naturen unter den Forschern. Die ersteren sind die genialen Glückskinder, denen alles zufliegt. Das Können und die Herzen. Die Klassischen haben es weit schwerer.«

»Das sind die exakten Gründlichen,« schaltete sie ein.

Er nickte. Und obgleich er einen anderen Faden hatte spinnen wollen, trabte er in ihrem Gedankengange weiter. »Mehr neue Werte erahnen aber wohl die andern. Als ich Ihnen so zusah, wie Sie da – einfach genial das Natriumfluorid gewannen, dachte ich: Sie sind solch romantische Natur,«

»Und Sie, Herr Professor?«

»Ich bin kein Vulkan,« schüttelte er den Kopf, »der jäh mit der ganzen Kraft des Hirns ausbricht und seine ewigen Lavawerte hervorschleudert.«

»Nein,« sagte sie fröhlich, »Sie sind ein langsam, stetig fallender wissensklarer Tropfen. Und bilden am Ende doch Ihren See, in dem sich der Himmel der neuen Werte spiegelt.«

Er lächelte bescheiden.

Da fragte sie keck: »Wie geht es den Problemen, Herr Professor?«

Sein Gesicht verdüsterte sich kläglich. »Die wachsen sich zu schrecklichen Angstgewalten aus.«

»Aber nein!« Sie stellte das Reagenzglas klirrend nieder.

»Doch.« Er nickte bitterlich.

»Und mein – Wanderbild?« fragte sie.

»Das sehe ich nur, – wenn Sie dabei sind.«

»Das ist doch schön,« lächelte sie.

»Ja,« meinte er, »wenn ich dann aber allein zu Hause bin –«

Da griff sie zu. Dem Manne mußte geholfen werden. »Ließe es sich nicht vielleicht irgendwie ermöglichen,« lachte sie spitzbübisch, »daß ich dabei bin – wenn Sie allein zu Hause sind.«

Die dicken Brillengläser funkelten auf. »Wie?«

Da rief sie: »Glauben Sie, Sie werden Lebensprobleme mit dem Hirn lösen? Die löst man mit der Tat!«

Jetzt hatte Karl Hancke den entschlossensten und gewaltigsten Moment seines Privatlebens. Stracks marschierten seine langen Beine auf das forsche Mädel zu, seine Arbeitshände streckten sich ihr mutvoll entgegen. Lachend stammelte er: »Dann wäre doch das Beste –«

Und da hatte sie ihn schon umschlungen und gejubelt: »Aber natürlich wäre das das Allerbeste!«

Das war die große Mär, die das Haus Faber auf den Kopf stellte.

Karl Hancke aber erkannte keiner wieder. Ausgelassen trommelte er an Fabers Stubentür. Mit der Arbeit war es für heute vorbei. Nach leisem Glückwunsch ging Beatrice Herforth, ihren schweren Gang zu tun.

Das war ein Wundern und Staunen und freudevolles Necken. Man stand und lachte und plauderte und machte Pläne für die Zukunft. Die Hochzeit sollte sehr bald sein; denn Helene mußte, wie sie lebhaft bemerkte, dafür sorgen, daß sie immer dabei war, wenn der liebe Karl in seinen vier Wänden allein spintisierte. Die andern blickten verständnislos, Hancke aber legte die langen Arme um die Schultern der Braut und drückte das junge heiße stürmische Blut an seine sanftpulsende Lebenswärme.

Mitten aus dem Glücksschwall heraus wurde Professor Faber an das Telephon gerufen.

Er ging in sein Zimmer.

»Ja – bitte, Professor Faber.«

»Ich,« gellte Manjas Stimme. »Ich komme sofort zu dir.«

Dann blieb es still. Sie hatte abgehängt.

Hinaus ging Faber den Weg zur Küche. Er fühlte die Beine nicht. »Wenn eine Dame kommt, führen Sie sie in mein Zimmer!« gebot er der Köchin.

Dann schritt er langsam zurück. Was wollte sie? Was war geschehen? Irre Verzweiflung schrie in ihrer Stimme. Er ging in das Wohnzimmer.

Hancke hob just sein Glas: »Auf eine gute Verbindung der romantischen und der klassischen Natur!« lachte er seinem Mädel zu.

»Versteh' ich nicht, lieber Schwiegersohn,« rief der Oberst. »Sagen wir es lieber auf gut deutsch so: Kinder, ihr sollt in eurer Ehe so glücklich werden, wie die beiden da. Prost Karl! Prost Fritz, mein Junge!«


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