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Beim Abendessen, das in der Villa Ingenheim stets sehr spät serviert wurde, da der Regierungspräsident bis in die Nacht auf dem Amte arbeitete, sagte der Baron, als die Eheleute kaum Platz genommen hatten: »Nun, was macht Konfuzius?«
Er wußte, daß Manja sich in letzter Zeit viel mit östlicher Religionsphilosophie beschäftigt hatte.
Dankbar blickte sie auf. Wie lange war es her, seit der Baron nach ihren Arbeiten gefragt hatte! Sie verstand sofort, daß es ein guter Händedruck war und ein bedauerndes Liebkosen nach der Schrecknis des Vormittags.
Bereitwillig erzählte sie von den Beschwerlichkeiten, die erforderliche Literatur zusammenzutragen, aber wie es ihr schließlich mit Professor Struwes Hilfe gelungen sei. Und sie klagte über klaffende Lücken in ihrer eigenen Bibliothek.
Der Baron lachte. »Aber, Manja, du hast im letzten Halbjahr über tausend Mark für Bücher ausgegeben. Gestern erhielt ich die Rechnung.«
»Wissenschaftliche Bücher sind so teuer,« bedauerte sie, »aber zum Ausgleich brauche ich wenig für meine Toilette.«
»Das tust du,« lobte der Baron, »und siehst doch immer schick aus, daß es eine Freude ist. Überhaupt« – er war heute abend in Gesprächslaune, wie eigentlich immer – »das ist so bewunderungswürdig an dir, daß du trotz all deines gar nicht frauenhaften, ernsthaften Wissensdranges so sehr weiblich in deinem Wesen bist.«
Sie lächelte. »Du bist ja so charmant heute.«
»Bin ich das nicht oft?«
»Ja,« sagte sie freudig.
Da trat der Diener ein.
»Von der Religion des Konfuzius habe ich aber noch nichts gehört,« mahnte der Präsident.
Da begann Manja suchend zu berichten, wie es ihre Art war in wissenschaftlichen Dingen. Und während sie mühsam, stockend mit tiefen senkrechten Denkfalten über der Nasenwurzel sprach und das Licht der elektrischen Tischlampe rotgedämpft mild über ihr jetzt ganz scharfes Grüblergesicht glitt, dachte der Baron plötzlich an die Bedenken des Geheimrat Helmholtz. Ein Lächeln huschte unter dem schwarzen Barte hervor.
Manja sah es; es irritierte sie. »Was ist?« forschte sie nervös.
»Nichts,« schüttelte er den Kopf. »Mir fiel etwas ein. Erzähle weiter, es interessiert mich sehr! Das sind ja ganz moderne Gedanken.«
Doch Manja, die sein Schweigen über die böse Sache quälte, griff trotzig nach der Gelegenheit. »Hast du Erkundigungen über Seebeck eingezogen?« Sie blickte ihm fest in die Augen.
Der Baron nickte und spielte mit der Gabel. »Krank ist er nicht, schießen will er sich auch nicht, er wird klagen.«
»Klagen?« wiederholte sie wie ein fernes Echo.
»Ja. Aber nun ist es eine Mannessache geworden, liebes Kind. Denk nicht mehr an diese Peinlichkeit! Ich werde das schon ordnen. Du sollst deine seinen Hände nicht mit diesem Unrat besudeln. Kehren wir zu Konfuzius zurück!«
Sie beschied sich und berichtete weiter. Doch ihre Gedanken flatterten mit schwerem Flügelschlag um diese neue Kunde. Klagen? Klagen wollte er! Was war das? Wo führte das hin? Eine aufwühlende Angst durchrüttelte ihre Sinne. Und sie sprach, sprach, ohne Kontrolle, Worte, Worte, ganze Sätze, automatisch wie eine Sprechmaschine.
Der Baron hörte eine Weile stumm und aufmerksam zu. Endlich sagte er scherzend: »Mir scheint, Manja, du sprichst nicht von Konfuzius, sondern vom Heiligen Konfusius. Jedenfalls verstehe ich kein Wort. Du bist doch sonst so klar, daß Paul die schwierigsten Dinge, die ich ihm nie beibringen könnte, aus deinem Munde spielend erhascht. Du bist müde, Kind. Es hat dich doch recht mitgenommen – das heute morgen. Kein Wunder. Geh zu Bett, mein Liebes, und schlaf dich tüchtig aus!«
Sie stand sofort hastig auf. Er küßte sie auf die Stirn. »Und morgen,« neckte er tröstend, »morgen erzählst du mir dann vom richtigen Konfuzius. Ja?«
Sie nickte mit einem erzwungenen Lächeln und ging müde in ihr Schlafgemach, das die Badestube von dem Zimmer des Barons trennte. Die Zofe, die sofort an die Tür pochte, schickte sie fort. Und dann stand sie lange vor ihrem hohen Toilettenspiegel, starrte hinein und sah nichts. Er wollte klagen! Was bedeutete das? Was geschah dabei? Was kam dabei zur Sprache? Was? Was? Sie preßte die Hände zu ingrimmigen Fäusten zusammen. Sie zerbiß sich die Lippen vor Zorn, daß sie sich nie mit Rechtswissenschaft befaßt hatte. Was half ihr all ihre philosophische und historische Bildung jetzt! Da stand sie mit ihrem Wissen in der Hand und sah in der undurchdringlichen schwarzen Mauer kein erkenntnis-erhelltes Fenster. Klagen würde er! Ein bedrohlich schreckhallendes Wort war es ihr. Mehr nicht. Morgen würde sie sich ein Gesetzbuch kaufen und es durchwühlen. Doch welche Rechtsmaterie? Wo mußte sie suchen? Ob sie zu einem Anwalt gehen sollte? Das war gefährlich und verdächtig. Sie ballte die Fäuste noch schmerzhafter vor ohnmächtigem Zorn über ihre armselige Ratlosigkeit. Ja, die Hände waren ihr gebunden. Sie mußte harren, harren, mit gebeugtem Haupt und furchtvernarrtem Sinn, bis der Schlag in den Nacken niedersauste. Wie der arme Sünder auf der Richtbank. Ja – so.
Bis tief in die Nacht hinein stand sie, starrte in den Spiegel, ohne ihr fahles Gesicht zu sehen, und fühlte eiskalt das Grauen vor dem nahenden Verhängnis an ihrem Körper hinabrieseln.
Am nächsten Morgen erhielt Manja einen Brief von Beatrice Herforth, in welchem sie ihr mitteilte, daß die Stelle bei Professor Hancke bereits besetzt sei. Sie bitte ihr zu verzeihen, wenn sie die Freundin nochmals wegen einer Empfehlung belästigen müsse.
Die Baronin ließ anspannen und fuhr zu ihr.
»Du siehst sehr bleich aus,« empfing Beatrice sie, »bist du nicht wohl?«
»Doch,« wich sie aus. »Ich habe schlecht geschlafen. Wir wollen von dir sprechen, Beatrice. Du hast unsere Sorge leider nötiger als ich.«
Dann erzählte Beatrice, wie liebenswürdig Professor Hancke ihr begegnet sei. Er habe aber eine junge Assistentin, die zugleich seine Sekretärin wäre.
Während sie sprach, blitzte es in Manjas dunkeln Gedanken hell auf wie der Wetterstrahl in blauschwarzen Gewitterwolken. Wie, wenn sie die Gelegenheit benutzte, zu Faber eine Brücke hinüberzuschlagen! Am Ende war es gut, in dieser bösen Zeit, die so unübersehbare Dinge barg, für alle Fälle einen Kontakt mit ihm herzustellen. Schnell entschlossen gab sie Beatrice eine Empfehlung an Professor Fritz Faber. Die Adresse sollte sie auf dem Sekretariat der Universität erfragen. – –