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VI.

»Der Herr Professor ist leider nicht zu Hause,« erwiderte das nette Stubenmädchen auf Beatrice Herforths schüchterne Frage.

»Wann ist der Herr Professor zu sprechen?« erkundigte sie sich scheu.

»Die gnädige Frau ist zu Hause,« verriet das Mädchen entgegenkommend. »Wenn die gnädige Frau Professor zu sprechen wünschen?«

Beatrice zauderte sekundenlang. Dann trat sie in den Korridor. Sie mußte endlich Gewißheit erhalten, ob ihr hier Arbeit und Verdienst beschieden war. Sie hatte nur noch einige Mark im Portemonnaie. Und ehe sie Manja anborgte! – Sie gab dem Mädchen, das eine Stubentür einladend vor ihr öffnete, ihre Karte und trat in einen kühlen weiten Raum. Die Tür hinter ihr schloß sich leise. Sie setzte sich auf einen der Saffian-Lederstühle, stand aber sofort wieder auf, emporgehetzt von Verlegenheit und Erregung der Erwartung.

Sie blickte sich in dem Raume um. Es war das Arbeitszimmer des Professors. Das breite Fenster, das fast die ganze hintere Längswand durchschnitt, war lauschig gegen die glühende Julisonne verhangen. Die Breitwände deckte die Bibliothek, ein gewaltiger Bau in blau-schwarzer Eiche mit zahllosen Einzelschränken, wuchtig und wohltuend harmonisch in seinen strengen Linien. Hinter den facettierten Scheiben der spiegelnden Schranktüren lugte ein buntes Heer von Büchern hervor. In die Holzfelder zwischen den einzelnen Abteilen der Schränke waren kunstvoll getriebene Bronzeplaketten der Großen aller Zeiten eingelassen, Beatrices flüchtig gleitende Neugier erkannte Homer und Pluto, Michel Angelo, Goethe, Schiller, Molière, Tizian, Kant, Napoleon, Luther –

Weiter kam ihr Auge nicht. Sophie Faber trat ein.

Beatrice verbeugte sich ängstlich, doch als sie in das klare Gesicht der Professorenfrau blickte, fiel alle engende Hilflosigkeit von ihr ab. Ihr Instinkt empfand sofort die warme hilfsbereite Güte, die von dieser in ihrer jungen Fülle schlanken Frau mit den leuchtenden schwarzen Augen und den krönenden braunen Zöpfen ausströmte.

Sie kam mit ruhigen festen Schritten auf Beatrice zu, gab ihr die Hand, bot ihr einen Sessel an, nahm selbst, wie ein guter Sachwalter und Stellvertreter ihres Mannes, auf seinem Stuhl an dem Schreibpulte Platz und fragte mit ihrer beruhigenden Altstimme: »Womit kann ich Ihnen helfen, gnädige Frau?«

Denn daß hier Hilfe begehrt wurde, das sahen Sophie Fabers kundige Augen sogleich.

»Ich wollte Herrn Professor Faber fragen,« wagte Beatrice zutraulich, »ob er für mich als Sekretärin Verwendung hätte.«

Sie sah die junge Frau mit ihren glühenden großen Augen an. Flehende Verzweiflung stand darin.

»Bisher hat mein Mann zwar mir diktiert,« bedachte die Professorenfrau, »doch ich glaube, es wird sich machen lassen.«

»Sie meinen?« rief Beatrice. Es klang wie aufschluchzender Jubel.

Sophie Faber sah die Frau ernst und gütig an. »Das arme Weib,« dachte sie, »wie nötig muß sie es haben!«

»Ich kann natürlich nichts Bindendes sagen,« gab sie weitere Hoffnung, »aber im Grunde kommen Sie uns wie gerufen. Es ging nicht mehr recht mit mir. Unsere beiden Jungen –«

»Sie haben zwei Jungen!« staunte Beatrice artig ihre junge Schlankheit an.

»Ja,« bestätigte sie kindlich-stolz. »Beide sind in einem Jahre gekommen. Der eine am 27. Januar und der zweite am 21. Januar des nächsten Jahres – also beide noch innerhalb eines Jahres.«

»Diese Riesenleistung sieht man Ihnen nicht an,« gestand Beatrice.

»Nein,« sagte sie lächelnd. »Es hat mir sehr gut getan. Und genährt habe ich die beiden Schlingel auch,« fügte sie mit fast fröhlicher Wichtigkeit hinzu. »Oder vielmehr, den kleinen nähre ich noch. Die Kinder nehmen meine Zeit aber doch so ziemlich ausschließlich in Anspruch –«

»Das glaube ich,« warf Beatrice ein

»Eine Entlastung in meinen stenographischen Leistungen käme mir daher sehr zu Paß.«

Beatrice errötete vor Freude. »Es wäre ja herrlich,« atmete sie ganz erregt, »wenn ich wirklich von Nutzen sein könnte!«

»Das könnten Sie,« erklärte Sophie Faber mit einem guten Lächeln. »Ich glaube, es wird sich sehr leicht machen lassen. Ihre Bedingungen werden wohl die üblichen sein.«

»O – ich will –«

»Darüber werden Sie sich mit meinem Manne sehr bald einigen. Und die nötige Übung im Schreiben besitzen Sie doch gewiß.«

»Mein Mann ist Rechtsanwalt,« sagte Beatrice scheu. »Ich habe ihm des Abends stets die Schriftsätze stenographiert.«

Nach diesem Bekenntnis war eine tiefe Pause zwischen den beiden großen schönen Frauen. Endlich rang Beatrice hervor: »Ich möchte darüber lieber mit Ihnen sprechen, gnädige Frau. Vielleicht legt Ihr Herr Gemahl Wert darauf zu wissen, was mich aus meiner Ehe heraus und zur Arbeit getrieben hat.«

Sophie Faber schüttelte den Kopf. »Darauf wird er keinen Wert legen. Er wird sich mit dem Urteil seiner Menschenkenntnis begnügen, die ihm sagen wird, daß er es mit einem vornehmen Menschen zu tun habe.«

»Ja,« quälte sich Beatrice Herforths peinliche Wahrheitsliebe, »wenn aber vielleicht gerade das die große Frage ist.«

Sophie sah sie erstaunt an.

»Ich will es Ihnen rund heraussagen, gnädige Frau. Mein Mann hat mich mit Recht aus dem Hause gejagt.« Frau Faber schlug die Augen nieder und schwieg eine Weile. Dann sagte sie: »Ich habe darüber gar kein Urteil, weil ich sehr glücklich verheiratet bin.«

»Glauben Sie mir,« Beatrice beugte sich fast flehend vor, »im Grunde verstehe auch ich nicht, wie es kommen konnte. Es ist zu paradox, daß ich das sage.«

Sophie grübelte einige Sekunden. »Vielleicht verstehe ich Sie doch. Vielleicht haben Sie mit der Gefahr gespielt, vielleicht ganz ohne Erkennen der Gefahr – ich glaube zu verstehen,«

Beatrice nickte traurig vor sich hin.

»In jedem Falle haben wir – ich meine, wird mein Mann darüber nicht richten.« Und plötzlich stand sie auf und gab der andern ihre kräftige junge Mutterhand: »Ich glaube, Sie sind nicht glücklich,« sagte sie einfach. »Ich werde mich freuen, wenn ich Ihnen helfen kann,«

Verwirrt richtete Beatrice sich auf. Tränen sprangen ihr in die Augen. »Sie sind so gut,« stammelte sie und preßte Sophies Hand mit ihren beiden Händen. Die junge Professorenfrau aber lächelte ihr schönes mütterliches Lächeln. »Ich denke,« sagte sie bescheiden, »daß eine Frau im Glück allen ihren weniger bevorzugten Schwestern helfen sollte.«

Stumm beugte Beatrice sich über diese gute warme Hand. Hastig zog Frau Faber sie zurück.


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