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22

In den Gärten des Palatin war der bacchische Trubel längst verstummt. Des Gottes voll waren die Gäste heimgezogen, die dem künftigen Cäsar Cajus Silius gehuldigt hatten bei seiner Hochzeit mit Messalina.

Ihr Götter, das war ein Fest gewesen! Erst als im Nahen des Tages das flackernde Rot der Fackeln in den Gärten, die Glut der Flammenkandelaber im Palaste zu erbleichen begann, zog der Zug der Evohe-Rufer hinab zur Stadt.

Die Neuvermählten blieben allein. –

Es war schon spät am Nachmittage, als Fabulla in das Vorgemach des ehelichen Cubiculums drang und mit angstvollen Rufen die Herrin weckte. Messalina riß sich aus den Armen des jungen Gatten und erschien vor der Tür.

»Was wagst du, Fabulla!« herrschte sie mit zornfunkelnden Augen die Aufscheucherin an, verstummte aber, als sie die Vertraute erblickte. Ein Bild der Verzweiflung.

Den nackten, nur mit einem Pardelfell dürftig bekleideten Körper – das Festgewand der Hochzeit von gestern! – in einen zerfetzten und beschmutzten Soldatenmantel gehüllt, kniete die Getreue vor der Schwelle. Tiefe, schwarze Ringe um die in Entsetzen starrenden Augen, die Haare verwirrt, die Lippen bläulich, hob Fabulla die Hände empor und stöhnte.

»Was tat man dir?« rief Messalina erschrocken, indem sie der Freundin half, sich zu erheben, und sie auf ein Pulvinarium bettete.

Fabulla drückte die Fäuste auf die Brust, als könne sie dadurch den qualvoll röchelnden Atem zur Ruhe zwingen.

»Fliehe, Herrin, fliehe!« stieß sie ohne Laut hervor.

»So sprich doch!« bat Messalina, die erregte Freundin in die Arme schließend und tröstend streichelnd.

Diese Zärtlichkeit löste endlich die Tränen Fabullas. Sie brach in heftiges Weinen aus, das als Befreiung wirkte. Dann wurde sie ruhiger und konnte zusammenhängend reden.

Sie erzählte: »Du weißt, ich zog heute morgen mit den Gästen zur Stadt hinab. Wir wollten noch weiter feiern. Bald fielen uns kleine Soldatentrupps auf. Doch wir dachten nicht an Schlimmes, denn die Legionäre nahmen von unsrer lauten Fröhlichkeit keine Notiz, verwiesen uns nicht zur Ruhe und lachten sogar, als wir singend hinter ihnen her zum Forum marschierten. Auch dort hatten sich schon Prätorianer in größerer Anzahl versammelt. Nun ließ ein Centurio uns auseinander scheuchen. Wir waren einige Mädchen und hätten jetzt, zur frohen Zeit der Bacchanalien, nichts dagegen gehabt, wenn man recht liebenswürdig zu uns gewesen wäre. Aber die Garden blieben finster und unnahbar.«

»Man wird für die Ausrufung des neuen Imperators Vorbereitungen getroffen haben,« meinte Messalina leichthin. »Dazu bedarf man vor allem der Prätorianer. Für sie ist das eine ernste Angelegenheit.«

»Der neue Imperator?« griff Fabulla mit bitterem Lachen auf. »Höre nur weiter, Herrin! Kaum waren wir in die nächste Straße eingebogen, als rohe Soldatenfäuste mich packten und vor einen Militärtribun schleppten. Der fragte mich, ob ich – wie seine Krieger behaupteten – deine Vertraute sei. Ich bejahte voll Stolz und wurde nun in dem Wachraume festgehalten, sollte später dem mamertinischen Kerker zugeführt werden. Man tat mir vorläufig nichts weiter zuleide, und ich konnte ungestört beobachten, welch große Unruhe in der Stadt herrschte. Aus Bemerkungen der Wachen entnahm ich, daß der Kaiser in Begleitung des Narzissus zurückerwartet wird.«

»Der Kaiser?« Messalina schnellte empor.

»Ja, der Kaiser! Die Kunde von seinem Tode durch Mörderhand hat sich als falsch erwiesen. Es liegen keinerlei beunruhigende Nachrichten aus Ostia vor. Man sucht nach dem Verbreiter des lügnerischen Gerüchtes, um ihn streng zu bestrafen. Narzissus ist inzwischen abgereist, um den Kaiser schleunigst nach Rom zu bringen, damit das Volk ihn sähe und einem Umsturz in der Regierung vorgebeugt werde.«

»Ah, Narzissus!« flüsterte Messalina zwischen entbluteten Lippen. »Das also ist seine Liebe!«

Sie schwankte und mußte sich setzen.

»Weiter!« drängte sie.

Fabulla schilderte hastig weiter: »Das alles erfuhr ich von dem Soldaten, der mich jetzt, vor einer Stunde, in den Kerker schleppen sollte. Der Mann hatte oft zu den Wachen des Postikums gehört, denen wir stets reichen Lohn gaben, wenn sie dich und mich des Nachts ungehindert aus und ein passieren ließen. Daher war er recht wohlwollend gegen mich, übrigens ist er mir auch noch anders verpflichtet. Ob er mich nun absichtlich entschlüpfen ließ, oder ob nur ein glücklicher Zufall mitspielte – wir gerieten auf dem Forum in einen Knäuel aufgeregter Menschen, und plötzlich sah ich meinen Wächter nicht mehr, ich drängte mich durch die Menge und eilte zu dir. Fliehe, Herrin, denn des Kaisers Ankunft in Rom bedeutet nach den Worten meines Wächters für dich und Silius den Tod.«

Messalina schien sie nicht zu hören. Mit ausdruckslosen, toten Augen blickte sie an Fabulla vorbei.

»Nur der Norden der Stadt, nur die Porta Pinciana bei den Gärten des Lucullus bietet euch noch sichere Gelegenheit zur Flucht,« hastete die Getreue hervor. »Alles Volk und die Soldaten strömen der Via Appia zu, den dort erwarteten Cäsar zu begrüßen.«

Da fuhr Messalina empor.

»Er kann unmöglich schon heute anlangen,« sagte sie überlegend. »Er müßte sich dann schon gestern in aller Frühe mit Narzissus auf den Weg gemacht haben. Das ist nicht anzunehmen – oder der Grieche müßte mir eine furchtbare Komödie vorgespielt haben.«

»Um so besser, Domina, wenn er heute nicht mehr käme,« drängte Fabulla. »Wie ich auf dem Wege hierher beobachtete, sind die nördlichen Stadtteile vollkommen ruhig. Raffe dich auf, grüble nicht, sondern fliehe!«

Messalina schüttelte langsam den Kopf. »Silius ist nicht der Mann der feigen Flucht,« sagte sie.

Sie sollte nur zu recht behalten. Standhaft weigerte Silius sich, Rom zu verlassen.

»Es war mir gestern, als hätte ich eine dumpfe Ahnung des Kommenden,« gestand er. »Erinnere dich, Liebste, daß Vettius Valens, dein Arzt, einen Baum erkletterte, als er sich von übermütigen, trunkenen, nackten Nymphen verfolgt sah. Und Valens rief von dem Baume herunter: Flieht, ihr brünstigen Weiber, denn von Ostia her naht sich ein Ungewitter! – In diesem Augenblicke fiel ein Schatten auf unser Fest – wenigstens für mich. Mir war, als hörte ich etwas wie eine Schicksalsstimme in diesem scherzhaften Zufallsworte des Arztes.«

»Um so schlimmer,« drang Messalina in ihn. »Mit seinem Rufe offenbarte Valens, daß er von einem Verrat wußte. Er wollte uns warnen, und wir erkannten die Warnung nicht. Jetzt wissen wir alles. Laß uns sogleich aufbrechen.«

»Es wäre vergebens,« wehrte Silius. »Alle haben uns vergessen. Der Palast ist leer. Ein Gang durch die Räume hat mich manches gelehrt. Selbst die Sänftenträger, die niedrigsten der Dienerschaft, sind geflüchtet. Jeder sucht sich davor zu beschützen, daß man ihm Gemeinschaft mit uns nachweisen könnte in dem Augenblicke, in dem der Kaiser Rom betritt. Es bliebe uns nichts übrig, als zu Fuße zu flüchten. Man würde uns rasch aufspüren und einholen.«

»Aber wir können doch nicht hier auf den Tod warten,« ächzte Messalina verzweifelt.

Er nahm sie tröstend in die Arme, »Süße Frau, würdest du ihn wirklich fürchten? Das glaube ich dir nicht. Aber noch ist Hoffnung auf Leben und auf unser Glück. Wegen der Vermählung können wir uns rechtfertigen. Die Nachricht vom Ableben des Kaisers gab uns ein Recht. Zugleich mir das Recht, nach dem Principat zu streben. Nur unser Bleiben kann uns retten. Flucht müßte uns richten, weil sie das Eingeständnis eines Unrechtes wäre.«

In fiebernder Erwartung, in angstgehetzter Ahnung sah Messalina dem Nahen des Abends entgegen. Wenn der Kaiser heute noch kam, so nahte mit ihm ein grausames Geschick für Silius und sie.

Silius hatte das Palatium verlassen, vollkommen ruhig und zuversichtlich, um sich mit den wenigen Anhängern zu besprechen, die ihm geblieben waren. Gerade von seinen vertrautesten Parteigängern fand er freilich nicht einen mehr in Rom.

Nach Einbruch der Dunkelheit kehrte Fabulla aus der Stadt zurück. Die Getreue hatte sich hinausgewagt, obwohl sie Gefahr lief, erkannt und aufs neue verhaftet zu werden. Sie konnte berichten, in Rom herrsche tiefe Ruhe, die Menschenmengen an der Porta Appia hätten sich verlaufen, da Nachricht eingegangen sei, der Kaiser habe erst heute gegen Abend Ostia verlassen und werde nicht vor dem Morgen anlangen. Nur eine geringe Abteilung der Leibwachen sei noch am Tore verblieben.

Kurz darauf traf ein Bote von Silius mit einer schriftlichen Botschaft ein. Das Wachs der Schreibtafel enthielt nur wenige Worte selbstsicheren und unerschütterlichen Trostes sowie die Nachricht, er verweile in einem kleinen Kreise zuverlässiger Senatoren, mit denen er die nächsten Schritte bespräche. Sobald der Kaiser nahe, werde er zu ihr eilen, um an ihrer Seite der Gefahr zu begegnen. Bis zum Morgen habe sie nicht das Geringste zu fürchten.

Ruhelos, trotz dieser Versicherung, wanderte Messalina in den Räumen umher, die gestern noch vom Jubel und Lustgeschrei glücklicher und vertrauender Menschen erfüllt gewesen waren. Sie erschauerte. Angstgesichte scheuchten sie. Glitt dort nicht der blutige Schatten des Asiaticus? Stand dort in der Ecke nicht Poppäa Sabina, den Dolch im Herzen? Geisterte dort nicht die bleiche Gestalt des ermordeten Stiefvaters? Sie schrie leise auf. Dann faßte sie sich. Nein, nein, es war nur ihr eigener Schatten, den das schwache Leuchten einer Öllampe huschend an die Wand malte.

Tief in der Nacht weckte Messalina die getreue Fabulla.

»Du mußt mir sofort eine mündliche Botschaft bestellen. Eile zu den Vestalinnen. Dort im Tempel bleibe. Niemand darf dich aus diesem Asyl reißen, keines noch so Mächtigen Hand kann dich dort erreichen. Sage Vibidia, der ältesten der Vestalinnen, meinen Gruß – ich lasse sie bitten, sich meiner Kinder anzunehmen und morgen in aller Frühe mit Britannicus und Octavia irgendwo an der appischen Straße zu harren. Kommt der Kaiser des Weges, so darf er der Greisin als der höchsten Priesterin der Vesta das Wort nicht verweigern. Dann soll sie ihn unter Hinweis auf die Kleinen anflehen, mich nicht ungehört zu verurteilen. Ich besaß von Kindesbeinen an Vibidias Wohlwollen – sie wird meinen Wunsch erfüllen.«

Weinend machte Fabulla sich fertig zu dem nächtlichen Wege: »Und du, süße Herrin, was wirst du tun?«

»Ich werde das Leben meines Silius zu retten suchen. Ich will noch einmal versuchen, ob ich alle Macht über den Kaiser verloren habe. Es gab eine Zeit, da ich alles bei ihm erreichen konnte. Ich werde zu ihm sprechen wie nie zuvor – jetzt, da ich für das Liebste auf Erden spreche. Ich eile ihm auf dem Wege nach Ostia entgegen. Ist er erst in Rom, werden seine Griechen ihn wahrscheinlich von aller Welt und gewiß von mir abschließen. Sollte ich aber den Kaiser verfehlen, so wird Vibidias Bitte und der Anblick meiner Kinder ihn sicher so ergreifen und rühren, daß er darauf besteht, mich vorzulassen.«

»Arme Herrin,« schluchzte Fabulla, nahm rasch Abschied und eilte hinaus in die tiefe Nacht Roms, dem Vestatempel zu.

Als sich im Osten der erste Tagesschimmer zeigte, verließ Messalina den Palatin. Verblassende Sterne kämpften mit der wachsenden Helle. Wie wenn ein schmales Silberschiff rückwärts versänke, tauchte westwärts der zunehmende Mond in den Dunst hinab, der hinter dem Mons Aventinus den Himmel trübte.

Nur wenige Menschen schritten durch die noch schlafenden Gassen, der einsam wandernden Frau nicht achtend, die in schwarzem Gewande und tiefverhüllten Hauptes eilig des Weges ging.

Sie durchhastete die Straßen, ließ den Rennplatz zu ihrer Rechten und war bald außerhalb der Mauern.

Die Soldaten am appischen Tore ließen sie ungehindert passieren. Der kleine Trupp der Prätorianer gab Messalina die Gewißheit, daß Claudius noch nicht in Rom eingetroffen sei.

Jetzt rannte sie fast, hart vorbei an der Pyramide des Cestius, dann an dem Riesenhaufen zerbrochener Krüge, der Abfallstätte der Schiffe, die Weinfuhren zur Stadt brachten. Die Scherben lagen noch weit über die Straße zerstreut.

Die empfindlich kühle Morgenluft jagte Schauer um Schauer über den erhitzten, übernächtigen, müden Körper der vorwärts drängenden Frau. An ein Grabmal gelehnt, rastete sie dann und wann wenige Minuten. Dann eilte sie von neuem die lange Straße hinab, dem Gefährt des Kaisers entgegen.

Als sie sich kaum noch schleppen konnte, holte ein zweirädriger Karren sie ein, vor dem ein Esel dahintrottete. Sie sprach den alten Mann an, der auf der Deichsel saß.

»Nimm mich mit,« bat sie mit zuckenden Lippen, während ihr vor Schwäche dunkle Punkte vor den Augen tanzten.

»Zuviel Last für mein Tier,« lehnte der Bauer mürrisch ab.

»Hier dein Lohn,« stammelte sie, löste eine mit Edelsteinen reich geschmückte Fibula von der Stola und drängte sie dem Fuhrmann auf.

Staunend betrachtete er das goldene Geschmeide, den Wert nur ahnend. Er befestigte die Nadel an seinem Kittel und gab der Flehenden einen stummen Wink aufzusteigen. Vollkommen erschöpft sank sie auf den übel duftenden Haufen von Müll und Küchenabfällen, den der Bauer in Villen vor der Stadt eingesammelt hatte, womöglich ein kümmerliches Schweinefutter daraus zu gewinnen. Als suche der Alte dem reichen Lohne gerecht zu werden, hieb er nun auf den kleinen Esel ein, der einen zotteligen Trab anschlug und die rumpelnde Karre eilig von dannen zog.

So fuhr auf elendem, ratterndem Gefährt, den Abfall der Reichen als Polster, die höchste Frau der Welt einsam und todesmüde über die glatten Basaltplatten der Straße, die man die Königin aller Straßen nannte. Sie, die als erste Frau das stolze Recht für sich in Anspruch genommen hatte, in goldenem Carpentum im Triumphzuge des Kaisers zu fahren, desselben Kaisers, dem sie jetzt bebend vor Furcht, vom Schüttelfrost der Ermattung gebeutelt, auf einem Mistkarren entgegenfuhr. Wie oft hatte sie sich über diese Via Appia dahintragen lassen in prunkender, mit Seide gepolsterter Sänfte, umringt von kostbar gekleideten Sklaven, begleitet von Prätorianern auf silbergeschirrten Rossen, beschützt von Leibgarden mit blinkenden Speeren, umschmeichelt von einem Troß huldigender Höflinge ...

Blanke Morgensonne hob sich über die Sabinerberge empor in einen wolkenlos blauen Himmel. Messalina sah nichts von der Pracht des jungen Tages. Ihr Blick starrte nur nach vorn, die von marmornen Grabmalen und weiß leuchtenden kleinen Tempeln gesäumte Straße entlang.

Endlich in der Ferne ein flimmernder Punkt, der rasch näher kam. Die Karosse des Kaisers! Bald konnte man die galoppierenden Hengste erkennen. Jetzt vernahm sie das Klappern der goldbeschlagenen Hufe aus der steinernen Straße.

Messalina gewann die letzte Kraft ihres Willens zurück. Sie durfte das kaiserliche Gefährt nicht vorbeirasen lassen. Mit einem Sprunge war sie von der Karre herunter, packte den erschreckten Esel am Kopfhalfter und riß ihn mit kräftigem Rucke herum. Quer über die Straße gedreht, versperrte die Müllkarre der herandonnernden Karosse den Weg.

Ihr Haupt enthüllend, trat Messalina mit aufgereckten Armen den Hengsten entgegen. Schon hatte der Wagenlenker die Peitsche erhoben, um zuzuschlagen, als er die Kaiserin erkannte. Mit einem Schreckensrufe riß er in die Zügel. Die Hengste bäumten sich hoch auf. Einen Augenblick flirrte der Goldschimmer dos Beschlages ihrer Vorderhufe über dem Kopfe der dunkeln Gestalt vor ihnen. Dann standen sie mit wogenden Flanken schnaubend und zitternd still.

Der alte Bauer kam zur Besinnung. Er stieg von der Deichsel und zog seinen hageren Esel und die Karre beiseite. Dann drosch er auf das entsetzte Tier los, zog selbst mit an der Deichsel und machte sich eiligst aus dem Staube, der Strafe zu entrinnen, daß sein muffiges Fuhrwerk einer kaiserlichen Karosse den Weg verlegt hatte.

Messalina trat an den Wagenschlag und riß den seidenen Vorhang zurück. Sie gewahrte das alte Gesicht des in Furcht vereisten Claudius, der nichts anderes glaubte, als daß der tausendmal gefürchtete Anschlag auf sein Leben nun Wirklichkeit geworden sei.

»Claudius, Claudius!« rief sie flehentlich. »Sieh hier die Mutter deines Britannicus und der Octavia!«

Da kam neues Leben in den Kaiser. Kein Attentat! Kein Mordstahl! Statt des Dolches diese Stimme! Messalina! Hier auf der Via Appia! Zu Fuß! Und ihr liebes Gesicht in Tränen gebadet! ... Das Gesicht, dessen holdes Lächeln ihm so oft geleuchtet, ihn so sehr entzückt hatte! ... Schmerzverzerrt der Mund, dessen frohes Geplauder ihm so manche leere Stunde vertrieben! ... Zitternd die Hände, die ihm die Wangen gestreichelt oder in heiterem Scherze ihn an den Ohrläppchen gezupft hatten!

Er vergaß, weshalb er hier auf Rom zujagte. Er beugte sich vor auf seinem Sitze und wollte den Wagenschlag öffnen, Messalina in das Gefährt zu ziehen.

Brutal riß Narzissus ihn zurück. Ein Zuruf an den Kutscher. Die Rosse zogen an. Mit scharfem Aufprall setzte das Gefährt sich in Bewegung. Eines der Hinterräder traf die flehende Frau und schleuderte sie zur Seite. Im Staube der Straße blieb die besiegte Kaiserin des Erdkreises einsam zurück.

Auf den still vor sich hinweinenden Imperator in dem vorwärts rasenden Wagen aber schrie Narzissus ein. Er zählte alle Verfehlungen der leichtsinnigen Frau noch einmal auf, erinnerte an ihre Hochzeit mit Silius, an ihren Willen, den neuen Gatten zum Cäsar zu erheben, donnerte von gedungenen Kaisermördern in die Ohren des bitterlich jammernden Alten. Bis Claudius als ein winselndes Nichts in einen Winkel der Polster zusammensank, ein Nichts, dem unter der brutalen Vergewaltigung des Griechen sogar die Kraft zum Tränenvergießen schwand. Daß überhaupt noch Leben in ihm war, verriet nur der mit geschlossenen Augen wackelnde Kopf und der hin und wieder leise und blöd lallende Mund, aus dem unaufhaltsam der Speichel troff.

So blieb er vollkommen unbewegt beim Anblick der beiden Kinder Messalinas, als nahe der Porta Appia die Vestalin Vibidia der Karosse Halt gebot. Er überließ es dem Narzissus, die Priesterin abzufertigen. Sie ungehört abzuweisen, wagte selbst der vor Eifersucht rasende und rachewütige Grieche nicht. Irr und fremd, leer und ohne Bewußtsein sah Claudius auf die zitternden Kleinen, die Vibidia an den Wagen führte.

Vor Ungeduld bebend, hörte Narzissus die Vorstellungen der Greisin. Messalina sei doch immerhin eine Frau – eine Frau, der man, auch wenn sie noch so schweres Unrecht auf sich lud, doch nicht das Recht entziehen dürfe, sich vor dem Cäsar, vor ihrem Gatten zu verteidigen.

»Man wird deinen Wünschen wohlwollend stattgeben,« versprach Narzissus eilig, nickte zum Abschied und trieb den Rosselenker zur Weiterfahrt.

Zwischen jubelnden, winkenden, tücherschwenkenden Menschen, erzstarrenden Leibgarden hindurch durchfährt die kaiserliche Karosse das Tor. Doch nicht nach dem palatinischen Hügel rollt das Gefährt, sondern vor dem Cirkus Maximus biegt auf Befehl des Narzissus der Kutscher links ab, dem Aventin zu.

Als die Gassen zu eng werden, zwingt der Grieche den Kaiser zum Aussteigen. Höflinge in ihren Prachtsänften und Prätorianer zu Pferde sind dem Wagen gefolgt. Man packt den von den Erlebnissen der letzten Tage versteinerten, wortlosen, erschöpften alten Mann in eine schnell freigemachte Lektika und läßt ihn vor das Häuschen des Cajus Silius tragen.

Die Sklaven des jungen Rechtsgelehrten sind geflüchtet wie seine Anhänger. Das kleine Gebäude birgt keine Spur von Leben. Im Atrium weist Narzissus auf einen leeren Sockel.

»Sieh her, Cäsar!« ruft er den Kaiser an. »Hier mühte nach dem Gesetze deine Büste stehen. Der Hochverräter und die Ehebrecherin haben sie entfernt, um dem Bilde des neuen Imperators Cajus Silius Platz zu schaffen!«

Claudius blickt schlaff und marode drein. Er wagt ein müdes Wort von einem verhängnisvollen Zufall. Aber man läßt ihn nicht ausreden, man schleppt ihn in die andern Räume. Hier zeigt man ihm die Fülle der Kostbarkeiten aus dem Palatium, die Messalina in der Gebefreude des Glückes dem Herzensfreunde ins Haus gebracht hat.

Narzissus ist ein guter Rechner. Er rechnet mit dem Geize und der Habgier seines kaiserlichen Herrn. Er verrechnet sich nicht. Als Claudius erkennen muß, daß er – der griechische Freigelassene reibt es ihm in das mürbe Gehirn – ein nicht nur um die Gattenehre, sondern auch um weltliche Schätze Bestohlener, ein offen geprellter, verhöhnter, vor ganz Rom lächerlich gemachter Narr sei, da regt sich endlich wieder etwas in dem betäubten, benommenen Kopfe.

Er macht einem kindischen Zorne Luft und schwatzt in wenigen Minuten mehr, als er in den vielen Stunden der Heimfahrt über die Lippen brachte. Drohungen, Rachetaten, Bluturteile – sprudelten ihm vom Munde wie der schäumende Speichel.

Das ist die Stimmung, die Narzissus erzeugen wollte. Jetzt auf zur Kaserne der Prätorianer!

Narzissus ruft den Soldaten zu: »Hier, seht den unglücklichen, an Leben und Macht und Ehre bedrohten Mann, den ihr selbst zum Imperator erkoren habt! Wollt ihr einen andern Herrn, der weniger Milde und keine Dankbarkeit für euch im Herzen hegt? Erkennt des Kaisers Güte: jedem einzelnen Manne der Legionen ein Jahressold als Geschenk!« –

So kauft Claudius zum zweiten Male seine Kaisermacht von den Truppen. Er stottert ein paar unzusammenhängende Worte über sein Unglück. Die Legionäre sind gute Kerle. Sie toben. Sie wollen freie Hand zur Bestrafung der Schuldigen.

»Keinen Bürgerkrieg!« warnt Narzissus. »Was können Hunderttausende von Kaisertreuen für das Verbrechen einzelner! Die Schuldigen herbei: dann habt ihr freie Hand.«

Ein Rippenstoß nötigt dem Kaiser ein zustimmendes Kopfnicken ab. Dann bricht der reißende Strom der Legionäre in die Gassen Roms.

Als dieser bewegte Tag in Dämmerung versank, hatten rasch urteilende Tribunale ihre Schuldigkeit getan. Verräter und Ankläger gab es genug. Narzissus sparte im Namen des Kaisers nicht mit Gold.

Auf den Richtstätten floß das Blut – das Blut der in Rom verbliebenen Schuldigen – das Blut so manches Schuldlosen. Auch Männer, die im Verdachte standen, Messalinas Liebhaber gewesen zu sein, stöberte man auf. Darunter den Schauspieler Mnester.

Heulend enthüllte der weibische Mime seinen weißen, glatten Oberkörper und wies auf die vernarbten Wunden der Folterung, mit der Messalina ihn auf ihr Lager gezwungen hatte. Es rettete ihn nicht. In Claudius war die Grausamkeit seiner Feigheit erwacht. Er sprach über den um Gnade winselnden Komödianten das Bluturteil.

Er sprach Bluturteil über Bluturteil, sinnlos und ohne Unterlaß, wie ein rieselnder Brunnen Wasser speit. Wer nicht eingestand, wurde gefoltert. Das schmerzerpreßte Geständnis blieb des Unglücklichen letztes Wort.

Cajus Silius suchte seit dem frühen Morgen Messalina. Angst und Sorge um die geliebte Frau im Herzen, irrte er durch das Palatium, durch die Straßen.

Als das Morden anhob, begab er sich zum Kaiser, den Greueln Einhalt zu tun. Er wollte sein Leben für alle andern bieten. Allein und einsam, ohne einen einzigen Freund zur Seite, ohne Abschied von der geliebten Frau, begab er sich zur Basilika. Atemlose Stille senkte sich auf den ungeheuern Raum, als der tags zuvor noch vergötterte und als kommender Kaiser umjubelte Mann vor den Cäsar trat, dessen Weib er geehelicht hatte.

»Hier bin ich –,« rief er laut. »Nehmt mein Leben und schont alle anderen!«

Der Kaiser glotzte und wackelte stärker mit dem Kopfe, der Richter sprach wenige Worte, die Menge weinte, Frauen schrien hysterisch um Gnade für den mutigen und aufrechten Mann.

Der Kaiser sabberte den Todesspruch, die Menge heulte auf, man zerrte Silius hinaus.

Aus dem Körper des Enthaupteten schoß ein Blutstrahl draußen vor der Basilika über das Pflaster des Forums.

 

Zur selben Stunde schleppte eine wankende Frau mit blutenden Füßen sich durch die Porta Appia nach Rom hinein. –


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