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17

Die Nachricht vom freiwilligen Tode des zur Verzweiflung gehetzten Asiaticus hatte ganz Rom erschüttert. Viele trauerten um den Mann, doch nur heimlich und verstohlen. Denn wieder einmal hatte der Cäsar gezeigt, wie wenig ein Menschenleben ihm und seinen Ratgebern galt. Wer war seines Besitzes und seines Lebens noch sicher, wenn ein unantastbarer und edler Römer wie Valerius Asiaticus über Nacht zum Verbrecher gestempelt werden konnte?!

Die Ruhe, die nach der Hinrichtung jener dreißig Senatoren und nach dem Blutgerichte gegen die Freunde des Scribonianus eingetreten war, diese Ruhe war ähnlich der trügerisch grünen Decke eines Sumpfes, unter der ein geheimer, boshafter Tod auf Opfer lauert.

Messalinas seelische Erschütterung hatte sich in einen melancholischen Ernst verwandelt, der ihre Willenskräfte wieder ins Gleichgewicht brachte. Der Verlauf des Prozesses gegen Asiaticus, der verhängnisvolle Ausgang richtete ihren Blick auf ein neues Ziel. Sie erkannte die Pflicht, weiteres Unheil zu verhüten. Ein Versuch mußte gemacht werden.

Doch wo war das Unheil zu fassen? Was mußte sie beginnen, um ihre Reue in die Tat umzusetzen? Ihre Sinnesänderung allein genügte nicht. Die Wurzel des Übels lag in dem ruchlosen belohnten Denunziantentum. Hier mußte sie eingreifen.

Sie lauschte angespannt in ihrer Umwelt umher. Immer wieder klang da der Name auf, den sie zu hören erwartet hatte. Suillius! Der Name des Menschen, den sie am meisten haßte, unversöhnlicher haßte als einen des griechischen Dreigestirnes Narzissus, Pallas und Callistus. Denn Haß ist nicht immer logisch. Im Grunde war Suillius doch nur ihr Handlanger und Helfershelfer gewesen. Doch Haß hat keine Gesetze.

Dem Suillius war der Erfolg zu Kopf gestiegen. Denn mit Ehren und weltlichen Gütern lohnte der Kaiser dem »wackeren Manne«, der die Entlarvung eines so sittenlosen Menschen wie des Asiaticus durchgesetzt hatte, eines Mannes, der in eine der vornehmsten Ehen Roms eingebrochen und eine Frau von der Sittenstrenge der Poppäa Sabina seiner lüsternen Verworfenheit untertan gemacht hatte!

Suillius schnüffelte und tüftelte weiter, um kaiserfeindliche und throngefährliche Personen aus der Verborgenheit hervorzuzaubern. Das war ihm zur Leidenschaft geworden. Die Ehrungen kitzelten seinen Ehrgeiz, die Belohnungen seine Habgier. Er hatte sich zum gefürchtetsten Manne in Rom aufgeschwungen. Man opferte ihm Unsummen im voraus, auch wenn man den Verleumder nicht zu fürchten brauchte. Bald konnte Suillius sich zu den reichsten Männern in Rom zählen.

Schon wieder hatte er zwei römische Patrizier, die Brüder Petra, an den Henker zu liefern vermocht. Er behauptete, sie hätten einen Traum gehabt, der dem Kaiser großes Unheil prophezeite. Zeugen, denen die beiden Brüder angeblich diesen Traum erzählt und in hochverräterischem Sinne gedeutet hatten, waren von Suillius aufgetrieben worden.

Diese Zeugen gehorchten teils aus Furcht, teils um erheblicher Summen willen dem schrecklichen Burschen. Sie bekundeten, die Brüder Petra hätten im Traume den Claudius mit einem Kranze welker Rebenblätter auf dem Haupte gesehen und das Traumgesicht dahin ausgelegt, im Herbst werde des Kaisers Leben abgelaufen sein.

Also im Herbst wollten die Petra den Kaiser fällen!

So behaupteten die famosen Zeugen des Anklägers Suillius.

Selbst dem Claudius schien das ein wenig weit hergeholt, obwohl er sonst gierig genug alles glaubte, was seiner Narrenfurcht vor Verschwörung und Mord einen Schimmer von Berechtigung verlieh. Schon stand er vor dem Entschlusse, die Klagen gegen die Brüder Petra niederzuschlagen, als Suillius sie mit neuen Gründen stützte.

Die Petra waren reiche Leute. Die Belohnung, die im Falle der Verurteilung aus ihrem Vermögen erwuchs, war nicht gering. Sie lohnte schon einiges Kopfzerbrechen.

So griff er kühn auf den Asiaticusprozeß zurück und wußte plötzlich und konnte es durch seine Zeugen beweisen: die beiden Brüder hätten in engen Beziehungen zu dem Ehebrecher gestanden. Ja sie hätten ihm sogar ihr Haus für seine ehebrecherischen Zusammenkünfte mit Poppäa Sabina zur Verfügung gestellt. Beihilfe zum Ehebruch und Hochverrat! Das genügte! Verurteilung und Hinrichtung folgten einander nun Schlag auf Schlag.

Dieses neue furchtbare Verbrechen trieb die reuige Sünderin Messalina, die jetzt nur von dem Willen beherrscht war, Vergangenes durch Läuterung zu sühnen, dazu, dem Denunziantentum des Suillius ein Ende zu bereiten.

Lange grübelte sie, wessen Hilfe sie anrufen solle. An wen in diesem an ehrbaren Männern trostlos öden Rom sollte sie wagen sich zu wenden? Gajus Silius fiel ihr ein, der Rechtsgelehrte, den man ihr gerühmt und den sie damals so gern als Verteidiger des Asiaticus gewonnen hätte. Rasch entschlossen hüllte sie sich mit Fabullas Hilfe in ein einfaches Gewand und machte sich in Begleitung der Vertrauten zu Fuße auf den Weg zu der Wohnung des Juristen, einem freundlich kleinen Hause auf dem Aventin.

Silius empfing sie sogleich. Ob er die Kaiserin wirklich nicht erkannte oder ob er sich nur den Anschein gab, sie nicht zu kennen, vermochte Messalina nicht zu durchschauen. Er war außerordentlich höflich und von einer ehrlichen Liebenswürdigkeit, die sie sofort für ihn einnahm.

Sie sah sehr wohl, daß er schön war. Sehr schön. Scharf umrissene Züge, die geistvollen, tapferen, klaren Augen eines Mannes, der sich mit Recht seines inneren Wertes bewußt ist. Doch war er weit jünger, als die Kaiserin sich den »Rechtsgelehrten« vorgestellt hatte. Aber rasch streifte sie die Befangenheit gegenüber dem jugendlichen Rechtsanwalt ab und faßte zu ihm Vertrauen.

Dieses Vertrauen, für das sie keinen triftigen Grund wußte, wuchs zur hingebenden Sicherheit. Die seelische Bedrückung der letzten Wochen fiel von ihr ab, als dulde das kernige und männliche Wesen dieses lebensfrohen, starken Mannes keine Düsterkeit und Trauer in seiner Sphäre. Ihr Herz pochte freudig vor Hoffnung und in der Zuversicht, daß sie den rechten Weg gewählt habe.

»Man rühmte mir neben deinen Talenten vor allem deine Rechtschaffenheit, Gajus Silius,« eröffnete sie das Gespräch, als er mit ihr in seinem Arbeitszimmer allein war.

Fabulla hatte er in einem Nebengemache einen Platz angewiesen.

»Bist du auf der Suche nach der Rechtschaffenheit, schöne Frau?« fragte er mehr im Scherz, als das Lob der Fremden für bare Münze nehmend. Er zeigte sein hübsches Lächeln und genoß ohne Scheu die reife Schönheit seiner Klientin.

»Rechtschaffenheit zählt in Rom zu den vergrabenen Schätzen,« erwiderte sie, sein Lächeln und den freundlichen Blick seiner ausdrucksvollen Augen erwidernd.

»Die Schönheit der Schatzsucherin läßt auf ein Glückskind schließen. Denn schöne Frauen unterstehen dem Schutze der Venus,« gab er ihr zurück. »Und wem die gütige, große Göttin hold ist –«

Sie unterbrach bitter: »Nie war Venus mir hold. Niemals. Und ein Glückskind – nein, das bin ich gewiß nicht.«

Er hob eine zierliche Hand, die wohlgepflegt, doch ohne allen Schmuck war.

»Du sagst es – ich muß es glauben. Die Götter haben ihre Launen. Und Venus ist eine Frau!«

»Seit langem ist mein Leben vergiftet,« klagte sie, und Tränen traten ihr in die Augen.

Er sah es und fragte ergriffen: »Bist du gekommen, weil du glaubst, ich besäße die Macht, dieses Gift zu bannen?«

»Ja, das glaube ich,« rief sie mit strahlenden Augen.

»Warum? Nur weil du an meine Rechtschaffenheit glaubst? Man sagt in Rom den Menschen allzu leicht Schlechtes nach, und oft erweist es sich, daß man irrte. Sagt man mir zufällig einmal Rechtschaffenheit nach, warum sollte nicht auch das ein Irrtum sein?«

»Es ist kein Irrtum,« sagte sie fest. »Zur Rechtschaffenheit bedarf man in Rom des Mutes. Nachdem ich dich gesehen habe, glaube ich an deinen Mut.«

Er betrachtete bewundernd ihr in aufquellender Erregung glühendes Antlitz, das die Röte der Gemütsbewegung noch verschönte.

»So kommst du in einer Sache, zu der ich des persönlichen, nicht nur des geistigen Mutes bedürfte?«

»Genügt es dir, wenn ich dir einen Namen nenne?«

Er nickte.

Sie holte tief Atem und stieß hervor: »Suillius!«

Gajus Silius blieb einige Zeit stumm und sah mit geneigter Stirn. Als er den Blick wieder hob, waren seine Augen ernst und düster.

»Wer bist du?« fragte er, und auch seine Stimme klang härter als kurz vorher.

Er kannte sie also nicht! Messalina zögerte. Wenn er der Kaiserin nicht den Vorsatz zur Umkehr glaubte? Wer konnte ihr noch glauben nach allem, was man von ihr wußte! Das hatte sie nicht bedacht, als sie ihn aufsuchte. Sie erschrak. Konnte ihr Name nicht eine Kluft öffnen zwischen ihr und diesem reinen Manne, eine Mauer werden, die ihr den Weg zu ihm versperrte? Unzweifelhaft nannte man in Rom ihren Namen zusammen mit den Schuftsnamen Suillius, Narzissus, Pallas und Callistus.

Sie seufzte tief und schmerzlich. Ihre Vergangenheit hob wieder drohend ihr Medusenhaupt.

»Vergiß nicht, edle Frau, daß ich eine Rechtsvertretung in deiner Sache nicht zu übernehmen vermag, wenn du mich über dich selbst belügen wolltest,« mahnte er leise.

Sie sah ihn flehend an. »Ich komme nicht in eigener Sache zu dir, Gajus Silius. Es gilt die Sache vieler Menschen! Das Leid oder das Glück, die Rettung vieler, nicht eines einzelnen, steht auf dem Spiele. Es handelt sich darum, ob du den Mut besitzt, in aller Öffentlichkeit gegen Suillius aufzutreten, um seinem Treiben ein Ende zu machen.«

Er prüfte ihre erregte Miene, musterte scharf ihre ganze Erscheinung. Aber er sah nichts als eine schöne Frau in noch jungen Jahren, in einfachem Gewande. Weder Schmuck noch äußere Anzeichen verrieten, welchem Stande sie angehörte. Daß sie guter Herkunft war, ergab ihre Ausdrucksweise, vielleicht auch die Nennung des Namens Suillius. Denn welches Interesse konnte eine Frau aus niederem Stande daran haben, diesem gewerbsmäßigen Halunken das Handwerk zu legen! Er verfolgte nur Wohlhabende und Angesehene. Auch entging dem verwöhnten Weltmanne keineswegs der zarte Duft, der heute von ihr ausging und angenehm auf seine Sinne wirkte. Der flehende Blick, die in stummer Bitte innig gefalteten Hände, der in banger Erwartung leicht geöffnete, blühende Mund, der erregt fliegende Atem ...

Silius streifte mit der Hand über seine Stirn. Er fühlte, wie die rührenden, bizarren Augen der Fremden ihn gefangennahmen, wie etwas in seiner Seele sich ihr lind und mitleidsvoll zuneigte. Er zuckte unwillig die Achseln, als wolle er sich gegen seine unsachlichen Empfindungen wehren. Er wollte nicht befangen, wollte nichts als Anwalt sein einer Rechtsuchenden gegenüber.

So versuchte er einen geschäftlichen Ton anzuschlagen. Doch es gelang ihm nicht recht. Sie sah in ihrem Kummer so erwartungsvoll und voller ergreifenden Reize vor ihm, daß er immer wieder nur die schutzbedürftige, schwache Frau in ihr zu erblicken vermochte. Und da er ein echter und ein starker Mann war, erwachten alle Helferinstinkte in ihm und verlangten, diese Frau zu behüten und zu bergen gegen alle Gefahren dieser Welt.

So blüht in echten Männern die Liebe auf.

»Wer sandte dich zu mir?« fragte er endlich nach langer Pause.

»Niemand als ich selbst – oder alle Menschen, die Gutes von dir sprechen – oder wenn du willst, vielleicht auch ein erwachtes Gewissen.«

»Dein eigenes Gewissen doch wohl nicht?« riet er zögernd. Er wendete den Blick ab, als er hinzufügte: »Laß mich wenigstens denken, dein Gewissen habe nie geschlummert.«

»So laß mich verschweigen, wer mich zu dir sandte,« bat sie, erhob die gefalteten Hände und legte sie vor die Brust. »Nur eines sollst du mir sagen, wenn du den Ruf des Suillius kennst – –«

Sogleich warf er heftig ein: »Wer kennt nicht den Ruf dieses Mannes, in dem alle Gerechten in Rom nur noch einen tollwütig gewordenen Hund sehen?«

»Und ist dir nicht die Macht gegeben, von seiner hündischen Fratze die Larve der Kaisertreue und der Biederkeit herunterzureißen, so daß die Welt endlich den Schurken in seiner elenden Blöße erkennt?!«

»Die Welt?« spottete er bitter. »Ist Rom jene Welt, die sich vor dem Anblick eines Schurken so sehr entsetzte, daß sie sich seiner entledigte? Was du mir zumutest, bedeutet den Kampf gegen ganz Rom. Es stehen sehr Mächtige hinter Suillius, die ihn schützen, mich aber verderben würden.«

»Ich vertraute so fest deinem Mute,« sagte sie traurig.

Ihre Enttäuschung entflammte ihn.

»Wie hast du dir mein Vorgehen gedacht?« fragte er. »Ich weiß im Augenblicke wirklich nicht, wo ich angreifen sollte. Denn wenn mich auch das Treiben des Suillius, der Griechenbande bei Hofe und – – der Kaiserin Messalina tief erbitterte, so habe ich doch noch nie darüber nachgedacht, wie diesem Verbrecherpack beizukommen wäre.«

Mit aller Macht hatte sie sich beherrscht, als er wagemutig unter dem »Verbrecherpack« ihren Namen nannte. Sie hatte nicht mit der Wimper gezuckt. Jetzt schlug sie mit belegter Stimme vor: »Greife Suillius an!«

»Suillius? Hm! Es wäre freilich die angreifbarste Persönlichkeit. Aber dann müßte mir jemand Tatsachen liefern, die mir ein Vorgehen ermöglichen. Doch man schweigt lieber und duldet in diesem Rom der Bestechung und der Furcht vor dem blutigen Zorn des Imperators und seiner Getreuen.«

»Ich könnte dir Tatsachen liefern –«, hob sie an. Doch sie brach mit gesenkten Augen ab und verstummte in brennender Scham.

»Aber du bist ein schwaches Weib und fürchtest die Folgen,« vollendete er. »Nur zu begreiflich.«

Ihr Blick tiefster Dankbarkeit für diese großmütige Entschuldigung ging ihm zu Herzen.

»Wenn du mir wenigstens sagen könntest, was du dir gedacht hast, als du mich aufsuchtest,« sagte er, gepeinigt von dem Gefühle, sie schonen und doch ihr beistehen zu wollen.

»Ich dachte nur das eine: du wärest der Mann, zu dem ich gehen müsse,« flüsterte sie.

Er blickte flüchtig auf, sprach dann aber ganz sachlich:

»Nun gut, nach Frauenart folgtest du einem Impulse, ohne dir nähere Rechenschaft abzulegen. Aber irgendetwas Bestimmtes muß dir doch vorgeschwebt haben. Versuche, mir das zu schildern.«

Sie wollte sprechen, wollte ihm Handhaben geben. Sie wand sich in dem Bemühen, sich ihm zu erklären, ohne zu bekennen. Sie hatte sich nur an eine vage Hoffnung geklammert, mußte nun aber einsehen, daß es notwendig war, diese Hoffnung in irgendeine feste Form zu kleiden. Wie aber konnte das geschehen, wenn sie das Geständnis ihrer eigenen Schuld vermeiden wollte?!

»Du bist doch zum Konsul ausersehen,« suchte sie sich deutlicher zu erklären. »Wie nun, wenn du vor dem Senate versuchtest, Ordnung zu schaffen – zum Beispiel in der Handhabung der Gerichtsbarkeit, die Suillius, der stets selbst erkauft und bestochen ist, durch erkaufte Zeugen und Bestechungen fortgesetzt am Narrenseile führt.«

Er sah sie erstaunt an.

»Diese Anregung hast du dir selbst ausgedacht?«

»Ja.«

»Niemand hat sie dir eingeflüstert?«

»Ich sagte die Wahrheit.«

Eine Sekunde zögerte er.

Wer war diese Fremde? Er sah vor sich ein verführerisches Weib, eine Lockung, einen Mund, der viel geküßt hatte, Augen, die er nicht ganz zu enträtseln vermochte. Und diese Frau, zur Liebe geboren, deren Mundwinkel von leidenschaftlichen Stunden flüsterten, stand vor ihm mit scheuem Blick und flehender Gebärde.

Da sagte er, und jedes Wort wog schwer und hart:

»Kamst du nicht als Versucherin? Willst du nicht nur meine Meinung ergründen und nachdem ich sie preisgegeben habe – hingehen und als Verräterin mich dem Suillius selbst ausliefern?«

Im nächsten Augenblick schon bereute er die Frage.

Das Gesicht der Fremden wurde totenbleich. Sogar der Purpur der Lippen verblaßte. Die langbewimperten Lider legten sich über erlöschende Augen. Sie wäre von dem Sitze zu Boden gesunken, wenn Silius nicht rasch aufgesprungen wäre und sie in den Armen aufgefangen hätte.

Die enge Berührung mit seinem Körper brachte sie sogleich zu sich. Aber sie wich nicht zurück, sie lehnte sich an ihn, ohne bewußte Absicht, ganz in dem Gefühle des Schutzsuchens und Schutzfindens in der Kraft des Stärkeren.

Messalina genoß den köstlichen Augenblick der ersten keuschen Berührung mit einem Manne, der nichts von ihr begehrte, der nichts wollte, als sie schweigend um Verzeihung bitten für eine Kränkung. Und dennoch wagte sie nicht, ihn anzusehen. Sein Mißtrauen war in Rom nur allzu berechtigt. Würde er ihr nach dieser Frage glauben, daß sie nicht in verräterischer Absicht gekommen war, wenn er vernahm, daß sie die Kaiserin sei? Sie verneinte sich diese Frage mit dem festen Entschluß, ihr Inkognito unter keinen Umständen zu lüften.

»Vergib mir,« murmelte er, ihre Bewegung mißverstehend, als sie sich ihm jetzt entzog.

Sie bot ihm die Hand.

»Was habe ich dir zu vergeben? Vielleicht wirst du mir einmal vergeben müssen. Deine Frage traf mich tief, doch verwunden kann sie mich nicht. Wir leben in einer Zeit, in der Verrat in jedem Winkel spukt.«

Er hielt die kleine, zitternde Hand.

»Wer magst du sein – so klug und doch so vertrauensvoll?«

Lächelnd fragte sie: »Müssen Klugheit und Mißtrauen miteinander vermählt sein? Dann wehe, wenn wir leben müssen! Ja, ich vertraue dir und dennoch muß ich mich vor dir verbergen, Gajus Silius. Denn wenn ich dir offenbarte, wer ich bin, würdest du mir nicht glauben können, was ich in dir suche: den rechtschaffenen Mann, der den Mut hat, die Welt Rom von dem Alpdruck des Denunziantentums zu befreien.«

»Du hast mein Versprechen, daß ich diesen Versuch machen werde,« versicherte er begeistert. »Die Gewißheit aber, daß mehr daraus wird als ein Versuch, kann ich dir nicht geben.«

»Du wirst siegen,« sagte sie in schöner Zuversicht.

Er sah sie an und gestand: »Du bist eine seltsame Frau. Du berückst, du schlägst in Fesseln – vielleicht ohne es zu wollen. Nun weißt du, wie es um mich steht. Ich gab dir mein Versprechen, und nun versprich du: laß dieses erste Zusammentreffen nicht das letzte gewesen sein!«

»Ich werde wiederkommen, wenn du dein Versprechen gehalten hast.«

»Als die Fremde, die mich jetzt verläßt?«

»Wahrscheinlich nicht. Ich werde dir vorher schreiben, wer ich bin. Vielleicht, Gajus Silius, weisest du mir dann die Tür.«

»Niemals!« rief er und drückte sein Gesicht auf ihre Hände. Sie zitterten.

Mit der Leidenschaftlichkeit ihres Gemütes gab sie sich dem schmerzlich süßen Gefühle hin. So standen sie einige Minuten stumm einander gegenüber. Dann riß sie sich los und flüchtete. – –

Wenige Tage später besprach ganz Rom einen erregten Auftritt, der im Senat und in Gegenwart des Kaisers stattgefunden hatte. Den Anlaß zu dieser Szene hatte ein trauriger Vorfall gegeben.

Ein angesehener Römer namens Samius war von Suillius um den größten Teil seines Vermögens betrogen worden. Der verarmte Betrogene entleibte sich im Hause des Betrügers, nachdem er allerorten vergeblich versucht hatte, zu seinem Rechte zu kommen. Niemand wagte ihm gegen den furchtbaren Verleumder beizustehen.

Der designierte Konsul Cajus Silius trug im Senate dieses traurige Ereignis vor und knüpfte daran eine von feuriger Empörung und gerechter Entrüstung flammende Rede. Er lief Sturm gegen die Habgier der Ankläger, gegen die Bestechlichkeit der Richter und der Rechtsvertreter, gegen die bezahlte Meineidigkeit der Zeugen, gegen die verlotterte Moral überhaupt, vor allem aber gegen die feige Furcht vor dem von Raubsucht und Bereicherungswut erzeugten Denunziantentum.

Dann beleuchtete er grell den verabscheuungswürdigen und verruchten Charakter des Suillius.

Er rief das Gewissen des Senates an, des Kaisers, der Ratgeber des Cäsars, das Gewissen ganz Roms, diesen eines großen Volkes schmählich unwürdigen Zuständen ein Ende zu bereiten, den Skandal käuflichen Rechts, käuflicher Zeugen, käuflicher Ankläger zu beseitigen, sich von der Schande der Justizmorde zu befreien und den meineidigen Suillius und seine erkauften Kreaturen nach Recht und Gesetz zu richten.

Alle Welt bestaunte den Mut des jungen Rechtsgelehrten, entflammte sich an diesem Mute und gedachte mit begeisterter Hoffnung der großen Erwartungen, die man auf diesen kühnen Redner, der zum Konsul für das kommende Jahr erwählt war, setzen durfte, wenn er erst sein Amt angetreten hätte.

Er war der so lang und so bang erwartete »Mann« in Rom.

In stürmischer Freude vernahm Messalina von dem Erfolge des Cajus Silius. Claudius selbst brachte ihr ahnungslos die Nachricht. Auch er war erschüttert von der Wahrheit der zornsprühenden Anklagen des jungen Mannes, war gepackt von dem Mute, mit dem Silius seine Beschuldigung vertreten, überzeugt, daß Wandel geschaffen werden müsse.

»Es war, als versinke eine böse Vergangenheit, nach der eine neue reine Zukunft kommen muß,« schloß er seine Schilderung, ohne zu begreifen, wie schwer die Worte des Cajus Silius ihn selbst getroffen hatten.

»Wie wahr – wie wahr!« nickte die Kaiserin. Ein feierlicher Glanz überleuchtete ihr Gesicht.

»Du müßtest ihn sehen,« fuhr Claudius fort in einer Begeisterung, die ihm sonst so fern lag. »Man sieht ihn und liebt ihn augenblicklich.«

Dann wunderte er sich still über den eigentümlichen Blick und das weltvergessene Lächeln, mit dem Messalina an ihm vorbei in unbekannte Weiten träumte. –


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