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3

Die bläuliche Farbe des Marmors verlieh dem Badewasser ein durchsichtiges Türkisblau, als wäre die nach starken Essenzen duftende Flüssigkeit in der Wanne dem Meere entnommen. Von diesem Naß ließ Valeria Messalina behaglich den jungen Körper umfluten.

Wohlig regungslos lag sie in dem Bassin. Sie erfrischte sich von der Anstrengung des langen, staubigen Aufenthaltes im Zirkus, um vorbereitet zu sein auf die neuen Forderungen, die das Gastmahl im kaiserlichen Palaste an sie stellen würde.

Einmal erhob sie den Arm und beobachtete, wie klare Tropfen von den Fingerspitzen in die Wanne zurückfielen, wie die kristallhellen Wasserstreifchen auf der Haut des Armes dahinrieselten, ein Gefühl erweckend, als streichele kosend eine unsichtbare, linde Hand. Dann tauchte der Arm zurück in den blauen Schimmer.

Wieder unbeweglich rastete die Schönheit der Mädchenglieder in dem kühlenden Wasser, das die Haut so wundersam täuschend färbte, als leuchte die lebensgroße Gestalt einer Göttin aus Elfenbein durch einen sie umschließenden riesigen Aquamarin.

Valeria Messalina sann dem im Zirkus Erlebten nach.

Doch dachte sie nicht an die Greuelbilder der einander zerfleischenden Netzfechter und ihrer Gegner: der mit dem Sichelschwert kämpfenden Mirmillonen und der mit der knochenzerschmetternden Kugel am Riemen bewaffneten Sekutoren – auch nicht an das blutspritzende Ringen zwischen Mensch und Raubtier, nicht an das Wutgebrüll der verwundeten Bestien, noch an die Schmerzensschreie der Unterliegenden – nicht an den tödlichen Ikarusflug des unseligen Menalippus – nicht an jenen Menschen, der unter schauerlichen Rufen bald irrsinnig in der Arena umherrannte, bald sich kreischend vor Schmerz im Sande wälzte in dem vergeblichen Trachten, das lodernde Gezüngel des auf seinem Körper brennenden Harzes zu ersticken.

An all dieses Häßliche und Abstoßende dachte dieses junge und lebensfrohe Geschöpf nicht.

Aber alle Schönheiten des Bildes der Rennerinnen suchte sie sich noch einmal zurückzurufen. Wie die geschmeidigen Körper dahineilten, als wären sie mit Windesschwingen beflügelt. Dort, wo die Sonne sie traf, waren sie wie zum Dasein erwachte goldene Statuen über den Sand geglitten – im Schatten der Spina glichen sie dann wieder marmornen Gestalten, denen die Sehnsucht, zu leben, Odem eingezaubert hatte. – Sie dachte daran, wie die weißen Körper beim Niederstürzen durcheinander taumelten, übereinander fortrollten und in der glühenden Röte, die das sonnendurchleuchtete Purpursegel über alle Vorgänge in der Arena goß, aus Flammenzungen geschaffenen Gebilden ähnelten – dann wieder durcheinander wirbelten, als ergötze sich die Gottheit in heiterem Spiele mit dem Schönsten, das sie erschaffen: vollendeten nackten Frauenleibern.

Ein geringschätziges Lächeln rieselte jetzt um Valeria Messalinas ausdrucksvollen Mund. Dann kam ein halblautes, silbernes Lachen über die roten Lippen. Sie hatte an den Nordländer Abalanda gedacht. Wie war es möglich, daß ein Mann – ein Mann! – vor dem Anblick der Rennerinnen das bärtige Kinn in die Toga vergrub und schamhaft den Blick senkte?! Dem Barbaren aus dem Lande der Unwirtlichkeit, fern der sieghaft leichtlebigen, sonnendurchglühten Freudigkeit Roms, ihm fehlte das Verständnis für das Schöne. Nüchtern und blutlos, glutarm war er. Ebenso sonderbar war sein nordisch zurückhaltendes Werben um ihre Gunst, das sich kaum je wirklich verriet und sich nur manchmal durch ein rasches Aufleuchten des Blickes sehnsüchtig offenbarte.

So warb man nicht um ein römisches Mädchen! Das hatte ihr Fabulla verraten.

Fabulla wartete vor der Tür des Baderaumes. Valeria Messalina rief hastig den Namen der Sklavin. Der schwere Vorhang aus dunkelblauem Filze, mit malachitfarbenen Ornamenten aus schmalen Seidenstreifen über und über benäht, schob sich nur ganz wenig zurück. Denn sein Gewicht diente dazu, die Tür so fest zu verschließen, daß in die wohlige Wärme des Gemaches keine Zugluft dringen konnte.

Fabulla trat ein. Sie war von gutem Wuchs, den die kurze Tunika der Sklavinnen mehr enthüllte als verbarg. Das Gewand bedeckte die Brust, die Schultern und den Nacken nur wenig. Auch die über kräftigen Knien sich muskelstark aufbauende Prallheit der Oberschenkel blieb halb entblößt. Fabullas Gesicht mit den nicht sehr großen, aber klugen braunen Augen unter steil nach den Schläfen abfallenden Brauen war ein Gemisch von bäuerlicher Hübschheit und dreist verschmitzter Schläue. Sie war die vertrauteste Dienerin der Valeria Messalina und hatte als Verna, als im Hause geborene Sklavin, das Vorrecht, sich zutraulicher zu benehmen als sonst eine Dienende.

»Wenn du nicht gerufen hättest, Herrin, so wäre ich jetzt von selbst gekommen, dich aus dem Bade zu scheuchen,« rief sie und zeigte lachend ihr gesundes Gebiß. Mit einem flinken Griffe löste sie den Wollgurt von den Hüften, dann die bronzene Fibel, die ihr die Tunika auf den Schultern festhielt. Nun stand sie ohne Hülle da, bereit, ohne Gefährdung ihres Gewandes den nassen Körper Valeria Messalinas zu massieren.

»So«, ermunterte sie, »nun komm, Herrin, und laß dich kneten. Oder befiehlst du Aufidia?«

»Nein, deine Hände sind geschickter,« lehnte Valeria Messalina ab. »Aber laß mich noch ein wenig im Wasser ruhen. Du sollst mir zunächst ein paar Fragen beantworten.«

»Nur zu, Domina, frage, soviel du magst,« forderte Fabulla auf, indem sie sich am Rande des Marmorbeckens niederließ. Ihr entblößter Körper fand sein Spiegelbild auf der unbewegten Oberfläche des Wassers. Die Sklavin schnupperte mit der kecken Nase. »Hmmm – wie deine Badeessenzen gut duften! Wer das auch so haben könnte!« Mit einem drolligen Seufzer sah sie listig die junge Tochter des Hauses an.

Valeria Messalina musterte die drallen Formen der Untergebenen. »Du siehst reinlich und appetitlich aus –«

»Wie immer,« warf Fabulla scherzend ein, wohlgefällig über ihren Körper streifend.

»So komm in die Wanne und knete mich im Wasser,« fuhr das Mädchen fort. »Dann hast du gleich Teil an meinem duftenden Bade.«

Fabulla klatschte auf den derben Oberschenkel. »Du hast da eine neue Bademanier ersonnen, Herrin. Du bist erfinderisch wie der Kaiser. Erzähle ihm davon, wenn du heute mit ihm tafelst.«

»Er wird sich nicht für solche Nichtigkeiten interessieren,« erwiderte Valeria Messalina. »Auch wird mein Platz wohl kaum auf dem Tischbette des Kaisers sein.«

»Dumm genug von ihm, wenn er sich eine so köstliche Nachbarin entgehen läßt,« meinte Fabulla. »Doch was wolltest du eigentlich fragen, Herrin? Ich werde zwar zu unwissend sein, dir dienen zu können, immerhin frage.«

Valeria Messalina blickte versonnen auf die Wandbilder von der Hand eines sizilischen Künstlers, die den Baderaum schmückten. Es war ein buntbewegtes Spiel von Nereiden und Tritonen in den Wellen des Meeres.

»Sage mir, Fabulla, du bist fünf Jahre älter als ich und hörst so manches in den Gesindekammern hinten im Hause – warum hat der Kaiser mich heute zu seinem Gastmahle geladen – absichtlich allein – ohne die Eltern?!«

Fabulla drückte ein Auge zu. Ihr Gesicht war köstlich heimliches Belustigtsein. »Ich weiß es nicht,« suchte sie auszuweichen.

Valeria Messalina zürnte.

»Du weißt es sehr gut. Du verbirgst es mir, wie meine Mutter es mir zu verbergen sucht. Ist das der Dank für meine Güte gegen dich?!«

Sie wandte unmutig die Glieder im Wasser.

»Herrin,« entgegnete die Sklavin, »es dürfte schwerlich meine Sache sein, dich über die Bedeutung dieser Einladung aufzuklären. Hätte meine Aufklärung in deinem Gemüte und deinen Entschließungen Folgen, so könnte mir das empfindliche Strafe eintragen.«

Das junge Mädchen richtete sich im Wasser auf. »Habe ich dich je bestraft?« fragte sie unwillig.

»Gewiß nicht,« bestätigte Fabulla eifrig mit einer demütig dankbaren Gebärde. Dann zog sie die Knie empor und umschloß mit ineinander gelegten Händen ihre Beine. »Nie hast du gegen mich oder eine meiner Gefährtinnen die greuliche Stachelpeitsche erhoben. Seitdem ich allein dir dienen darf, bleibt mein Rücken und auch meine Brüste frei von Schmerz und Wunden. Domina Lepida, deine Mutter, aber weiß die Peitsche um so besser zu gebrauchen, wenn das geringste Versehen ihren Zorn erregt.«

»Laß das!« unterbrach Valeria Messalina mit zusammengezogenen Brauen. »Nicht über meine Mutter habe ich dich gefragt. – Ich merke schon, du willst dich der Antwort auf meine Frage entziehen. Wenn ich dir nicht befehlen soll, auch für mich einmal die Stachelpeitsche zu holen, so rede endlich.«

Fabulla blickte hilflos drein.

»Domina, ahnst du denn wirklich nicht den Grund dieser Einladung?!« fragte sie und blinzelte in die helle Sonne über dem geöffneten Dach, den eindringlich forschenden Augen der Herrin auszuweichen.

Zum Glücke Fabullas rief draußen vor dem dicken Filzvorhang der hierzu bestimmte Sklave die Zeit aus. Es war die neunte Tagesstunde seit Sonnenaufgang, und in der zehnten sollte das Gastmahl Caligulas beginnen. Das heikle Zwiegespräch wurde durch den Stundenruf unterbrochen. Fabulla atmete befreit auf.

»Es ist höchste Zeit!« rief aufgeschreckt Valeria Messalina. »Steig' rasch zu mir in die Wanne und knete mich, damit wir schnell das Bad beenden.«

Die Verna schlüpfte eilig in das duftende Wasser. Mit geschickten Händen walkte sie alle fleischigen Teile des ebenmäßigen Körpers, ohne durch Zupacken und Drücken wehe zu tun.

»Schnell, schnell,« trieb das Mädchen die Sklavin an, »wir haben kaum Zeit zum Ankleiden. So. Genug.«

Damit sprang sie auf und entschlüpfte der Wanne.

Auf dem Ruhelager war bereits eine Endromis handgerecht ausgebreitet. Auf diesem aus zottiger Wolle gewebten, purpurgefärbten Mantel von tyrischem Rot bettete die Sklavin jetzt den weißblühenden Leib der Domina. Einen Augenblick erfreute sie sich an dem schönen Bilde des auf der üppigen Purpurunterlage ruhenden Gefüges ranker, junger Glieder. Dann wickelte sie die Endromis dicht um Valeria Messalina und rieb und frottierte aufs neue.

Mittlerweile war auch sie selbst trocken geworden und bekleidete sich eilig mit der Tunika.

Aus der Wand ragte der aus Erz gegossene Kopf eines Hirsches, der sein aus Gold getriebenes Geweih wie zum Kampfe gesenkt hielt. Die Sprossen des Gehörns dienten zum Aufhängen von Kleidungsstücken, von Mänteln und Tüchern. Von hier nahm Fabulla eine andere, saphirblaue Endromis, in die sie die Herrin hüllte, nachdem Valeria Messalina sich, erfrischt und belebt, erhoben hatte.

Nun begaben die beiden Frauen sich in das nebenan liegende Ankleidegemach.

Hier harrten schon andere Sklavinnen. Sie hielten muschelförmige Schalen mit Salben und Schminken bereit, kleine Kristallgefäße mit Parfümerien, ferner Tuniken und Stolen von schneeweißer Farbe zur Auswahl für das Festgewand dieses Abends. Zwei Dienerinnen breiteten Lacernen in mannigfachen Farben aus, damit die Herrin unter diesen Männermänteln einen Überwurf für den Weg in der Sänfte wähle.

Noch in die blaue Endromis gehüllt, nahm Valeria Messalina Platz in einem Sessel, dessen Seitenlehnen aus Schildkrot mit goldenen Intarsien gefertigt waren. Fabulla entblößte den Nacken der Domina, den eine hierzu bestimmte Sklavin sofort mit einer stark duftenden, aber rasch verdunstenden Essenz zu salben begann. Nur ein zarter, erfrischender Hauch blieb auf der Haut und in den Nackenhaaren Valeria Messalinas verfangen.

Kaum war dies beendet, kniete ein Mädchen vor der Domina nieder und hielt ihr den Spiegel, eine zu Hochglanz polierte große Silberscheibe, entgegen, in dem sie den Werdegang der Frisur verfolgen konnte. Eine ältere Sklavin, mit Namen Laronia, ordnete die Haare, trocknete sie mit heißen Tüchern, um dann durch erhitzte Elfenbeinstäbchen das schwarze Gewoge zu wellen und in Locken zu zwingen. Laronias kundige Finger waren im Hause berühmt. Im Nu entstand die Haartracht, die von einem seidenen Doppelbande durchflochten und zusammengehalten wurde. Dann befestigte Laronia die Haarbänder mit kostbaren Nadeln. Ihre Köpfe waren aus Edelsteinen und reihten sich unter ihren flinken Händen über dem Weiß der Seidenbänder zu einem blitzenden Sternendiademe.

Jetzt kam das Schminken. Doch Fabulla riet zu mäßigem Gebrauch.

»Dein junges Antlitz ist am schönsten, wenn es in seinen natürlichen Gaben prangt,« versicherte sie lebhaft. »Laß dir damit genügen, daß ich die Lippen ein wenig röte, den Augenbrauen ein bißchen nachhelfe und einen unmerklichen Überhauch vom Ruß einer Nußschale an die Wimpern bringe.«

Auch das war ebenso sorgsam wie schnell vollbracht. Und nun winkte Fabulla die Sklavinnen mit den Tuniken und Stolen herbei.

Das Ankleiden geschah unter tiefem Schweigen. Nur ab und zu unterbrach ein befehlendes Wort der Domina die Stille im Räume. Oder die in einem winzigen Käfig aus golddrähtigem Geflechte gefangene Zikade zirpte halb süß, halb schrill ein paar Triller in das wortlose Hantieren der Sklavinnen, von denen jede ihres genau bestimmten Amtes zu walten, ihre sorgsam einstudierte Rolle in diesem wichtigen Akte der Toilette der jungen Herrin zu spielen hatte.

Das weite Gemach mit den Wänden aus kostbarem grünem Marmor Lakedämoniens, mit den Säulen aus Porphyr war von der Feierlichkeit und Stille einer heiligen Handlung erfüllt.

Fabulla streifte der Herrin die Tunika aus feinster weißer Seide über und gürtete dieses hemdartige, ärmellose Kleidungsstück dicht unter dem jungen Busen der Domina. Rasch brachte eine andere Sklavin die Stola herbei, die Fabulla durch Hefteln auf den Schultern befestigte und mit einer von Goldfäden durchflochtenen Seidenschnur über den Hüften zusammenraffte. So floß das schneeige Oberkleid, kostbar nur durch die Kostbarkeit des Stoffes, doch ohne jeden anderen Schmuck, in reichen Falten nieder an der hohen, jungen Gestalt. Während ein Mädchen die Gewänder mit Parfüm besprengte, ließ Valeria Messalina sich die mit Edelsteinen besetzten Socci auf die Füße streifen. Und nun war sie fertig.

In diesem Augenblicke trat Domina Lepida ein.

Sie blieb bei dem Türvorhang stehen, überrascht von dem anmutigen Anblick, der sich ihr bot: der Kreis der jungen, hübschen Dienerinnen und in seiner Mitte die Tochter, ein Bild jungfräulicher Frische und Unberührtheit.

Während Fabulla noch hurtig die fast vergessenen Ohrgehänge – für jede Seite drei birnenförmige, durch Goldkettchen getragene Perlen – befestigte, reichte eine andere Sklavin eine Silberplatte dar. Valeria Messalina wählte einige mit Smaragden und Beryllen besetzte Armreifen, die sie über ihre schmalen kleinen Hände auf den Oberarm streifte, und eine Anzahl kostbarer Ringe. Nun trat Domina Lepida näher.

»Du wirst großen Eindruck machen, mein Kind, auf dem ersten Gastmahle, das du besuchst,« sagte die Mutter stolz.

»Sie gleicht ganz dir, edle Domina,« behauptete Fabulla. Sie ließ niemals eine Gelegenheit ungenützt, wenn die ihr als Hausgeborenen vergönnte Wortfreiheit ihr gestattete, sich durch eine gut angebrachte Bemerkung in Gunst zu setzen.

»Befahl dir der Kaiser denn aber nicht, ein koisches Gewand zu tragen?« mahnte Lepida mit Bedenken die Tochter.

»Ich habe diese Zumutung zurückgewiesen,« erklärte Valeria Messalina, trotzig die Oberlippe nagend. »Ihr alle fürchtet den Cäsar über Gebühr. Er verträgt die Wahrheit sehr gut, sobald er erkennt, daß einer den Mut zur Wahrheit hat. Das bewies Abalanda heute im Zirkus.«

»Abalanda ist der Gesandte eines fremden Fürsten und daher als Gast unverletzlich,« warf die Mutter ein.

»Lud der Kaiser mich nicht als Gast zu seinem Mahle? Auch ich muß ihm also unverletzlich sein.«

»Du kennst Caligula nicht, wie wir alle ihn kennen,« warnte Lepida eindringlich. »Kleide dich um, mein Kind.«

»Ich müßte die Schamhaftigkeit verlernt haben, ehe ich mich entschließe, durchsichtige Gewänder zu tragen.«

Fabulla flüsterte der Freundin Laronia zu: »Dann dürfen wir schon morgen solche Gewänder bereithalten.« –

»Du meintest, Mutter, ich kenne den Kaiser nicht?« fuhr Valeria Messalina nach kurzem Nachdenken fort. »Ich glaube, du hättest richtiger gesagt, der Kaiser kenne mich nicht. Das Beispiel Abalandas hat mich erst recht ermutigt. Ich werde mich seinen Launen nicht beugen, wenn ihr, du und der Vater, mich auch zwingt, schutzlos und führerlos in seinen Palast zu gehen.«

»Dann spielst du mit deinem Leben!« rief die Mutter entsetzt.

Das Mädchen lachte hell und glücklich auf. »Mit dem Leben zu spielen, ist lockend. Vielleicht gerade deshalb, weil es erst heute für mich begonnen hat.«

Valeria Messalina umarmte die Mutter herzlich und rief:

»Tränen entstellen dich, Mutter. Ich will den ersten Weg, den ich ins Leben tue, nicht unter deinen Tränen gehen. Das könnte üble Vorbedeutung haben. – Darum weine nicht. Was kann mir geschehen! Hat man mir nicht verheißen, ich würde Kaiserin sein?«

»Caligulas Gattin Cäsonia lebt noch,« sagte Domina Lepida ernst und mit Betonung.

Die Tochter machte eine abweisende Gebärde. »Mag sie noch lange leben! Ich denke nicht an Caligula. Er ist mir zu häßlich, zu plump mit seinem Bocksgesicht, das heute auf dem Forum ein Schaudern in mir hervorrief. Es wird nach ihm einen andern Kaiser geben.«

Mit einem raschen, forschenden Blicke tiefster Bestürzung musterte Lepida die Mienen der Sklavinnen, die diesen gefährlichen Worten kichernd lauschten. Doch – sie waren bisher alle treu befunden und wurden von Valeria Messalina gut behandelt. Lepida brauchte unter ihnen eine Angeberin nicht zu fürchten.

»Wir wollen die pränestinischen Lose befragen,« schlug Domina vor. »Wenn sie Gutes besagen, so wird mich das beruhigen.«

»Wie du willst, Mutter. – Doch sie können nur Gutes künden,« entgegnete das Mädchen zuversichtlich. »Ruft Ulsis und den Knaben Elpenor.«

Fabulla, stets diensteifrig, eilte aus dem Gemache, während Valeria Messalina eine Auswahl traf unter den Lacernen. Sie wählte einen veilchenfarbenen Überwurf, dessen Ränder reiche Stickerei in gelber Seide zierte. Der Besatz stellte aufgeblühte Dotterblumen dar, deren Staubgefäße von eingenähten Bernsteinkügelchen gebildet wurden.

»Du willst dich für den Weg in der Sänfte in einen Mannesmantel hüllen?« staunte Domina Lepida.

»Es ist eine Laune,« gab das Mädchen zurück. »Ich habe verschiedene Lacernen mit Stickereien schmücken lassen und finde, es sieht sehr hübsch aus. Diese Umhüllungen sind bequem. Warum soll man sie verschmähen? Warum sollen nur Männer ihre kosende Weichheit genießen?«

»Es gilt als ungehörig für eine Frau, ein Stück der Männerkleidung zu tragen,« erinnerte die Mutter.

»Ist es auch ungehörig, wenn ein Mann Frauenkleider anzieht?« fragte Valeria Messalina.

»Selbstverständlich!«

»Nun, dann wird der Cäsar nichts an mir auszusetzen haben. Denn ich hörte, daß er sich häufig mit Weiberkleidern behängt.«

»Er ist der Cäsar.«

»Und ich nehme für mich in Anspruch, was ihm erlaubt ist,« schnitt Valeria Messalina das Gespräch kurz und schnippisch ab.

Domina Lepida kannte den Eigenwillen ihres Kindes. Sie seufzte und schwieg.

Fabulla kam zurück. In ihrer Begleitung folgte ein schöner Knabe und die dunkelhäutige Sklavin Ulsis. Ihre mattbraunen Glieder waren nur dürftig mit einem Linnenkleide von krassem Rot verhüllt. Um den Hals trug sie allerlei sonderbaren Schmuck und eine zehnfache Reihe dicker Glasperlen, hinter denen sich der volle Busen verbarg.

Ulsis warf sich der jungen Herrin zu Füßen und berührte dreimal mit der Stirn das Mosaik des Fußbodens, bevor sie die unergründlichen Tieraugen stumm fragend auf Valeria Messalina richtete.

»Du sollst uns die Lose deuten,« befahl die Domina. Ulsis gab dem kleinen Griechenknaben einen Wink. Elpenor war bescheiden an der Tür stehengeblieben. Nun trat er mit zierlichen Schritten näher, vorsichtig ein Elfenbeinkästchen vor sich her tragend, das er der jungen Herrin überreichte. Sie ging damit in einen Winkel des Gemaches. Dort setzte sie das Kästchen auf ein aus der Wand hervorragendes zierliches Kapitäl. Eine sonderbare Figur aus Kupferguß stand auf dem Vorsprung. Valeria Messalina entzündete das Rauchopfer. Die aufmerksame Fabulla hatte alles vorbereitet. Ein betäubender Duft entströmte dem zur Decke aufsteigenden Rauchwirbel.

Mittlerweile hatte Ulsis ihrer Gürteltasche ein Lorbeerblatt entnommen, auf dem sie jetzt nach Seherinnenart kaute. Sie saß in der Hockstellung äthiopischer Sklavinnen mit gesenktem Haupte. Zu ihr ging nun Valeria Messalina und hielt ihr das geöffnete Elfenbeinkästchen hin. Ulsis entnahm dem Behältnis eine Faustvoll Stäbchen und warf die aus dem Holz der Ulme geschnitzten Lose zu Boden.

Sogleich eilte Elpenor herbei und suchte, wie seines Amtes war, mit geschlossenen Augen vier Lose aus, jedes einzeln der Afrikanerin übergebend. Sie schob je eines der Stäbchen zwischen die Finger der zur Faust geschlossenen Hand und starrte eine Weile auf die seltsamen Zeichen, die in das Oberteil der Ulmenhölzchen eingeritzt waren.

Alle Dienerinnen und Elpenor hatten sich an die Wand des Gemaches zurückgezogen. Nur Valeria Messalina, ein unmerkliches Lächeln der Zuversicht um den Mund, und Domina Lepida, mit vor Erwartung verhaltenem Atem, standen bei Ulsis, die in tiefer Versenktheit die Zeichen las.

Ein lautes Zirpen der Zikade schien die Sklavin endlich zu erwecken. Jetzt erhob sie den Blick und sah Valeria Messalina lange regungslos an.

»Hüte dich vor der Freundlichkeit deiner Venus,« begann sie endlich murmelnd zu weissagen. »Sie wird dir viel geben, mehr noch nehmen. Was sie dir gibt, macht dich zur Herrin. Was sie dir nimmt, macht dich zur Dienerin. Als Dienerin wirst du das Lager der Ärmsten aller Armen teilen. Als Herrin wirst du den Göttern gleich sein und in Palästen wohnen. Deine Lose sind tiefste Tiefe und höchste Höhe zugleich. An deinem Aufgange herrscht Venus. An deinem Untergange herrscht Mars. In deinem Mittag regiert die Sonne. Gen deine Nacht regiert Saturnus. Ein Leu wird dich zu Höhen tragen. Aber aus einem Gefäß wird ein Wasser fließen, in welchem Saturnus dich fortspült in die Tiefen der Einsamkeit. – Denn deine Sonne ist von einem Skorpion vergiftet.«

»Ein Leu wird mich zur Höhe tragen?« forschte Valeria Messalina erregt, nachdem Ulsis eine Weile stumm geblieben. »Nennt ihr in deiner Heimat den Löwen nicht ein königliches Tier?«

»Sein Zeichen ist das Zeichen der Menschen, die auf Thronen sitzen.« antwortete Ulsis in dunkler Andeutung.

»Sprich klar, Ulsis!« gebot die junge Domina streng. »Man hat mir geweissagt, ich würde Kaiserin sein –«

Die Äthiopierin unterbrach die Herrin, indem sie ihr die Faust mit den Losen entgegenreckte und auf das zwischen Ringfinger und Zeigefinger ragende Stäbchen deutete.

»Zwischen dem Gipfel des Saturns und der Wohnung der Sonne schreitet der Löwe,« sagte sie. »Du gelangst aus Tiefen zur Höhe. Mehr vermag ich dir nicht zu künden.«

Sie erhob sich zu kniender Stellung, neigte dreimal die Stirn auf den glitzernden Mosaikfußboden, dann sammelte sie die Lose auf. Das Kästchen an sich nehmend, verließ sie mit dem Knaben Elpenor wortlos das Gemach.

»Bist du nun zufrieden, Mutter?« rief Valeria Messalina eifrig.

»Die Götter mögen deinen Weg zum Palatin geleiten,« antwortete Domina Lepida zwischen Zweifel und Zuversicht.

»Dann rasch her mit der Lacerna, bevor die zehnte Stunde ausgerufen wird,« forderte fröhlich das Mädchen.

Die Dienerinnen hüllten sie in den veilchenfarbenen Mantel. Die schöne Römerin war eine wahrhaft fürstliche Erscheinung, als sie die glückbeschwörenden Abschiedsworte ihrer Sklavinnen entgegennahm. Mit munteren Redensarten geleitete Fabulla die junge Herrin bis zum Vestibulum.

Auf diesem Platze vor dem Hause, den zwei vorspringende Seitenflügel des Gebäudes säumten, harrten die acht Träger mit der Lektika. Dieses Tragbett war überdacht. Ein Baldachin aus Purpurstoff ruhte auf vier dünnen Säulchen aus Zedernholz. Unter den Goldfransen des Tuches hervor quollen Vorhänge aus gelbem Seidendamast, die Fabulla sorgfältig ordnete, nachdem Valeria Messalina sich in halb liegender Stellung aus den Polstern gebettet hatte.

»Ich lasse dir einen Spalt offen, Herrin, damit du sehen kannst, was auf den Straßen vorgeht,« sagte die Vertraute. Dann zeigte sie auf eine der vielen Statuen, die das Vestibulum schmückten. »Dies dort ist Eros, Domina. Man erzählt, er spiele bei den Gastmahlen des Kaisers eine große Rolle. Nun hat dich Ulsis auch noch vor allzu großer Gunst der Venus gewarnt. Hoffentlich hast du sie recht verstanden. Du bist ein schönes und begehrenswertes Mädchen. Es wird wohl das Beste sein, wenn ich dem Eros nachher einen Arm voll Rosen aus dem Garten bringe, damit er befriedigt ist und nicht von dir ein allzu großes Opfer fordert.«

»Wie meinst du das?« fragte Valeria Messalina.

Doch Fabulla hatte den Trägern schon einen Wink gegeben. Mit einem taktmäßig festen Griffe hoben sie die Tragstangen auf die Schultern und marschierten von dannen in einem gleichmäßig kurz stampfenden Schritte, der die Lektika kaum merklich wiegte.

Das Elternhaus der Valeria Messalina lag auf dem stets von frischen Winden umwehten Esquilin. Um von dort zum Palatin zu gelangen, mußte die Sänfte das enge, winklige Gassengewirr der Subura passieren. Auf steilen Treppen hinab schleppten die acht Sklaven die schwere Lektika, vorsichtig bemüht, das Tragbett in wagerechter Lage zu halten.

Endlich war wieder ebener Boden erreicht. Und nun ging es eiliger des Weges dahin zwischen den viele Stockwerke hohen Häusern der Subura, in deren erbärmlichen Gelassen die Geringsten Roms hausten. Bemalte Tafeln zeigten die Kaufläden an, in denen die auf den Schildern dargestellten Dinge feilgeboten wurden: hier ein Plakat mit einem mächtigen, von Würsten umrahmten Schinken – dort hatte der Künstler primitiv, aber gut erkennbar einen Kuchen gemalt – an dieser Stelle Gemüse oder gerupfte Hühner – an anderer eine kühn entblößte Frauengestalt, lockendes Wahrzeichen eines Freudenhauses.

Ein bunt wimmelndes Gedränge wogte in den Gassen. Die Abendkühle lockte ins Freie. Mitten in dem Menschenchaos stauten sich Durstige vor den Schenken, Neugierige umstanden einen Mann, der Tagesneuigkeiten verkündete, um dann heischend einen Tonnapf umherzureichen, in dem es ermunternd von kleinen Münzen rasselte. Kauflustige hörten einem Auktionar zu, der bescheidene Luxusgegenstände und Hausgeräte versteigerte. Eine Blinde klimperte inmitten des Menschenschwalls auf einem dürftigen Saiteninstrumente, ein schmutziger Bube blies ohne Sinn und Melodie dazu auf einer Panflöte. Fast unhörbar verklang diese Bettelmusik in dem rauschenden Atem der Menge.

Endlich hatten die Träger die Sänfte hindurchgewühlt durch die brodelnde Fülle der Gassenenge. Die breitere, von wohlhabenden Bürgern bewohnte Via nova, die zum Palatin führte, war erreicht. Auf der Höhe des Hügels ragten die kaiserlichen Paläste.

Vor einem Doppelportikus aus ungeheuern Säulen machten die Sklaven halt. Viele andere Tragbahren, aus denen die vom Kaiser geladenen Gäste eintrafen, hatten sich hier angesammelt. Obwohl noch Tageshelle herrschte, brannten zwischen den Säulen bereits bunte Lampen, Kerzen in silbernen Ständern von riesigen Ausmaßen, mit wohlriechendem Holze genährte Feuerchen auf künstlerisch gegossenen Bronzerosten. Ein Zeichen, daß hier ein Freudenfest großen Stiles gefeiert werden sollte.

Valeria Messalina hatte die Vorhänge zurückgeschlagen und sog das Bild der Macht und des Glanzes in sich ein. Brannten denn die Freudenfeuer nicht auch ihr zu Ehren?

War dieser Weg zum Palatin vielleicht der erste Schritt zur Verwirklichung der Weissagung, die vor Wochen die Sibylle geraunt – die vor kaum einer Stunde die losekundige Ulsis bestätigt hatte? ...

Valeria Messalina versank in einen bunten Traum, wie auf einem Zaubermantel zu ferner Zukunft hochsteigend. Aus diesem Träumen erwachte sie erst, als endlich auch ihre Sänfte sich vorwärts bewegte. Aber das Traummärchen war noch nicht zu Ende – es konnte noch weiter geträumt werden. Der Weg in den Palast führte durch wahre Säulenwälder, in deren Höhen goldstrotzende Kapitäle glänzten. Aus den mit Goldmosaik verkleideten Nischen sahen Hunderte von Marmorgestalten auf den Einzug der Gäste nieder. Eine Wolke von Weihrauch schlug den Ankommenden entgegen, herabwirbelnd von dem gigantischen Altare vor einem machtvollen Tempel mit goldenem Dache. Rings um den Platz woben sich Girlanden von roten und weißen Rosen, ragte blühender Lorbeer, prangten Blumenbeete ohne Zahl.

Das war ein anderer Anblick, als ihn vorhin die Subura geboten. Dort hatte Valeria Messalina die Falten ihres Mantels ans Gesicht gedrückt, um durch die aus dem seinen Stoffe dringenden Wohlgerüche den Kochgestank zu übertäuben, den die an allen Ecken und Enden sprudelnden Kessel der Garküchen hinaufsandten zu dem Rauche der Kamine. Doch die einfallende Kühle des Abends drückte die aus den unzählbaren Schloten quellenden Schwaden in die schmalen Gassen zwischen den Mietshäusern nieder.

Wie eng neben Pracht und Herrlichkeit wohnt tiefstes Elend und Not und Schmutz in Rom, dachte Valeria Messalina, als man die Staunende nun dahintrug zwischen Reihen von Prätorianern, vorbei an den prächtig aufgezäunten und ins Gebiß schäumenden Rossen der berittenen kaiserlichen Leibgarde, die ausschließlich aus den reitgewohnten Germanen bestand.

Endlich hoben Sklaven in reichen Gewändern das von dem Zauber der neuen Umgebung überwältigte Mädchen aus der Sänfte. Wedel aus buntgefärbten, kostbaren Straußenfedern wölbten sich als Schmuck und Schutz über Valeria Messalina. Noch immer traumbefangen, doch stolz aufgerichtet, schritt sie hinein in die Höhle des Wahnwitzes und der Niedertracht. Die schimmernden Wände des Kaiserpalastes aus goldgetöntem Marmor Äthiopiens umfingen das junge erwartungsvolle Geschöpf.


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