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Die Aussprache, die Messalina bald nach der Abreise des Kaisers mit Narzissus hatte, nahm zunächst den Verlauf, den die Kaiserin erwartet hatte. Zwar erschrak der neue kaiserliche Statthalter offensichtlich vor der Aussicht auf einen nahen Umsturz, doch sprach er zunächst nicht dagegen. Der Name Silius war nicht gefallen. Sie sprach nur vom Sturze des Claudius und ihrer Absicht, gleichwohl Kaiserin zu bleiben.
»Verstehe mich recht, Narzissus,« bat Messalina, als sie sein Zögern bemerkte. »Du selbst verrietest, meine Laufbahn als Kaiserin stehe kurz vor dem bitteren Ende. Claudius, der früher jeden seiner Schritte mit mir besprach, begibt sich nach Ostia, nimmt kaum flüchtigen, fast fluchtartigen Abschied von mir und lädt mich nicht ein zu einer Feier, die er ehedem niemals ohne meine Teilnahme begangen haben würde. – Ist das nicht ein beredtes Vorspiel zu dem, was mir droht?«
»Deine Ahnung trügt dich nicht,« gab Narzissus widerwillig zu.
»Ich danke dir für deine Offenheit,« sagte sie, ihn fest ansehend. »Sie soll mir ein Beweis sein, daß du mich wohl doch einmal wirklich geliebt hast.«
»Es war so,« raunte er traurig. »Ich liebe dich noch immer, Messalina.«
Überwunden von seinem Gefühle, griff er nach ihrer Hand. Seine Lippen stammelten unzusammenhängende Worte. Er beugte sich nieder und wollte diese kleine, kühne Hand küssen. Doch Messalina entzog sie ihm sacht und streichelte ihm sanft die Wange.
»Wir wollen Vergangenes vergangen sein lassen,« mahnte sie leise. »Für deine Offenheit danke ich dir herzlich. Freilich wäre es dir nicht gelungen, mich zu täuschen. Ich weiß, daß statt meiner die von deinen Freunden zur neuen Kaiserin ausersehene Agrippina dem braven und gehorsamen Claudius nach Ostia folgen durfte.«
»Ich habe an diesen Machenschaften nur den Anteil, zu dem mich die Treue gegen meine Freunde verpflichtet,« entschuldigte er sich.
»– und das angebliche Staatswohl von dir verlangt,« ergänzte sie, ihn zutraulich anlächelnd.
»Auch das.«
»Wie vereint sich nun aber mit deiner Pflicht gegen das Wohl des Staates, daß du bis jetzt kein Wort des Widerspruches gegen meinen Plan vorgebracht hast?«
»Verzeihe, Domina,« bat er nach kurzem Überlegen. »Wer in unserm Rom hätte nicht gelernt, sich selbst der Nächste zu sein. Du ließest durchblicken, daß dein Plan nicht meinem Heile – auch nicht dem Heile meiner Freunde – zuwiderläuft.«
»Vor allem nicht deinem Heile, mein Freund!«
Sie sagte es so sonderbar betont, daß er sie lange eindringlich maß, ihre geheimsten Absichten zu lesen. Doch ihr Lächeln blieb undurchdringlich, rätselhaft versprechend und doch alles verschweigend.
Er zuckte ungeduldig die Achseln. »Es wäre wünschenswert, du sprächest dich klarer aus, hohe Frau. Andeutungen können nicht genügen, mich zu gewinnen.«
»Aber halb und halb gewonnen bist du schon?« forschte sie, zitternd vor Erwartung.
»Da wir ohne Zeugen sprechen, bringt mein Ja mich nicht in Gefahr,« gab er zurück.
»Das war wenig schön gesagt, Narzissus,« schmollte sie. »Ich habe dir Vertrauen bewiesen.«
»Ich dir nicht weniger.«
»Du hast recht,« gab sie zu, um dann auszubrechen: »Agrippina meine Nachfolgerin! Begreifst du, daß ich mich fast mehr als an mein Leben an den Gedanken klammere, ihr nicht den Platz zu räumen?«
»Dein Plan beweist es.«
»Noch weißt du längst nicht alles von meinem Plane. Doch sage mir: nach dem, was ich dir enthüllte, hältst du ihn für durchführbar?«
»Warum sollte er es nicht sein?« fragte er dagegen. »Unmöglich wäre nur eines, die kaiserliche Macht in deine Hände zu legen. Ein Weib auf dem Sitze des Principats – das würde kein Römer ertragen.«
»Aber wer denkt denn daran!« rief sie verwundert. »Ich denke nicht an mich. Kaiserin will ich bleiben, gewiß, doch nur an der Seite eines Mannes, an dessen Fähigkeiten ich nicht zweifle. Ein Mann, der bewies, daß er zum Cäsar geboren ist.«
Ihm ins Auge blickend, um den Eindruck ihrer Worte zu prüfen, fügte sie hinzu: »Diesem Manne stehe ich nahe, Narzissus!«
»Dann setzt also deine Absicht, Kaiserin zu bleiben, voraus, daß du diesen Mann zur Ehe nähmst.«
»Oder umgekehrt: daß er mich nähme.«
Sie legte die Hände auf seine Schultern und bat flehend wie ein Kind: »Narzissus, stehe mir bei – nur du vermagst es – du liebtest mich – du sagst, du liebst mich noch!«
Jetzt glaubte er sie zu verstehen. Hoch auf tobte ein Gedanke in ihm: meinte sie ihn?! Er, der Cäsar! Ihr Gatte?! Er war im Begriff, sie an sich zu reißen, in glühenden Küssen sein Einverständnis zu besiegeln.
Da reichte sie ihm die Hand und sagte: »Silius und ich würden es dir nie vergessen, wenn du bei uns ständest in der Stunde der Gefahr.«
Narzissus war ein Genie in der Kunst, sich im entscheidenden Augenblicke meisterhaft zu beherrschen. Er, der bis zur Sekunde geglaubt hatte, Messalina spräche von ihm, verlor nicht einen Augenblick die Fassung. Nur sein Auge verriet, was in ihm vorging. Doch selbst den erstaunten, verwirrten, wilden Blick verbarg er hinter gesenkten Lidern.
»Ich begehre weder Dank von dir, Domina, noch auch von deinem Freunde Silius,« entgegnete er gelassen nach kurzem Schweigen. »Ich will dir jedoch ein Mißverständnis nicht verhehlen. Ich vermeinte, deine Eitelkeit klammere sich an deinen fürstlichen Rang. Jetzt erkenne ich, Liebe ist die Erzeugerin deines verwegenen Planes.«
»Eine wundersame, große Liebe, Narzissus,« sagte sie verklärt, da er ganz ruhig sprach und seinen Worten den Tonfall sachlicher Überlegung zu geben wußte.
»Ich freue mich für dich, Messalina. Aufrichtig und ehrlich. Doch sage mir eins: Weiß Silius, daß du mich um Hilfe angehst?«
»Nein,« gestand sie mit einem feinen, scheuen Lächeln, »es ist mein Stolz, ihm zu dem Throne zu verhelfen.«
Narzissus nickte. »Ich begreife – ein Geschenk deiner Liebe!«
»Ja,« bekannte sie innig. »Und nun weiß ich auch, daß du mir helfen wirst. Mein Gefühl sagt es mir.«
»Dein Gefühl täuscht dich nicht,« versicherte er fest.
Doch da hatte sie ein schmerzliches Flackern in seinen Augen wahrgenommen. Kurz nur und sofort gebannt, doch verräterisch genug für die Frau, die diesen Mann einst leidenschaftlich geliebt hatte.
»Bist du irgendwie enttäuscht, Narzissus?« fragte sie verwundert betroffen.
»Nur bedrückt, Domina,« leugnete er. »Wer in meiner Stellung wäre es nicht? Der Staat, den ich seit Jahren mitgeleitet, mitgeordnet habe, vor einem gewaltsamen und zugleich gewaltigen Umsturz! Das ist nichts Geringes.«
Er atmete hastig und erregt und zerrte mit nervösen Fingern am Halsausschnitte seiner Tunika. Plötzlich fragte er kalt: »Was wird mein Lohn sein?«
Sie rechnete mit seinem Ehrgeiz und meinte ihn zu trösten, wenn sie versprach: »Sei versichert, daß Silius als Cäsar nie vergessen wird, was deine Kraft dem Staate bedeutet. Auch seine Anhänger nicht, die längst vor mir ihm das Principat antrugen.«
»So – auch das geschah bereits?« horchte er auf.
»Und vertraust du ihm nicht, so vertraue mir, Narzissus,« flehte sie, dicht vor ihn hintretend. »Denk an unsre Liebe von ehedem!«
Er tauchte tief seinen Blick in die flehend zu ihm aufschauenden Augen. Ach, sie bat für Silius!
Er sog zum letzten Male die Schönheit ihres Gesichtes in sich auf. Verzückt war dieses Antlitz gewesen, wenn er sie mit seiner Liebe bestürmt hatte! Er trank die rote Glut ihres purpurnen Mundes. Wie gierig hatten diese Lippen küssen können! Er fühlte die Nähe ihres Körpers, der sich in ekstatischen Zuckungen in seinen Armen gewunden hatte.
Mordlustige Eifersucht gegen Silius packte ihn. Doch auch die brennende Leidenschaft für diese Frau. Nie war sie erloschen – sie war nur niedergehalten worden von der Vernunft. – Doch nicht von seiner eigenen Vernunft, von der Vernunft der Freunde, deren Herz an nichts sich hing als an Geld und Gut und die Macht über einen geistesschwachen Cäsar.
Doch er beherrschte sich. Er riß sich los.
Er begab sich sofort zu Callistus, um sich den Rückweg der Reue selbst abzuschneiden.
»Die Kaiserin wird Vorbereitungen zu einer Hochzeit mit Cajus Silius treffen,« begann er sogleich.
»Bist du wirr?« rief Callistus. »Hochzeit – wie wäre das möglich? Wenn ich ihr auch vieles zutraue, so halte ich sie doch für vernünftig genug, daß sie nicht ganz Rom zum Zeugen eines geradezu absurden Falles von Bigamie machen würde. Oder hat sie plötzlich den Verstand verloren?«
»Sie handelte nie ruhiger und überlegter.«
»Aberwitz, wenn auch uns willkommen,« stellte Callistus gelassen fest. Händereibend erkundigte er sich: »Ist das ein feines Werk von dir, mein Freund?«
»Erbärmlicher Tor!« donnerte Narzissus ihn an. »Hast du noch immer nicht begriffen, daß ich diese unselige Frau wahnsinnig liebe?«
Er zitterte vor entfesselter Wut, stieß Drohungen aus und wetterte den erschrockenen Callistus nieder, sich künstlich aufreizend, seinem Schmerz ein Ventil zu öffnen.
»Nun, nun – ich wollte nicht an eine Wunde rühren,« besänftigte Callistus den tobenden Mann.
»Eine Wunde, die du und dein trefflicher Pallas mir geschlagen,« knirschte er. »Eine Wunde, an der ich verblute.«
»So sei doch vernünftig!« bat der Grieche. »Was soll nun geschehen?«
Narzissus zwang sich zur Besinnung zurück, und seine Nerven und sein Gehirn gehorchten wie immer.
»Geschehen?« fragte er, heiser von dem gewaltsam gedämmten Aufruhr. »Folgendes. Ich reise morgen nach Ostia dem Kaiser nach und werde ihn zurückholen. Die Feierlichkeiten der Hafeneröffnung werden heute abend beendet sein, übermorgen setzest du ein Gerücht in Umlauf, das aus dem Palatium bestätigt wird: der Kaiser ist in Ostia ermordet worden.«
»Mann!« stieß Callistus entsetzt hervor. »Das willst du wagen?! Unerhört kühn und gefährlich. Doch ich habe gegen den Mord an sich nichts einzuwenden, wenn der neue Cäsar in unsrer Macht bleibt. Wer soll es sein? Vielleicht Nero, Agrippinas Sohn? Ein Knabe noch ...? Sehr geeignet – –!«
»Der neue Cäsar sei deine geringste Sorge. Ich begebe mich von dir aus zu den Präfekten der Leibgarden. Die Prätorianer müssen bei der Todesnachricht ruhig bleiben. Ich weiß zuverlässig, daß man den neuen Imperator erst dann ausrufen wird, wenn Messalina ihn zur Ehe genommen hat. Sobald also die Hochzeit vollzogen ist, widerrufst du die Todesnachricht und kündigst an, Kaiser Claudius sei bereits auf dem Wege nach Rom. Die Garden werden dir beistehen, jeden Umsturz blutig zu unterdrücken. Dafür gewinne ich sie!«
»Ihr Götter, welch wirre, widerspruchsvolle Dinge! Ich kenne dich nicht wieder, Freund,« jammerte Callistus.
»Vielleicht zeigt ein beleidigter Narzissus erst sein wahres Gesicht,« zischte voll Hohn der zu allem entschlossene Mann. »Doch wie und was du auch denkst, Callistus, ich sprach kein Wort zuviel noch zuwenig. Alles ist bitterer Ernst und wohl überlegt. Wir haben keine Zeit zu verlieren, ich am wenigsten. Also handle! Ich werde im rechten Augenblick mit dem Kaiser in Rom sein. Ihn rettet nicht die Treue, sondern der Haß!«
Drei Tage später hatte Callistus seine Pflicht getan. Rom nahm die Alarmnachricht leicht. Dem Claudius trauerten die wenigsten nach.
Vierundzwanzig Stunden später vermählte seine Witwe Messalina sich in aller Öffentlichkeit und aller gesetzlichen Form mit Cajus Silius. Aber Silius bezeichnete flüsternd alle Welt bereits als den neuen Cäsar. Der jungen Witwe verübelte man es nicht, daß sie einen Gatten wie den tölpischen Claudius so rasch vergessen konnte. Silius ihr neues Glück? Dann war alles verzeihlich.
Dem Volke versprach man Spiele, Geschenke, Korn und Freuden. – Es bejubelte das junge Paar und in dem Gatten den beliebten neuen Herrn. Die Anhänger des Silius waren verblüfft über diese wunderliche Heirat. Noch weniger begriffen sie, daß er zögerte, die Macht, die seine Beliebtheit ihm bot, sofort zu ergreifen. Seiner Verabredung mit Messalina entsprechend, vertröstete er die ungeduldigen Freunde auf den Tag nach der Hochzeit.
Man lächelte diskret. Man gönnte ihm sein Glück. Es war nur zu begreiflich. Vor dem Ernste der kommenden Wochen einen kurzen Tag, an dem er noch sich und seinem Weibe gehören durfte. Denn dann gehörte er allen.
Es war Oktober. Rom und Italien fieberte im Taumel der Bacchanalien. Erntezeit! Liber und Liberia, die göttlichen Beschützer der Traube und des Ackerbaues, der Fruchtbarkeit und der Ehe, feierten ihr rauschendes, berauschendes Fest.
Durch alle Gassen Roms zogen die von jungem Most trunkenen Scharen, jubelte der Gesang der Zecher. Durch alle Gassen schweiften junge Priesterinnen der Gefeierten, die Stirn von Efeu umkränzt, und boten Mehlkuchen, Öl und Honig feil, als Opfergaben für Liber, den Sorgenlöser. Über die Altäre floß in Strömen der Most und der Wein und über die Füße des Gottes der Weinlese.
Liber liberator, der Befreier, löste die Zungen und die Glieder. Es jauchzte und jubelte und tanzte durch Rom und Italien. Frei wurde die Tat in dieser unbekümmerten Zeit der Bacchanalien. In allen Torwinkeln wurde geküßt. Aus allen verschwiegenen Ecken klang das Flüstern der Liebenden, das vergehende Stöhnen und Röcheln des Gebens und Empfangens.
Im Garten des Palatiums feierten inmitten des allgemeinen bacchantischen Schwelgens Messalina und Silius das Fest des Liber und ihrer Hochzeit. Bacchus regierte. Die Weinpresse knarrte, der Most strömte. Nach uralter Sitte tanzten um die Kaiserin Mädchen und Frauen, die Blöße kaum bedeckt von Leopardenfellen. Messalina selbst, die Oberpriesterin der heiligen Orgien, schöner als je im belebenden Hauche ihres Glückes, die schönste Frau Roms an der Seite des schönsten Mannes.
Sie führten den gottesdienstlichen Reigen an auf hohem Kothurne; sie schwang das Tamburin, er führte den Tyrsusstab, während hinter ihnen der mänadische Zug der Tänzer und Tänzerinnen folgte unter Zimbelschlag, ekstatischem Gesang und gellem Evohe-Geschrei.
Bis in die späte Nacht hinein schallte vom Palatin auf Rom hinunter das Brausen dieses Hochzeitsfestes der Bacchanalien.
Doch am Morgen durchzogen schwerbewaffnete Kohorten der Prätorianer die Gassen. Immer mehr dieser Truppen, die das Geschick Roms bestimmten, spien die Kasernen im Osten der Stadt aus. Erz klirrte auf allen Straßen, schwere Tritte der Gewappneten stampften das Pflaster, Rosse schäumten ins Gebiß, Speere blitzten, Kommandoworte hallten.
Rom verwandelte sich in ein Feldlager.
Von Zeit zu Zeit machten die in der Stadt umherziehenden Patrouillen vor einem Standbild oder einer Büste des Cäsars Claudius halt und jubelten dem Kaiser zu. Blitzhaft schnell verbreitete sich die Kunde, daß die Nachricht von seinem Tode nur eine Lüge gewesen, die ausgesprengt worden sei, um Rom in einen Bürgerkrieg zu hetzen.
Aus den Nordtoren der Siebenhügelstadt trabten Sänftenträger mit ihrer Last. In eiliger Flucht strebten von dannen die Männer, die den Cajus Silius zum Herrn der Welt hatten machen wollen.
Das Volk, die Plebs? In der Trunkenheit des Bacchusfestes war ihm alles gleich. Gab es keinen neuen Cäsar, dem man zujauchzen konnte, so verschenkte man die einmal vorhandene Freudenstimmung eben an den alten. An den Nordtoren die Flüchtenden, an den Südtoren die neugierigen, feiernden Gaffer, die den Totgesagten und Wiedererstandenen bei seinem Einzüge in Rom sehen und begrüßen wollten.
Evohe! Ave, Cäsar!
Dieser Ruf sei billig geworden in Rom, sagten die vor der Zukunft Bangenden. Aber sie wurden von dem Evohe! und Ave Cäsar! der vergnügungstollen Menge überschrien. –