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Neu-Ägypten.

Frankfurter Zeitung. 24. März 1895.

Es geht ein grosses Sterben durch die Welt, ein Sterben alles Echten, aller Originalität: in Europa verschwinden zu des Philologen Trauer die Dialekte, in Amerika verkommen die letzten Indianer, und hier in Afrika geht sie auch dahin, »la vieille Egypte«. – Der grosse Schwamm der Zivilisation wischt über das Pharaonenland; das wird selbst dem Neuling, dem Uneingeweihten klar, und wer als Reisender nicht damit zufrieden ist, nur seinen Bädecker abzugrasen, sondern wer herkam, um fremder Länder fremdes Wesen anzuschauen und sich an diesen fremden Schätzen von Denken und Gefühl zu bereichern, der muss das lebhaft bedauern.

Ägypten, stramm gehalten am britischen Gängelband, ist zweifelsohne auf dem Wege, zu einer ganz geordneten, europäischen Gangart zu gelangen. – Mutter Britannia hat sich – wie ja immer, aus reinem, gutem Herzen und um Gottes Willen – dieses Wildlings angenommen, der 1882 so bedenklich zwischen der hohen Pforte, einem einheimischen Despoten und einem »nationalen« Prätorianer hin- und herschwankte; sie ist jetzt dabei, den Wildling zu waschen, zu kämmen und ihm die Elemente europäischer Kultur beizubringen. Ob sie den Stern von Bethlehem an die Stelle des Halbmondes wird setzen können, darf zweifelhaft erscheinen; unzweifelhaft aber ist das nachdrückliche Vorrücken unserer Sprachen, unserer Sitten, unserer Trachten, ja selbst unserer Denkweisen in das Herz Ägyptens.

Die alten Herrenzeiten sind vorbei, wie lebhaft hat das Jeder gefühlt, der Ismaïl Pascha zu Grabe tragen sah und Zeuge jener »Herrenzeiten« in Ägypten gewesen war. Die Engländer werden nun an dem primitiven Ägypten solange herumstutzen und herumwaschen, bis es nur noch ein wohlverwaltetes Reisegebiet der Firma Thomas Cook sein wird. Und damit muss notgedrungen die grosse Poesielosigkeit, die Zerstörung alles Einheimischen Hand in Hand gehen. Das beginnt ja jetzt schon. Fährt man nach den Pyramiden hinaus, deren Einsamkeit ein pietätvoller Sinn doch hätte achten sollen, so findet man dicht dabei einen grossen Kasten von englischem Hôtel, das Mena-House; klettert man auf die Cheopspyramide selbst, so hört man »All right« vor und »Goddam« hinter sich; ist man oben, so schieben sich in die violett verschimmernde Wüstenlandschaft sicher ein Paar grosskarrierte Hosen. Gelingt es einem hartnäckigen Enthusiasmus, doch noch etwas Stimmung zu behalten, so geht dieselbe aber auf dem Heimweg sicher verloren, denn unaufhaltsam flutet von der Stadt her der Strom modischer Besucher, die in Mena-House frühstücken wollen, und der ganze Weg ist wie erhellt von dem Glanz hunderter, untadelhafter, britischer Gebisse. Ja, und wenn diese Fremden noch alle kämen, um hier auf dem fremden Boden fremdes Volkstum zu verstehen! Aber nein, sie importieren nur sich, ihre grossen Koffer und ihre modischen Toiletten; sie machen Kairo gerade so banal, wie irgend eine europäische Grossstadt, und das soll man ihnen vergeben?

Was verlangen sie z. B. von einer Nilreise? Nicht neue, tiefe Eindrücke, nichts Echtes, Orientalisches, sondern ihren Luxus, ihren Komfort von zu Hause. Und da sie zahlreich sind und beiweitem das grösste Kontingent aller Reisenden stellen, findet man sie überall, und jeder ägyptisch-arabische Eindruck ist versetzt mit englisch-amerikanischem Beigeschmack. Geht man in die Muski, den grossen Bazar in der Altstadt, wo die engen Gässchen, die Teppich- und Goldschmiedläden, die Stickereien und leichten Orientstoffe, das Gedränge der braunen Gesichter und blauen Kittel, das Gewimmel der roten Tarbusch, das Klappern von hundert Eselhufen und der südliche Städtegeruch uns wirklich in fremdes Land und unter fremdes Volk versetzen können, gleich wird der Eindruck durch einen Trupp Reisender gestört, die das banalste Touristentum in diese eigenartige Umgebung einschleppen, und, alles verbädeckernd, den feinen, exotischen Eindruck, der sich in unserer Seele bilden wollte, wie Glas zerbrechen. Und das ist überall so: Geht man über eine Strasse, so ruft jeder Kutscher: »Carriage, lady?« und jeder Eseljunge: »Want a ride, Sir?«

Nur an einem Punkt Kairos vergisst man, meiner Erfahrung nach, die Existenz von Thomas Cook's Reisebureau und dessen Segnungen: auf der grossen Brücke von Kasr-el-Nil. Über sie strömt ein grosser Teil von dem in die Stadt, was Kairo an Lebensmitteln für Menschen und Tiere braucht. Da glaubt man sich wirklich in die Zeit der Erzväter versetzt, wenn die braunen, beladenen Kameele in unabsehbaren Reihen heranschwanken. Sie schleppen grosse Haufen smaragdgrünen Klees und sind mit rohen Stricken aufgezäumt; dabei tragen sie meist ein missvergnügtes Naserümpfen zur Schau und lassen ihre lange Zunge, wie verächtlich, seitwärts aus dem Maul hängen; zugleich schieben sie sich bedächtig voran und lassen sich durch das Eselgetrippel ringsum nicht beirren. Die Esel, hunderte von behenden Geschöpfen, von schwarz bis milchweiss in Farbe, tragen zum grossen Teil auch solche smaragdgrünen Kleehaufen; daneben Getreidesäcke oder Brotkuchen, Stangen von Zuckerrohr, grünes Gemüse, Rohrbüschel, Rippen von Dattelpalmblättern und Ähnliches. Zwischen den Tieren gehen die Menschen; viele, mit bärtigen Patriarchengesichtern, wandeln wirklich wie biblische Gestalten ruhig daher; andere in blauen Kitteln und roten Mützen laufen, auf ihre Esel einschlagend, eilends entlang; diese balgen sich, und jene schreien; hier kommt ein Bretterwagen vom Land mit einer ganzen Fuhre Männer, Weiber und Kinder, mit Hühnerkörben und anderen Marktwaren beladen. Was sich von Europäern über die Brücke bewegt, geht in der orientalischen Masse unter. Trotz augenblicklicher Stauungen, trotz des Lärmens Einzelner schiebt sie sich dahin, ein ununterbrochener Strom, ein zahl- und namenloses Volk von Primitiven, die kleine Felder nach uralten Methoden bebauend, kleinen Ertrag alltäglich nach der grossen Stadt tragen und lautlos, wie sie gekommen, wieder zum heimatlichen Dattelbaum zurückkehren. Auf die Nilbrücke von Kairo muss man sich stellen, um einen Begriff von jenen hörigen und dienstbaren Massen zu bekommen, mit denen einst die Pyramiden und heutzutage der Suezkanal gebaut wurde.

Ist das gut, ist das schlecht? Das ist eben die Frage: langsam beginnt in Ägypten der Übergang vom Natur- zum Parlamentsmenschen. Zwar, die arabische Sprache wehrt sich gewaltig gegen das Eindringen fremder Elemente, sie bleibt spröde und schafft weit eher selbst, statt dass sie einfach annimmt; aber die arabische Tracht fängt bereits an ins Wanken zu geraten, der europäische Strumpf, der Schuh und Stiefel bürgern sich neben dem nationalen Pantoffel ein; die österreichische Konfektion erobert den ägyptischen Markt mehr und mehr; türkische Hose, gestickte Jacke, Kittel und schwarzer Überwurf, das alles verschwindet vor europäischer Mittelstandskleidung. Und zieht sich der Araber nicht gleich die ganze, banale Zwangsjacke an, so trägt er wenigstens ein Stück davon. Nur der rote Tarbusch hält sich noch im alten Ansehen, vielleicht weil er rot, vielleicht weil er Tarbusch, also leicht und bequem ist, aber das war die nationale Tracht ja auch. Nein, sehr wahrscheinlich überlebt er deshalb im Kampf der Moden und Gewänder, weil er auch dem Europäer in die Augen gestochen hat und von ihm – besonders dem Touristen – gern getragen wird.

Und nicht nur ihr Äusseres, nein, auch die Ideen der Araber ändern sich: sie können angesichts der Tausende von Europäerinnen, die sie unverschleiert und oft allein umhergehen und dabei achtungsvoll behandeln sehen, unmöglich ihre stockarabischen Begriffe von Weiblichkeit beibehalten; sie müssen, falls sie den anerzogenen Begriff selbst nicht umarbeiten können oder wollen, sich wenigstens einen zweiten, nach europäischem Schnitt daneben zulegen. Geschieht doch auf allen Gebieten – die Religion vorläufig ausgenommen – das Gleiche: das europäische wie arabische Zeitungswesen z. B. ist in Ägypten bereits recht entwickelt; es giebt auch arabische Revuen; somit wird Politik, Wissenschaft, Litteratur mit all' ihren komplizierten Begriffen vor einem täglich wachsenden Publikum besprochen, und es ist eben nur eine Frage der Zeit, wann statt der gebildeten Zehntausend, auch die Massen daran teilnehmen werden. So steht also Ägypten im vollen Übergang.

Und es sind ausser der englischen Verwaltung und europäischen Einwanderung noch zahllose, kleinere Kräfte, die das Volk nach dieser gleichen Richtung schieben. Da ist z. B. die amerikanische Mission, die ihre Sendboten und Schulen im Einverständnis mit der ägyptischen Regierung durch das ganze Land verstreut hat. Auf den ersten Blick scheint ihre Arbeit gänzlich aussichtslos: das Hauptkontingent der Schulen besteht aus jüdischen Kindern, und die Lehrer, wie die Leiter der Anstalten gestehen freimütig ein, dass sich während der Schulzeit kaum je eine Bekehrung zum Christentum vollzogen hat. Auch die Bekehrungen von Moslim, welche das Werk der Missionen, der Bibelklassen und Sonntagsschulen sein sollten, sind wenig zahlreich, und vor Allem macht man aus Klugheit vorläufig wenig Aufhebens davon, sodass selbst der bereits errungene Erfolg unausgebeutet bleibt. Nichtsdestoweniger sind die Leiter der Mission voller Zuversicht; sieht man näher zu, so haben sie allen Grund, von ihrer stillen, hartnäckigen Arbeit etwas zu hoffen: denn welche Wunder können nicht in einer Umgebung geschehen, wo jüdische Kinder christliche Schulen besuchen, die englische Bibel lesen, das Gebet mitsprechen, christliche Choräle mit Eifer singen, während – mit grosser Toleranz – arabische Koransprüche von der Wand herniederschauen? Aus einem solchen Gemisch kann ziemlich Alles hervorgehen; Eines aber steht jetzt schon fest, das ist der soziale Einfluss der amerikanischen Schulen. Er ist besonders für die Mädchenerziehung wichtig: ich sah dort Schülerinnen von 13, 14, 15 Jahren, etwas früher geradezu Unerhörtes; so bürgert sich denn langsam der Gedanke ein, dass eine arabische Hausfrau doch eine gewisse Reife und ausser ihrem Körper auch einen gebildeten Geist in die Ehe mitbringen soll; die geistigen Ansprüche steigern sich, das Heiratsalter geht höher hinauf, die Stellung der Frau wird eine andere. Vor Allem aber rechnet die amerikanische Mission darauf, dass Umstände des späteren Lebens dem in der Schule eingepflanzten Christentum zur Entfaltung verhelfen werden, und in diesem Glauben an die Zeit arbeitet sie emsig weiter.

Diese amerikanischen Schulen und Bibelstuben liegen gewöhnlich in irgend einem engen, dicht bevölkerten Quartier, in ungepflasterten, schmutzigen Gässchen voll toter Tiere, Abfälle, Kleiderfetzen, struppiger Hunde und Kinder. Man darf sich's aber nicht verdriessen lassen, dahin zu steigen; im Gegenteil, da liegt das originelle, eigentliche Ägypten, und wer es kennen lernen will, der soll getrost den grössten Teil seiner Zeit in diesen engen Gässchen als stiller, diskreter Beobachter verbringen. Denn – offen herausgesagt – wer das nicht thut, der wird bei seiner Reise schwerlich auf die Kosten kommen. Das wissen die Verfasser der Reisehandbücher auch sehr gut, und sie bemühen sich deshalb immer, ein mageres Altertum nach dem anderen grossartig zu drapieren und herauszuputzen. Sie schicken den arglos Vertrauenden nach dem Nilometer hinaus, wo nichts wie eine alte Säule zu sehen ist; sie hetzen ihn nach der griechischen Kirche, um ihm die pia fraus von der Jungfrau Rast auf der Flucht aufzubinden; sie lassen ihn in den Josephsbrunnen hinabklettern, der sich in nichts von anderen Brunnen unterscheidet, d. h. sie suchen mit allerlei Surrogaten seinen berechtigten Hunger nach Originellem zu stillen, und so fährt er von Ort zu Ort, von Punkt zu Punkt, möchte gerne bewundern, kann nicht und kommt sich zuletzt ganz verraten und verkauft vor. – Das kann nicht anders sein, denn wirklich von seinem Aufenthalte in Ägypten hat nur der Gelehrte oder der etwas, der arabisch spricht; das ist das Losungswort, das den Riegel von den verschlossenen Thüren hebt. Nur wer arabisch spricht, kommt in direkte Berührung mit dem fremden Geist und Volkstum, nur er kann sich an den blumenreichen, feinen und zierlichen Wendungen dieser reichen Sprache ergötzen, nur er die treffenden Ausdrücke von Bootsmann, Eseltreiber, Kutscher, Händler verstehen. Nur er kann die Meinung der Strasse und das Gefühl des Volks vernehmen und sich an gewitzter Ursprünglichkeit erfreuen. Auch er steht noch nicht im Allerheiligsten, der tägliche, intime Verkehr, das vertrauliche Leben, wie Stammesgenossen es unter sich führen, bleibt auch ihm verschlossen, – ist er doch immer Europäer; aber er nähert sich dem Kern der Sache bereits recht wesentlich, während die Anderen sich ihre Zähne an den harten Schalen ausbeissen. Einen Mittelweg giebt es freilich noch, und der führt wenigstens in den Vorhof der Erkenntnis, das ist: eine zeitlang in einer zwar europäischen, aber eingesessenen Familie zu leben und mit Jemandem, der Arabisch spricht, der das Land kennt und das Volk zu nehmen weiss, auf Entdeckungsreisen zu gehen. Daneben soll man aber seine eigenen Wege ganz allein suchen, Augen und Ohren aufmachen und eben jene Gässchen, Strässchen, verlassenen Ufer, alten Gemäuer und Scherbenberge aufsuchen, die der Touristenstrom unberührt lässt. Da wird man mit der Zeit doch ein gutes Bild zusammenstellen.

In erster Linie die natürliche Gutartigkeit des Volks: solange sie in dem Fremden nicht den Ketzer und den Eindringling sehen, sind sie gefällig und liebenswürdig, neugierig wie die Kinder, sammeln sich sofort um jeden, der, das Skizzenbuch vor sich, auf offener Strasse einen hübschen Punkt aufnehmen will. Zuerst beraten sie: was da geschehen soll; darauf, welcher Gegenstand gewählt wird; macht man ihnen klar, dass sie im Wege stehen, so findet sich unter den Kunstfreunden sicher Einer, der es übernimmt, die Anderen bei Seite zu schicken und die Aussicht freizumachen, sollte er dabei auch etwas schimpfen müssen. Sehr erfreut sind sie, wenn man am Schluss der Sitzung ihnen das fertige Blatt zur Begutachtung hinhält; sie fassen es sehr delikat und sagen eine Freundlichkeit. Man riskiert bei diesen freien Kunstübungen freilich immer, etwas Einwohnerschaft nach Hause zu bringen; das riskiert man aber bei jeder Berührung mit einem primitiven Volk, und meist wird man durch irgend eine Originalität, eine Freundlichkeit, eine primitive Grazie darüber getröstet werden. Auch giebt es in diesen arabischen Strassen stets Eindrücke, die man nicht vergisst: welche jahrtausendelange, rohe Sinnlichkeit verkörpern diese breithüftigen Araberweiber, die schwerfällig, ein kleines Kind auf der Schulter reiten lassend, ein anderes missmutig durch den Staub der Strasse zerrend, zum Kaufmann wandern! Welche jahrtausendlange Sklaverei repräsentiert das arme Weib, das da in befleckter, schwarzer Tunika und ohne Schleier, eine grosse Last auf dem Kopfe schleppend, hinter dem Esel herläuft, der den Mann und das Kind trägt! Mit welchen Gedanken sieht man die bildhübschen, frechen, kleinen Mädel von acht, zehn Jahren sich auf der Strasse herumtreiben, die Soldaten und Feuerwehrleute necken, und unter einem halb ernst, halb scherzend gemeinten Peitschenhieb gellend davonstieben! Auf was für Sitten, Bedürfnisse und Existenzen muss man überhaupt angesichts dieser unsäglich vernachlässigten, ungekämmten, halbnackten Kleinen schliessen! Auf welches Behagen im Schmutz, welche fröhliche Tierheit, welches sorglose Indentaghineinleben!

Es überkommt Einen manchmal wie Neid, wenn man dies Volk der Instinkte in seinen engen Strassen, engen Lädchen, seinen versteckten, winkeligen Häusern, seinen Nischen und Löchern leben und weben, wimmeln und kriechen, hocken und sitzen sieht: sie sind der Natur noch so nah, sie sind noch so Tier und so Kind; noch so ungebrochen, so einfach in sich, ihren Überlegungen und Zielen. Das zeigt sich in tausend kleinen Zügen: wie oft sieht man sie neben ihrem Esel in der Sonne liegen, in Staub und Schmutz, da wo die Müdigkeit sie übermannt; wie ungeniert treiben sie hohe und niedere Jagd in ihren faltenreichen Kleidungsstücken; wie gerne gehen die jungen Burschen auf der Strasse, einer den Arm um den Hals des anderen geschlungen, während die Männer sich bei den Händen halten. Behagliches Hindämmern, natürliches Sichgehenlassen, das Leben eines Volks, das sich noch nie gefragt, wozu es lebt, das findet man in den arabischen Quartieren. Sie haben auch Freude am Lärm, am Laufen und Springen, am Raufen und Singen, solange sie jung sind. Später steigt meist eine gewisse morgenländische Feierlichkeit auf sie herab; sie werden bedächtig und zeremoniell, wortkarg und gestenreich. Geht man durch den Bazar, so taucht da rechts im hellgrünen Überkleid mit rosa Seidenstreifen eine wunderschöne Greisengestalt mit noch roten Wänglein und weissem Bart auf – ein wahrer Patriarch – und zeigt dein bewundernder Blick, dass du dies Ebenbild Gottes zu schätzen weisst, so lächelt der weise Nathan und neigt zu leisem Gruss das schöne Haupt. Dicht daneben könnte man glauben, »David, den bräunlichen Jüngling« zu sehen, der die Hunderttausende schlug; hier kommt ein wilder Mann mit wirrem Haar und chokoladenfarbener Haut – dem hat die Wüste das Fell gegerbt, und doch dürften die christlichen Anachoreten und Säulen-Heiligen nicht viel anders ausgesehen haben.

So schiebt es sich an uns vorbei, im Ganzen eine schöne Rasse und im Ganzen auch ein gutes Volk: ein Scherz z. B. wird hier fast stets verstanden; auch von ganz unbekannter Seite kommend, nennt man sich auf arabisch allgemein »du«, giebt sich Namen wie: »Mein Freund«, »mein Herr«, letzteres auch vom Höherstehenden zum Untergebenen, und selbst der gemeine Mann verfügt über eine Anzahl höflicher Formeln, die ein durchaus zierliches Gespräch mit ihm ermöglichen.

Unter diesem Volk nun hat sich seit lange eine höchst buntscheckige Europäerkolonie festgesetzt, eine Kolonie hauptsächlich von Kaufleuten, Aerzten und Advokaten; es sind nach den letzten amtlichen Angaben in Ägypten etwa 65 000 Griechen, 30 000 Italiener, 14 000 Franzosen, 9000 Engländer, 1000 Deutsche und dazu je eine handvoll der kleineren Nationalitäten. Das schöne Kairo und das vielsprachige Alexandrien sind die Hauptsitze dieser bunten Gesellschaft, und wer – mit einem für Europa ganz ansehnlichen Sprachschatz – dort hineinkommt, der wird bald gewahr, dass er in diesem sechssprachigen Lande von den Unterhaltungen, die um ihn geführt werden, durchschnittlich drei nicht versteht. Denn das geht Alles durcheinander: die griechische Kolonie spricht unter sich natürlich ihre Sprache, die italienische die ihre – beide werden auf europäischen Schulen nicht gelehrt; Französisch wird nebenbei von jedem halbwegs Gebildeten gesprochen; Arabisch mit Kunden, Klienten, Bedienten und auch manchmal zum Scherz; Deutsch hält sich in den deutschen Familien, tritt aber als Verkehrssprache ganz zurück, obgleich die Kaufleute es zumteil verstehen, und Englisch ist im raschen Vorschreiten begriffen. Auf diese Art kommt man mit Französisch und Englisch wohl durch, aber manch ein gelehrter Philologe dürfte vor einem kleinen, ägyptischen Kommis in seines Nichts durchbohrendem Gefühle verstummen. Überhaupt sind sicher wenig Dinge so geeignet, die Unzulänglichkeit rein gelehrten, theoretischen Wissens und den Wert praktischen Könnens zu zeigen, wie ein Aufenthalt in der vielsprachigen Kaufmannskolonie Ägyptens. Da heisst es: mindestens vier, fünf Zungen verstehen und sich mit mindestens vier, fünf Nationalitäten auskennen; mit diesen muss man ruhig und langmütig, jene hingegen wollen scharf genommen und getreten sein. Bei den grossen Agenturen heisst es, sich in die verschiedensten Artikel einarbeiten. Derselbe Chef aber, der in dieser Hinsicht die grösste Vielseitigkeit und Schärfe besitzen muss, hat im Verkehr mit den arabischen Kunden die Geduld eines Erzengels zu entfalten. Denn in ihrer langatmigen, morgenländischen Höflichkeit setzen sie sich stundenlang zu ihm in's Bureau, wo sie – als ob sie bei sich wären – Kaffee und Pfeife bestellen, besehen, handeln, besprechen und noch lange nicht abschliessen. Das hat man aber Alles mit in Kauf zu nehmen. Überhaupt ist das ganze Geschäft mit ihnen weit – wie soll ich sagen – nun, persönlicher. Sie geraten noch leicht in Affekt, und sie zeigen diesen Affekt, den der Europäer in der kalten, geschäftlichen Form unterdrückt. Sie haben noch nicht diesen Gehorsam gegen Gebrauch und Sitte, der sich so oft lähmend auf die Thatkraft des Einzelnen legt; grosse, baumstarke Kerle mit braun-schwarzen Gesichtern sind imstande, ihren Gläubigern etwas vorzuweinen; aber sie lassen sich von ihnen auch eine wissenschaftliche Belehrung, ein moralisches Histörchen gern gefallen, und wer sie so halb als Kinder, halb als Krokodile zu nehmen weiss, mit dem sind sie ehrlich und gut.

Natürlich bringt das Abwechslung in den trockenen Geschäftsstil und manche amüsante Szene in's Kontor. Aber ein Kinderspiel ist es gemeinhin nicht, sich in Ägypten sein Brot zu erwerben. Acht Monate lang, von April bis November, ist hier Sommer, erschlaffender, glutheisser Sommer; kein Tropfen Regen, acht ganze Monate lang; kein erquickender Schlaf, man wacht meist noch müder auf, als man sich hingelegt und bringt doch eben nur eine europäische Konstitution mit. Übrigens ist es auffallend, dass in Ägypten, dem Quisisana der Brustkranken, die Sterblichkeit an Schwindsucht unter der einheimischen Bevölkerung so bedeutend ist. Zum grossen Teil rafft sie Nubier und Sudanesen hin, denen – wir Europäer lächeln darüber – das ägyptische Klima noch nicht heiss genug ist.

Die eingewanderte, europäische Rasse ist übrigens im Allgemeinen schön; an ausdrucksvollen Gesichtern und kühnen Profilen, lockigem Haar und dunklen Augen fehlt es nicht, so dass sich hier eine grosse Versammlung, ein gefülltes Theater, ja, eine ganz anspruchslose Privatgesellschaft gemeinhin weit stattlicher und bestechender darstellt, als in Nordeuropa. Die Frauen werden bei dem erschlaffenden Klima und ihrer sitzenden Lebensweise allerdings oft sehr dick; vielen fehlen geistige Interessen ganz, oder kommen ihnen im Lauf der Zeit abhanden; von den Levantinerinnen sagt man, dass sie gegen ein Hausregiment mit gelegentlicher Züchtigung durch den legitimen Machthaber nichts einzuwenden haben, und bis die Engländerinnen in's Land gekommen, war es unerhört, Frauen oder gar Mädchen allein ausgehen zu sehen. Dieser Zwang ist auch heute noch nicht ganz verschwunden: enggebunden ist die Europäerin in Ägypten, und das heisse Klima, die orientalische Luft sind nicht ganz geeignet, ihre Emancipationsbestrebungen zu sehr eifrigen zu machen, darin lässt die ägyptische Europäerin uns vorangehen.

Was sie uns aber durchaus nicht zugestehen will, das ist irgend eine Überlegenheit auf dem Gebiet der Haushaltsführung und der Kinder-Erziehung; da steht sie fest auf ihrem Schein und erklärt, auch von der deutschen Hausfrau absolut nichts mehr zu lernen zu haben. Jedenfalls geht es in ägyptisch-europäischen Häusern sehr lautlos zu, und wenn etwas dem Fremden so recht den Eindruck geben kann, im geheimnisvollen Pharaonenlande zu sein, so ist es das unhörbare Dahingleiten der arabischen Diener, sind es die hohen Zimmer, in denen der eine Hausgenosse vom andern nichts hört, ist es das verschleierte Licht, in diesen halb ägyptisch, halb europäisch möblierten, kühlen Sälen.

Das Übergangsstadium aber, in dem Ägypten sich heute befindet, hat sich mir in zwei Landschaftsbildern scharf eingeprägt. Ein erstesmal, als ich in der Nilebene, während der Express von Kairo über die Nilbrücke dampfte, Erdreich mit dem hölzernen Pflug bestellen und einen Kanal mit der Hand ausgraben sah – Methoden, die zur Zeit der Pharaonen üblich waren; ein zweitesmal, als sich vor mir die Pyramiden von Gizeh abhoben und mittendurch zwei scharfe Linien – die Telegraphendrähte – schnitten.

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