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30. Im Steppenlager.

Zu den glücklichsten Stunden meines Lebens rechne ich die Tage, in denen ich mit meiner Karawane weit draußen in der afrikanischen Nyika lagerte.

Fast stündlich waren da neue Beobachtungen zu machen, oft sogar unmittelbar von meinem Zelte aus, nicht nur an der Tierwelt überhaupt, sondern auch an jenen seltenen Tieren der Wildnis, die ich gefangen oder durch Eingeborene erhalten hatte, und die nun mein Lager durch ihr Tun und Treiben belebten. Wenn selbst unseren hervorragendsten Museen noch viele der auffallendsten Vertreter der afrikanischen Fauna in ausgesuchten Stücken oder überhaupt fehlen, so gelangten lebend viele höchst interessante afrikanische Tiere selbstredend bis zum heutigen Tage niemals nach Europa. Wer sie kennen lernen will, muß in die Wildnis hinausziehen, um sie in ihrer eigenen Heimat zu beobachten.

Mein Lager war zuzeiten ein eigenes kleines Reich. Ein großer Teil meiner Leute zog fortgesetzt aus, um in oft wochenlanger Abwesenheit von ackerbautreibenden Stämmen Früchte des Bodens einzutauschen und herbeizuschaffen. Mit den übrigen blieb ich allein in der Wildnis, jagend, sammelnd und beobachtend. Da mehrten sich meine Sammlungen täglich; die Zeit verfloß wie im Fluge unter all den mannigfaltigen Präparationsarbeiten, all den Maßnahmen zur zweckmäßigen Aufbewahrung und Versendung der gesammelten Naturalien. Das urpatriarchalische Getriebe des Lagerlebens brachte dem Beobachter trotz seiner scheinbaren Eintönigkeit viel Interessantes. Einen kleinen Staat gab es da zu beherrschen und in Ordnung zu halten. Ich vermochte das beglückende Gefühl auszukosten, im Verkehr mit einfachen Naturmenschen all die verwickelten Sorgen der Zivilisation zu vergessen, all die vielen, ich möchte sagen, persönlichen Beziehungen zur Natur aber, die ich mir schon in früheren Jahren hatte erwerben können, pflegen zu können.

Da habe ich den eingeborenen Menschen schätzen gelernt! Freilich nicht nach dem Maßstabe europäischer Zivilisation gemessen, nicht von einem einseitigen Standpunkte aus beurteilt, aber einer ganzen Anzahl braver Charaktere unter meinen ständigen Begleitern werde ich mich stets mit Genugtuung erinnern können!

Flüchtige scheue Jagdnomaden, seltenem Wilde vergleichbar, tauchten zuweilen im Lager auf, – das Tierleben aber umbrandete und umflutete nicht selten in ursprünglichem Reichtum diese in der Einöde so plötzlich entstandene »Kulturinsel« ...

Meine Lasten, meine Habseligkeiten wurden in einem selbsterbauten, mit Rohr oder Steppengras bedeckten »Hause« vor Regen und namentlich vor den Sonnenstrahlen einigermaßen geschützt. Allerdings war das »Haus« einfachster Bauart, aber es genügte unsern Anforderungen! Solch eine einfache Behausung schützte nicht nur die zoologischen Sammlungen gegen die dörrenden, alles versengenden Sonnenstrahlen, gegen Regen und Wind, sondern sie erwies sich auch besonders schätzenswert für die photographischen Arbeiten. Zahlreiches Groß- und Kleinvieh, das ich sowohl zur Ernährung meiner Leute, als auch zur Aufzucht junger wilder Tiere mitführen mußte, wurde zur Nachtzeit in einem Dornenverhau untergebracht, meine Leute aber bauten sich unter Büschen und Bäumen mehr oder minder geschickt hergestellte Behausungen. So entstand eine Miniaturstadt, deren uneingeschränkter Herrscher ich war. Die Besuche der weit umherschweifenden jagenden Eingeborenen, jener Naturkenner sondergleichen, gaben mir Gelegenheit, Freunde unter ihnen zu werben, die mich unter Umständen auch längere Zeit auf meinen Zügen begleiteten.

Für mich gibt es keine »Wilden«! – Die Zeit wirklich »wilder« Menschen ist schon viele, viele Jahrtausende vorbei.

Wo auch der einsichtsvolle Mensch heute auf ihm unbekannte Völkerstämme stößt, so wird er, wenn er überhaupt fähig ist, sich einen tieferen Einblick in ihre ihm so anders und fremd erscheinenden Verhältnisse zu verschaffen, erkennen, daß sie ihre eigenen Gesetze, ihre eigenen ganz bestimmten Sitten haben, und daß sie diesen für sie feststehenden und ihnen werten Einrichtungen gemäß ihr Dasein regeln und den Kampf mit dem Leben bestehen. Er wird nicht verlangen, daß die Eingeborenen sich von heute auf morgen den ihnen völlig fremden und unverständlichen Anordnungen der Weißen ohne weiteres fügen und deren Sitten und Gewohnheiten annehmen.

So schnell jene meine Freundschaften mit Eingeborenen oft geschlossen waren, so schnell lösten sie sich wieder. Es widerstrebt dem Wesen dieser Nomaden, längere Zeit an einem Orte zu weilen; auch treten sie nicht gern in irgend ein abhängiges Verhältnis zu einem Europäer oder zu irgend jemand anderem. Eines schönen Morgens finden wir ihre Schlafplätze plötzlich leer; sie selbst sind auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Irgend welchen Zwang hier anzuwenden, selbst wenn er uns zu Gebote stände, wäre vergeblich; diese »Wilden« sind eben nicht seßhaft zu machen. Kinder des Augenblicks, Kinder der Wildnis, müssen sie innerhalb letzterer schweifend ihr Leben verbringen.

Ich war nicht so frei wie jene, – höchstens einmal auf einige Tage, denn mancherlei gab es in meinem Lager anzuordnen und zu befehlen! Ich hatte vielerlei Funktionen: ich war mein eigener Sicherheitskommissar, leitete das Verpflegungsamt, war Arzt und Richter, versah auch alle anderen nötigen Ämter und übte außerdem eine Reihe von Handwerken aus. Mit Stolz nannte ich mich gleich Hans Sachs zuzeiten einen Schuster; dann wieder war ich Schneider, Tischler oder Schmied – kurz, mein ach so bescheidenes Wissen und Können auf all diesen so weiten Gebieten, auf denen der Lehrling, der Einäugige unter Blinden, sich hier in der Wildnis Meister nennen durfte, fand erstaunlich vielseitige Verwendung!

Welch salomonische Urteile habe ich unter anderm da gefällt! Einmal brach zwischen einem meiner besten Leute, einem Askari, und seiner Gattin Streit aus! Lärm und das Geräusch fallender Schläge in ihrem Zelte ließen über den ernsten Charakter der Zwistigkeit keinen Zweifel aufkommen. Der Mann wollte sich von seiner besseren Hälfte trennen.

»Warum schlugst du deine Frau?« – Der früher als deutscher und englischer Askari »gediente« Mann steht stramm.

»Weil sie böse war – ich mag sie nicht mehr – ich schicke sie fort!« –

»Aber, warum – rafiki yangu – mein Freund? Das kommt zuweilen vor, sieh, das ist nicht so schlimm! Wer soll für dich sorgen, wer dir dein Essen bereiten? Und sieh sie dir noch einmal an, sie ist doch sehr hübsch, meinst du nicht auch? Und sie kocht gewiß gut.« (Schon lächeln beide Parteien und die Umstehenden.) – »Geht, vertragt euch wieder!«

Und sie gingen und vertrugen sich. –

Eine Abordnung der Wapare (Einwohner des mittleren Paregebirges) erscheint 1897 im Lager. Sie kauern neben meinem Zelte nieder und bitten um einen »Regenzauber«, da ihre Felder verdursten. Ihnen ist schwer zu helfen. Aber, obwohl ich ihre Geschenke, die Gegengabe für den »Zauber«, durch wertvollere Gegengeschenke aufwiege, gelingt es mir doch, durch den Barometer orientiert, ihnen Regen richtig vorauszusagen. Mit Bewunderung betrachten sie später den Zauberer und sein Zaubermittel, kommen von weitem wieder her, um beide ihren Freunden zu zeigen ...

So ketten sich zahllose ähnliche Ereignisse aneinander, und auch die Alltagsschönheit des einfachen Lagerlebens hat, wie man sieht, ihre Reize. –

Von Tag zu Tag mehrt sich die Tierwelt in meinem Lager. Heute sind es junge Löwen, morgen eine Hyäne, ein Schakal, ein Pavian, dann wieder Marabus, Geier und andere Bewohner der Steppe, die ich in meine Lagergemeinschaft aufnehme und mit denen ich mich anzufreunden versuche. Und meine Bemühungen haben manchmal überraschend günstige Erfolge. In früher Morgenstunde entdeckten wir eine große Herde Paviane, die auf hohen Bäumen die Nacht zugebracht hatten. Es war kühl; der kaltfeuchte Morgennebel entwickelte sich zu einem leichten staubartigen Regen; die Tiere drängten sich noch frierend aneinander. Erst später werden sie ihrer Nahrung auf dem Erdboden nachgehen, vorsichtig stellen wir uns, als hätten wir die Affen nicht bemerkt. Aber außerhalb ihrer Sehweite organisiere ich ein sich immer mehr verengendes »Kesseltreiben«, das glücklich verläuft und mehrere Junge verschiedenen Alters in meine Gewalt bringt. Anfänglich setzen die drolligen Geschöpfe allen Zähmungsversuchen eigensinnigen Widerstand entgegen; bald aber gewinnen sie ihren Pfleger lieb und schließen sich ihm innig an. Nach Art mancher Hunde nur ihrem Herrn ergeben, sind sie böse und abweisend gegen andere Menschen. Deutlich geben sie manchen Fremden gegenüber ausgesprochener Abneigung Ausdruck. Es berührte mich stets seltsam, wenn ich nach ermüdendem Schweifen in der Steppe in das Lager zurückkehrend jedesmal von den in der Nähe meines Zeltes angeketteten Pavianen mit Ausbrüchen der Freude empfangen wurde. Schon aus weiter Entfernung vermögen sie ihren in der Steppe auftauchenden Herrn zu erkennen, richten sich auf den Hinterbeinen auf, geben Laute der Freude von sich und bekunden diese Freude auch auf mannigfaltige andere ausdrucksvolle Weise.

Unter Umständen aber schlossen sich auch noch andere Bewohner meines Lagers diesen Ausbrüchen der Freude bei meinem Erscheinen an. In der überraschendsten Weise war dies namentlich der Fall bei einem Marabu, den ich als altes erwachsenes Exemplar in meine Gewalt gebracht hatte. Da er beim Fang ein wenig beschädigt worden war, ich selbst mich aber längere Zeit verschiedener Umstände halber ans Lager gefesselt sah, pflegte ich ihn selbst aufs sorgfältigste und erlebte zu meiner großen Genugtuung seine völlige Wiederherstellung. Von der Genesung an war der Vogel mir offenbar treu ergeben, verließ das Lager nicht mehr, obwohl er sich darin in voller Freiheit bewegen durfte, und wurde nur zur Nachtzeit gefesselt! Bald hatte er sich zum Herrscher des Lagers aufgeschwungen, traktierte ihm mißliebige Menschen und Tiere mit Schnabelhieben, saß fast stets gravitätisch in der Nähe meines Zeltes und begrüßte mich bei meiner Heimkehr durch Kopfnicken und Flügelschlagen. Das war ein Schnabelklappern, ein gravitätisches Hin- und Herschreiten! Erst wenn ich ihn geliebkost hatte, gab er sich zufrieden. Nach einiger Zeit begann er sich dicht bei meinem Zelte, unter einem großen Schattenstrauche, ein Nest zu erbauen, das allmählich recht erheblichen Umfang annahm. Diesen Horst verteidigte er auf das energischste und duldete weder die Annäherung meiner Schwarzen, noch auch die irgend welcher tierischer Lagergenossen. Da gab es oft Kämpfe, aber stets schlug er seine Gegner in die Flucht, selbst zufällig in die Nähe seines Nestes geratene dickfellige Lastesel. Wir wollen es wohl beachten: Es handelt sich hier nicht um jung aufgezogene Außer Elefanten, Marabus und vielleicht noch wenigen andern Tierarten dürften sich alt gefangene wilde Tiere kaum jemals schnell an den Menschen in dieser Weise anschließen!, vom frühesten Tage an auf den Menschen angewiesene Vögel, sondern um alt eingefangene, vielleicht schon dreißig, vierzig Jahre oder noch viel ältere Tiere – denn Kropfstörche erreichen ein sehr hohes Alter, – ähnlich wie große Raubvögel, Geier, von denen einer über 100 Jahre in Gefangenschaft unter ungünstigen Vedingungen lebte!

Manche der freundschaftlichen Beziehungen zu meinen damaligen Pfleglingen haben sich erhalten. So erkennt und begrüßt mich auch heute, (1919), noch dieser Marabu im Berliner Zoologischen Garten mit größter Freude, sehr zum Ärger seines weder mir noch sonst jemanden wohlwollenden, gleichartigen indischen Nachbars im Nebenkäfig.

Vieles andere könnte ich in dieser Hinsicht noch über die Klugheit dieser Vögel berichten; ich muß mich aber hier einschränken und möchte nur erzählen, daß Prof. Ludwig Heck, dem doch Tausende von fremdländischen Tieren aller Art zugänglich waren, aufs äußerste betroffen war, als er in Neapel auf dem Dampfer selbst beobachten konnte, mit wie inniger Zuneigung mein Marabu an mir hing.

Abends kam dann die Schar meines Rindviehes, meiner Schafe und Ziegen nach Hause, unter denen auch einst mehrere Gnus friedlich weideten, die ich glücklich als erste ihrer Art lebend nach Europa brachte. Begrüßten die Tiere die ihrer harrenden Kälber und Zicklein, so bot sich ein wundervolles Bild patriarchalischen Lagerlebens. Da war es denn immer wieder interessant, die Geschicklichkeit der Masaihirten in der Behandlung des Viehs zu bewundern.

Auch unter Tages bot sich da manchmal ein Bild reich gemischten Tierlebens. Kühe, Rinder, Schafe und Ziegen, mein Nashorn, junge Löwen, Hyänen, Schakale, Servale und Affen, Frankoline und Marabus, Geier und andere Tiere der Steppe liefen im Lager teils frei, teils angefesselt umher, und da gab es mancherlei kleine Zwistigkeit und manches Interessante zu sehen.

Unter improvisierten Gesängen wurde der von mir erlegte Leopard ins Lager geschafft. Meine Wanyamwesi bestätigten mir, daß jedermann, der in früheren Jahren den mit Leopardenfell geschmückten Thronsessel ihres Häuptlings berührte dessen Sklave wurde ...


Meine zum Fischfang ausgesandten Leute kehrten mit mehreren Zentnern großer Welse zurück. (Trotz aller Fischfeinde aus dem Tierreich wimmeln die afrikanischen Gewässer von Fischen! Das sollten sich die Vernichter unserer heimischen Reiher, Eisvögel, Wasserstare, Haubentaucher usw. gesagt sein lassen!)

Meine Feldküche war von zahmen Geiern und Kropfstörchen umgeben, die mit dem Koch im besten Einvernehmen lebten. Es gewährte einen grotesken Anblick, die klugen Marabus gewissermaßen als Gehilfen des Kochs walten zu sehen, gravitätisch neben ihm hockend und jede seiner Bewegungen beobachtend. Oftmals wiederum lockten die in meinem Lager befindlichen zahmen Tiere wild lebende Genossen an: Kropfstörche und Geier ließen sich in der Nähe nieder, und manchmal war es da kaum zu unterscheiden, was zahme und was wilde Tiere seien. Nicht selten konnten wir vom Lager aus Wild verschiedener Art beobachten, oft in unmittelbarer Nähe; selbst Nashörnern habe ich so mit dem Glase lange Zeit folgen können. Alles das kann man erleben, wenn man nicht in der Nähe des Lagers knallt und schießt!

Alle meine zahmen Tiere bewegten sich friedlich durcheinander und hielten gute Gemeinschaft mit meinen zahmen Hühnern, die mit Vorliebe in meinem eigenen Zelt und in denen der Träger ihre Eier abzulegen pflegten. Zuweilen pflegte ich meinen Hühnern Eier von Frankolinen anzuvertrauen. (Fast keine der vielen schönen ostafrikanischen Frankolinenarten ist bisher lebend nach Europa gelangt.) So hatte ich einmal wochenlang den Genuß, das sonst so scheue schöne gelbkehlige Frankolin ( Pternistes leucosepsus infuscatus Cab.) völlig zahm unter den übrigen Tieren des Lagers umherlaufen zu sehen.

Idyllische Szenen aus dem Leben meiner seltsamen Tiergesellschaft konnte ich oft beobachten! Namentlich das Gebaren meiner jungen »Rarität«, meines »Nashörnchens«, interessierte mich auf das höchste. Es war das meist gehätschelte Sorgenkind meiner Karawane, und ich war auf seine erfolgreiche Aufzucht sehr stolz, zumal ich zwei Jahre vergeblich auf solch ein junges Tier gehofft und, um eines habhaft zu werden, unverhältnismäßig große materielle Opfer gebracht hatte.

Fast zwanzig Jahre war es nicht mehr gelungen, ein junges Nashorn aus dem weiten Afrika lebend nach Europa zu bringen.

Da sagte ich mir, daß es die nach Trennung von der Mutter erfolgte Vereinsamung war, welches das Dahinsiechen jener vielen jungen Nashörner veranlaßt hat, die man nach Erlegung der Mütter hat aufziehen wollen. Ich ersetze die Mutter durch eine Ziege. Nach einigen Tagen hat das junge Nashorn sich mit der Ziege befreundet.

Durch die Geburt eines Zickleins entstand ein Trio, das sich äußerst zugetan war. Oft benutzte der junge Ziegenbock das Nashorn als Ruheplatz, und alle drei Tiere waren unzertrennlich. So große Mühe mir auch die Aufzucht meines Sorgenkindes machte, so entschädigt sah ich mich durch diese eigenartigen Szenen, namentlich während der ersten Wochen seiner Gefangenschaft, sorgfältig gehütet machte das Tier mit seinen Ziegen und zwei meiner besten, zuverlässigsten Leute häufig kleine Ausflüge in die unmittelbare Umgebung des Lagers. Dabei gelang es mir ganz allmählich, seine bevorzugten Futterpflanzen zu ermitteln, eine für die fernere Aufzucht sehr wichtige Tatsache! war das kleine Tier gut gelaunt, so pflegte es in der Art eines Hundes mit mir zu spielen und unter possierlichen, gewandten Sprüngen im Lager umherzurennen, wobei es häufig sein charakteristisches Schnauben hören ließ, solche fröhlichen Spiele wechselten dann wieder mit Stunden der Sorge, in denen ich mich nicht nur gezwungen sah, allerhand Medikamente bei meinem Pflegekinde anzuwenden, sondern auch einen nachdrücklichen Kampf gegen die Sandflöhe ( Sarcopsylla penetrans L.) führen mußte, jene schlimmen, einst aus Amerika nach Afrika übertragenen Plagegeister, die auch die Füße des Nashorns nicht verschonten.

Ich kann nur sagen, daß sich das junge Nashorn in wenigen Wochen an mich angeschlossen hatte, eine große Anzahl mit ihm in Berührung kommender Menschen aufs feinste unterschied und ihnen ganz verschieden entgegenkam, daß es seine Begleitziege geradezu liebte, daß es ihr auf Schritt und Tritt folgte und auch später noch in Gefangenschaft nicht von ihr und ihrem mittlerweile geborenen Sprößling getrennt sein wollte.

Ein seltsamer Anblick, das gewaltige Nashorn und die beiden ostafrikanischen Ziegen in Gefangenschaft im Berliner Zoologischen Garten!

Das konnte sich nun das Publikum – namentlich das der billigen Sonntage unseres Zoologischen Gartens – gar nicht erklären! Hunderte Male waren da merkwürdige Ausrufe zu vernehmen, wie z. B.: »Det is nu det kleene Nashorn, und seht mal, Kinder, die beeden Ziejen, die frißt es nu uff! Det is aba jrausam!«

So gerne ich nun auch in gewissem Maße meinen Trägern Fleisch zur Verfügung stellte, hielt ich dennoch strengstens darauf, daß jeder Mann täglich ein entsprechendes Maß von Vegetabilien erhielt und ich habe diese Absicht – oft mit den größten Schwierigkeiten und Kosten – durchzuführen gewußt. Leider geschah solches seitens der Karawanenführer nicht immer ...

So die Erklärung biederer Familienväter ihren Angehörigen gegenüber. Es wollte den Braven nicht in den Kopf, daß ein schreiendes Bedürfnis nach Anschluß an irgend ein mitfühlendes Herz sich in dem ungestalten Bewohner der Steppe regen könne! Irgend ein Verständnis seiner Eigenart findet der riesige Dickhäuter hier in Gefangenschaft unter vielen Tausenden der so hoch über ihm stehenden Menschen nicht. Aber der so denkende Familienvater überragt doch noch gewaltig jene ebenfalls nicht seltenen Erklärer der eigenartigen Tiergruppe, welche, das Schild mit der Aufschrift »Ostafrikanisches Nashorn« lesend und jenen gedruckten Worten, wie dies ja so häufig geschieht, blind vertrauend, kurzweg die Erklärung vom Stapel ließen: »Nu seht mal hier die kleenen Nashörner, die olle Mutter mit zwee kleene Junge!«

Für diese Besucher handelt es sich hier eben um drei junge Nashörner, und warum sollten junge Nashörner nicht in ihrer Jugend wie Ziegen aussehen? Es wäre in der Tat dringend zu wünschen, und es wäre eine schöne soziale Tat, die Kenntnis der Natur der Jugend besser zu vermitteln, als es bisher geschah. So wenig Tierkenntnis und Verständnis für die Natur ist leider vorhanden, daß derartige Dinge, wie ich sie eben schilderte, sich tatsächlich ereignen können. –

Meine kleinen Versammlungen konnte ich bei der Art meiner Reise immer nur wenige Wochen beherbergen. Zog ich weiter, so pflegte ich die Tiere irgendwo in bevölkerter Gegend unter der Bewachung zuverlässiger Schwarzer aufzubewahren, um sie später, bei meinem Rückmarsch zur Küste, wieder meiner Karawane einzuverleiben. Das Getriebe der Tierwelt im Lager hat mir während solcher Wochen und Monate stets den höchsten Genuß bereitet.

Ein schon beträchtlich herangewachsener halbwüchsiger Löwe, den ich längere Zeit in meinem Lager beherbergte, machte sich namentlich zur Nachtzeit häufig so bemerkbar, daß die Wache mich mit der Angabe weckte, es sei ihm aus der Wildnis von anderen Löwen Antwort geworden. Da mußten freilich für die Nacht tunlichste Vorsichtsmaßregeln getroffen werden, und meine Menagerie wurde im Innern des Lagers, umgeben von den Zelten meiner Leute, so gut wie möglich in Sicherheit gebracht. Auch stellten sich sogar einige Male Nashörner und Flußpferde nächtlicherweile zum Besuche ein, deren mächtige Fährten sich am nächsten Morgen sogar innerhalb des Lagers deutlich wahrnehmen ließen, und Hyänen und Schakale kamen recht häufig, in einzelnen Fällen auch Löwen bis auf geringe Entfernung zu dem nachtschlafenden Lager.

Tausende von Menschen entfliehen heutigen Tages den Mauern der Städte und suchen Erquickung und neue Spannkraft in der freien Natur.

Wenige aber kennen die freie Natur und ihre Bewohner aus der Tierwelt genauer. –

Vermag mir der Leser nachzufühlen, daß es etwas Herrliches war, mitten in der Wildnis sich mit ihren Bewohnern zu umgeben, Geschöpfen, die teils noch fast unerforscht und unbekannt, mir so täglich neue kleine Geheimnisse enthüllten über ihr Leben und Dasein?

Es waren schöne Tage! wer aber in die Wildnis zieht, versuche ein Gleiches zu tun!


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