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22. Ein kriegerisches Hirtenvolk: Die Masai.

Die Schreibweise Massai ist falsch.

Schon im Jahre 1896 sah ich mich im Gedankenaustausch mit meinem Freunde Merker, dem späteren Hauptmann in der kaiserlichen Schutztruppe, einig in der Ansicht, daß die Masai, jenes die Steppenländer Deutsch- und Britisch-Ostafrikas bewohnende kriegerische Hirtenvolk, das bis dahin zu den »Hamiten« gerechnet wurde, in ihren Physiognomien einen ganz überraschend deutlichen und unverkennbaren semitisch-jüdischen Ausdruck zeigen.

In einem stattlichen Werke Die Masai. Ethnographische Monographie eines ostafrikanischen Semitenvolkes. Berlin 1904, Dietrich Reimer. Neue Auflage 1910. hat mein Freund später die Ergebnisse langjährigen Studiums niedergelegt und seine Ansicht dahin ausgesprochen, daß die Masai lange vor der Zeit, aus der wir die ältesten ägyptischen Urkunden besitzen, aus Arabien nach Afrika gezogen sind, um sich schließlich endgültig in den ostafrikanischen Steppen festzusetzen.

Ferner hat er es unternommen, zu beweisen, daß die Masai – Anhänger einer streng monotheistischen Religion – Nachkommen desjenigen nomadisierenden Semitenvolkes sind, dem das Hirtenvolk der ältesten Ebräer angehörte, und, daß dieses ostafrikanische Hirtenvolk alttestamentarische Urzeitmythen pflege und sich durch mündliche Tradition seit grauen Zeiten überliefere, die, babylonischen Ursprungs, geeignet seien, die interessantesten Schlüsse über seine Herkunft zu geben.

Die Masai weisen durchweg feingeschnittene Gesichtszüge auf, haben hohe schlanke Gestalten und oft geradezu zierliche Füße und Hände.

Merker tritt in seinem Werke dem noch ziemlich allgemeinen Irrtum entgegen, demzufolge Semiten mit den heutigen Juden als identisch erachtet werden; tatsächlich aber scheinen die Merkmale, welche die heutigen Juden auszeichnen, sich erst durch Vermischung ursprünglicher Semiten mit der am Mittelmeer in Kleinasien lebenden Hethiter-Rasse herausgebildet zu haben. Über solche Vermischungen, welche bereits lange vor Seßhaftwerdung der Ebräer begannen, enthält die Bibel vielfache Beläge.

Es kann hier meine Aufgabe nicht sein, als Laie näher auf diese Punkte einzugehen. Jedenfalls haben wir es in dem Merkerschen Werke mit der aufopferungsvollen Arbeit eines Mannes zu tun, der wie kein Zweiter es vermocht hat, sich in die Psyche des von ihm durchforschten Volksstammes einzuleben; der mit unermüdlicher Arbeitskraft unentwegt eine lange Reihe von Jahren jede dienstfreie Stunde geopfert hat, um eine Fülle von Material zusammenzutragen, das wohl geeignet erscheinen muß, auch bei denen Bewunderung hervorzurufen, die als Fachgelehrte etwa die Merkerschen Anschauungen nicht völlig zu teilen geneigt sind.

Bevor Merker sich der Erforschung der Masai annahm, gestützt auf ein bedeutendes wissenschaftliches Rüstzeug und in einer, wie mir Fachleute versichern, bewundernswerten Beherrschung der schwierigen in Frage kommenden Materien, war unsere Kenntnis über dieses interessante Volk höchst dürftig. Keiner ist so wie Merker in Sprache, Denken, Sitten und Gewohnheiten dieses räuberischen Steppenvolkes eingedrungen. Ich glaube einigermaßen imstande zu sein, die ungeheuren Schwierigkeiten zu beurteilen, die er bewältigen mußte, um sein Ziel zu erreichen. Waren doch die wenigsten bis dahin imstande gewesen, auch nur einige Worte aus der Sprache der Masai zu verstehen!

Merker ist der Ansicht, daß die Masai vor vielen tausend Jahren aus Asien nach Ostafrika eingewandert sind Professor Hommel-München, der Vertreter der Merkerschen Anschauungen, glaubt eine Einwanderung über die Meerenge von Bab-el-Mandeb annehmen zu sollen.. Durch Jahrtausende haben sie sich ihre Traditionen, ihre Urzeitmythen, erhalten, gipfelnd in den Anschauungen, die uns im Alten Testamente vermittelt sind.

Es ist hier nicht der Ort, näher auf die Einzelheiten des Merkerschen Werkes einzugehen; das Für und Wider müssen die Fachgelehrten kritisch abwägen. Aber soviel ist gewiß: seit langer Zeit beherrschte der ol morani, der Speerkrieger des Masaivolkes, die Steppenländer! Mit Schild und Speer bewaffnet schweiften die Kriegerhorden weit umher, immer wieder ihre Viehherden ergänzend durch Raub aus dem Bestande der ansässigen Völkerschaften.

Ähnlich dem Indianer Nordamerikas sahen die Masai in der schrankenlosen Freiheit ihr höchstes Gut. Militärisch straff in ihrer Art nach Altersklassen organisiert, hielten sie alle ansässigen Volksstämme im Schach. So führten sie Tausende von Jahren ein herrliches, freies Kriegerleben, bis endlich das Eindringen des weißen Mannes ihrer Herrschaft ein Ziel setzte und sie als Volk zweifellos bald dem Untergang entgegenführen wird.

So wie den nordamerikanischen Indianern das Zusammentreffen mit den Bleichgesichtern verderbenbringend gewesen ist, so auch dem kriegerischen Volke der Masai.

In der Tat, ihr Leben und Treiben in den Steppen ist nicht vereinbar mit der eindringenden Zivilisation.

Aber so wie es kaum einen heranwachsenden Jüngling in Europa gegeben hat, der nicht in seinen Mußestunden sich an den Lederstrumpf-Erzählungen begeistert hat; wie ich bedeutende Männer gekannt habe, die selbst im höheren Alter noch in dieser Lektüre Erholung von den allzu komplizierten Einflüssen des hochgespannten modernen Kulturlebens suchten, – so können wir auch dem Masaivolke eine gewisse verständnisvolle Sympathie nicht versagen.

Sehen wir doch ein Volk vor uns, das viele tausend Meilen weit aus seiner Urheimat ausgewandert, sich mühsam durch viele fremde Völker unter den Unbilden eines fremdartigen Klimas hat durchkämpfen müssen; – ein Volk, das unter Einsetzung des Lebens jedes einzelnen männlichen Individuums in schrankenloser Freiheit ein ideales Kriegerdasein geführt hat. Finden wir doch heute noch in dem maßlosen Stolze der Masaikrieger und in ihrer Verachtung des nicht wehrkräftigen Gegners das Zeichen, das uns sagt, wie hoch männliche Tugend, Einsetzung des Lebens und Verachtung der Gefahr durch Jahrtausende von diesem in seiner Art ritterlichen Steppenvolke geschätzt worden ist.

Und wie sehr sind die Masai mit der Nyika verwachsen! Hätte ich nicht erlebt, daß ein kaum sechsjähriges Masaikind, von meinem Lager aus sich verirrend, mutterseelenallein den zwei Tagereisen entfernten Kraal, mitten durch pfadloses Dornenpori – in ihm ohne Unfall übernachtend – aufgefunden und glücklich erreicht hätte – ich würde solches schwerlich glauben!

Und nun muß dieses Volk, – wie auch die Tierwelt der Steppe, – an einer ihm unverständlichen, unsympathischen modernen Zivilisation und an ihren Wirkungen zerschellen!

Die weittragenden Feuerwaffen gaben dem eindringenden Europäer auch den Masai gegenüber eine solche Überlegenheit, daß deren ursprüngliche Waffen, Speer und Schwert, versagten. Aber mehr noch brachen furchtbare Seuchen ihre Macht und gaben das Volk dem Verderben preis.

Die Rinderpest, die vor etwa zwei Jahrzehnten die ostafrikanischen Steppen durchwütete, vernichtete in kürzester Zeit fast den gesamten Viehbestand des Masaivolkes; Männer, Frauen und Kinder starben oft in wenigen Tagen den Hungertod. Nur eine kleine Anzahl Masai sind erhalten geblieben; unfähig, sich irgend einer anderen Lebensweise von heute auf morgen anzubequemen, werden auch sie in absehbarer Zeit erlöschen.

Wir haben hier ein Beispiel, wie schnell ein Volk vom Erdboden verschwinden kann. Erlebten doch die Masai vor nunmehr etwa hundert Jahren noch eine Ära höchsten Gedeihens unter ihrem mächtigen, bereits sagenumwobenen Häuptling Mbātyan.

Es hat etwas unendlich Wehmütiges für den Reisenden, heute beobachten zu müssen, wie die Reste dieses Heldenvolkes, – denn ein solches waren sie, solange nicht das Schießgewehr ihrem Treiben ein Ziel setzte – den Verzweiflungskampf um ihr Dasein führen.

Kein Einsichtiger, der dieses Volk näher kennen gelernt, wird ohne Interesse an ihm vorübergehen können. Wir haben es nicht zu tun mit einem bereits durch Kultureinflüsse in seinen Lebensgewohnheiten veränderten und ein im höchsten Grade unsympathisches Mischgepräge zur Schau tragenden Volksstamme, wie beispielsweise es manche Stämme in Süd- und Südwestafrika geworden sind, – sondern mit einem mit zäher Urwüchsigkeit an seinen althergebrachten Gewohnheiten hängenden vornehmen Kriegervolke.

Tage- und wochenlang habe ich inmitten der Masai in der Nähe ihrer Kraale zugebracht und das Volk in seiner Eigenart in vieler Beziehung schätzen gelernt. Ihre Gesänge, ihre Tänze, ihr Leben und Treiben bot immer wieder eine Fülle von Neuem und Anziehendem. Meine Führer waren stets Masaikrieger.

Oft beschlich mich, ich wiederhole es, ein wehmütiges Gefühl, wenn ich zur Abendstunde die herrlichen, aristokratischen Kriegergestalten an meinen Lagerfeuern beobachten konnte, uralte Melodien, kriegerische Gesänge vor sich hinsummend. Schild und Speer stets zur Hand, hockten die bronzefarbenen sehnigen Krieger im magischen Scheine meiner Lagerfeuer. Mehr als einmal mußte ich mir sagen, was ich wohl mit meinen Leuten gegen sie hätte ausrichten können, wenn ich mit gleichen Waffen sie hätte bekämpfen müssen! Und selbst inmitten kriegerischer Situationen, bedroht von den El Moran, hat mich niemals ein Gefühl der Abneigung gegen dies Volk erfüllt. Kämpften sie doch für ihre Ideale, so wie wir Europäer dies täglich für die unsrigen tun, und warten sie doch, wie ich von meinem Freunde Merker erfahren, mit Inbrunst auf den Tag, wo nach einer Prophezeiung ihres großen Häuptlings Mbātyan, ein Held, ein großer Häuptling in ihrer Mitte wieder entstehen würde, sie zu befreien vom Joche der Fremdherrschaft ...

Meine schüchternen ersten Versuche, einen der gefährlichen Masaispeere zu handhaben, erregten die Heiterkeit meiner Masaifreunde ...


Auf zweifache Weise hatte ich den Nashornbullen zur Strecke gebracht – klopfenden Herzens in der deckungslosen Steppe mit der Camera und dann erst mit der treuen Büchse ...


Prinz Johannes Löwenstein, der sich 1902/1903 für einige Monate meiner Expedition angeschlossen hatte, übte sich mit großem Eifer im Präparieren ornithologischer Objekte ...

Wie sehr die Masai an ihren uraltererbten Gewohnheiten hängen, beweist aufs schlagendste folgender Fall. Ein Masaiknabe war als Diener eines Beamten mit seinem Herrn mehrmals in Deutschland gewesen, und beherrschte die deutsche Sprache und sogar den Berliner Jargon in staunenswerter Vollkommenheit.

Als aus dem ol aijóni, dem Knaben, ein ol barnotti geworden war und der junge Mann längst seinen Dienst verlassen hatte, fand ein Europäer ihn eines Tages statt in europäischer Kleidung über und über mit rotem Ocker beschmiert, das wieder langgetragene und gesträhnte Haar mit dem »ol daiga«-Zopf von Fett triefend, in Gesellschaft anderer Masai im Schmuck seiner Kriegertracht. Auf die erstaunte Frage des Herrn, was das bedeute, erwiderte der Masai im reinsten Berliner Deutsch: »Ick habe et vorjezogen, wieda mang meene Landsleute zu leben!«

Nie werde ich vergessen, was einer meiner Masaifreunde meinen Trägern zur Antwort gab, als er furchtlos und geschickt mit seinen nackten Armen die Schätze eines Bienennestes aus einem Termitenhügel hervorholte und die goldklaren Honigwaben freigebig unter meine Träger verteilte.

»Warum stechen dich die Bienen nicht?« fragte einer meiner Leute vergnügt kauend, den Krieger.

»Eure Sache ist es, Lasten zu tragen,« antwortete der ol Morani, »meine ist es, in der Steppe zu schweifen. Dich stechen Bienen, mich aber lieben sie.«

Dabei traf den neugierigen Träger ein Blick unendlicher Verachtung.

Die Masai kennen die Institution der Sklaverei nicht. Vor Jahren dienten mir zwei Masaimänner namens »Loumbardié« und »Kipueto« als Führer während eines Jahres, und ich zahlte ihnen, da sie mir bis zur Küste folgten, dort ihren Lohn aus. Die ganze summe benutzten sie jedoch sofort zum Freikaufen einer in Pangani im Besitze eines Negers lebenden, schon recht bejahrten Masaisklavin. Sie gehörte zum Stamme meiner Führer; das genügte ihnen als Antrieb zu einer Handlungsweise, die eine selbstlos vornehme Gesinnung beweist. Ich brauche dem wohl nicht hinzuzufügen, daß ich nicht nur Sorge trug, daß der Freibrief der Sklavin für eine entsprechend billige Summe ausgestellt wurde, sondern daß ich auch die Leute für ihren Edelmut noch ansehnlich belohnte.

Hier sei noch bemerkt, daß ich in einer ähnlichen Sache auf entschiedensten Widerstand stieß. Mein alter Karawanenführer »Maftar«, ein Suaheli, weigerte sich, sich von mir in Anerkennung seiner treuen vieljährigen Dienste freikaufen zu lassen: Den Kummer, ihn verlieren zu müssen, wolle er seinem alten arabischen Herrn nicht antun! Andere Völker, andere Sitten!

Eine gelbliche wie Erbsensuppe aussehende, nach Natronsalzen schmeckende Flüssigkeit diente uns zur Labung ... der Geschmack dieses Wassers ist schwer zu beschreiben ...


Wasser! Wasser! Endlich wieder Gelegenheit zu einem erquickenden Bade!

Ähnliche Züge vornehmer Denkungsweise habe ich noch mehrfach erfahren und auch von Missionaren, bei denen ich Gastfreundschaft genoß, bestätigen hören. ... Selbst in den Nächten, in denen Masaihorden mich überfielen, und ich mit knapper Not mit meinen Leuten dem Verderben entging, selbst da habe ich ihnen keinen Augenblick jenen Groll entgegenbringen können, den man für einen unvornehmen Gegner fühlt. Und ein mir sehr nahestehender Freund – Hauptmann Merker – hat mir einst aus dem Herzen gesprochen, als er sagte: »Wäre ich nicht ich, ich möchte wohl ein Masai ol Morani der guten alten Zeit sein.«

Die Erforschung des Masaivolkes durch Merker, die Monographie, die er über diesen Volksstamm veröffentlicht hat, dürfte wohl eine der gründlichsten Studien darstellen, die bis heute über ein ostafrikanisches Semitenvolk veröffentlicht worden sind.

Dem Andenken meines dem tückischen Malariafieber im Dienste für das Vaterland und für die Wissenschaft früh erlegenen lieben Freundes Merker, dessen sterbliche Reste heute an den Gestaden des Viktoria-Nyanza bestattet ruhen, möchte ich dieses Gedenken widmen dürfen. Er liebte sein Afrika und sein Forschungsgebiet über alles, und seine Freunde erleben die Genugtuung, daß Jahre nach seinem Tode (1910) in der neu erschienenen Auflage seines Werkes eine Autorität wie Professor Hommel in München in dem von ihm verfaßten Vorworte für die Richtigkeit der Merkerschen Forschungen aufs entschiedenste eintritt.

Der Umstand, daß die mündliche Tradition der Masai einzig und allein durch sehr bejahrte Leute gepflegt wurde, macht eine Erforschung ihrer Urzeitmythen ganz besonders schwierig, denn im Jahre 1891 erlagen die Masaigreise, die Träger der Traditionen ihres Volkes, fast alle der Rinderpest.

Mir aber ist es eine liebe Aufgabe und eine Ehrenpflicht, des Freundes zu gedenken, der ein vornehmer Mensch war, ein deutscher Offizier und ein genialer Forscher zu gleicher Zeit, und der ein aufopfernder Freund sein konnte! Das letztere war er mir, der ich schon in der ersten Auflage dieses Buches vor Jahren für ihn eintreten durfte. –


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