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Es ist Aufgabe einer Philosophischen Anthropologie, genau zu zeigen, wie aus der Grundstruktur des Menschseins, wie sie in diesen unseren Ausführungen nur kurz umschrieben wurde, alle spezifischen Monopole, Leistungen und Werke des Menschen hervorgehen: so Sprache, Gewissen, Werkzeug, Waffe, Ideen von Recht und Unrecht, Staat, Führung, die darstellenden Funktionen der Künste, Mythos, Religion, Wissenschaft, Geschichtlichkeit und Gesellschaftlichkeit. Darauf kann hier nicht eingegangen werden. Wohl aber soll noch der Blick gelenkt sein auf die Folgerungen, die sich aus dem Gesagtem für das Verhältnis des Menschen zum Grunde der Dinge ergeben.
Es ist eine der schönsten Früchte des sukzessiven Aufbaus der menschlichen Natur aus den ihr untergeordneten Daseinsstufen, wie er hier zu geben versucht wurde, daß man zeigen kann, mit welch innerer Notwendigkeit der Mensch in demselben Augenblicke, in dem er durch Welt- und Selbstbewußtsein und durch Vergegenständlichung auch seiner eigenen psychophysischen Natur – den spezifischen Grundmerkmalen des Geistes – »Mensch« geworden ist, auch die formalste Idee eines überweltlichen unendlichen und absoluten Seins erfassen muß. Hat sich der Mensch – das gehört ja zu seinem Wesen, ist der Akt der Menschwerdung selbst – einmal aus der gesamten Natur herausgestellt und sie zu seinem »Gegenstande« gemacht, so muß er sich gleichsam erschauernd umwenden und fragen: »Wo stehe ich denn selbst? Was ist denn mein Standort?« Er kann nicht eigentlich mehr sagen: »Ich bin ein Teil der Welt, bin von ihr umschlossen« – denn das aktuale Sein seines Geistes und seiner Person ist sogar den Formen des Seins dieser »Welt« in Raum und Zeit überlegen.
So schaut er gleichsam bei dieser Umwendung hinein ins Nichts: er entdeckt in diesem Blicke gleichsam die Möglichkeit des » absoluten Nichts« – und dies treibt ihn weiter zu der Frage:«»Warum ist überhaupt eine Welt, warum und wieso bin ›ich‹ überhaupt? Vgl. hierzu in dem Bande »Vom Ewigen im Menschen« aus der Abhandlung »Vom Wesen der Philosophie«, das Kapitel »Vom Gegenstand der Philosophie und die philosophische Erkenntnishaltung«.
Man erfasse die strenge Wesensnotwendigkeit dieses Zusammenhangs, der zwischen dem Welt-, dem Selbst- und dem (formalen) Gottesbewußtsein des Menschen besteht, – wobei »Gott« hier nur als ein mit dem Prädikat »heilig« versehenes »Sein durch sich selbst« erfaßt wird, das tausendfältige bunteste Ausfüllungen annehmen kann. Die Sphäre aber eines absoluten Seins überhaupt, gleichgültig, ob sie dem Erleben oder dem Erkennen zugänglich ist, gehört ebenso konstitutiv zum Wesen des Menschen wie sein Selbstbewußtsein und sein Weltbewußtsein. Was W. von Humboldt von der Sprache gesagt hat, daß der Mensch sie darum nicht habe »erfinden« können, da der Mensch nur durch die Sprache Mensch ist, das gilt mit genau derselben Strenge für die formale Seinssphäre eines alle endlichen Erfahrungsinhalte und das zentrale Sein des Menschen selbst überragenden, schlechthin in sich selbständigen Seins von Ehrfurcht gebietender Heiligkeit. Versteht man unter den Worten »Ursprung der Religion« und »Ursprung der Metaphysik« nicht nur die Erfüllung dieser Sphäre mit bestimmten Annahmen und Glaubensgedanken, sondern den Ursprung dieser Sphäre selbst, so fiele also dieser ihr Ursprung mit der Menschwerdung selbst vollständig in eins zusammen.
Der Mensch muß den eigenartigen Zufall, die Kontingenz der Tatsache, »daß überhaupt Welt ist und nicht vielmehr nicht ist« und » daß er selbst ist und nicht vielmehr nicht ist« Vgl. hierzu in dem Bande »Vom Ewigen im Menschen« aus der Abhandlung »Vom Wesen der Philosophie«, das Kapitel »Vom Gegenstand der Philosophie und die philosophische Erkenntnishaltung«. mit anschaulicher Notwendigkeit in demselben Augenblicke entdecken, wo er sich überhaupt der Welt und seiner selbst bewußt geworden ist. Daher ist es ein vollständiger Irrtum, das »Ich bin« (Descartes) oder das »Die Welt ist« (Thomas von Aquin) dem allgemeinen Satz »Es gibt absolutes Sein« vorhergehen zu lassen und die Sphäre des Absoluten allererst durch Schlußfolgerung aus jenen Seinsarten erreichen zu wollen: Welt-, Selbst- und Gottesbewußtsein bilden eine unzerreißbare Struktureinheit – genau so wie Transzendenz des Gegenstandes und Selbstbewußtsein in eben dem selben Akte, der »dritten Reflexio«, entspringen. Im selben Augenblicke, da jenes »Nein, Nein« zur konkreten Wirklichkeit der Umwelt eintrat, in welchem sich das geistige aktuale Sein und seine ideellen Gegenstände konstituierten; genau in dem selben Augenblicke, da das weltoffene Verhalten und die nie ruhende Sucht entstand, grenzenlos in die entdeckte Weltsphäre vorzudringen und sich bei keiner Gegebenheit zu beruhigen; genau im selben Augenblicke, da der werdende Mensch die Methoden alles ihm vorhergehenden tierischen Lebens, der Umwelt angepaßt zu werden oder ihr sich anzupassen, zerbrach und die umgekehrte Richtung einschlug, die Anpassung der entdeckten Welt an sich und sein organisch stabil gewordenes Leben; in genau dem selben Augenblicke, da sich der »Mensch« aus der »Natur« herausstellte und sie zum Gegenstand seiner Herrschaft und des neuen Kunst- und Zeichenprinzips machte – in eben demselben Augenblicke mußte der Mensch auch sein Zentrum irgendwie außerhalb und jenseits der Welt verankern. Konnte er sich doch nicht mehr als einfachen »Teil« oder als einfaches »Glied« der Welt erfassen, über die er sich so kühn gestellt hatte.
Nach dieser Entdeckung der Weltkontingenz und des seltsamen Zufalls seines nun weltexzentrisch gewordenen Seinskernes war dem Menschen noch ein doppeltes Verhalten möglich: Er konnte sich darüber verwundern (ϑαυμάζειν) und seinen erkennenden Geist in Bewegung setzen, das Absolute zu erfassen und sich in es einzugliedern – das ist der Ursprung der Metaphysik jeder Art; sehr spät erst in der Geschichte ist sie aufgetreten und nur bei wenigen Völkern. Er konnte aber auch aus dem unbezwinglichen Drang nach Bergung nicht nur seines Einzel-Seins, sondern zuvörderst seiner ganzen Gruppe, auf Grund und mit Hilfe des ungeheuren Phantasieüberschusses, der von vornherein im Gegensatz zum Tiere in ihm angelegt ist, diese Seinssphäre mit beliebigen Gestalten bevölkern, um sich in deren Macht durch Kult und Ritus hineinzubergen, um etwas von Schutz und Hilfe »hinter sich« zu bekommen, da er im Grundakt seiner Naturentfremdung und -vergegenständlichung – und dem gleichzeitigen Werden seines Selbstseins und Selbstbewußtseins – ins pure Nichts zu fallen schien. Die Überwindung dieses Nihilismus in der Form solcher Bergungen, Stützungen ist das, was wir Religion nennen. Sie ist primär Gruppen- und Volksreligion. Sie ward erst später, gemeinsam mit dem Ursprung des Staates, »Stifterreligion«. So sicher, wie die Welt primär als Widerstand für unser praktisches Dasein im Leben gegeben ist, früher denn als Gegenstand der Erkenntnis, eben so sicher mußten auch alle diese Gedanken- und Vorstellungsgebilde über die neuentdeckte Sphäre, die dem Menschen Kraft leihen, sich in der Welt zu behaupten – solche Hilfe leistet der Menschheit primär der »Mythos«, später die sich aus ihm herausschälende »Religion« –, geschichtlich vorhergehen allen vornehmlich auf Wahrheit ausgerichteten Erkenntnissen (oder Versuchen zu solchen) von der Art der Metaphysik.
Nehmen wir ein paar Haupttypen der religiösen Ideen, die sich der Mensch von dem Verhältnis zwischen sich und einem obersten Grund-Sein der Dinge gebildet hat, und beschränken wir uns dabei auf die Stufe des abendländisch-kleinasiatischen Monotheismus. Da finden wir Vorstellungen wie die, daß der Mensch einen »Bund« mit Gott schloß, nachdem Gott ein Volk bestimmter Art zu dem seinigen erkoren hatte (Älteres Judentum). Oder: der Mensch erscheint je nach der Struktur der Gesellschaft als »Sklave Gottes«, der mit List und niedriger Prostration sich vor ihm niederwirft, ihn durch Bitten und Drohungen oder mit magischen Mitteln zu bewegen suchend. In etwas höherer Form erscheint er sich als der »getreue Knecht« des obersten souveränen »Herrn«. Die höchste und reinste Vorstellung, die in den Grenzen des Monotheismus möglich ist, erreicht die Idee der »Kindschaft« aller Menschen im Verhältnis zu Gott-»Vater«, vermittelt durch den wesensgleichen »Sohn«, der den Menschen Gott in seinem inneren Wesen verkündigt und selber mit göttlicher Autorität ihnen gewisse Glaubensmeinungen und Gebote vorschreibt. Alle Ideen solcher Art müssen wir für unsere philosophische Betrachtung des Verhältnisses des Menschen zum obersten Grunde zurückweisen; müssen es schon darum, weil wir die theistische Voraussetzung leugnen: einen geistigen, in seiner Geistigkeit allmächtigen persönlichen Gott. Für uns liegt das Grundverhältnis des Menschen zum Weltgrund darin, daß dieser Grund sich im Menschen – der als solcher sowohl als Geist- wie als Lebewesen nur je ein Teilzentrum des Geistes und Dranges des »Durch-sich-Seienden« ist – ich sage: sich im Menschen selbst unmittelbar erfaßt und verwirklicht.
Es ist der alte Gedanke Spinozas, Hegels und vieler Anderer: das Urseiende wird sich im Menschen seiner selbst inne in dem selben Akte, in dem der Mensch sich in ihm gegründet schaut. Wir müssen nur diesen bisher viel zu einseitig intellektualistisch vertretenen Gedanken dahin umgestalten, daß dieses Sich-gegründet- wissen erst eine Folge ist der aktiven Einsetzung unseres Seinszentrums für die ideale Forderung der Deitas und des Versuches, sie zu vollstrecken, und in dieser Vollstreckung den aus dem Urgrunde werdenden »Gott« als die steigende Durchdringung von Geist und Drang allererst mitzuerzeugen.
Der Ort dieser Selbstverwirklichung, sagen wir gleichsam jener Selbstvergottung, die das Durch-sich-seiende-Sein sucht und um deren Werden willen es die Welt als eine »Geschichte« in Kauf nahm – das eben ist der Mensch, das menschliche Selbst und das menschliche Herz. Sie sind der einzige Ort der Gottwerdung, der uns zugänglich ist – aber ein wahrer Teil dieses transzendenten Prozesses selbst. Denn obzwar alle Dinge im Sinne einer kontinuierlichen Kreation in jeder Sekunde aus dem Durch-sich-seienden-Sein hervorgehen, aus der funktionellen Einheit des Zusammenspiels von Drang und Geist, so sind doch erst im Menschen und seinem Selbst diese beiden – uns erkennbaren – Attribute des Ens per se lebendig aufeinander bezogen. Der Mensch ist ihr Treffpunkt, und in ihm wird der Logos, »nach« welchem die Welt gebildet ist, mitvollziehbarer Akt. Von vornherein also ist nach unserer Anschauung Mensch- und Gottwerdung gegenseitig aufeinander angewiesen. So wenig der Mensch zu seiner Bestimmung gelangen kann, ohne sich als Glied jener beiden Attribute des obersten Seins und dieses Seins sich selbst einwohnend zu wissen, so wenig das Ens a se ohne Mitwirkung des Menschen.
Geist und Drang, die beiden Attribute des Seins, sie sind, abgesehen von ihrer erst werdenden gegenseitigen Durchdringung – als Ziel –, aber auch in sich nicht fertig: sie wachsen an sich selbst eben in diesen ihren Manifestationen in der Geschichte des menschlichen Geistes und in der Evolution des Lebens der Welt. –
Man wird mir sagen und man hat mir in der Tat gesagt, es sei dem Menschen nicht möglich, einen unfertigen Gott, einen werdenden Gott zu ertragen! Meine Antwort darauf ist, daß Metaphysik keine Versicherungsanstalt ist für schwache, stützungsbedürftige Menschen. Sie setzt bereits einen kräftigen, hochgemuten Sinn im Menschen voraus. Darum ist es auch wohlverständlich, daß der Mensch erst im Laufe seiner Entwicklung und seiner wachsenden Selbsterkenntnis zu jenem Bewußtsein seines Mitkämpfertums, seines Miterwirkens der Gottheit kommt. Das Bedürfnis der Bergung und der Stützung in eine außermenschliche und außerweltliche Allmacht, die mit Güte und Weisheit identisch gesetzt wird, ist zu groß, als daß es in Zeiten der Unmündigkeit nicht alle Dämme des Sinnes und der Besinnung durchbrochen hätte. Wir setzen an die Stelle jener halb kindlich, halb schwächlich distanzierenden Beziehung des Menschen zur Gottheit, wie sie in den objektivierenden und darum ausweichenden Beziehungen der Kontemplation, der Anbetung, des Bittgebetes gegeben sind, den elementaren Akt des persönlichen Einsatzes des Menschen für die Gottheit, die Selbstidentifizierung mit ihrer geistigen Aktrichtung in jedem Sinne. Das letzte, wirkliche »Sein« des Durch-sich-Seienden ist nicht gegenstandsfähig – so wenig wie das Sein einer Fremdperson: man kann an seinem Leben und seiner geistigen Aktualität teilhaben nur durch Mitvollzug, nur durch den Akt des Einsatzes und der tätigen Identifizierung. Zur Stützung des Menschen, zur bloßen Ergänzung seiner Schwächen und Bedürfnisse, die es immer wieder zu einem »Gegenstande« machen wollen, ist das absolute Sein nicht da.
Wohl aber gibt es auch für uns eine »Stützung«: es ist die Stützung auf das gesamte Werk der Wertverwirklichung der bisherigen Weltgeschichte, so weit es das Werden der »Gottheit« zu einem »Gotte« bereits gefördert hat. Nur suche man in letzter Linie nie theoretische Gewißheiten, die diesem Selbsteinsatz vorhergehen sollen. Erst im Einsatz der Person selbst ist die Möglichkeit eröffnet, um das Sein des Durch-sich-Seienden auch zu »wissen«.