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Wesen des Geistes: Freiheit, Welt- und Selbstbewußtsein, Aktualität. Tier und Mensch

Hier aber erhebt sich nun die für unser ganzes Problem entscheidende Frage: Besteht dann, wenn dem Tiere bereits Intelligenz zukommt, überhaupt noch mehr als ein nur gradueller Unterschied zwischen Mensch und Tier – besteht dann noch ein Wesensunterschied? Oder aber gibt es über diese bisher behandelten Wesensstufen hinaus noch etwas ganz Anderes im Menschen, ihm spezifisch Zukommendes, was durch Wahl und Intelligenz überhaupt noch nicht getroffen und erschöpft ist? Hier scheiden sich die Wege am schärfsten. Die einen wollen dem Menschen Intelligenz und Wahl vorbehalten und sie dem Tiere absprechen: sie erkennen zwar einen überquantitiven Unterschied, einen Wesensunterschied an, behaupten ihn aber da, wo nach meiner Ansicht kein Wesensunterschied vorliegt. Die anderen, insbesondere alle Evolutionisten der Darwin- und Lamarckschule, lehnen mit Darwin, G. Schwalbe und auch mit W. Köhler, einen letzten Unterschied zwischen Mensch und Tier ab, eben weil das Tier auch bereits Intelligenz besitze; sie hängen damit in irgendeiner Form der großen Einheitslehre vom Menschen an, die ich als Theorie des »homo faber« bezeichne, und kennen selbstverständlich dann auch keinerlei metaphysisches Sein, keine Metaphysik des Menschen, d. h. kein ausgezeichnetes Verhältnis, das der Mensch als solcher zum Weltgrunde besäße.

Was mich betrifft, so weise ich beide Lehren zurück. Ich behaupte: Das Wesen des Menschen und das, was man seine »Sonderstellung« nennen kann, steht hoch über dem, was man Intelligenz und Wahlfähigkeit nennt, und würde auch nicht erreicht, wenn man sich diese Intelligenz und Wahlfähigkeit quantitativ beliebig, ja bis ins Unendliche gesteigert vorstellte. Zwischen einem klugen Schimpansen und Edison, dieser nur als Techniker genommen, besteht nur ein – allerdings sehr großer – gradueller Unterschied.

Aber auch das wäre verfehlt, wenn man sich das Neue, das den Menschen zum Menschen macht, nur dächte als eine zu den psychischen Stufen Gefühlsdrang, Instinkt, assoziatives Gedächtnis, Intelligenz und Wahl noch hinzukommende neue Wesensstufe psychischer, der Vitalsphäre angehöriger Funktionen und Fähigkeiten, die zu erkennen also noch in der Kompetenz der Psychologie und Biologie läge.

Das neue Prinzip steht außerhalb alles dessen, was wir »Leben« im weitesten Sinne nennen können: Das, was den Menschen allein zum »Menschen« macht, ist nicht eine neue Stufe des Lebens – erst recht nicht nur eine Stufe der einen Manifestationsform dieses Lebens, der »Psyche« –, sondern es ist ein allem und jedem Leben überhaupt, auch dem Leben im Menschen entgegengesetztes Prinzip, eine echte neue Wesenstatsache, die als solche überhaupt nicht auf die »natürliche Lebensevolution« zurückgeführt werden kann, sondern, wenn auf etwas, nur auf den obersten einen Grund der Dinge selbst zurückfällt: auf denselben Grund, dessen eine große Manifestation das »Leben« ist.

Schon die Griechen behaupteten ein solches Prinzip und nannten es »Vernunft«. Vgl. Julius Stenzel »Der Ursprung des Geistbegriffes bei den Griechen« in der Zeitschrift »Die Antike«. Wir wollen lieber ein umfassenderes Wort für jenes X gebrauchen, ein Wort, das wohl den Begriff »Vernunft« mitumfaßt, aber neben dem » Ideen-denken« auch eine bestimmte Art der » Anschauung«, die von Urphänomenen oder Wesensgehalten, ferner eine bestimmte Klasse volitiver und emotionaler Akte wie Güte, Liebe, Reue, Ehrfurcht, geistige Verwunderung, Seligkeit und Verzweiflung, die freie Entscheidung mitumfaßt: – das Wort » Geist«. Das Aktzentrum aber, in dem Geist innerhalb endlicher Seinssphären erscheint, bezeichnen wir als » Person«, in scharfem Unterschied zu allen funktionellen Lebenszentren, die nach innen betrachtet auch »seelische Zentren« heißen.

Was ist nun jener »Geist«, jenes neue und so entscheidende Prinzip? Selten ist mit einem Worte so viel Unfug getrieben worden, einem Worte, bei dem sich nur wenige etwas Bestimmtes denken. Stellen wir hier an die Spitze des Geistesbegriffes seine besondere Wissensfunktion, eine Art Wissen, die nur er geben kann, dann ist die Grundbestimmung eines geistigen Wesens, wie immer es psychologisch beschaffen sei, seine existentielle Entbundenheit vom Organischen, seine Freiheit, Ablösbarkeit – oder doch die seines Daseinszentrums – von dem Bann, von dem Druck, von der Abhängigkeit vom » Leben« und allem, was zum Leben gehört – also auch von der eigenen triebhaften »Intelligenz«.

Ein »geistiges Wesen« ist also nicht mehr trieb- und umweltgebunden, sondern »umweltfrei« und, wie wir es nennen wollen, » weltoffen«. Ein solches Wesen hat »Welt«. Ein solches Wesen vermag ferner die auch ihm ursprünglich gegebenen »Widerstands«- und Reaktionszentren seiner Umwelt, die das Tier allein hat und in die es ekstatisch aufgeht, zu » Gegenständen« zu erheben, und das Sosein dieser Gegenstände prinzipiell selbst zu erfassen, ohne die Beschränkung, die diese Gegenstandswelt oder ihre Gegebenheit durch das vitale Triebsystem und die ihm vorgelagerten Sinnesfunktionen und Sinnesorgane erfährt.

Geist ist daher Sachlichkeit, Bestimmbarkeit durch das Sosein von Sachen selbst. Geist »hat« nur ein zu vollendeter Sachlichkeit fähiges Lebewesen. Schärfer gesagt: Nur ein solches Wesen ist »Träger« des Geistes, dessen prinzipieller Verkehr mit der Wirklichkeit außerhalb seiner wie mit sich selber sich im Verhältnis zum Tiere mit Einschluß seiner Intelligenz dynamisch geradezu umgekehrt hat. Was ist diese »Umkehrung«?

Beim Tiere – ob hoch oder niedriger organisiert – geht jede Handlung, jede Reaktion, die es vollzieht, auch die »intelligente«, von einer physiologischen Zuständlichkeit seines Nervensystems aus, der auf der psychischen Seite Instinkte, Triebimpulse und sinnliche Wahrnehmungen zugeordnet sind. Was für die Instinkte und Triebe nicht interessant ist, ist auch nicht gegeben, und was gegeben ist, ist dem Tier gegeben nur als Widerstandszentrum für sein Verlangen und sein Verabscheuen, d. h. für das Tier als biologisches Zentrum. Der Ausgang von der physiologisch-psychologischen Zuständlichkeit ist also immer der erste Akt des Dramas eines tierischen Verhaltens zu seiner Umwelt. Die Umweltstruktur ist dabei der physiologischen und indirekt der morphologischen Eigenart des Tieres, seiner Trieb- und Sinnesstruktur, die eine strenge funktionelle Einheit bilden, genau und vollständig »geschlossen« angemessen. Alles, was das Tier merken und fassen kann von seiner Umwelt, liegt in den sicheren Zäunen und Grenzen dieser seiner Umweltstruktur. Der zweite Akt des Dramas des tierischen Verhaltens ist irgendeine Setzung realer Veränderung der Umwelt durch eine Reaktion des Tieres in Richtung auf sein leitendes Triebziel. Der dritte Akt ist die dadurch mitveränderte physiologisch-psychische Zuständlichkeit. Der Verlauf des tierischen Verhaltens hat stets die Form:

T?U

Ganz anders ein Wesen, das »Geist« hat. Ein solches ist – wenn und soweit es sich seines Geistes sozusagen auch bedient – eines Verhaltens fähig, das eine genau entgegengesetzte Verlaufsform besitzt. Der erste Akt dieses neuen Dramas, des menschlichen Dramas ist: das Verhalten wird vom puren Sosein eines zum Gegenstand erhobenen Anschauungs- oder Vorstellungskomplexes »motiviert«, und dies prinzipiell unabhängig von der physiologischen und psychischen Zuständlichkeit des menschlichen Organismus, unabhängig von seinen Triebimpulsen und der gerade in ihnen aufleuchtenden, stets modal (optisch oder akustisch usw.) bestimmten sinnlichen Außenseite der Umwelt. Der zweite Akt des Dramas ist freie, d. h. vom Personzentrum ausgehende Hemmung eines Triebimpulses, bzw. Enthemmung eines zuerst zurückgehaltenen Triebimpulses (und einer entsprechenden Reaktion). Der dritte Akt ist eine als selbstwertig und endgültig erlebte Veränderung der Gegenständlichkeit einer Sache. Die Form eines solchen Verhaltens ist die der »Weltoffenheit«, der prinzipiellen Abschüttelung des Umweltbannes:

M?W??

Dieses Verhalten ist, wo es einmal konstitutionell vorhanden ist, seiner Natur nach unbegrenzt erweiterungsfähig – so weit eben, als die »Welt« vorhandener Sachen reicht.

Der Mensch ist das X, das sich in unbegrenztem Maße »weltoffen« verhalten kann. Menschwerdung ist Erhebung zur Weltoffenheit kraft des Geistes.

Das Tier hat keine »Gegenstände«: es lebt in seine Umwelt ekstatisch hinein, die es gleichsam wie eine Schnecke ihr Haus als Struktur überall hinträgt, wohin es geht – es vermag diese Umwelt nicht zum Gegenstand zu machen. Die eigenartige Fernstellung, diese Distanzierung der »Umwelt« zur »Welt« (resp. zu einem Symbol der Welt), deren der Mensch fähig ist, vermag das Tier nicht zu vollziehen, nicht die Umwandlung der affekt- und triebumgrenzten »Widerstands«zentren zu »Gegenständen«. Gegenstand-Sein ist also die formalste Kategorie der logischen Seite des Geistes. Ich möchte sagen, das Tier hängt zu wesentlich an und in der seinen organischen Zuständen entsprechenden Lebenswirklichkeit drin, um sie je »gegenständlich« zu fassen. Wohl lebt das Tier nicht mehr absolut ekstatisch in seine Umwelt hinein (wie der empfindungs-, vorstellungs- und bewußtlose Gefühlsdrang der Pflanze in ihr Medium hinein, ohne alle Rückmeldung der Eigenzustände des Organismus nach innen); es ist sich selbst durch die Trennung von Sensorium und Motorium und durch die stete Rückmeldung seiner jeweiligen sensuellen Inhalte gleichsam zurückgegeben: es besitzt ein »Leibschema«. Der Umwelt gegenüber aber verhält sich das Tier immer noch ekstatisch – auch da noch, wo es sich »intelligent« verhält. Und seine Intelligenz bleibt organisch-triebhaft-praktisch gebunden.

Der geistige Akt, wie ihn der Mensch vollziehen kann, ist im Gegensatz zu der einfachen Rückmeldung des tierischen Leibschemas und seiner Inhalte wesensgebunden an eine zweite Dimension und Stufe des Reflexaktes. Wir wollen diesen Akt »Sammlung« nennen und ihn und sein Ziel, das Ziel dieses »Sichsammelns«, zusammenfassend »Bewußtsein des geistigen Aktzentrums von sich selbst« oder » Selbstbewußtsein« nennen. Das Tier hat Bewußtsein, im Unterschied von der Pflanze, aber es hat kein Selbstbewußtsein, wie schon Leibniz gesehen hat. Es besitzt sich nicht, ist seiner nicht mächtig – und deshalb auch seiner nicht bewußt.

Sammlung, Selbstbewußtsein und Gegenstandsfähigkeit des ursprünglichen Triebwiderstandes bilden eine einzige unzerreißbare Struktur, die als solche erst dem Menschen eigen ist. Mit diesem Selbstbewußtwerden, mit dieser neuen Zurückbeugung und Zentrierung seiner Existenz, die der Geist möglich macht, ist das zweite Wesensmerkmal des Menschen gegeben. Kraft seines Geistes vermag das Wesen, das wir »Mensch« nennen, nicht nur die Umwelt in die Dimension des Weltseins zu erweitern und Widerstände gegenständlich zu machen, sondern es vermag auch – und das ist das Merkwürdigste – seine eigene physiologische und psychische Beschaffenheit und jedes einzelne psychische Erlebnis, jede einzelne seiner vitalen Funktionen selbst wieder gegenständlich zu machen. Nur darum vermag dieses Wesen auch sein Leben frei von sich zu werfen. Das Tier hört und sieht – aber ohne zu wissen, daß es hört und sieht. Die Psyche des Tieres funktioniert, lebt – aber das Tier ist kein möglicher Psychologe und Physiologe! Wir müssen an sehr seltene ekstatische Zustände des Menschen denken – bei abebbender Hypnose, bei Einnahme bestimmter Rauschgifte, bei gewissen den Geist bewußt (d. h. schon mit Hilfe des Geistes) inaktivierender Techniken z. B. orgiastischer Kulte aller Art –, um uns einigermaßen in den Normalzustand des Tieres hineinzuversetzen. Auch seine Triebimpulse erlebt das Tier nicht als seine Triebe, sondern als dynamische Züge und Abstoßungen, die von den Dingen der Umwelt selber ausgehen. Sogar der primitive Mensch, der in gewissen seelischen Eigenschaften dem Tiere noch nahe steht, sagt noch nicht, »ich verabscheue dieses Ding«, sondern »das Ding ist tabu«. Für das tierische Bewußtsein gibt es nur diese von den Umweltgebilden ausgehenden Lockungen und Abstoßungen. Der Affe, der plötzlich hierhin, dann dorthin springt, lebt sozusagen in lauter punktuellen Ekstasen (Pathologische Ideenflucht des Menschen). Einen die Triebimpulse und ihren Wechsel überdauernden »Willen«, der Kontinuität im Wandel seiner psychophysischen Zustände bewahren kann, hat das Tier nicht. Ein Tier kommt immer sozusagen wo anders an, als es ursprünglich »will«. Es ist tief und richtig, wenn Nietzsche sagt »der Mensch ist das Tier, das versprechen kann«.

Vier Wesensstufen sind es, in denen alles Seiende in Bezug auf sein Inne- und Selbstsein erscheint. Anorganische Gebilde haben ein solches Inne- und Selbstsein überhaupt nicht; sie haben kein Zentrum, das zu ihnen ontisch gehörte, daher auch kein Medium, keine Umwelt. Was wir in dieser Gegenstandswelt als Einheit bezeichnen, bis zu Molekülen, Atomen und Elektronen, ist ausschließlich abhängig von unserer Macht, die Körper realiter oder doch gedanklich zu zerteilen. Jede anorganische Körpereinheit ist es nur relativ auf eine bestimmte Gesetzlichkeit ihres Wirkens auf andere Körper. Die unräumlichen, aber die Erscheinung der Ausdehnung in der Zeit setzenden Kraftzentren, die wir den Körperbildern metaphysisch zugrunde zu legen haben, sind Zentren gegenseitig aufeinander wirkender Kräftepunkte, in denen die Kraftlinien eines Feldes zusammenlaufen. Ein Lebewesen dagegen ist stets ein ontisches Zentrum und bildet stets »seine« raumzeitliche Einheit und Individualität; sie stammt nicht wie beim anorganischen Gebilde von Gnaden unserer selbst biologisch bedingten Zusammenfassung. Es ist ein X, das sich selbst begrenzt; es hat »Individualität« – es zerteilen heißt es vernichten, sein Wesen und Dasein aufheben. Dem Gefühlsdrang der Pflanze ist ein Zentrum zu eigen und ein Medium, in das, relativ in seinem Wachstum ungeschlossen, das pflanzliche Lebewesen hineingesetzt ist ohne Rückmeldung seiner verschiedenen Zustände an sein Zentrum; aber ein »Innesein« überhaupt und damit Beseeltheit besitzt die Pflanze. Im Tiere jedoch ist Empfindung und Bewußtsein, und damit verbunden eine zentrale Rückmeldestelle der wechselnden Zustände seines Organismus und eine Modifizierbarkeit seines Zentrums durch diese Rückmeldung vorhanden: es ist sich schon ein zweites Mal gegeben. Der Mensch aber ist es kraft seines Geistes noch ein drittes Mal: im Selbstbewußtsein und in der Vergegenständlichung seiner psychischen Vorgänge und seines sensomotorischen Apparates. Die »Person« im Menschen muß dabei als das Zentrum gedacht werden, das über dem Gegensatz von Organismus und Umwelt erhaben ist. Ist das nicht, als gäbe es eine Stufenleiter, auf der ein urseiendes Sein sich im Aufbau der Welt immer mehr auf sich selbst zurückbeugt, um auf immer höheren Stufen und in immer neuen Dimensionen sich seiner inne zu werden – um schließlich im Menschen sich selbst ganz zu haben und zu erfassen?

Aus dieser Seinsstruktur des Menschen – seiner Selbstgegebenheit, seiner Fähigkeit, seine Umwelt und sein ganzes psychisches und physisches Sein und beider Kausalrelation sich zum Gegenstande zu machen – lassen sich eine Reihe menschlicher Besonderheiten verständlich machen, von denen ich einige kurz anführe.

Nur der Mensch hat die vollausgeprägte konkrete Ding- und Substanzkategorie. Das Tier besitzt sie nicht. Eine Spinne, die lauernd in ihrem Netze, in dessen Knotenpunkt sitzt, stürzt sich sofort auf die Mücke, die sich entfernt von ihr in das Netz verfängt, und deren Anwesenheit sich ihr wahrscheinlich an einem leisen Zug durch den Tastsinn verrät; bringt man aber die Mücke in eine Entfernung, die innerhalb des Reiches ihrer Sehweite liegt, so ergreift die Spinne sofort die Flucht (Volkelts Spinnenversuch): Es ist ein anderes Wesen für sie, was sie sieht, – und was sie tastet, und sie vermag Sehraum und Tast-Handlungsraum (kinästhetischen Raum) ebensowenig zu identifizieren wie die darin befindlichen Dinge. Auch die höchsten Tiere haben die Dingkategorie nicht vollständig. Ein Affe, dem man eine Banane halbgeschält in die Hand gibt, flieht vor ihr, während er sie ganz geschält frißt, ungeschält aber selber schält und dann frißt: das Ding »Banane« hat sich nicht für das Tier »verändert«, es hat sich in ein anderes »verwandelt«. Offenbar fehlt dem Tier ein Zentrum, von dem aus es die psychophysischen Funktionen seines Sehens, Hörens, Riechens, Greifens, Tastens und die sich in ihnen darstellenden Seh-, Hör-, Schmeck-, Geruchs- und Tastdinge auf ein und dasselbe konkrete Gegenstands-Ding, auf einen identischen Realitätskern zu beziehen vermöchte.

Der Mensch hat ferner von vornherein einen einigen Raum. Was z. B. der operierte Blindgeborene lernt, ist nicht eine Zusammensetzung ursprünglich geschiedener »Räume« wie Tastraum, Sehraum, Hörraum, kinästhetischer Raum zu einer Raumanschauung, sondern nur die Identifizierung seiner Sinnesdaten als Symbole und Eigenschaften für das an einem Ort seiende eine Ding. Dem Tiere aber fehlt wiederum die zentrale Funktion, die einen einigen Raum als eine feste Form vor den einzelnen Dingen und ihrer Wahrnehmung gibt. Vor allem aber: es fehlt eben jene besondere Art von Selbstzentriertheit, die alle Sinnesdaten mit ihren zugehörigen Triebimpulsen zusammenfaßt und sie auf eine substanzartig geordnete » Welt« bezieht. Dem Tiere fehlt ein eigentlicher »Weltraum«, der unabhängig von des Tieres eigenen Ortsbewegungen als stabiler Hintergrund verharrte. Es fehlen ihm ebenso die »Leerformen« von Raum und Zeit, in die hineingesetzt der Mensch die Dinge und Ereignisse primär auffaßt. Sie sind nur einem (geistigen) Wesen möglich, dessen Triebunbefriedigung stets überschüssig ist über seine Befriedigung. »Leer« nennen wir ursprünglich das Unerfülltbleiben unserer triebhaften Erwartung – die erste »Leere« ist gleichsam die Leere unseres Herzens.

Die Wurzel der allen äußeren Sensationen vorhergehenden menschlichen Raum- und Zeitanschauung liegt in der organischen spontanen Bewegungs- und Tunsmöglichkeit in einer bestimmten Ordnung. Die Tatsache, daß, wie man an bestimmten Ausfallerscheinungen nachweisen konnte, der Tastraum dem optischen Raum nicht direkt zugeordnet ist, sondern die Zuordnung nur durch die Vermittlung der kinästhetischen Empfindungen erfolgt, weist auch darauf hin, daß die Leerform des Raumes wenigstens als noch ungeformte »Räumlichkeit« im Menschen schon vor dem Bewußtwerden irgendwelcher Sensationen erlebt wird auf Grund der erlebten Bewegungsantriebe und des Könnenserlebnisses, sie hervorzubringen (denn es sind ja jene Bewegungsantriebe, die an erster Stelle die kinästhetischen Empfindungen zur Folge haben); dieser primitive Bewegungsraum, das »Herumbewußtsein«, bleibt auch noch bestehen, wenn der optische Raum, in dem allein die stetige gleichzeitige Mannigfaltigkeit »Ausdehnung« gegeben ist, vollständig abgebaut wird. Im Übergang vom Tier zum Menschen finden wir also eine vollständige Umkehrung von »leer« und »voll«, und zwar sowohl der Zeit als dem Raume nach. Obgleich die höheren Tiere raumartige Mannigfaltigkeiten besitzen (die primitivsten haben wohl nur zeitliche Eindrücke), sind diese doch nicht homogen, d. h. so, daß die Orte als vorgegebenes Stellensystem in der optischen Sphäre fix bleiben und sich von den sie erfüllenden Qualitäten und Bewegungen der Umweltgebilde scharf loslösen. Nur die höchste Optik des Menschen (aufrechter Gang!) besitzt dies System; er kann es aber in pathologischen Fällen verlieren, sodaß nur der sozusagen »Urraum«, das »Herumerlebnis« übrig bleibt. Das Tier vermag die Leerformen des Raumes und der Zeit so wenig von bestimmten Inhaltlichkeiten der Umweltdinge loszulösen wie die »Zahl« von einer als größer oder kleiner in den Dingen selbst liegenden »Anzahl«. Es lebe ganz in die konkrete Wirklichkeit seiner jeweiligen Gegenwart hinein. Erst wenn – im Menschen – die in Bewegungsimpulse sich umsetzenden Trieberwartungen das Übergewicht haben über all das, was faktische Trieberfüllung in einer Wahrnehmung oder Empfindung ist, findet das überaus seltsame Phänomen statt, daß die räumliche »Leere«, und analog die zeitliche, allen möglichen Inhalten der Wahrnehmungen und der gesamten Dingwelt als vorhergehend, als »zu Grunde liegend« erscheint. So blickt der Mensch, ohne es zu ahnen, seine eigene Herzensleere als eine »unendliche Leere« des Raumes und der Zeit an, als ob diese auch bestünden, wenn es gar keine Dinge gäbe! Erst sehr spät korrigiert die Wissenschaft diese ungeheure Täuschung der natürlichen Weltanschauung, indem sie lehrt, daß Raum und Zeit nur Ordnungen, nur Lage- und Sukzessionsmöglichkeiten der Dinge sind, und außer und unabhängig von diesen keinen Bestand haben.

Auch den »Weltraum«, sagte ich, hat das Tier konstitutiv nicht. Ein Hund mag jahrelang in einem Garten leben und an jeder Stelle des Gartens schon häufig gewesen sein – er wird sich niemals ein Gesamtbild des Gartens und der von seiner Körperlage unabhängigen Anordnung der Bäume, Sträucher usw. machen können, wie klein und groß der Garten auch sei. Er hat nur mit seinen Bewegungen wechselnde »Umwelträume«, die er nicht auf den ganzen, von seiner Körperstellung unabhängigen Gartenraum zu koordinieren vermag. Der Grund ist eben der, daß das Tier seinen eigenen Leib und dessen Bewegungen sich nicht zum Gegenstand zu machen im Stande ist, sodaß er seine eigene Körperlage als veränderliches Moment in seine Raumanschauung einbeziehen könnte und mit dem Zufalle seiner Stellung gleichsam instinktiv so rechnen lernte, wie es der Mensch auch ohne Wissenschaft vermag. Diese Leistung des Menschen ist nur der Anfang dessen, was er in der Wissenschaft fortsetzt. Denn das ist das Große der menschlichen Wissenschaft, daß der Mensch in ihr mit seiner Zufallsstellung im Universum, mit sich selbst und seinem ganzen physischen und psychischen Apparat gleichwie mit einem fremden Dinge, das in strengen Kausalverknüpfungen zu anderen Dingen steht, immer umfassender zu rechnen lernt und damit langsam ein Bild der Welt selbst zu gewinnen weiß, das und dessen Gegenstände und deren Gesetze von seiner psychophysischen Organisation, seinen menschlichen Sinnen und deren Schwellen, seinen Bedürfnissen und deren Interessen an den Dingen ganz und gar unabhängig sind, die also im Wechsel all seiner Stellungen im Universum, seiner Zustände, Artorganisationen und Sinneserlebnisse konstant bleiben. Eingehender nachgewiesen in der Abhandlung »Idealismus – Realismus« a. a. O.

Der Mensch allein – sofern er Person ist – vermag sich über sich – als Lebewesen – emporzuschwingen und von einem Zentrum gleichsam jenseits der raumzeitlichen Welt aus alles, darunter auch sich selbst, zum Gegenstande seiner Erkenntnis zu machen. So ist der Mensch als Geistwesen das sich selber als Lebewesen und der Welt überlegene Wesen. Als solches ist er auch der Ironie und des Humors fähig, die stets eine Erhebung über das eigene Dasein einschließen.

Das Zentrum aber, von dem aus der Mensch die Akte vollzieht, durch welche er seinen Leib und seine Psyche vergegenständlicht, die Welt in ihrer räumlichen und zeitlichen Fülle gegenständlich macht – es kann nicht selbst ein »Teil« eben dieser Welt sein, kann also auch kein bestimmtes Irgendwo und Irgendwann besitzen – es kann nur im obersten Seinsgrunde selbst gelegen sein.

Schon Kant hat in seiner tiefen Lehre von der transzendentalen Apperzeption jene neue Einheit des cogitare, die »Bedingung ist aller möglichen Erfahrung und darum auch aller Gegenstände der Erfahrung« – nicht nur der äußeren, sondern auch jener inneren Erfahrung, durch die uns unser eigenes Innenleben zugänglich wird – im wesentlichen klargestellt. Er hat damit zuerst den »Geist« über die »Psyche« erhoben und ausdrücklich geleugnet, daß der Geist nur eine Funktionsgruppe einer sogenannten »Seelensubstanz« sei – die nur unberechtigter Verdinglichung der aktualen Einheit des Geistes ihre fiktive Annahme verdankt.

Damit haben wir eine dritte wichtige Bestimmung des Geistes bezeichnet: Der Geist ist das einzige Sein, das selbst gegenstands unfähig ist, – er ist reine, pure Aktualität, hat sein Sein nur im freien Vollzug seiner Akte. Das Zentrum des Geistes, die »Person«, ist weder gegenständliches, noch dingliches Sein, sondern nur ein stetig selbst sich vollziehendes (wesenhaft bestimmtes) Ordnungsgefüge von Akten. Die Person ist nur in ihren Akten und durch sie. Seelisches vollzieht »sich selbst« nicht: es ist eine Ereignisreihe »in« der Zeit, der wir eben aus dem Zentrum unseres Geistes heraus noch prinzipiell zuzuschauen vermögen, die wir in der inneren Wahrnehmung und Beobachtung noch gegenständlich machen können. Alles Seelische ist gegenstandsfähig – nicht aber der Geistesakt, die Intentio, das die seelischen Vorgänge selbst noch Schauende. Zum Sein unserer Person können wir uns nur sammeln, zu ihm hin uns konzentrieren – nicht aber es objektivieren. Auch fremde Personen sind als Personen nicht gegenstandsfähig. (In diesem Sinne sagt Goethe von Lili, er habe »sie zu sehr geliebt«, als daß er sie habe »beobachten« können). Nur dadurch können wir an ihnen wissenden Anteil gewinnen, daß wir ihre freien Akte nach- und mitvollziehen durch das, was ein armes Wort »Gefolgschaft« nennt, oder durch jenes nur durch die Haltung der geistigen Liebe mögliche »Verstehen«, das äußerstes Gegenteil aller Vergegenständlichung ist, d. h. dadurch, daß wir uns mit dem Wollen, der Liebe einer Person – und dadurch mit ihr selbst – wie wir zu sagen pflegen, »identifizieren«.

Auch an den Akten jenes übersingulären Geistes – den wir auf Grund des unverbrüchlichen Wesenszusammenhanges von Akt und Idee anzunehmen haben, wenn wir überhaupt eine in dieser Welt sich realisierende Ideenordnung unabhängig vom menschlichen Bewußtsein annehmen und dem Urseienden selbst als eines seiner Attribute zuschreiben – können wir nur durch Mitvollzug Teil gewinnen: an einer Wesensordnung, soweit es sich um den erkennenden Geist, an einer objektiven Wertordnung, soweit es sich um den liebenden Geist, an einer Zielordnung des Weltprozesses, soweit es sich um den Geist als wollenden handelt. Die ältere seit Augustinus herrschende Ideenphilosophie hatte »ideae ante res« angenommen, eine »Vorsehung« und einen Plan der Weltschöpfung schon vor dem Wirklichsein der Welt. Aber – die Ideen sind nicht »vor«, nicht »in« und nicht »nach« den Dingen, sondern » mit« ihnen und werden nur im Akte der stetigen Weltrealisierung (creatio continua) im ewigen Geiste erzeugt. Darum ist auch unser Mitvollzug dieser Akte nicht ein bloßes Auffinden oder Entdecken eines von uns unabhängig Seienden und Wesenden, sondern ein wahres Mithervorbringen, ein Miterzeugen der dem ewigen Logos und der ewigen Liebe und dem ewigen Willen zugeordneten Wesenheiten, Ideen, Werte und Ziele aus dem Zentrum und Ursprung der Dinge selbst heraus.


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