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Hier aber erhebt sich wiederum eine entscheidende Frage: Entspringt durch diese Askese, Verdrängung, Sublimierung, erst der Geist, oder erhält er durch sie nur seine Energie? Ist diese innere Technik – wenngleich durch das »non fiat« des triebhemmenden Wollens selbst schon bedingt – nur eine Dispositionsschaffung für die Manifestation des Geistes im Menschen, oder aber entspringt der Geist seinem Wesen, seinen Prinzipien und seinen Gesetzen nach erst durch diese Art Verdrängung, Sublimierung? Nach meiner Überzeugung ist durch jene negative Tätigkeit, jenes »Nein« zur Wirklichkeit, jene Abstellung, Inaktivierung der Wirklichkeit und Bild gebenden Triebzentren keineswegs das Sein des Geistes, sondern nur gleichsam seine Belieferung mit Energie und damit seine Manifestationsfähigkeit bedingt. Der Geist ist, wie wir bereits sagten, in letzter Linie ein Attribut des Seienden selbst, das im Menschen manifest wird, in der Konzentrationseinheit der sich zu sich sammelnden Person. Aber – als solcher ist der Geist in seiner reinen Form ursprünglich schlechthin ohne alle »Macht«, »Kraft«, »Tätigkeit«. Um irgendeinen noch so kleinen Grad von Kraft und Tätigkeit zu gewinnen, muß jene Askese, jene Triebverdrängung und gleichzeitige Sublimierung hinzukommen.
Von hier aus gewinnen wir Einsicht in zwei Möglichkeiten der Auffassung des Geistes, die in der Geschichte der Menschidee eine fundamentale Rolle spielen. Die erste dieser Theorien, die die Griechen ausgebildet haben, spricht dem Geiste selbst nicht nur eine eigentümliche Wesenheit und Autonomie, sondern auch Kraft und Tätigkeit (νοῦς ποιητιϰός), ja das Höchstmaß von Macht des Geistes zu. Sie ist Bestandteil einer Gesamtweltanschauung, die behauptet, daß das von vornherein bestehende und durch den Werdeprozeß der Geschichte unveränderliche Sein der Welt so gebaut sei, daß die je höheren Formen des Seins von der Gottheit bis zur materia bruta auch die je mächtigeren, kraftvolleren, die kausierenden Seinsweisen sind. Der Höhepunkt einer solchen Welt ist der geistige und allmächtige, der eben durch seinen Geist auch allmächtige Gott. Die zweite entgegengesetzte Lehre, die wir die » negative Theorie« des Geistes nennen, vertritt umgekehrt die Meinung, daß der Geist – soweit dieser Begriff dann überhaupt zugelassen wird –, daß zum mindesten alle »kulturerzeugenden« Tätigkeiten des Menschen, alle logischen, moralischen, ästhetisch-schauenden und künstlerisch-bildenden Akte ausschließlich durch jenes »Nein« erst erstehen. Beide Theorien weise ich zurück. Ich behaupte, daß der Geist zwar eigenes Wesen und Gesetzlichkeit hat, aber keinerlei ursprüngliche Eigenenergie; daß zwar durch jenen negativen Akt des (selbst schon geistigen) triebhemmenden Wollens die Energisierung des von Hause aus ohnmächtigen, nur in einer Gruppe von reinen »Intentionen« bestehenden Geistes erfolge – nicht aber hierdurch der Geist allererst »entspringe«.
Für die negative Theorie des Menschen nenne ich einige (in sich allerdings recht verschiedenartige) Beispiele: Buddhas Erlösungslehre, Schopenhauers Lehre von der »Selbstnegation des Willens zum Leben«, ferner das beachtenswerte Buch von P. Alsberg »Das Menschheitsrätsel«, endlich auch die Spätlehre S. Freuds, besonders in »Jenseits des Lustprinzips«. Für Buddha, der mit unvergleichlicher Tiefe erkannte, daß Wirklichkeitsgegebenheit Leiden am Widerstande ist, endet der Sinn des menschlichen Daseins in der Erlöschung seiner als Begierdesubjekt, respektive in der Erwirkung einer nur noch geschauten Wesenswelt, d. h. der Nichtsheit, oder mythologisch ausgedrückt: des »Nirwana«. Eine positive Idee des Geistes besitzt Buddha nicht, weder im Menschen noch im Weltgrunde. Nur eine Technik der Erkenntnis und des leidenüberwindenden »heiligen Wissens« und die kausale Ordnung, in der, bei Ausübung der Technik der Entwirklichung, durch innere Aufhebung der Begier, dessen, was er den »Durst« nennt, die sinnliche Wirklichkeitswelt und die Leib- und Seelenvorgänge dahinschwinden – die sinnlichen Qualitäten, die Gestalten, die Relationen, Raumlichkeit und Zeitlichkeit des Seins Stück für Stück wegfallen –, hat er tiefsinnig erkannt. – Schopenhauer sieht das Wesensmerkmal der Verschiedenheit von Tier und Mensch ausschließlich darin, daß das Tier jene »erlösende« Negation des Willens zum Leben nicht zu vollziehen vermag, die der Mensch in seinen höchsten Exemplaren vollziehen kann –, jene Negation, die Schopenhauer wie seinem Lehrer Bouterweck der Quell ist aller »höheren Formen« des Bewußtseins und Wissens in Metaphysik, Kunst, Mitleidsethos. – Alsberg, ein Schüler Schopenhauers, erkennt sehr richtig, daß weder ein morphologisches, noch ein physiologisches noch ein empirisch-psychologisches Merkmal die allgemeine Überzeugung der Kulturwelt von einem Wesensunterschied von Mensch und Tier rechtfertigen kann. Er hat Schopenhauers Lehre zu der These erweitert, das »Prinzip der Menschlichkeit« liege ausschließlich darin, daß der Mensch seine Organe aus dem Lebenskampf der Individual- und Arterhaltung »auszuschalten« gewußt habe zu Gunsten des Werkzeugs, der Sprache, der Begriffsbildung, welch letztere er auf die Ausschaltung der Sinnesorgane und -Funktionen und auf das Machsche Prinzip einer möglichsten »Ersparnis« sinnlicher Inhalte zurückführt. Ausdrücklich weist Alsberg es ab, den Menschen durch Geist und Vernunft erst zu definieren. Die Vernunft, die er fälschlich – wie sein Lehrer Schopenhauer – nur als diskursives Denken, insbesondere als Begriffsbildung kennt, ist ihm eine Folge der Sprache, nicht ihre Wurzel; die Sprache selbst sieht er als »immaterielles Werkzeug« zwecks Ausschaltung der Arbeit der Sinnesorgane an. Als Grund für die Entstehung dieses »Prinzips der Menschlichkeit«, diese Tendenz des Lebens, seine Organe auszuschalten und »Werkzeuge« und »Zeichen« an die Stelle der lebendigen Organfunktionen zu setzen, damit auch als Grund der steigenden »Vergehirnlichung« des Menschen im morphologischen und physiologischen Sinne, sieht Alsberg die besonders mangelhafte Organanpassung des Menschen an seine Umwelt an: Mangel an Greiffuß, Kletterfuß, Klauen, Eckzähne, Haarkleid usw., d. h. den Mangel an jenen spezifischen Organanpassungen, die seine nächsten Anverwandten, die Menschenaffen, besitzen. Das, was man »Geist« nennt, ist also für Alsberg nur ein spät entstandenes Surrogat für mangelnde Organanpassung – man könnte im Sinne Alfred Adlers, der auf diese Weise gewisse Hochbegabungen des Menschen erklärt, sagen: eine Überkompensation konstitutioneller Organminderwertigkeit der Menschenart.
Auch die Spätlehre Freuds gehört, wie ich sagte, in den Kreis der negativen Theorie des Menschen. Die Worte »Trieb- und Affektverdrängung« hatte sogar schon Schopenhauer ausdrücklich gebraucht, um, wie er sich ausdrückt, bestimmte »Wahnformen« zu erklären. Es ist bekannt, wie großartig Freud diesen Gedanken für die Entstehung der Neurose ausgebaut hat. Aber nach Freud sollen diese selben Triebveränderungen, die nach der einen Richtung die Neurose erklären sollen, für den Fall, daß die verdrängte Energie der Triebe »sublimiert« wird, nicht weniger hervorbringen als die Fähigkeit zu jeder Art höherer Kulturgestaltung, ja, wie Freud ausdrücklich sagt, die Spezifität der menschlichen Konstitution selbst. So heißt es ausdrücklich: »Die bisherige Entwicklung des Menschen scheint mir keiner anderen Erklärung zu bedürfen als die der Tiere, und was man an einer Minderzahl von menschlichen Individuen als rastlosen Drang zu weiterer Vervollkommnung beobachtet, läßt sich ungezwungen als Folge der Triebverdrängung verstehen, auf welcher das Wertvollste an der menschlichen Kultur aufgebaut ist«. Man hat noch viel zu wenig darauf geachtet, daß der späte Freud, seit Aufstellung seiner dualistischen Lehre von den zwei Grundtrieben Libido und Todestrieb, nicht nur mit Schopenhauer, sondern selbst direkt mit Buddhas Lehre einen seltsamen, zuweilen zu klarer Bewußtheit gelangenden Zusammenhang gewinnt. Nach beider Lehre sind im Grunde alle Formen des Daseins, von materiellen Dingen an über Pflanze, Tier, Mensch bis zu dem das »heilige Wissen« besitzenden Weisen, gleichsam Gruppen eines erstarrten Festzuges in die stille Nichtsheit, in den ewigen Tod. Ist doch nach Freud – der fälschlich, wie ich glaube, dem Organismus überhaupt eine Tendenz schlechthinniger Soseins erhaltung, eine Tendenz zur Ruhelage, zu Reizschutz und Reizverweigerung beilegt – schon das Machtsystem, das beim Tiere (im Gegensatz zur Pflanze) zu den Ernährungs-, Wachstums- und Fortpflanzungssystemen hinzutritt und sich zwischen sie und die Umwelt einschaltet, eine relative Leistung des im Grunde sadistischen, zerstörerischen Todestriebes als der Ursehnsucht des Lebens »ins Anorganische zurück«. Vgl. ebenda Seite 40.
Auch nicht einer dieser Thesen der »negativen Theorie« des Geistes kann ich meine Zustimmung geben. Es sind lauter Thesen einseitiger, nur auf Lebenswerte bezogener »Psychiker« – wenn ich den alten Unterschied von Psychiker und Pneumatiker hier anwenden darf. Selbst Buddha war ein ausgeprägter Psychiker. Ich bin sogar der Meinung, daß die gesamte indische Kultur die spezifisch griechische und abendländische Kategorie des »Geistes« nicht besaß. Alle indischen Systeme sind entweder positiver oder negativer Biologismus, und dies sowohl der Eigenart des Anorganischen gegenüber, wie der Eigenart des Geistigen. Doch dies nebenbei. Der Grundmangel jeder Art von negativer Theorie des Geistes ist die Tatsache, daß sie keine Spur Antwort auf die fundamentalen Fragen gibt: Was denn im Menschen negiert, was denn verneint den Willen zum Leben, was verdrängt Triebe? Aus welchem verschiedenen Letztgrunde wird die verdrängte Triebenergie das eine Mal Neurose, das andere Mal zu kulturgestaltender Tätigkeit sublimiert? Wohin wird sublimiert? Und wieso stimmen die Prinzipien des Geistes (zum mindestens partiell) mit den Seinsprinzipien überein? Endlich: Wozu wird sublimiert, verdrängt, der Lebenswille negiert – um welcher Endwerte und Endziele willen? Auch Alsberg muß man fragen: Was ist es denn, was die Organausschaltung leistet, was die materiellen und immateriellen Werkzeuge erfindet? Und werden die Organe denn wirklich »ausgeschaltet« – und nur um derselben Werte und Ziele willen, die auch dem Tiere eigen sind: zur Individual- und Arterhaltung auf dieser Erdrinde? Das »Bedürfnis« allein, das schon Lamarck für die Organneubildung so maßlos überschätzte, wenn er es als letzte Ursache auch seiner eigenen Befriedigung ansieht, genügt keineswegs als Erklärung. Und warum starb denn diese organisch so schlecht angepaßte Art, die »Mensch« heißt, nicht aus, wie Hunderte anderer Arten auch ausstarben? Wie war es möglich, daß sich dieses schon fast zum Tode verurteilte Wesen, dieses kranke, zurückgebliebene, leidende Tier mit der Grundhaltung ängstlicher Selbstumhüllung, des Selbstschutzes seiner schlecht angepaßten überverletzlichen Organe, in das »Prinzip der Menschlichkeit« und damit in die Zivilisation und Kultur rettete – und das heißt doch: in das Prinzip eines objektiven Fortschritts und Wachstums der Sinngebilde des objektiven Geistes? Wie rettete es sich aus dieser »Sackgasse« (die ich als solche rein biologisch zugebe) einer Lebensrichtung? Sicher doch nicht durch Vernunft, durch Geist, der ja erst durch Askese, Verdrängung, Organausschaltung entsprungen sein soll! Man hat gesagt, der Mensch habe einen Triebüberschuß als ursprüngliches Artmerkmal und daher habe er verdrängen müssen (A. Seydel); aber dieser Triebüberschuß dürfte doch wohl gerade umgekehrt erst die Folge der bereits vollzogenen Triebverdrängung sein und keineswegs ihre Ursache!
Die negative Theorie setzt eben in jeder Form, in der sie auftritt, das, was durch sie erklärt werden soll, immer schon voraus: den Geist, die Vernunft, eine eigene selbständige Gesetzlichkeit des Geistes und die Identität seiner Prinzipien mit denen des Seins selbst. Eben der Geist ist es, der bereits die Triebverdrängung einleitet, indem der idee- und wertgeleitete geistige »Wille« den idee-wertwiderstreitenden Impulsen des Trieblebens die zu einer Triebhandlung notwendigen Vorstellungen versagt, andererseits den lauernden Trieben idee- und wertangemessene Vorstellungen gleichsam wie Köder vor Augen stellt, um die Triebimpulse so zu koordinieren, daß sie das geistgesetzte Willenprojekt ausführen, in Wirklichkeit überführen. Diesen Grundvorgang nennen wir » Lenkung«, die in einem »Hemmen« (non fiat) und »Enthemmen (non non fiat) von Triebimpulsen durch den geistigen Willen besteht, und » Leitung« die Vorhaltung – gleichsam – der Idee und des Wertes selbst, die dann je erst durch die Triebbewegungen sich verwirklichen. Was aber der Geist nicht vermag, ist dies: selbst irgendwelche Triebenergie erzeugen oder aufheben, vergrößern oder verkleinern. Er vermag nur je verschiedene Triebgestalten hervorzurufen, die eben das den Organismus handelnd vollziehen lassen, was er, der Geist, »will«. Aber nicht nur diese durch die Vorstellungsregulation vermittelte, vom Geiste ausgehende Triebregulation, auch das Endziel ist wieder etwas Positives: die Macht- und Tätigkeitsgewinnung des Geistes, das innere Freier- und Selbständigerwerden, sagen wir kurz: – die Verlebendigung des Geistes. Das allein verdient rechtmäßig »Sublimierung« genannt zu werden – nicht aber ein mystischer Vorgang, der den Geist aus der Triebverdrängung entspringen lassen und neue geistige Qualitäten schaffen soll.
Damit kommen wir zur »
klassischen« Theorie des Geistes zurück. Sie ist, wie ich schon sagte, ebenso falsch wie die negative; da sie aber fast die gesamte Philosophie des Abendlandes beherrscht, ist ihr Irrtum ein viel gefährlicherer. Diese Theorie mit ihrem Ursprung im griechischen Geist- und Ideenbegriff ist die Lehre von der
Selbstmacht der Idee, ihrer
ursprünglichen Kraft und Tätigkeit, ihrer Wirkfähigkeit, die die Griechen zuerst konzipierten und die durch sie hindurch zu einer Grundauffassung des größten Teiles des abendländischen Bürgertums geworden ist.
Soziologisch ist die klassische Theorie eine einseitige Klassenideologie, die Ideologie einer Oberklasse: des Bürgertums.
Vgl. hierzu »Probleme einer Soziologie des Wissens« Seite 203 ff. und den Aufsatz »Der Mensch im Weltalter des Ausgleichs« in »Philosophische Weltanschauung«, Bonn 1929 S. 74. Ob diese klassische Theorie des Geistes auftritt bei Platon und Aristoteles, wo die »Ideen« respektive die »Formen« zugleich als gestaltende Kräfte auftreten, die aus einem μὴὄν respektive dem »Möglichsein« der prima materia die Weltdinge formen; ob sie in der theistischen Form jüdisch-christlicher Religiosität erscheint, die Gott nur »reinen Geist« sein läßt und ihm als solchen nicht nur Leitung und Lenkung, sondern einen positiven schöpferischen, ja sogar allmächtigen Willen beilegt; ob sie in mehr pantheistischer Form auftritt, wie bei Fichte oder in Hegels Panlogismus, nach welchem die Weltgeschichte auf der Selbstexplikation der göttlichen Idee nach einem Gesetz der Dialektik beruhen soll, der Mensch in seinem Kerne nur das werdende Selbstbewußtsein, das werdende Bewußtsein der Freiheit ist, das die ewige geistige Gottheit von sich selbst in ihm, in seiner Geschichte
gewinnt – überall und immer krankt die klassische Theorie an demselben Irrtum, den abzutun der Menschheit die schwersten Erfahrungen kostet: es besitze Geist und Idee eine
ursprüngliche Selbstmacht; er sei auch
ohne den Lebensdrang ein mächtiges, ja allmächtiges Prinzip. Hier beginnt das relative Recht der großen Gegner der klassischen Lehre, der Triebnaturalisten, von Epikur, Hobbes, Machiavell, Lamettrie bis zu Schopenhauer, Marx und Freud, die aber in ihrer reaktiven Opposition gegen die klassische Lehre ihrerseits gerade
die Wahrheit preisgaben, die in dieser Lehre liegt: die Autonomie des Geistes in seiner Essentia und seinen Gesetzen, – damit aber ihre eigene Theorie, wie jede Theorie überhaupt, entwertend. Denn die Autonomie des Geistes ist die oberste Voraussetzung für die Idee der »Wahrheit« und ihre mögliche Erkennbarkeit.
Die klassische Lehre tritt vor allem in zwei Hauptformen auf: in der Lehre von der geistigen Seelensubstanz im Menschen und jenen Lehren, nach denen nur ein einziger Geist existiert, im Verhältnis zu dem alle einzelnen Geister nur Modi oder Tätigkeitszentren dieses Geistes sind. (Averroës, Spinoza, Kant, Fichte, Hegel, Schelling, v. Hartmann.) Die Substanzlehre der Seele beruht auf der unberechtigten Anwendung der äußeren Dingkategorie oder, in ihrer älteren Form, der organismenhaften Scheidung und Anwendung der Kategorien von »Stoff« und »Form« auf das Verhältnis von Leib und Seele (Thomas von Aquin). Beide Anwendungen kosmologischer Kategorien auf das zentrale Sein des Menschen verfehlen ihr Ziel. Das geistige Aktzentrum, die Person des Menschen, ist keine Substanz, sondern eine monarchische Anordnung von Akten, unter denen je einer die Führung und Leitung besitzt und auf denjenigen Wert und die Idee gerichtet ist, mit denen der Mensch sich je »identifiziert«. Aber sehen wir von der Kritik der Einzelgestaltungen dieser Lehre ab. Der Grundirrtum, aus dem die »klassische« Theorie in ihrer Gesamtheit stammt, ist ein tiefer, grundsätzlicher, mit dem ganzen Weltbild zusammenhängender Irrtum: anzunehmen, daß diese Welt, in der wir leben, von Hause aus und konstant so geordnet sei, daß die höheren Seinsformen nicht nur an Sinn und Wert, sondern – hier beginnt der Irrtum – auch an Kraft und Macht zunehmen, je höher sie sind. Für uns ist es ein ebenso großer Irrtum, die je höhere Seinsform – z. B. das Leben gegenüber dem Anorganischen, das Bewußtsein gegenüber dem unbewußten Leben, den Geist im Verhältnis zu den untermenschlichen Bewußtseinsformen im Menschen selbst und außerhalb des Menschen – genetisch entsprungen zu denken aus Prozessen, die zu den niedrigeren Seinsformen gehören (Materialismus und Naturalismus), wie umgekehrt anzunehmen, die höheren Seinsformen seien Ursache der niedrigeren, es gäbe z. B. eine Lebens kraft, eine Bewußtseins tätigkeit, einen von Hause aus mächtigen tätigen Geist (Vitalismus und Idealismus). Führt die negative Theorie zu falscher mechanistischer Allerklärung, so führt die klassische Lehre zu dem haltlosen Un-Sinn einer sog. »teleologischen« Weltanschauung, wie sie die gesamte theistische Philosophie des Abendlandes beherrscht. Sehr treffend drückt den gleichen Gedanken, den ich bereits in meiner »Ethik« vertreten habe, Nikolai Hartmann aus: »Die höheren Seins- und Wertkategorien sind von Hause aus die schwächeren«.
Der Kräfte- und Wirkstrom, der allein Dasein und zufälliges Sosein zu setzen vermag, läuft in der Welt, die wir bewohnen, nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben. In stolzester Unabhängigkeit steht die anorganische Welt in ihrer Eigengesetzlichkeit da – an ganz wenigen Punkten so etwas wie »Lebendiges« enthaltend. In stolzer Unabhängigkeit steht Pflanze und Tier dem Menschen gegenüber, wobei das Tier weit mehr vom Dasein der Pflanze abhängig ist als umgekehrt; die tierische Lebensrichtung bedeutet gegenüber der pflanzlichen Richtung nicht nur einen Gewinn, sondern auch einen Verlust, da sie den direkten Verkehr mit dem Anorganischen nicht mehr besitzt, den die Pflanze durch ihre Art der Ernährung hat. In analoger Unabhängigkeit steht in der Geschichte des Menschen die Masse als solche da in der Eigengesetzlichkeit ihrer historisch trägen Bewegungen gegenüber den höheren Formen des menschlichen Daseins. Fast nur wie ein glückhafter gnadenreicher Zufall erscheint es zunächst unseren endlichen Augen, wenn die Erde oder irgendein ferner Stern »lebensreif« wird, reif, Leben zu tragen, oder wenn der eigengesetzliche Zug menschlicher Massenbewegungen in eine Richtung gerät, in der die Masse den Genius auch nur zu dulden vermag – geschweige denn darüber hinaus ihre Interessen und Leidenschaften seine Ideen und Werte aufzunehmen vermögen, um sich durch sie befruchten zu lassen! Welch seltener Glücksfall, wenn in dieser Welt der sittlich Gutwillige und Gutgesinnte auch Erfolg hat – das erreicht, was wir »historische Größe« nennen, d. h. erhebliche Wirkmacht auf die Geschichte. Kurz und selten sind die Blüteperioden der Kultur in der menschlichen Geschichte. Kurz und selten das Schöne in seiner Zartheit und Verletzlichkeit.
Das ursprünglich aller Macht, aller Wirksamkeit Bare ist gerade der Geist, je reiner er Geist ist. Die wahre, ursprüngliche Anordnung der Beziehungen, die zwischen den höheren, respektive niederen Seinsformen und Wertkategorien und den Kräften und Mächten bestehen, in welchen sich diese Formen verwirklichen, ist gekennzeichnet mit dem Satze: » Mächtig ist ursprünglich das Niedrige, ohnmächtig das Höchste«. Jede höhere Seinsform ist im Verhältnis zu der niedrigeren relativ kraftlos – und sie verwirklicht sich nicht durch ihre eigenen Kräfte, sondern durch die Kräfte der niedrigeren. Der Lebensprozeß, an sich ein gestalteter Vorgang in der Zeit von eigener Struktur, wird verwirklicht ausschließlich durch die Stoffe und Kräfte der anorganischen Welt. Ganz analog steht der Geist zum Leben: Wohl kann der Geist durch den Prozeß der Sublimierung Macht gewinnen, können die Lebenstriebe in seine Gesetzlichkeit und in die Ideen- und Sinnstruktur, die er leitend ihnen vorhält, eingehen und im Verlaufe dieses Eingehens und Durchdringens in Individuum und Geschichte dem Geiste Kraft ver- leihen – von Hause aus und ursprünglich hat der Geist keine eigene Energie. Die höhere Seinsform »determiniert« wohl sozusagen das Wesen und die Wesensregionen der Weltgestaltung, verwirklicht aber werden sie durch ein anderes Prinzip, das ebenso ursprünglich wie das geistige dem Urseienden eigen ist: durch das realitätschaffende und die zufälligen Bilder bestimmende Prinzip, das wir » Drang«, bilderschaffende »Drangphantasie« nennen.
Das Mächtigste, was es in der Welt gibt, sind die ideen-, formen- und gestalt»blinden« Kraftzentren der anorganischen Welt als unterste Wirkpunkte dieses Dranges. Nach einer immer stärker sich verbreitenden Auffassung unserer heutigen theoretischen Physik unterliegen diesen Zentren wahrscheinlich überhaupt keiner ontischen Gesetzlichkeit in ihrem Zu- und Gegeneinander, sondern nur einer Zufallsgesetzlichkeit statistischer Art. Erst der Mensch als Lebewesen bringt – nicht aus rationaler, sondern biologischer Notwendigkeit, d. h. um handeln zu können – dadurch, daß seine Sinnesorgane und -Funktionen mehr die regelmäßigen als die unregelmäßigen Vorgänge der Welt indizieren, jene »Naturgesetzlichkeit« in die Welt hinein, die der Verstand nachher abliest. Nicht das Gesetz ist es, das hinter dem Chaos von Zufall und Willkür im ontologischen Sinne liegt, sondern das Chaos ist es, das sich hinter dem Gesetz formalmechanischer Art türmt. Würde sich die Lehre, daß alle Naturgesetzlichkeiten im letzten Grunde nur statistische Bedeutung haben, daß alle Naturvorgänge (auch in der Mikrosphäre) schon Gesamtvorgänge sind, die aus der Wechselwirkung willkürlicher Krafteinheiten resultieren, durchsetzen, so würde unser gesamtes Naturbild eine ungeheure Wandlung erfahren: als die wahren ontischen Gesetze erwiesen sich dann die sog. Gestaltgesetze, d. h. Gesetze, die eine gewisse Zeitrhythmik des Geschehens und, von ihr abhängig wieder, gewisse statische Gestalten des körperlichen Daseins vorschreiben. Vgl. die Abhandlung »Erkenntnis und Arbeit« a. a. O. Und da innerhalb der Lebenssphäre, sowohl der physischen wie der psychischen, sicher nur Gesetze von der Art der Gestaltgesetze (obzwar nicht notwendig nur die materialen Gesetze der Physik) gelten, so würde die Gesetzlichkeit der Natur durch diese Auffassung wieder ein streng einheitliche.
Dann aber wäre es nicht ausgeschlossen, den Begriff der »Sublimierung« auf alles Weltgeschehen zu formalisieren. Sublimierung fände dann in jedem Grundvorgang statt, durch den Kräfte einer niedrigeren Sphäre des Seins im Werdeprozeß der Welt allmählich in den Dienst eines höher gestalteten Seins und Werdens gestellt würden, wie z. B. die zwischen den Elektronen sich abspielenden Kräfte in den Dienst der Atomgestalt, oder die innerhalb der anorganischen Welt tätigen Kräfte in den Dienst der Lebensstruktur. Die Menschwerdung und die Geistwerdung müßte dann als der bislang letzte Sublimierungsvorgang der Natur angesehen werden – gleichzeitig sich äußernd in der immer größeren Zuwendung der vom Organismus aufgenommenen äußeren Energien an die kompliziertesten Prozesse, die wir kennen, die Erregungsprozesse der Gehirnrinde, und in dem analogen psychischen Vorgang der Triebsublimierung als Umsetzung der Triebenergie in geistige »Tätigkeit«.
Den gleichen Vorgang der Auseinandersetzung von Geist und Leben treffen wir in der Menschen geschichte an. Sicher gilt für sie nicht die These Hegels, daß sie auf einer Explikation bloßer Ideen auseinander beruhe, vielmehr durchaus der Satz von Karl Marx, daß Ideen, die keine Interessen und Leidenschaften hinter sich haben – und das heißt: Mächte, die aus der Vital- und Triebsphäre des Menschen stammen –, sich in der Weltgeschichte unweigerlich zu »blamieren« pflegen. Trotzdem aber zeigt die Geschichte eine im großen und ganzen zunehmende Ermächtigung der Vernunft, aber eben nur durch und auf Grund einer zunehmenden Aneignung der Ideen und Werte durch die großen triebhaften Gruppentendenzen und die Interessenverzahnungen zwischen ihnen. Auch hier müssen wir uns eine weit bescheidenere Auffassung von der Bedeutung des menschlichen Geistes und Willens auf den Gang geschichtlicher Dinge zu eigen machen:
Geist und Wollen des Menschen kann nie mehr bedeuten als »Leitung« und »Lenkung«. Und das bedeutet immer nur, daß der Geist als solcher den Triebmächten Ideen vorhält, und das Wollen den Triebimpulsen – die schon vorhanden sein müssen – solche Vorstellungen zuwendet oder entzieht, die die Verwirklichung dieser Ideen konkretisieren können. Ursprüngliche determinierende Lenkdetermination hat also das zentrale geistige Wollen nicht auf die Triebe selbst, sondern auf die Abwandlung der Vorstellungen. Ein direkter Kampf des reinen Willens gegen die Triebmächte, d. h. ohne solche Vorhaltung von Ideen bzw. Zuwendung oder Entziehung von Vorstellungen ist eine Unmöglichkeit. Wo er intendiert wird, regt er im Gegenteil die Triebe weit mehr in ihrer einseitigen Richtung auf. Das ist schon die Erfahrung des Paulus gewesen, wenn er sagt, das Gesetz gehe umher wie ein brüllender Löwe, um die Menschen mit Sünde anzufallen. (In jüngster Zeit hat u. a. William James über diesen Punkt tiefe Bemerkungen gemacht.) Das Wollen erwirkt immer das Gegenteil von dem, was es will, wenn es sich, anstatt einen höheren Wert zu intendieren, dessen Verwirklichung das Schlechte vergessen läßt und die Energie des Menschen anzieht, auf die bloße Bekämpfung, Negierung eines Triebes richtet, dessen Ziel als »schlecht« vor dem Gewissen steht. So muß der Mensch auch sich selber dulden lernen – auch diejenigen Neigungen, die er als schlecht und verderblich in sich erkennt. Er darf sie nicht durch direkten Kampf angreifen, sondern muß sie indirekt überwinden lernen durch Einsatz seiner Energie für wertvolle Aufgaben, die sein Gewissen als gut und trefflich erkennt und die ihm zugänglich sind. In der Lehre vom »Nichtwiderstand« gegen das Böse schlummert, wie schon Spinoza in seiner »Ethik« tiefsinnig ausgeführt hat, eine große Wahrheit.
Unter diesen Begriff der Sublimierung gebracht, stellt die Menschwerdung, wie ich schon sagte, die uns bekannte höchste Sublimierung – und zugleich die innigste Einigung aller Wesensregionen der Natur dar. Denn der Mensch faßt alle Wesensstufen des Daseins überhaupt, insbesondere des Lebens in sich zusammen – wenigstens den Wesensregionen, nicht deren zufälliger Ausgestaltung und noch weniger quantitativer Verteilung nach. Vor einem Weltbild, wie es hier angedeutet ist, zergeht der Gegensatz, der so viele Jahrhunderte beherrscht hat: der Gegensatz einer »teleologischen« und »mechanischen« Erklärung der Weltwirklichkeit. Vgl. »Probleme einer Soziologie des Wissens« a. a. O.
Dieser Gedankengang kann auch vor dem höchsten Sein, dem Weltgrunde, nicht stille halten. Auch das Sein, das nur »durch sich selbst« ist und von dem alles andere abhängt, kann, sofern ihm das Attribut des »Geistes« zugesprochen wird, als geistiges Sein keinerlei ursprüngliche Macht oder Kraft besitzen. Es ist jenes andere Attribut, die »natura naturans« im höchsten Sein, der allmächtige, mit unendlichen Bildern geladene »Drang«, der die Wirklichkeit und das durch Wesensgesetze und Ideen niemals eindeutig bestimmte zufällige Sosein dieser Wirklichkeit zu verantworten hat. Nennen wir das rein geistige Attribut im obersten Grunde alles endlichen Seins »deitas«, so kommt ihr, kommt dem, was wir den »Geist« und die »Gottheit« in diesem Grunde nennen, keinerlei positive schöpferische Macht zu. Der Gedanke einer »Weltschöpfung aus nichts« zerfällt vor dieser Folgerung. Wenn in dem »Sein durch sich selbst« diese Urspannung von Geist und Drang gelegen ist, dann muß das Verhältnis dieses Seins zur Welt ein anderes sein. Wir drücken dies aus, wenn wir sagen: der Grund der Dinge mußte, wenn er seine deitas, die in ihr angelegte Ideen- und Wertfülle verwirklichen wollte, den weltschaffenden Drang enthemmen, er mußte den Weltprozeß sozusagen in Kauf nehmen, um in und durch den zeithaften Ablauf dieses Prozesses sein Wesen zu verwirklichen. Und nur in dem Maße wird das »Sein-durch-sich« zu einem Sein, das würdig wäre, göttliches Dasein zu heißen, als es im Drange der Geschichte der Welt im Menschen und durch den Menschen die ewige deitas verwirklicht. Und nur im selben Maße kann dieser – an sich zeitlose, sich für endliches Erleben zeithaft darstellende – Prozeß seinem Ziele, der Selbstverwirklichung der Gottheit näher rücken, als das, was wir die »Welt« nennen, der vollkommene Leib der ewigen Substanz geworden sein wird.
Erst in der Bewegung dieses gewaltigen Wettersturmes, der die »Welt« ist, kann eine Angleichung der Ordnung der Seinsformen und der Werte an die tatsächlich wirksamen Mächte und umgekehrt dieser an jene erfolgen. Ja, im Verlauf dieser Entwicklung kann eine allmähliche Umkehrung des ursprünglichen Verhältnisses eintreten, nach welchen die höheren Seinsformen die schwächeren, die niedrigeren die stärkeren sind. Anders ausgedrückt: Die gegenseitige Durchdringung des ursprünglich ohnmächtigen Geistes und des ursprünglich dämonischen, d. h. gegenüber allen geistigen Ideen und Werten blinden Dranges durch die werdende Ideierung und Vergeistigung der Drangsale, die hinter den Bildern der Dinge stehen, und die gleichzeitige Ermächtigung, d. h. Verlebendigung des Geistes ist das Ziel und Ende endlichen Seins und Geschehens – der Theismus stellt es fälschlicherweise an seinen Ausgangspunkt.