Wilhelm Scharrelmann
Hinnerk der Hahn
Wilhelm Scharrelmann

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Schon am andern Morgen begann die Dressur.

Futter gab es nicht, mochte Hinnerk seinen Hals auch noch so verlangend nach der Haferkiste recken, aus der die Pferde gefüttert wurden.

Was das nur für eine Art und Weise war! Sollte er vielleicht hinter seinem Gitter langsam verhungern? Wenn man ihn hier wie einen Verbrecher hinter Schloß und Riegel hielt, hatte man auch die Verpflichtung, für sein leibliches Wohl zu sorgen, zum Kuckuck noch mal! Wo steckte nur dieser dickköpfige Bursche, der ihn hierher gebracht und mit der vergrämten alten Katze zusammen eingesperrt hatte! Ein schöner Langschläfer! Bis es ihm gefällig war, in Erscheinung zu treten, konnte man wirklich alt und grau werden.

Ärgerlich und nach alter Gewohnheit begann er auf dem hölzernen Fußboden der alten Kiste zu scharren, gab es aber ein wenig beschämt sofort wieder auf und blickte trübselig den Gang hinab, ob es nicht einem der Stallburschen einfiel, ihm eine Hand voll Hafer zuzuwerfen. Aber da war nicht einer, der Miene dazu machte.

»Haben Sie nicht gut geschlafen?« fragte ihn die Katze, die zusammengerollt in ihrer Ecke gelegen hatte und nun ihren Buckel streckte.

»Ich habe Hunger«, erwiderte Hinnerk, »wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Im Gegenteil«, antwortete die Katze und gähnte. »Ich wünsche Ihnen einen Appetit, der selbst die Holzfasern auf dem Fußboden dieser alten Kiste nicht verschont.«

»Danke«, sagte Hinnerk gereizt. »Die überlasse ich Ihnen.«

»Sehr freundlich«, entgegnete die Katze. »Ich sehe, Sie gönnen mir alles Gute! Das beste ist, daß Sie davon nicht satter werden.«

»Eine angenehme Nachbarin!« dachte Hinnerk grollend und schwieg.

Aber die Katze schien in der angenehmsten Laune. Sie setzte sich auf die Hinterpfoten und begann sich mit aller Sorgfalt zu putzen, wusch sich das Gesicht mit der Pfote und begann dann ihre Seiten und den Buckel mit der Zunge zu bearbeiten.

»Wollen Sie nicht auch Ihre Federn ein wenig ordnen?« fragte sie.

»Kümmern Sie sich um Ihren Pelz«, antwortete Hinnerk noch immer böse. »Was mich betrifft, so ist mir meine Zunge zu schade dafür, mir den Schmutz abzulecken.«

»Dann laufen Sie meinetwegen so dreckig herum, wie Sie sind!« entgegnete die Katze und fuhr gleichmütig in ihrer Beschäftigung fort.

Endlich kam Mister Dick, heiter und frisch vom Schlafe, begrüßte seine Tiere und nahm erst die Katze, dann auch den Hahn aus dem Käfig und trug beide in seinen Wohnwagen hinaus, der unter vielen anderen neben den Zelten stand.

Drinnen war es wohnlich wie in einer wohlgeordneten kleinen Stube. Ein Klapptisch, Koffer, Stühle, mit kleinen weißen Gardinen verhängte Fenster, ein paar Wandschränke – man konnte meinen, in einem kleinen Hotelzimmer zu sein. Aber dafür hatten die Tiere weder Auge noch Verständnis.

»Up!« begann Mister Dick den Unterricht und legte ein Stückchen von einem kalten Braten auf einen Holzschemel, den er in die Mitte gerückt hatte.

Aber die Tiere verstanden durchaus nicht, was er mit seinem Zuruf wollte. Doch Meister Dick hatte Geduld, unendliche Geduld.

Die Katze, ebenso hungrig wie Hinnerk, hatte das Stück Fleisch sofort gewittert und reckte sich, es vom Schemel zu nehmen. Aber das litt Mister Dick nicht.

»Up, Kathrine!« ermunterte er, und als die Katze nun, ohne zu erkennen, was Mister Dick von ihr wollte, mit einem Satz ihrer geschmeidigen Glieder auf den Sessel sprang, bekam sie nicht nur das Stückchen Fleisch, sondern eine Liebkosung obendrein.

»Down!« rief Mister Dick und drängte sie sanft an die Seite, daß sie wieder auf den Fußboden sprang.

So ging es eine halbe Stunde lang, unausgesetzt: »Up! Down!« Immer im gleichen Wechsel.

Mißtrauisch stand Hinnerk in der Ecke, bis er, ein wenig zutraulicher geworden, der Katze das Stückchen Fleisch unversehens vor dem Maule wegnahm. »Ich bin so frei«, sagte er. Weg war es.

Verdutzt sah die Katze ihn an.

»Unverschämtheit!« sagte sie, machte einen Buckel und fauchte.

»Mit Verlaub, ich bin genau so hungrig wie Sie!« entgegnete Hinnerk, sträubte die Halsfedern und senkte feindselig den Kopf.

»Keinen Streit, Kinder! Keinen Streit!« rief Mister Dick und schob die Tiere auseinander. »Hinnerk, mein Hähnchen, geh ein wenig an die Seite, hörst du? Nur nicht drängeln! Es kommt jeder dran!«

Zuletzt war die Katze trotz des abwechselnden »Up!« und »Down!« und der mageren kleinen Bissen satt geworden und die Befehle Mister Dicks waren ihr so gleichgültig geworden wie irgend etwas. Er mochte rufen, soviel er wollte, sie hörte einfach nicht darauf.

Gut. Sie durfte sich für heute auf den nächsten Stuhl setzen und zusehen, was mit Hinnerk geschah. Das war weit gemütlicher, als für jedes Stückchen Fleisch einen Sprung machen zu müssen.

Auch für Hinnerk gab es ein paar Bratenstückchen, dazu Weizenkörner, glänzende, goldgelbe Weizenkörner, aber im übrigen war es dasselbe wie bei Kathrine der Katze: »Up! Down!« Und als Hinnerk seinen langen Hals emporreckte, um das nächste Korn einfach vom Schemel zu nehmen, statt hinauf zu springen, war Mister Dick unverschämt genug, die Platte des Sessels auf ihrem Gewinde so viel höher hinaufzuschrauben, daß Hinnerk wohl noch etwas hinaufzuschielen vermochte, das Weizenkorn aber mit dem Schnabel nicht mehr zu erreichen vermochte. Er mußte sich wohl oder übel bequemen, hinaufzuspringen, da half ihm nun alles nichts. Aber kaum war er oben und hatte das Korn aufgepickt, fiel bereits wieder eines auf den Fußboden. »Down!« schrie Mister Dick.

Auch Hinnerk war der Meinung, daß der gute Mister Dick sein »Up!« und »Down!« allein zu seinem eigenen Vergnügen riefe, und als er satt geworden war, machte er es genau so wie die Katze, flog auf die Lehne des nächsten Stuhles, begann sich die Federn zu ordnen und ließ Mister Dick einen guten Mann sein.

So ging es Tage und Wochen. Mister Dick wurde nicht ungeduldig. Die beiden Tiere hatten sich völlig an ihn gewöhnt und freuten sich, wenn er an ihr Käfiggitter trat. Immer hatte er eine kleine Leckerei für sie in der Tasche. Sie wußten es zuletzt nicht anders mehr. Mister Dicks Erscheinen bedeutete immer etwas Gutes für sie. Zum mindesten eine Liebkosung, für die nur Hinnerk nicht so empfänglich war wie die anderen.

Hund und Esel bekamen ihre Lektionen vorerst noch allein. Als aber Kathrine eines Tages so weit war, daß sie auf Befehl, wenn auch von der Hand Mister Dicks gelockt, auf den Schemel sprang, brachte Mister Dick am nächsten Morgen auch den Jagdhund mit in den Dressurraum.

Was die Katze betraf, so legte sie keinerlei Wert auf die Bereicherung ihrer Gesellschaft und weigerte sich entschieden, dem Jagdhund nur nahe zu kommen, geschweige denn, ihm auf den Buckel zu springen, und es dauerte lange, bis sie es eines Tages, von Hunger getrieben und einem ansehnlichen Brocken Fleisch verführt, doch endlich tat.

»Na na na«, sagte der Jagdhund ungemütlich und schnappte mit der Schnauze nach ihr. Das ging denn doch wirklich ein wenig zu weit! Aber Mister Dick schob ihm sofort zur Belohnung ein Stück Fleisch hin, hielt ihn am Halsband und tätschelte seinen Kopf.

»Machen Sie, daß Sie mir vom Buckel herunterkommen!« knurrte er. »Sie sind ein widerliches Vieh in meinen Augen.«

»Es schmeckt ganz gut hier auf Ihrem Rücken«, verhöhnte ihn die Katze und kaute bedächtig ihr Bratenstückchen.

So ging es wiederum wochenlang. Zuweilen hatte die Katze am anderen Tage alles wieder vergessen, was sie gelernt hatte und Mister Dick mußte von neuem beginnen.

Mutlos ließ er eines Tages die Arme sinken. Die Katze war diesmal besonders widerwillig und böse und der gute Hinnerk begriffsstutziger als jemals. Nur der Hund machte seine Sache gut und murrte auch nicht mehr, wenn ihm die Katze auf den Buckel sprang.

Da guckte der Herr Direktor in den Wagen. »Na, Mister Dick, wie weit sind Sie denn mit Ihren Bremer Stadtmusikanten?«

»Oh«, sagte Mister Dick, »man darf nicht ungeduldig werden, sehen Sie!« kniff die Augen zusammen und zwang sich zu einem Lächeln.

»Ich warte sehnlich auf Ihre Nummer, kann ich wohl sagen. Wenn sie gelingt, kann es ein großer Erfolg werden.«

Und Mister Dick übte weiter.

Der Zirkus reiste unterdes, fuhr von Bremen nach Hamburg, von Hamburg nach Duisburg, von Duisburg nach Köln, spielte in Amsterdam und Brüssel, kehrte nach Deutschland zurück, rollte nach dem Süden und nach dem Osten . . .

Endlich konnte Mister Dick es wagen, seine Tiere zum erstenmal in die Manege zu führen. Es wurde Zeit, den Esel mit in Dressur zu nehmen.

Er hatte alle vier Tiere an der Leine. Hund und Katze hatte er die Leine am Halsband befestigt, dem Esel am Kopfgeschirr, und Hinnerk hatte er sie an eines seiner Beine geknüpft, damit er im Besitz seiner Freiheit nicht plötzlich auf die Zuschauerbänke flatterte.

Gespannt sah das Personal, das nicht gerade beschäftigt war, der Probe zu. Aber es ging besser, als man im stillen angenommen hatte. Der Hund hatte es inzwischen längst gelernt, auf dem Rücken des Esels zu hocken, anfänglich auf einem flachen Sattel, der später weggenommen worden war, und sprang auf das »Up!« Mister Dicks dem Esel so sicher auf den Rücken, daß er sich auch durch die Bewegungen des trabenden Tieres unter ihm nicht abwerfen ließ.

Auch die Katze tat, was sie schuldig war. Aber die Höhe war zu groß, um in einem einzigen Sprung bewältigt zu werden. Sie mußte ihre Krallen zu Hilfe nehmen, so daß der Esel hinten ausschlug und im nächsten Augenblick der Hund aufheulte, als hätte man ihn mit einem glühenden Eisen versengt.

Aber am schwersten war es, Hinnerk zu bewegen, seinerseits nun der Katze auf den Buckel zu steigen. Hundertmal hatte er es üben müssen, wenn die Katze vor ihm stand. Aber in der Manege war ihm alles fremd und die Katze thronte so hoch über ihm, daß er kopflos hin- und herrannte und augenscheinlich nicht wußte, was man von ihm erwartete. Aufgeregt zerrte und flatterte er an der Leine, bis ihn Mister Dick für eine Weile unter seine Jacke steckte und ihn zuletzt kurzerhand der Katze auf den Rücken setzte. Kaum stand er oben, als er mit den Flügeln schlagend ein kräftiges Kikeriki in den Zirkusraum schickte.

Der Direktor klatschte vor Vergnügen in die Hände und die Reitknechte lachten, als würden sie geschüttelt.

Mister Dick war der Held des Tages.

Glaubt aber nicht, daß seine Arbeit mit dem Erreichten zu Ende gewesen wäre! Es ging noch wochenlang so weiter, monatelang. An jedem Tage war Probe – bis Mister Dick eines Tages sagen konnte: »So, ich wäre so weit!« und für den nächsten Morgen die Hauptprobe ansetzen konnte.

Um Hinnerk noch stattlicher erscheinen zu lassen, hatte er ihm aus rotem Glanzleder einen großen Kamm genäht, den er ihm vor dem Auftreten über den Kopf zog. Dazu klammerte er ihm jedesmal ein paar besonders lange Sichelfedern am Schwanze fest, deren Spitzen bis in den Sand der Manege hinabhingen, wenn Hinnerk damit auftrat.

So waren die letzten Vorbereitungen für Hinnerks öffentliches Auftreten erledigt und selbst von den entferntesten Bänken in den Reihen der Zuschauer sah er so stattlich aus, daß jeder Ah! rufen mußte, der ihn erblickte.

Am andern Morgen bekam Mister Dick für die Generalprobe mit seinen Tieren zehn Minuten in der Manege. Der Direktor war da und der größte Teil des Personals. Die Tiere sollten beweisen, daß sie sich auch durch den Anblick vieler Menschen nicht stören ließen und daran gewöhnt waren, ihre Nummer wie sonst abzuwickeln.

Eben hatte der Löwenbändiger seine tägliche Probe beendet. Aber die Tiere waren heute besonders störrisch und gereizt gewesen. Besonders bei der einen der beiden Löwinnen hatten Peitsche und Gabel gebraucht werden müssen. Nervös und verärgert war der Dompteur aus dem Käfig gekommen und behauptete nun, daß die große Tigerdogge, die er jedesmal mit in den Käfig nahm, ständig Mister Dicks Hund in der Nase gehabt hätte und durch ihre Unaufmerksamkeit die Löwen nur erst recht verwirrt gemacht habe. Mister Dick solle in Zukunft gefälligst mit seinen Tieren so lange im Marstall bleiben, bis er mit seiner Nummer zu Ende sei.

Mister Dick, der mit seinen Bremer Stadtmusikanten bescheiden am Eingange gewartet hatte, entgegnete, daß er das Programm nicht gemacht, und wenn die Direktion es so angeordnet habe, daß er gleich nach der Raubtiernummer seine Tiere vorführen solle, würde sie schon ihre Gründe dafür gehabt haben.

Kurz, es gab einen Wortwechsel. Als aber der Direktor, der eben vorher für ein paar Augenblicke abgerufen worden war, zurückkehrte und von der Geschichte hörte, bekam der Dompteur recht und Mister Dick wurde ein ausgekochter Dummkopf genannt, daß er nicht allein soviel Vernunft bewiesen habe. Um nun für den Abend jede Störung zu vermeiden, wurde eine Zwischennummer eingelegt: Alkibiades, ein Springpferd, das über eine mannshohe Hürde hinwegsetzte und von der Tochter des Direktors geritten wurde.

Soweit war alles in Ordnung, Mister Dick hatte sich zu fügen und abermals zu warten. Gut, es konnte ihm gleich sein. Aber geärgert hatte er sich doch, und die Tiere mit ihrer feinen Witterung empfanden, daß er weniger freundlich zu ihnen war als sonst. Er hatte den Zugang zur Manege wieder zu räumen und war eben wieder mit seinen Tieren im Marstall, als er aus der Manege einen Schreckensruf vernahm. Lydia, die sechzehnjährige Tochter des Direktors, eine durchaus sichere Reiterin und von Kindesbeinen an mit ihren Pferden verwachsen, war bei dem ersten Sprung, den Alkibiades heute unter ihr getan hatte, gestürzt . . . Alles lief durcheinander, und während das herrenlose Pferd unbeachtet wieder in den Marstall galoppierte, wo es, von einem der Stallburschen angehalten, mit schnaubenden Nüstern zum Stehen kam, trug man Lydia bereits an Mister Dick vorbei in ihre Garderobe hinüber.

Niemand konnte sich erklären, wie das Unglück hatte geschehen können. War Alkibiades heute unachtsamer gewesen als sonst oder hatte Fräulein Lydia ihn nicht sicher genug in den Zügel genommen? Aber nach einer Viertelstunde kam der Direktor aus der Garderobe zurück, bleich noch, aber doch einigermaßen beruhigt. Der herbeigerufene Arzt hatte festgestellt, daß Fräulein Lydia keinen innerlichen Schaden genommen und sich nur den Fuß verrenkt habe, so daß die vorhin eingetretene Ohnmacht wohl nur durch den Schmerz hervorgerufen war und nichts Ernstes zu bedeuten hatte. Ärgerlich blieb nur, daß sie nun auf Wochen hinaus nicht auftreten konnte und eine andere Nummer eingelegt werden mußte. Denn schließlich hätte der Direktor Alkibiades selber wohl vorführen können, er war aber reichlich schwer im Gewicht für die hohen Sprünge des Pferdes, und es würde nicht halb so viel Eindruck machen, als wenn der Hengst unter einer jungen Dame über die Hürden setzte. Nein, da war es schon besser, eine andere Nummer ins Programm aufzunehmen. Er entschied sich für die Japaner, die gestern eigentlich schon zuletzt aufgetreten waren und denen er nun wohl oder übel den Vertrag noch einmal verlängern mußte.

Da traten sie auch schon fix und fertig zur Probe an: der Vater, der auf dem Rücken liegend den sechsjährigen Kleinen wie einen Ball auf seinen Fußsohlen herumwirbelte, bis seine Frau, die dasselbe mit einer großen hohlen Kugel tat, den Jungen auffing und sie sich nun wechselseitig den Kleinen zuwarfen, als handele es sich um ein Paket, einen Fußball oder eine Lederpuppe.

Aber endlich hatten auch sie ihre Nummer erledigt und Mister Dick war an der Reihe. An einem solchen Unglücksmorgen! Daß etwas schiefgehen würde, schien ihm sicher. Er war genau so abergläubisch wie alle Zirkusleute.

Mit einer nervösen Falte auf der Stirne sah der Direktor zu, wie er mit seinen Tieren in die Manege trottete. Er saß dabei auf dem Esel, den er so abgerichtet hatte, daß er auf einen Druck seiner Schenkel hin gleich beim Einlauf in die Manege so heftige Bocksprünge vollführte, daß Mister Dick, rund wie ein Gummiball, kopfüber in den Sand flog und zum Schein ein klägliches Geheul und Gezappel begann, was den Esel natürlich nicht im mindesten störte, der vielmehr umzukehren und den Hund abzuholen hatte, der mit Katze und Hahn hinter der Piste gewartet hatte. Gemeinsam umkreisten Hund und Esel dann nebeneinander die Manege, holten darauf die Katze und bei der letzten Runde auch den Hahn ab, worauf sie alle vier, nebeneinander und einträchtig wie im Märchen, das Sandrondell umschritten. Mittlerweile hatte sich dann Mister Dick wieder aufgerappelt und ging auf die Tiere zu.

»Na?« schrie er dann. »Wo kommt ihr denn her?« Worauf die Tiere stehen zu bleiben hatten. »Ihr seid ja vier lustige Zigeuner! Wohl die Bremer Stadtmusikanten, was?« worauf der Esel mit dem Kopfe zu nicken hatte.

»Wollt ihr mich nicht ein wenig mitnehmen, Kinder?« fragte Mister Dick, was der Esel mit energischem Schütteln des Kopfes ablehnte. Vielmehr sprang nun der Hund dem Esel auf den Rücken und die Katze dem Hund, bis Hinnerk, stolz wie im Wappen, der Katze auf den Buckel flog, und alle vier zugleich zu schreien, zu bellen, zu miauen und zu krähen hatten.

»Gut«, sagte Mister Dick dann, »aber das ist keine Musik! Wenn ihr nach Bremen wollt, müßt ihr auch zeigen, daß ihr spielen könnt.«

Dann hatte der Stallbursche einen Apparat in die Manege zu tragen, den sich Mister Dick nach langem Probieren hatte bauen lassen und an dem sich nun alle vier als Musikanten erweisen konnten, zusammengesetzt aus einer Pauke, die der Esel mit einem seiner Vorderfüße schlagen konnte, einer Drehorgel, die der Hund zum Tönen brachte, indem er ein großes Laufrad in Bewegung setzte, das mit der Walze des Instrumentes verbunden war, einem Triangel, dessen Schlaghammer die Katze mit dem geringen Gewicht ihres Körpers arbeiten ließ und einem riesigen Ei aus weißlackiertem Gummi, auf das der Hahn sich setzte und das dann unter ihm laut zu quietschen begann . . .

Das war schon allerhand für die Vier, aber es war noch nicht alles. Das Schönste war der Schluß der Vorführung, wenn die Bremer Stadtmusikanten so etwas wie eine Quadrille aufführten, Mister Dick die Pauke und Orgel dazu spielte und Hund und Esel ihre Tanzfiguren machten, wobei der Hahn in der Mitte thronte und die Katze die Tanzenden umkreiste.

Aber heute morgen ging alles verkehrt. Der Esel war widerspenstiger als je, besann sich aber zuletzt auf gütliches Zureden doch und tat das seine, und der Hund war willig und aufmerksam wie immer. Aber die Katze! Sie streikte vom ersten Augenblick an, spielte die Gleichgültige, spazierte in die Bankreihen der Zuschauer hinauf und tat, als ginge alles da unten sie nicht einen Deut an. Alles Beschönigen wäre zwecklos gewesen, – Mister Dick war blamiert. In der Manege galt nur die Leistung, und Schwierigkeiten waren nur dazu da, überwunden zu werden. Alle seine Lockworte halfen nicht, die Katze, die wie die anderen Tiere von jetzt ab natürlich ohne Leine arbeitete, zurückzurufen. Er mußte sich entschließen, ihr nachzugehen und sie gegen ihren Willen zurückzuholen.

Hinnerk aber machte seine Sache glänzend und alle bewunderten ihn, und als die Schlußnummer glücklich vorbei war und er Mister Dick eine Zigarette aus der hingehaltenen Schachtel nahm und hinter seinem Herrn mit der Zigarette im Schnabel stolz wie ein Spanier aus der Manege schritt, klatschte selbst der Direktor Beifall.

So hatte Mister Dick einen Trost und hätte sagen können, Ende gut – alles gut! Aber die Nummer war doch noch zu unsicher, sie saß nicht. Die Katze hatte alles verdorben. Aber Mister Dick war beharrlich genug, sein Spiel deswegen nicht aufzugeben, und mit der Geduld, die er bisher schon bewiesen hatte, begann er die Dressur noch einmal von vorn. Schließlich mußte selbst ein so widerspenstiges Wesen wie die Katze begreifen, worauf es ankam.

Trotz aller Abwechslung, die das Leben im Zirkus und die Dressur für Hinnerk mit sich brachten, begann er durch die lange Käfighaft doch allmählich schwermütig zu werden. Wenn Mister Dick nicht mit ihm arbeitete, stand er verdrossen und mißmutig in einer Ecke seines Käfigs, aus dem die Katze längst entfernt worden war, und ließ den Kopf hängen. Melancholisch schob er dabei zuweilen die bleigraue Nickhaut vor die Augen, die alle Vögel unter den Lidern mitbekommen haben, zog das eine seiner Beine hoch und stand dann so unbeweglich da, als wäre er ausgestopft und nur die Glasaugen fehlten ihm noch.

Die Wahrheit zu sagen: Es war kein Leben für einen Hahn, das er führte. Schon keinen Erdboden unter den Füßen und nirgends etwas zu scharren zu haben, kein Kieselstückchen für seinen Kropf und keinen Regenwurm für den Magen, war schlimm. Am tiefsten aber quälte es ihn, ohne Gesellschaft zu sein. War er es nicht gewöhnt, einen ganzen Schwarm von Hennen um sich zu haben? Aber hier stand er nun schon seit langen Monaten allein, eingesperrt in sein Verlies. Es war zum Verzweifeln. Nicht einmal zu krähen hatte er noch rechte Lust, seine Stimme begann einzurosten und sein Kamm fing an, die Farbe zu verlieren.

Erst als eines Tages eine neuverpflichtete Künstlerin mit farbenprächtigen Aras und Kakadus in den Zirkus einrückte, und der Käfig mit den fremdländischen großen Vögeln, die sie bei ihren Tänzen verwendete und auf Armen und Schultern in die Manege hinaustrug, wenn bei der Vorstellung ihre Nummer kam, neben dem seinen einen Platz erhielt, wurde es mit Hinnerk ein wenig besser, und ihn, der so lange nichts Gefiedertes mehr gesehen hatte, schien plötzlich neue Lebenskraft zu erfüllen.

Ein Gelbhaubenkakadu hatte es ihm besonders angetan. Die große Haube erinnerte ihn an Bet, die er bei der alten Urleburle im Teufelsmoor gesehen hatte, und an das Huhn vom Stamme der Houdan, das er im Tierasyl, wenn auch nur aus der Entfernung, kennengelernt hatte.

»Ah«, sagte er, drückte sich dicht an das trennende Drahtgitter und machte den schönsten Kratzfuß. »Guten Tag, meine Beste! Ich wünsche wohl gereist zu sein. Darf man fragen, woher Sie kommen?«

»Interessiert Sie das?« fragte die Kakadudame. »Aus welchem Grunde, bitte? Wer sind Sie überhaupt?«

»Hinnerk heiße ich. Ich spiele einen Bremer Stadtmusikanten und trete mit dem Esel, dem Hund und der Katze zusammen auf. Es wird eine große Nummer, kann ich Ihnen sagen.«

»Erzählen Sie mir keine Romane«, sagte der Kakadu. »Führen Sie jedenfalls auf, was Sie wollen. Es ist mir völlig gleichgültig.«

Damit begann er einem seiner Gefährten, der neben ihm auf der Stange saß, die Haube mit dem Schnabel zu kraulen.

Traurig sah Hinnerk ihnen zu. »Sie lieben sich«, dachte er, »und ich stehe hier, getrennt von allen und habe niemand, dem ich einmal etwas Liebes erweisen könnte.«

Schwermütig senkte er den Kopf.

Aber dann kam der Kakadu unerwartet nahe ans Gitter, stieg sogar daran hinauf, als wolle er sehen, ob nicht oben eine Lücke sei. Nein, wie er klettern konnte! Er hielt sich mit dem Schnabel und zog die Füße nach.

»Ach«, rief Hinnerk erfreut und spreizte einen Flügel, daß er mit den Schwungfedern auf den Käfigboden stieß. »Wie herrlich Sie am Gitter spazieren gehen können. Wirklich, ich bewundere Sie. Aber fallen Sie nicht, wenn Sie ihrer Flügel nicht ganz sicher sein sollten. Es sieht ja gefährlich aus, wie Sie da oben herumturnen.«

»Reden Sie keine Albernheiten, nicht wahr? Fallen? Was ist das überhaupt?«

»Es ist nur meine Sorge um Sie«, sagte Hinnerk zärtlich. »Denn die Wahrheit zu sagen: Ich verehre Sie, jawohl! Ich weiß keinen anderen Ausdruck, Ihnen zu sagen, was mich erfüllt. Ich wäre glücklich, Ihnen ein wenig die Haube kraulen zu dürfen, wie Ihr Freund es tat da drüben auf der Stange, den Sie so augenscheinlich bevorzugen.«

»Na, na!« sagte der Kakadu. »Mäßigen Sie sich ein wenig, mein Herr!«

»Nein«, sagte Hinnerk und wurde mit jedem Augenblick mutiger. »Warum soll ich mich mäßigen? Ich sehe keinen Grund dafür. Ich – ich liebe Sie, um es gerade heraus zu sagen, jawohl.«

»Sie vergessen den Rassenunterschied zwischen uns.«

»Was heißt das?« fragte Hinnerk. »Gewiß, Sie sind schön wie die Sonne und ich trage keine Haube. Aber habe ich dafür nicht meinen Kamm, Sporen an den Füßen und einen Halskragen, schöner als jeder andere? Und hören Sie nur meine Stimme! Ich will nicht sagen, daß sie schön ist, aber kräftiger ist so leicht keine.«

»Ach, das ist mir alles ziemlich gleichgültig«, antwortete der Kakadu und kletterte langsam am Gitter wieder herab. »Immerhin, die Haube dürfen Sie mir gern einmal kraulen, wenn Sie Spaß daran haben. Aber Vorsicht, das bitte ich mir aus.«

»Selbstverständlich«, rief Hinnerk. »Meinen Sie, ich hätte es nicht gelernt, mit Damen umzugehen?«

»Dann reden Sie nicht so lange, fangen Sie an!«

Selig vor Freude schob Hinnerk seinen Schnabel durch das Gitter und senkte ihn vorsichtig und zärtlich in die flaumweiche Haube seiner Nachbarin.

»Ich bin glücklich, meine Beste. Sehr, sehr glücklich!« stammelte er leise. »Die Federn Ihrer Haube sind weicher, als ich sie je berührte.«

Im selben Augenblick aber stürzte der verlassene Kakadu mit einem so wütenden und kreischenden Geschrei ans Gitter, daß Hinnerk bestürzt zurückfuhr.

»Machen Sie, daß Sie in Ihre Ecke kommen, alter Kammträger!« schrie der Erzürnte. »Was geht Sie meine Freundin an, wenn ich fragen darf, he? Sie meinen wohl, bei einem Kakadu wäre alles erlaubt? Hüten Sie sich, daß ich Ihnen nicht die Kehle zerbeiße.«

»Wie?« schrie Hinnerk, nun selber gereizt und wütend. »Was unterstehen Sie sich! Wissen Sie auch, mit wem Sie sich herausgenommen haben zu reden? Ich habe das Wiesel besiegt, und das war ein gefährlicherer Gegner als Sie, kann ich Ihnen verraten!«

»Ich pfeife auf Ihr Wiesel«, schrie der Kakadu. »Ich kenne es nicht und es ist mir schnuppe, ob Sie es besiegten oder nicht, verstehen Sie mich?«

»Keinen Streit, meine Herren«, sagte der Gelbhaubenkakadu und wehrte seinem eifersüchtigen Freunde, der sein Gefieder gesträubt hatte und mit funkelnden Augen seinen Gegner maß. Zärtlich versuchte er ihm die Haube glatt zu streichen, aber ein Schnabelhieb des Erzürnten war die Antwort.

»Klettere auf deine Stange, altes Huhn, und mische dich nicht in Männergespräche!«

»Na, na, ruhig Blut«, mahnte die Gelbgehaubte, biß eine Erdnuß durch und legte dem Erzürnten den Kern vor. »Was ist das nur für ein Benehmen heute!«

»Was ist denn da nur los?« schrien die Aras aus ihrem Käfig herüber und drängten ihre roten Brüste an das Gitter.

»Ein dummer Kerl ist los!« rief der Kakadu und trippelte aufgeregt hinter seinem Gitter vor Hinnerk auf und ab. »Seht ihn euch an, da steht er. Aber ich lache über ihn, den stelzbeinigen alten Ritter mit seinem roten Fleischlappen auf dem Kopfe. Seht doch an, jetzt ist er klugerweise einen Schritt hinter das Gitter zurückgewichen, der Feigling!«

»Was sagen Sie?« schrie Hinnerk ergrimmt und sprang mit gespreizten Flügeln wütend nach vorn. »Einen Feigling nennen Sie mich, mich, der auf eigenen Füßen in die Welt hinausging?«

Das Drahtgitter klirrte ordentlich, so heftig war er mit Schnabel und Sporen hineingefahren. Aber da kam schon einer der Stallburschen, rückte lachend den Käfig der Kakadus ein wenig zur Seite und schob ein Brett dazwischen, damit sich die Tiere nicht mehr sahen.

»Alter Klopffechter«, schrie der Kakadu hinter dem Brett.

»Halten Sie den Schnabel, ja?« rief Hinnerk empört, »und behalten Sie Ihre alte Tute für sich.«

»Ha ha ha!« lachte der Kakadu zornig und dabei überschlug sich beinahe seine Stimme. »Hast du es gehört, Mile? Nun siehst du, was du dir da für einen Freund herangeholt hast. Ein alter Dreckhahn ist der Kerl, nichts weiter!«

»Ach, ziehen Sie ihre Haube über die Ohren!« rief Hinnerk ärgerlich, schlug mit den Flügeln, daß es klatschte und stieß ein Kikeriki aus, das siegesgewiß und lang wie ein Trompetenstoß durch den Marstall schallte.

Aber kaum war der Ruf verklungen, ahmte der Kakadu nebenan den Hahnenschrei so naturgetreu nach, daß selbst die Stallburschen darüber in Lachen ausbrachen.

Hinnerk ärgerte sich, daß ihm der Kamm blau ward. Noch einmal erhob er seine Stimme und diesmal so langgezogen und mächtig, als sollte ihm die Kehle darüber springen.

Aber es machte dem Kakadu nichts aus. Kikeriki! schrie auch er wiederum, verächtlich und höhnisch.

Nein, es nützte Hinnerk nichts, gegen den Kakadu kam er nicht auf, und schweigend und vergrämt stelzte er in seine Ecke zurück, zog das eine seiner Beine unter den Flügel und starrte trübselig vor sich hin.

Wirklich, es gab keine Freuden mehr für ihn, der auf Anntjes Hof in Worpswede ein Dutzend Hennen um sich gehabt hatte und um den sich Bet und Met gestritten hatten, als sie ihn kaum zu sehen bekamen.

»Der Hahn wird krank, wie es scheint«, sagte einer der Stallburschen ein paar Tage später zu Mister Dick. »Er steht den ganzen Tag über da, als wäre er durchgeregnet.«

»Ja, ja«, antwortete Mister Dick. »Mir ist das auch schon aufgefallen. Verteufelt, wenn er mir einginge!«

»Er muß ganz einfach aus dem Stall da heraus«, riet der Stallbursche. »Er verträgt die Einzelhaft nicht, das ist alles. Setzen Sie zum mindesten eine Henne zu ihm. Sie sollen mal sehen, wie ihn das auftaut.«

»Ich kann mir hier doch keine Hühnerzucht zulegen«, meinte Mister Dick und betrachtete mit sorgenvoller Stirn seinen Hahn.

»Dann lassen Sie ihn wenigstens über Tag ein paar Stunden spazierengehen. Vielleicht, daß ihm das gut tut!«

Wirklich öffnete ihm Mister Dick am nächsten Morgen die Tür.

»Komm, mein Hähnchen«, sagte er zärtlich. »Geh ein wenig spazieren, alter Freund, und vertritt dich ein wenig. Bis zur Probe ist es immer noch Zeit!«

Ja, das war eine Abwechslung für Hinnerk.

Stolzen Schrittes und frei stolzierte er den Gang zu den Pferden hinab.

»Guten Morgen«, sagte er leutselig, als er hinter den sechs Apfelschimmeln vorbeikam. Sie antworteten ihm nicht, zupften Heu aus ihren Raufen und schlugen nur verächtlich mit den Schwänzen.

»Wohin wollen Sie?« schrien die Aras aus ihrem Käfig und blickten ihm nach.

»Ausreißer!« schalt der Kakadu.

Aber Hinnerk sah ihn gar nicht an.

Gut, daß die Löwen nicht mehr da waren. Ihr Besitzer hatte seine Verpflichtungen gelöst und sich einem anderen Unternehmen verpflichtet. Dafür waren Eisbären da, eine ganze Herde. Aber Hinnerk schritt an ihnen vorüber, als wären sie kleine Hunde.

Erst als er an die Zebras kam, blieb er stehen – aber es waren nicht sie, die ihn fesselten. Für ihn war ein Zebra ein Pferd und die Pferde hatten ihn vorhin zu nichtssagend behandelt. Aber nicht weit von ihnen stand ein Käfig mit weißen Tauben.

»Ah«, sagte Hinnerk erfreut. »Woher kommen Sie, meine Damen? Stammen Sie vielleicht aus Worpswede?«

Er erinnerte sich, die Nachbarin von Anntje Suhr hatte einen Flug Tauben besessen, ebenso schimmernd weiß wie diese.

»Guten Morgen«, antworteten die Tauben. »Was ist Worpswede? Wir sind einigermaßen herumgekommen in der Welt, aber wir haben den Namen noch nie gehört.«

»Na, na«, meinte Hinnerk, »scherzen Sie nicht. Worpswede kennt heute jeder, der auf einige Bildung Anspruch macht. Es ist ein Weltdorf, das steht fest . . . ich bin nämlich Worpsweder!«

»So, so«, antworteten die Tauben. »Das erklärt vieles.«

»Nicht wahr?« fragte Hinnerk geschmeichelt und sah verliebt zu ihnen hinauf.

Es waren sechs. Ihr Gefieder war so weiß wie das eines Schwanes, und als besondere Zier trugen sie einen Schwanz wie ein Pfauenrad. Ja, sie waren ansehnlich und hübsch, das war keine Frage, aber auch anspruchsvoll und stolz, so wie sie sich in die Brust warfen und den Kopf in den Nacken legten. Aber dafür waren sie auch schön wie junge Hühner, und das war das Höchste, was Hinnerk zu ihrem Ruhm hätte sagen können.

Mit feurigen Augen musterte er sie. Die größte besonders, die noch ein wenig freundlicher zu ihm herunterblickte als die andern, fesselte ihn am meisten. Ohne Zweifel, sie war die hübscheste von allen. Wie zierlich sie sich zu putzen verstand, die Schwungfedern ihrer Flügel durch den Schnabel zog und ihren Fächerschwanz ordnete.

Ina hieß sie, und man mußte sagen, der Name paßte zu ihr.

Hinnerk machte seinen schönsten Kratzfuß, schlug mit den Flügeln und begann aus vollem Halse zu krähen. Einmal war es Freude und zum anderen wollte er sich auch in Ansehen setzen, und diesmal bekümmerte es ihn nicht, daß vom anderen Ende des Marstalls her, der Kakadu abermals sogleich seinen Ruf wiederholte.

»Was für eine Stimme Sie haben!« rief Ina anerkennend.

»Was wollten Sie eben mit ihrem Gekreisch sagen?« fragte eine andere Taube spitz und machte dumme Augen.

Aber Hinnerk antwortete ihr nicht darauf.

»Guten Morgen«, sagte er. »Ich muß weiter. Aber es war mir eine aufrichtige Freude! Auf Wiedersehen! Hoffentlich kann ich meinen Besuch vor Ihrem Hause bald wiederholen.«

»Wenn es Ihnen nicht zu viele Mühe macht?« sagten die Tauben, ruckten mit den Köpfen und gingen an ihren Futternapf.

Ja, das war eine Sprache, wie Hinnerk sie liebte. »Wenn es Ihnen nicht zuviel Mühe macht!« hatten sie gesagt. Soviel Entgegenkommen und Freundlichkeit hatte er lange nicht mehr gefunden.

Mit erhöhtem Selbstgefühl setzte er seinen Spaziergang fort, fuhr aber nach wenigen Schritten vor den hin- und herschwingenden Rüsseln der Elefanten zurück, an deren Stand er nun gelangt war, und flog entsetzt auf die nächste Heuraufe.

»Tock – tock – tock!« schrie er aufgeregt, und das hieß in seiner Sprache: »Was das nur bedeuten soll, einem einen solchen Schrecken einzujagen? Was ist das überhaupt für eine Gesellschaft, diese wackelnden Lehmberge da, und wozu haben sie so drohend mit den Ohren zu klappen?«

Aber dann kam ein Stallbursche, der den Stand der Elefanten gesäubert hatte und eben mit seiner Arbeit fertig war; griff Hinnerk bei den Beinen und setzte ihn dem nächsten Elefanten auf den Rücken.

»Wie entsetzlich!« schrie Hinnerk und rannte aufgeregt auf dem breiten Rücken des Elefanten hin und her.

»Regen Sie sich nicht auf, junger Herr!« sagte der Elefant und tastete mit seinem Rüssel nach Hinnerk. »Wir sind friedlicher, als Sie denken. Gehen Sie ruhig da oben spazieren. Unser Rücken ist breit genug dazu für so einen Zwerg wie Sie.«

Aber Hinnerk dankte und rettete sich in weitem Flugbogen auf die Erde zurück.

»Was ist das für eine Art!« schrie er, ohne den lachenden Stallburschen noch eines Blickes zu würdigen. »Wer sind Sie überhaupt und woher kommen Sie?«

»Aus Indien«, sagten die Elefanten, »wenn Sie das interessiert.«

»Ach so, aus Indien!« entgegnete Hinnerk, der keine Ahnung hatte. »Das erklärt allerdings manches, sozusagen. Hören Sie nur endlich auf, mit Ihren Nasen zu wackeln. Es schwindelt einem ja vor den Augen. Noch dazu, wenn Sie dauernd von einem Fuß auf den anderen treten.«

»Wir machen uns ein wenig Bewegung«, entgegneten die Elefanten. »Wenn Sie, wie wir, tagelang an einem Platze stehen müßten, noch dazu mit einer Kette am Fuß, wackelten Sie sicher auch!«

»Das ist immerhin möglich«, sagte Hinnerk ein wenig versöhnt, denn für die Leiden der Gefangenschaft hatte er Verständnis.

»Zum Kuckuck noch mal, wer hat den Hahn laufen lassen?« scholl da eine Stimme.

»Ich!« sagte Mister Dick, der Hinnerk langsam nachgegangen war.

»Das geht aber nicht! Sperren Sie das dumme Vieh gefälligst wieder ein. Hahnenfedern im Heu? Die Pferde sollen wohl Kolik kriegen, was? Jagen Sie ihn lieber vor die Tür. Draußen kann er meinethalben so viel herumlaufen, wie er will!«

»Das ist auch meine Absicht«, sagte Mister Dick, öffnete eine schmale Tür und ließ den Hahn ins Freie.

Es war ein großer Platz, auf den Hinnerk gelangte. Mehr als dreißig Wohnwagen standen dort mit zierlichen weißen Gardinen und kleinen Treppen vor den Türen. Aber sie waren es nicht, die Hinnerks Aufmerksamkeit fesselten. In einem ähnlichen Gefängnis aus Holz und Glas hatte er seine Dressur einst bekommen. Er kannte das und hatte genug davon. Nein, es war der Geruch des frischen, von den Rädern aufgewühlten Erdbodens und das strahlende Licht der Sonne, die ihn berauschten. Herrlich, herrlich, herrlich! Er klatschte vor Freude mit den Flügeln und begann sofort eifrig zu scharren, zu picken und winzige Grashälmchen, die eben dem frühlingsjungen Erdboden entsprossen, mit dem Schnabel zu pflücken.

Nein, wie erfrischend die Luft hier draußen war, und wie wohl ihm die Sonne tat! Wohlig wie seit langem nicht, scharrte er sich eine flache Mulde in die Erde, schüttelte die lockere Erde mit den Flügeln auf und ließ sie sich über die Haut rieseln. Ein Bad, endlich einmal wieder ein Bad, wie es ihm ein Bedürfnis war.

Mister Dick hatte sich eine Zigarette angezündet und ging ihm langsam nach, als er von seinem Staubbad aufstand und den Platz wechselte.

Halloh, da hatte er sogar einen Regenwurm aus der Erde gescharrt. Mit lockenden Balzlauten hielt er ihn im Schnabel, wie er es gewöhnt war, wenn er seinen Hennen schöntun wollte und ihnen die besten Bissen präsentierte, die er nur zu finden vermochte.

Aber hier verhallte seine Stimme ungehört und keine Henne eilte herbei, seine Spende entgegenzunehmen und sich ihm dankbar zu erweisen.

Aber am drittfolgenden Tage war es mit der Freiheit für Hinnerk schon wieder zu Ende. Der Zirkus reiste und Hinnerk saß wieder in seinem Käfig, der in einen halbdunklen Eisenbahnwagen verladen war, und hatte von neuem ausgiebig Zeit, trübselige Betrachtungen anzustellen.

Rumtumtum – machten die Räder. Immer wieder rumtumtum – – einen ganzen Tag lang und einen folgenden dazu.

Hinnerk war ganz dumm im Kopfe von den unausgesetzten Stößen auf den Schienen. Es war nicht zum erstenmal, daß er das Geräusch hörte, und längst hatte es alles Beunruhigende für ihn verloren. Aber es machte ihm doch jedesmal wieder Übelkeit, so daß er während einer solchen Fahrt kaum etwas fraß.

Gut, daß die Kakadus in einen anderen Wagen verladen worden waren. Sie hätten ihm vollends die Laune verdorben. Dafür waren diesmal die Tauben mit hereingestellt worden, die der jungen Italienerin gehörten, die mit ihnen als »Tauben vom Markusplatz« auftrat. Sie hatten gelernt, Briefe aus einem hingehaltenen Kästchen zu nehmen und nach einem kurzen Fluge ins Publikum fallen zu lassen. Das war etwas! Dazu verstanden sie, auf kleinen Schaukeln und Trapezen zu arbeiten, in geschlossenem Zuge hintereinander durch vorgehaltene Reifen zu fliegen, auf ein Händeklatschen in der Luft zu wenden, im Fluge eine Acht zu ziehen und sich zu benehmen, als wären sie wirklich die klügsten Tiere, die jemals in einem Zirkus gezeigt wurden.

Von ihrem Anblick entzückt stand Hinnerk in seinem Käfig und stierte zu ihnen hinüber. Aber sie beachteten ihn nicht, pickten Gerstenkörner aus ihrem Futternapf, tranken ein wenig und flogen wieder auf ihre Stangen.

»Fräulein Ina«, rief Hinnerk zuletzt leise und zärtlich, senkte die Flügel ein wenig und stellte sich auf die Zehenspitzen.

»Wünschen Sie vielleicht etwas?« fragte die Angeredete zurück und fuhr fort ihr Gefieder zu ordnen.

Freilich wünschte er etwas. Aber er hätte nicht sagen können, was. So begnügte er sich, einen langgezogenen leisen Laut aus seiner Kehle zu pressen, der soviel bedeuten sollte als: »Ich seufze! Kann man etwas anderes tun, wenn man Sie sieht, Fräulein Ina?«

Aber das verstand die Taube nicht.

»Wie stehen Sie denn nur da?« fragte sie. »Halten Sie doch Ihren Kopf nicht so schief und starren Sie bitte nicht unausgesetzt zu mir herüber. Es ist peinlich für mich.«

»Verzeihen Sie«, sagte Hinnerk gekränkt, zog das eine Bein hoch und nahm sich vor, überhaupt nicht mehr hinzusehen.

Beleidigt zog er die Nickhaut bald vor das eine, bald vor das andere Auge.

»Habe ich Sie gekränkt?« fragte die Taube nach einer Weile, als sie merkte, daß Hinnerk sich nicht mehr um sie bekümmerte.

»Oh, durchaus nicht!« antwortete Hinnerk sogleich, zog die Nickhaut weg und warf Ina einen traurigen Blick zu. Es war doch zu reizend, daß sie ihn anredete und jetzt viel freundlicher zu ihm sprach als vorhin. »Es ist nur die Sehnsucht«, stammelte er. »Und die Einsamkeit. Sie verstehen, es ist so schwer in meiner Lage, ein wenig Anschluß und Verständnis zu finden.«

»Sind Sie Witwer?« fragte die Taube. »Ich meine, haben Sie ihre Henne verloren?«

»Henne?« fragte Hinnerk stolz. »Ich hatte zwölf, und nur Gewalt hat mich von ihnen getrennt.«

»Zwölf?« fragte die Taube. »Pfui!«

»Wie meinen Sie das?« fragte Hinnerk verwundert. »Pfui? Ich wüßte nicht, warum? Ein rechter Hahn hat selten weniger. Mindestens fünf oder sechs. Es ist sonst zu wenig wirtschaftlich, wissen Sie.«

»Wie war das?« fragte die Taube. »Nicht wirtschaftlich?«

»Nach Meinung der Leute, jawohl! Ein Hahn gilt ja immer nur als ein unnützer Fresser. Hühner legen Eier, nicht wahr, und wenn es mit dem Futter einmal knapp wird, greift man immer zuerst nach dem Hahn, um ihn zu schlachten.«

»Wie entsetzlich«, sagte die Taube.

»Ja, es ist ein trübes Thema. Reden wir von etwas anderem.«

»Das möchte ich auch wohl vorschlagen. Wissen Sie nichts zu erzählen, haben Sie nichts erlebt?«

»Oh«, sagte Hinnerk, »wenn es darum geht? Ich habe mehr erlebt, als ich Ihnen erzählen kann. Es ist mir nicht leicht geworden, durchs Leben zu kommen, und ich habe mehr Erfahrungen gemacht, als mir zuweilen lieb waren.«

»Erzählen Sie«, sagten die Tauben.

»Wovon soll ich Ihnen erzählen?« fragte Hinnerk. »Von meinem Kampf mit dem Wiesel oder mit den Schwänen? Von der alten Urleburle im Teufelsmoor oder von meiner Zusammenkunft mit dem Storch? Er begegnete mir so hochfahrend wie möglich, aber ich kann Ihnen sagen, ich habe ihn abgefertigt!«

»Erzählen Sie uns von der schönsten Henne, die Sie bei sich hatten!« schlugen die Tauben vor.

»Von der schönsten Henne?« fragte Hinnerk gedankenvoll. »Ich muß sagen, daß mir die Auswahl da nicht leicht fällt. Soll ich von Bet und Met erzählen oder von Thinka aus der Familie der Houdans?«

»Von Thinka«, entschieden sich die Tauben, denn sie glaubten, daß es eine besonders vornehme Henne gewesen sei, ihr Name klang so nach Vornehmheit, Rasse und Aristokratie.

»Wie Sie wollen«, sagte Hinnerk. »Um es gleich vorweg zu sagen, es war die außerordentlichste Henne, die jemals über die Erde gegangen ist. Wer sie erblickte, blieb stehen vor Bewunderung. Man war einfach sprachlos!«

»Und liebte Sie?« fragten die Tauben und ruckten mit den Köpfchen. »Sie haben zärtliche Stunden mit ihr verlebt?«

»Ja«, sagte Hinnerk, »wenn Sie mich gerade heraus darnach fragen. Aber über solche Dinge spreche ich nicht.«

»Selbstverständlich nicht!« sagten die Tauben. Aber sie waren doch ein wenig enttäuscht.

»Niemand soll von mir sagen, daß ich in solchen Dingen das Vertrauen nicht gewahrt hätte!«

»Wie alt war Frau Thinka?« fragte eine Taube. »Denn das ist wichtig zu wissen.«

»Oh, was glauben Sie, meine Damen? Sie stand im vollen Glanze der Jugend, und niemals hat es eine Henne gegeben, die anmutiger unter ihrer Haube herumspaziert wäre!«

»Sie trug eine Haube?« fragten die Tauben interessiert. »Sieh doch an! Hatte sie auch ein Jabot unter der Kehle wie unsere Verwandten aus der Familie der Möwchen?«

»Ich erinnere mich nicht«, erwiderte Hinnerk, der nicht wußte, was die Tauben meinten. »Jedenfalls war sie schöner als alle, war aber durchaus nicht für Putz und Firlefanz. Im Gegenteil. Sie war durchaus praktisch veranlagt. Es verging kein Tag, an dem sie nicht ein Ei gelegt hätte. Selbst als man sie gefangengenommen und eingesperrt hatte, hörte sie nicht auf damit! Es war ihr einziger Trost sozusagen.«

»Ja, das ist viel«, gaben die Tauben zu. »Jeden Tag ein Ei! Wieviel Kinder muß sie da gehabt haben!«

»Das war es eben«, phantasierte Hinnerk. »Sie blieb trotzdem kinderlos.«

»Was Sie sagen!« riefen die Tauben. »Wie war das möglich? Wir legen höchstens alle 6–8 Wochen und niemals mehr als zwei Eier. Wir halten das auch für vollkommen genügend.«

»So«, sagte Hinnerk, kurz und enttäuscht.

»Aber erzählen Sie«, drängten die Tauben. »Also Frau Thinka blieb kinderlos?«

»Wie ich schon sagte«, antwortete Hinnerk und zog den Kopf zwischen die Schultern. »Fragen Sie mich nicht weiter.«

»Oh«, sagten die Tauben, »haben wir Sie an trübe Dinge erinnert? Wie leid uns das tut!«

»Man nahm ihr jedesmal die Eier weg, ganz einfach!« erklärte Hinnerk. »Nicht eins, das man ihr ließ. Man war wie versessen darauf.«

»Und was tat man damit, bitte?« fragte eine junge Taube und reckte den Kopf.

»Man aß sie auf. Jawohl. Ich fürchte, daß es nur zu dem Zwecke geschah. Uns überließ man die Schalen, sehen Sie wohl. Die Eier des schönsten Huhnes, das jemals hinter einem Drahtgitter saß, ich bitte Sie, meine Damen.«

»Ja«, nickten die Tauben. »Es ist nicht auszusagen! Aber erinnern Sie sich nicht weiter an so trübe Dinge. Wir meinten, Sie würden uns eine heitere Geschichte erzählen? Wir hören so gern etwas Lustiges!«

»Bedauere sehr«, antwortete Hinnerk. »Ich habe zu wenig Heiteres erlebt, sehen Sie. Das Leben ist kein Witz, wenigstens für unsereinen nicht. Nur Einsichtslosigkeit könnte das Gegenteil behaupten. Der einzige Trost ist, aus den Erfahrungen seines Lebens etwas gelernt zu haben.«

»Immerhin. Sie haben es aber doch zu etwas gebracht«, versuchten ihn die Tauben zu trösten.

»Das ist wahr«, gab Hinnerk zu. »Nicht jeder Hahn bringt es so weit. Dafür habe ich auch schon von Jugend an einen Drang in mir gespürt, in die Welt hinauszukommen, und nicht nachgegeben, bis sich mein Wunsch erfüllte. Hätte die Natur mich nicht so stiefmütterlich behandelt und könnte ich fliegen wie Sie und stundenlang in der Luft bleiben, – ich hätte mich bis zur Sonne emporgeschwungen, vom Mond gar nicht zu reden!«

»Hm!« sagten die Tauben. »Ja, mit Ihnen ist nicht zu spaßen!« Und dann lachten sie in ihre Kröpfe hinein. Aber Hinnerk bemerkte es nicht, denn der Zug war eben in einen Tunnel eingefahren.

»Nein, wie kurz die Tage schon werden!« riefen die Tauben, als es dunkel um sie geworden war. »Gute Nacht denn!«

Aber Hinnerk war nicht so leicht zu täuschen, und als der Zug den Tunnel hinter sich hatte und es wieder hell im Wagen wurde, erklärte er, es sei eine Sonnenfinsternis gewesen, nichts weiter.

»Wenn man einigermaßen in der Welt herumgekommen ist, kennt man solche Dinge.«

»Eine Sonnenfinsternis?« fragten die Tauben und horchten auf. »Was es für merkwürdige Dinge gibt. Wir haben nie gesehen, daß sich die Sonne verfinsterte.«

»Ich habe schon in meiner Jugend für solche Dinge ein Auge gehabt«, entgegnete Hinnerk. »Es war während einer Sonnenfinsternis, als ich einen gefährlichen Kampf mit einer Schlange bestand.«

»Ist es zu glauben?« riefen die Tauben. »Sie haben mit einer Schlange gekämpft? War es eine giftige?«

»Selbstverständlich«, sagte Hinnerk. »Giftig wie eine Ratte. Sie wissen doch, daß auch Ratten giftig sind?«

Nein, das wußten die Tauben nicht. Nun ja, sie waren eben nicht klüger. Aber es war ihnen interessant, es zu erfahren.

»Ja. Ich bin diesen Tieren immer aus dem Wege gegangen«, fuhr Hinnerk fort. »Offengestanden schaudert es mich jedesmal, wenn ich eine erblicke. Ich bin mehr als einer Ratte begegnet und spreche aus Erfahrung. Aber ich sage Ihnen, daß ich sie sehr kurz behandelt habe.«

»Sie wollten von ihrem Kampf mit der Schlange erzählen«, erinnerten ihn die Tauben.

»Es ist nicht der Rede wert, darauf zurückzukommen«, erwiderte Hinnerk. »Es war eine Kreuzotter, wie sie in meiner Heimat im Moore zuweilen vorkommen, wenn sie auch nur selten sind. Ich kam bei einem Spaziergange so über die Heide, da kam eine aus einem Ginsterbusch auf mich zugekrochen. Sie hatte Augen so scharf und spitz wie meine Sporen, jawohl. Sie können denken, meine Damen, daß ich ihr nicht sehr freundlich entgegengetreten bin. Ich tötete sie. Basta. Ersparen Sie sich die Einzelheiten. Die Federn würden sich Ihnen sträuben. Es ist kein Gespräch für Damen, über solche Dinge zu reden.«

Hinnerk verstummte und nahm mit einer nachlässigen Kopfbewegung ein Gerstenkorn auf, das er beim Fressen liegen gelassen hatte.

Auch die Tauben schwiegen, rückten auf ihrer Stange enger zusammen und sahen mit bewundernden Blicken zu Hinnerk hinüber.

Er war doch ein Kerl, einer, der das Herz auf dem rechten Flecke hatte, ohne Zweifel.

 


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