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Als es Tag geworden war, flog Hinnerk auf den Erdboden hinab und begann seine Morgenmahlzeit zu halten. Nach dem anstrengenden Tage gestern hungerte ihn nicht wenig. Als er endlich genug mit den Füßen gescharrt, mit dem Schnabel gepickt und sich junge Grasspitzen zu den Würmern und Körnchen gepflückt hatte, die ihm die mütterliche Erde geboten, eilte er an den nächsten Graben, um ein wenig zu trinken.
»Wollen Sie mich vielleicht besuchen?« fragte eine Wasserratte und steckte den Kopf aus ihrem Loch. »Haben Sie vielleicht ein paar Ihrer Kinder in der Nähe? Ich fresse für mein Leben gern junge Kücken, besonders wenn sie erst vor kurzem aus dem Ei geschlüpft sind.«
»Nein, Sie Ungeheuer!« sagte der Hahn erschreckt. »Sie sollten sich schämen.«
»Warum bitte?« fragte die Wasserratte. »Unsereiner will auch leben, und ich sehe nicht ein, warum man mehr Rücksichten nehmen soll, als zum Sattwerden taugt. Schon meine Mutter pflegte zu sagen: Nagt und beißt, wo es nur zu nagen und beißen gibt. Niemand kommt und bringt euch etwas. Wozu habt Ihr eure Zähne? Es ist eine armselige Gegend hier, und nicht immer ganz leicht, durchs Leben zu kommen. Haben Sie vielleicht in der Nähe etwas Eßbares für mich gefunden?«
»Bedaure, nein!« sagte der Hahn, schüttelte vor Abscheu seine Federn und ging davon.
Nach einem anstrengenden Marsch kam er endlich an eine kleine, niedrige Moorhütte. Friedlich und still lag sie da. Das verwitterte alte Strohdach ging fast bis auf die Erde herab, und blauer Torfrauch drang aus der offenen Tür zum Giebel hinauf.
Hinnerk freute sich nicht wenig, sich wieder in der Nähe von Menschen zu wissen, getraute sich aber doch nicht recht, in der Hütte einen Besuch zu machen. Der Graben, an dem er so lange entlangspaziert war, ging dicht beim Hause vorüber, und ein niedriges Wehr ließ das braune Moorwasser mit leisem Gurgeln über sich hinweglaufen. Nichts Lebendiges war drüben zu erblicken.
Als er noch stand und mit schiefem Kopf regungslos hinübersah, hörte er plötzlich jemand sagen: »Kommen Sie nur herüber, junger Mann!«
Es war ein Kater, der, ebenso regungslos wie er, auf der andern Seite des Grabens vor einem Mauseloch gesessen hatte und sich nun erhob und einen krummen Buckel machte. »Wir warten schon lange auf Sie!«
»Wie ist das möglich?« fragte der Hahn verwundert. »Kennen Sie mich vielleicht? Mein Name ist Hinnerk.«
»Ganz recht«, sagte der Kater. »Ich bin in Ihrer Nachbarschaft bei Hemsoths aufgewachsen und wurde in demselben Jahre geboren wie Sie. Ich erinnere mich noch gut, wie Sie das Krähen erlernten. Es war zu der Zeit, als mich die alte Urleburle in ihrem Korbe mit hierher nahm.«
»Urleburle? Wer ist das?« fragte der Hahn. »Ich habe den Namen nie gehört.«
»Da kommt sie«, sagte der Kater. »Haben Sie nur keine Furcht. Sie hat allerdings schon ihre achtzig Jahre auf dem Rücken und ist nicht mehr so schön wie in ihrer Jugend, aber sie hat ein paar Hennen, die einige Jahre jünger sind. Sie werden darum allgemein willkommen sein, mein Herr!«
Auf diese Zusicherung hin zögerte Hinnerk nicht mehr lange. Er flog über den Graben und sah, als er wieder Boden unter den Füßen hatte, die alte Urleburle an einem Krückstock aus ihrem Hause treten.
»Das ist sie«, sagte der Kater, und hob seinen Schwanz in die Höhe. »Sie sieht zwar ein wenig gefährlich aus, besonders wenn sie ihre alte Nachtmütze trägt, aber sie ist nur halb so schlimm, wie sie aussieht. Das beste wird sein, Sie tun, als wenn Sie zu Hause wären.«
Urleburle freute sich nicht wenig über den unerwarteten Besuch, den sie bekam, streute eine Handvoll Gerste vor die Tür und lockte auch ihre Hühner herbei. Es waren zwei, schon ein wenig bei Jahren alle beide, aber groß und ansehnlich. Met und Bet hießen sie. Met trug ein weißes Federkleid mit schwarzen Punkten, das ihr ausgezeichnet stand, und Bet hatte einen weißen Kragen um den Hals und eine Haube auf dem Kopf, auf die sie nicht wenig stolz war.
»Guten Morgen«, sagte der Hahn erfreut und schrammte auf die beiden los, wie er es gewohnt war, seinen Hennen schön zu tun.
»Wen schleppen Sie denn da herbei?« wandte sich Bet mißtrauisch an den Kater.
»Mein Freund Hinnerk!« stellte der Kater vor. »Ein Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle.«
»Das ist eine gute Empfehlung«, sagte Met. »Aber warum läuft er denn dann nur mit einem Bartlappen umher?«
Hinnerk erschrak nicht wenig. Das böse Wiesel! Sicher hatte er gestern im Kampf mit ihm einen Bartlappen verloren und nicht einmal bemerkt, wie arg er zugerichtet war. Er erzählte den Hennen, welch gefährlichen Kampf er gestern bestanden hatte, und ihre Achtung begann sichtlich zu steigen.
Urleburle aber rieb sich die Hände vor Vergnügen. »Nein«, sagte sie, »wie billig und unverhofft ich da zu einem Hahn gekommen bin.«
»Kommt herein, Kinder«, rief sie, als die Gerste aufgepickt war. »Es ist recht frisch und windig hier draußen. Kommt herein. Beim Herd auf der Diele ist es warm.«
Sie huschelte an ihren Herd, setzte sich in ihren Armstuhl und lockte den Kater auf ihren Schoß. »Gutes Tierchen«, murmelte sie. »Mir einen so schönen Hahn ins Haus zu führen . . . Ja, ja, du kannst mehr als Mäuse fangen. Nein, bleib sitzen, sonst scheuchst du ihn mir noch wieder zur Tür hinaus.«
»Haben Sie schon den Wiemen gesehen und unsere Nester?« fragten die Hennen. »Falls Sie Neigung haben, die Leiter dort, bitte.«
Ja, das war eine andere Sprache! Hinnerk war so glücklich wie einer, und als die Hennen sich nun nach der Besichtigung in ihre Nester setzten, um ein Ei zu legen, blieb er oben auf der obersten Sprosse der Hühnerleiter sitzen und wartete, bis sie fertig waren.
Urleburle aber stand jetzt auf und schloß eilig die Tür. »Er läuft uns sonst am Ende noch wieder davon!« sagte sie zu dem Kater, der ihr gefolgt war. »Er muß sich erst bei uns eingewöhnen, siehst du. Unterhalte dich nur ein wenig mit ihm, das kürzt die Zeit . . .«
»Da liegt es! Da liegt es! Kommt und seht! Wer's besser kann, der melde sich!« schrie Bet und erhob sich von ihrem Nest. Sie meinte das Ei, das sie gelegt hatte.
»Ausgezeichnet! Ausgezeichnet!« schrie nun auch der Hahn, stellte sich auf die Zehen und krähte, daß es durch die Hütte schallte.
Da wurde auch Met auf ihrem Nest lebendig. »Nein, nein, nein!« gackerte sie. »Meins ist größer, meins ist größer!«
»Ist nicht wahr, ist nicht wahr!« schrie Bet.
»Ist doch wahr, ist doch wahr!« schrie Met.
»Vertragt euch! Vertragt euch!« kollerte der Hahn und machte beiden einen Kratzfuß, bis sie keine Lust mehr hatten, sich zu streiten, und sich friedlich zu beiden Seiten des Hahns auf die Leiter setzten.
»Putz dich doch nicht unausgesetzt!« sagte Bet zu Met.
»Kratz du deine Haube und quäl' dich nicht um mich«, antwortete Met gereizt.
»Keinen Streit, meine Damen!« sagte der Hahn. »Es ist genug, wenn Männer sich streiten.«
»Ach was«, sagte Met erzürnt. »Kaum sind Sie im Haus, fängt das dumme Ding zu sticheln an! Und das nur, weil sie eine Haube trägt! Es ist ja lächerlich. Es fragt sich noch, was schöner steht – Kamm oder Haube?«
»Ich schlage einen Spaziergang vor«, sagte der Hahn, um dem Streit ein Ende zu machen. »Der Weg ins Freie ist uns allerdings verschlossen, aber Sie könnten mir einmal die Räume des Hauses zeigen.«
Ja, da gab es viel zu sehen. Die Ziege stand in ihrem Stall, rieb sich die Hörner am Pfosten und wunderte sich über die Einquartierung.
»Wollen Sie auch unser Ferkel sehen?« fragten die Hennen und flogen auf die niedrige Holzwand, die den Schweinestall von der Diele abgrenzte. Ja, da lag es und schlief am hellen Tag, was es nur konnte. Danach spazierten sie am Herd vorbei zu der alten Bank, die unter dem Fenster stand.
»Es ist wirklich gemütlich hier, das muß man sagen«, meinte Hinnerk anerkennend.
»Ein ansehnlicher Betrieb, nicht wahr?« fragte Met. »Wir haben in jedem Jahr sieben Karren Heu von der Wiese und zwanzig Garben Roggen. Das ist etwas!«
»Die Kartoffeln nicht zu vergessen!« erinnerte Bet. »Nirgend wachsen so dicke Kartoffeln wie auf unserm Acker!«
»So, so«, sagte Hinnerk, denn er wollte nicht unhöflich sein.
»Sogar ein Kaninchen haben wir«, sagten die Hennen und führten ihn zu einem kleinen Stall, den Urleburle unter ihrer Bettlade hatte. Richtig, da saß es, hatte schwarze Augen, hockte wie ein Hase auf den Hinterpfoten und fraß an einem Kohlblatt.
»Wie geht es Ihnen?« fragte der Hahn, um nicht ungebildet zu erscheinen.
»Sind das vielleicht Ihre Sachen?« antwortete das Kaninchen unfreundlich und fraß weiter. Nein, das war keine Unterhaltung.
»Es hat erst vor drei Tagen Junge bekommen«, entschuldigten die Hennen es, »und da ist es wenig umgänglich.«
»Nun ja,« sagte der Hahn. »Ich verstehe. Aber ein wenig höflicher könnte es schon sein. Wenn es wüßte, daß ich mit dem Wiesel kämpfte, würde es gewiß ein wenig anders über mich denken . . .«
»Was er für schöne Federn hat!« dachte Urleburle und betrachtete den Hahn von weitem. »Es ist schade darum, aber die Gerste geht zu Ende, und Eier legt so ein Bursche nicht. Ein Hahn ist ein Fresser, nichts weiter. Nein, da ist es am besten, ich schlachte ihn heute abend und stecke ihn zum Sonntag in den Topf.«
»Wollen Sie schon schlafen gehen?« fragte der Kater, als es anfing Abend zu werden und Hinnerk vor der Leiter stand und zum Wiemen hinauffliegen wollte.
»Es wird wohl langsam Zeit«, antwortete Hinnerk. »Meine Damen sind schon zu Bett. Sie bleiben wohl noch ein wenig auf?«
»Allerdings«, sagte der Kater. »Für mich fängt das Leben jetzt erst recht an. Sie lieben wohl die Nacht nicht?«
»Durchaus nicht«, sagte der Hahn und schauderte sich.
»Dann gute Nacht also«, sagte der Kater, sprang auf die Hille und schlich sich auf den Hausboden hinauf.
Kaum hatte Hinnerk es sich auf seiner Stange neben den Hennen bequem gemacht, sah er die alte Urleburle mit einem großen Küchenmesser über die Diele kommen. Sie öffnete die schief gesackte Haustür und begann das Messer auf dem Süll abzustreichen. »Was ist das?« sagten die Hennen, die noch nicht schliefen, und standen von der Stange auf.
»Das gilt niemand anders als mir«, antwortete der Hahn entsetzt und stürzte mit gesträubten Federn und klatschenden Flügeln vom Wiemen herab über den Kopf der Alten hinweg ins Freie.
»Halt«, schrie Urleburle. Aber sie hatte gut rufen . . . Hinnerk hatte Übung im Laufen und wußte, was es galt. »Das ist ja eine nette Räuberhöhle«, dachte er und flog in weitem Bogen über den Graben. »Und so friedfertig, wie die alte Dame aussah! Sicher hat der Kater ganz gut gewußt, um was es ihr ging. Aber so sind diese Katzen! Glatt in Worten und falsch dabei wie die Nacht!«
»Komm, mein Hähnchen, komm!« lockte die Alte und lief hin, ihre letzte Hand voll Gerste zu holen und vor die Tür zu streuen.
Aber sie hatte gut locken und rufen. Hinnerk hatte genug von seinem Besuch in ihrem Hause und hielt sich nicht damit auf, ihr noch lange Lebewohl zu sagen. Gut, daß er seinen Kopf noch auf dem Hals hatte und mit heiler Haut davongekommen war. Als er ein wenig wieder zu Atem kam und weit genug von der alten Moorhütte entfernt war, blieb er stehen und überlegte, wohin er sich wenden sollte. Das Schlimmste war, daß der Abend bereits hereingebrochen war. Wo um alles in der Welt sollte er sich nun so schnell noch einen Schlafplatz suchen?
Ratlos sah er sich um. Die Sonne war bereits untergegangen, und die erste Dämmerung senkte sich auf das dunkle Moor, während das Wasser in den Gräben unter dem kühlen Hauch des Abendwindes erschauerte. Zuletzt entschloß er sich, auf einem Torfhaufen zu schlafen. Dort saß er wenigstens trocken und etwas erhöht, wenn auch ohne jede Deckung.
Langsam kam die Nacht. Alles versank in der Finsternis, und schaurig strich der Wind über die Heide.
Schlich da nicht etwas? Was raschelte dort im Gras? Hob nicht ein Unbekanntes seinen Kopf aus der alten Moorkuhle dicht vor ihm? Hinnerk klopfte das Herz vor Grauen. Nein, er wollte nichts mehr sehen, und entschlossen steckte er seinen Kopf unter den Flügel. Mochte kommen, was da wollte.
Trotz seiner Furcht schlief er zuletzt ein. Im Traum erschienen ihm Met und Bet. Met hatte ein Ei gelegt und gackelte vor Freude, aber Bet hatte ein ganzes Nest von Kücken ausgebrütet, kam damit über den Hof gezogen und kratzte ihre Haube. »Lauft nicht so weit weg, Kinder«, mahnte sie, »und nehmt euch vor Jan, dem Kater, in acht. Er ist ein ganz verschlagener Bursche.« Aber dann kam die alte Urleburle, wetzte ihr Messer auf der Türschwelle und rief: »Wo ist Hinnerk, mein Hähnchen? Soll ich das Messer umsonst geschliffen haben?«
Als er erwachte, war es noch Nacht und der Mond stand in seinem letzten Viertel hoch am Himmel. Aber Hinnerk schlief nicht mehr. Trotz der Finsternis, die ihn umgab, spürte er die Nähe des Morgens und schüttelte seine Federn, um den Tau der Nacht daraus los zu werden, und dann – es hielt ihn einfach nicht mehr – begann er zu krähen, so laut er nur vermochte.
»Was für eine prachtvolle Stimme Sie haben«, sagte eine Feldmaus, die unter dem Torfhaufen ihre Wohnung hatte und in ihrer Neugier bis auf die obersten Torfziegel geklettert war.
»Werda?« fragte der Hahn und sah sich um, denn er bemerkte niemand.
»Ich heiße Ida«, sagte die Maus, hob ihr Näschen in die Höhe und setzte sich auf die Hinterbeine, um ein wenig größer zu erscheinen und sich in dem blassen Mondlicht bemerkbar zu machen. »Ida Feldmaus, jawohl.«
»Ach so«, beruhigte sich der Hahn. »Ida, das ist ein niedlicher Name.«
»Nicht wahr? Aber Sie dürfen nicht wieder so ein Geschrei machen. Das ist unvorsichtig. Wir haben es uns in unsrer Familie längst angewöhnt, im Flüsterton zu sprechen. Höchstens, daß wir einmal ein wenig pfeifen. Das klingt gut und ruft so leicht niemand herbei, der uns nicht grün ist. Haben Sie hier oben genächtigt?«
»Allerdings«, sagte Hinnerk.
»Darum wünschen Sie vielleicht dauernd hier wohnen zu bleiben? Nein? Schade. Ich hätte gern ein wenig Gesellschaft in der Nähe gehabt. Es ist so selten, daß man jemand trauen kann. Ich wohne hier seit dem Frühjahr. Aber da war der Torfhaufen noch nicht da. Es ist eine schöne Gegend hier. Man lebt wie im Paradies. Aber nun habe ich keine Zeit mehr«, setzte sie hinzu und putzte sich eilig das Näschen. »Ich habe Kinder, jawohl. Und gleich sieben auf einmal, was sagen Sie? Eine glückliche Ehe? Wie man's nehmen will . . . Jeder hat nun mal sein Päckchen zu tragen. Mein Mann –«
Ja, wo war sie denn mit einmal geblieben? Husch war sie im Torfhaufen verschwunden.
»Schade«, sagte die Eule, die sich eben auf dem Torfhaufen niederließ. »Aber daran sind nur Sie schuld.«
»Wieso«, fragte der Hahn, der sich ebenso erschreckt hatte, wie die Maus.
»Wieso? Wieso? Knapp! Knapp! So eine Frage! Sie sitzen überhaupt immer da, wo Sie nicht hingehören. Sind Sie nicht derselbe, der gestern Nacht auf meiner Birke schlief?«
»Ist dies vielleicht auch Ihr Torfhaufen hier?« fragte Hinnerk zurück und ärgerte sich.
»Ist er vielleicht Ihr Eigentum?« verwunderte sich die Eule und rollte die Augen. »Bei Nacht gehört mir alles, was Sie sehen, oder vielmehr nicht sehen. Denn dann schlafen Sie ja. Wie lange wollen Sie sich überhaupt noch in der Gegend umhertreiben?« setzte sie hinzu. Aber sie wartete die Antwort nicht ab und flog davon. Ja, das war eine unangenehme Dame.
Hinnerk freute sich nicht wenig, als es nun im Osten zu tagen begann, und kaum, daß die ersten Sonnenstrahlen am Himmel aufschossen, flog er von seinem Torfhaufen herab und wollte sich soeben wieder auf den Weg machen, als er sich von neuem angeredet hörte.
»Wie schade, daß Sie schon gehen! Sie haben sich vorhin wohl sehr erschreckt? Ja, das war ein unheimlicher Besuch.«
»Sehr«, sagte Hinnerk.
»Aber vielleicht kommen Sie die nächste Nacht wieder hierher?« fragte die Feldmaus. »Ich habe Ihnen noch so viel zu erzählen.«
»Nein«, sagte Hinnerk. »Darauf rechnen Sie bitte nicht.«
»Wie schade das ist«, bedauerte die Feldmaus. »Wissen Sie, mein Mann macht es mir mitunter wirklich nicht leicht, trotzdem wir noch gar nicht so lange verheiratet sind.«
»Darüber müssen Sie sich mit Ihrem Mann unterhalten«, sagte Hinnerk und ging davon. Nein, die Maus war keine Gesellschaft für ihn . . . Dazu hungerte ihn. Er war wirklich ein wenig ungeduldig geworden bei ihrem Geschwätz.
Da tauchte zu seiner Freude ein Haferfeld vor ihm auf, und eilig lief er hin und begann sich zu sättigen. Die Haferkörner waren noch weich und milchig und schmeckten vortrefflich. So gut hatte er lange nicht mehr gespeist.
»Haben Sie hier vielleicht ein Recht zu fressen?« rief ihn ein Moorhuhn an, das mit seinen halberwachsenen Jungen am Haferfeld vorüber kam.
»Genau so viel Recht wie Sie, sollte ich meinen«, antwortete Hinnerk. Aber da kam er schön an!
»Sieh doch diesen Burschen an«, schrie das Moorhuhn und rief entrüstet ihren Mann herbei, der ein wenig zurückgeblieben war. Der senkte seine Flügel und kam wie ein Ungewitter herangebraust. »Machen Sie sofort, daß Sie weiterkommen, Sie Strauchdieb!« schrie er, kaum daß er Hinnerk erblickt hatte. »Geht zur Seite, Kinder, dann werde ich es ihm zeigen!«
Ja, das gab einen Kampf! Die Federn flogen nur so. Aber Hinnerk war der Kamm geschwollen. Sollte er vor dem Fremden vielleicht die Flucht ergreifen? Er, der mit dem Wiesel gekämpft hatte?
Ritsch! ging es, wenn sie gegeneinander sprangen, und ritsch und ratsch und Flügelschlag, Sporenhieb und Schnabelstoß . . . Der Moorhahn war schnellfüßig und gewandt und hatte schon manchen Strauß in seinem Leben hinter sich. Aber Hinnerk stand seinen Mann und hätte den Moorhahn zuletzt sicher überwunden und in die Flucht geschlagen, wenn nicht der Bauer des Weges gekommen wäre, dem das Haferfeld gehörte. Wenn ihn die Hähne im Eifer des Kampfes auch nicht bemerkt hatten, die Henne erhob plötzlich ein solch warnendes Geschrei und schwirrte mit den Jungen so hastig ab, daß auch der Moorhahn aufmerksam wurde, seinen Gegner verließ und den Seinigen folgte.
Der Bauer ärgerte sich nicht wenig, als er die heruntergetretenen Haferhalme auf dem Kampffeld der Hähne sah. Aber er erstaunte, als er Hinnerk, der sich vor Menschen nicht scheute, nach alter Gewohnheit aus vollem Halse seinen Sieg verkünden hörte.
»Was dat for een?« sagte er und schlich sich heran, um den Hahn zu Gesicht zu bekommen, der sich so mutterseelenallein hier im Moor umhertrieb. Da erkannte er denn Anntje Kiekuts Hahn, der seit drei Tagen aus dem Dorf verschwunden war und von dem alle gemeint hatten, daß ihn der Fuchs geholt hätte.
»So'n Racker!« sagte der Bauer und sprang hinzu, um Hinnerk zu greifen, kriegte ihn auch wirklich beim Schwanz zu fassen, nahm ihn auf den Arm, packte ihn bei den Beinen und schob den Kopf des Tieres unter seine Jacke. So trug er ihn eine Stunde weit ins Dorf zu Anntje Kiekuts Haus.
Hinnerk wußte im ersten Schrecken kaum, was ihm geschah. Sehen konnte er nichts, und wenn er nicht klüger gewesen wäre als andre seines Geschlechts, hätte er meinen können, man hätte ihn unversehens mit dem Kopf in ein Maulwurfsloch gesteckt, so finster war es vor seinen Augen.
Ja, das war eine schöne Bescherung! Sicher ging es ihm nun an Kopf und Kragen! Er versuchte, die Beine loszukriegen, aber die Faust des Bauern war wie aus Eisen und ließ nicht locker.
»Rate mal, wen ich hier habe«, sagte der Bauer, als er bei Anntje Kiekut auf die Diele kam. Anntje schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
Hinnerk, ihr Hahn! Nein, so etwas!
Wundert es jemand, daß er drei Tage unter den Kückenkorb gesperrt wurde, damit ihm seine Ausreißerideen vergingen?
Aber dann gab ihm Anntje eines Morgens die Freiheit wieder, und als Hinnerk nun wieder mit seinen Hennen vereinigt auf den Hof hinausspazierte und zum erstenmal wieder auf den Schweinekoben flog und aus vollem Halse zu krähen begann, war er mit seinem Los doch zufriedener, als er sich den Anschein geben wollte.
»Nun, wie gefällt es Ihnen wieder zu Hause?« fragte der Storch, der auf dem Nachbarhaus saß und an seinem langen Schnabel entlang auf ihn herabsah. »Haben Sie meine Grüße bestellt und stehen die Pyramiden noch?«
Aber Hinnerk antwortete ihm nicht darauf.