Wilhelm Scharrelmann
Das Fährhaus
Wilhelm Scharrelmann

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6

Am Morgen kroch er verschlafen aus dem Heu, wusch sich aus einem Eimer und machte sich nach dem Morgenbrot auf, um weiter zu wandern.

Es war nebelig, und über Nacht war Tauwetter eingetreten.

»Spindler,« sagte ich, »es ist unmöglich. Sie wollen doch nicht noch einmal über die Wiesen gehen? Dazu taut es heute.«

Er sah mich aus seinen kindlichen Augen an, wiegte den Kopf und sagte leise: »Es geht doch nicht anders.«

»Behalten kann ich Sie natürlich nicht. Sie sehen, ich habe nur das eine Zimmer, und Sie können nicht jede Nacht da im Heu liegen. Ich fahre Sie mit meinem Boote zum Fährhaus. Der Fluß hat nicht zu viel Eis heute und vielleicht geht es. Von dort haben Sie einen sicheren Weg zum Bahnhof. Sie fahren in die Stadt und sehen zu, daß Sie Arbeit bekommen.« 64

»Schon recht,« nickte er, kraute sich aber so verlegen dabei hinter den Ohren und sah so unglücklich aus, daß ich deutlich genug merkte, wie wenig ihm mein Vorschlag paßte.

»Das mit der Stadt habe ich mir eigentlich über Nacht schon wieder aus dem Kopfe geschlagen,« gestand er dann. »Sehen Sie, ich komme hin, suche Arbeit, heute, morgen, übermorgen, eine Woche durch. Dann muß ich doch wieder weiter. Mein Geld reicht nicht länger.«

»Da wollen Sie lieber gar keinen Versuch machen? Um diese Jahreszeit können Sie doch nicht tippeln, Mann.«

Er antwortete nicht, sah trübe zum Fenster hinaus, seufzte und schien zu überlegen.

»Ich bin ja schon oft als Bauernknecht gegangen,« sagte er zuletzt, »da werde ich auch diesmal schon irgendwo wieder unterkommen.«

»Jetzt im Winter – wo jeder Bauer froh ist, wenn er keine Dienstboten zu unterhalten braucht?«

Aber er mochte von meinen Einwänden nichts hören, wollte auch nicht zum Fährhaus. Denn von dort gab es nur einen Weg, und der führte zum Dorfe zurück, und keine zehn Pferde brächten ihn auch nur für eine Stunde wieder dahin. Ich sollte ihn lieber über den Fluß setzen. Er werde dann schon zurechtkommen. Die Wiesen auf der anderen Seite seien vielleicht nicht so arg. In einer Stunde sei er sicher auf der hohen Geest.

Er war nicht umzustimmen, und so blieb nichts anderes, als zu versuchen, das Schiff loszumachen.

Das war aber leichter gesagt, als getan. Es lag umgestülpt an der Warf, war dazu am Boden festgefroren und mußte erst mit der Axt losgehauen werden.

Nach einer Stunde endlich konnten wir es ins Wasser 65 schieben. Das Eis am Ufer zerbrach unter seinem Gewicht, und der Fluß führte nur wenige Schollen, so daß alles besser ging, als ich erwartet hatte.

Der Nebel hatte sich etwas gelegt, und die Sonne brach für einige Augenblicke durch die Wolken, als ich das Boot wieder auf das Land zog. Dann sank die Landschaft wieder in das einförmige Grau des Wintertages.

Als ich nach dem Alten ausschaute, sah ich ihn auf der anderen Seite des Flusses sich langsam über die Wiesen entfernen, bis er in der nebeligen, grauen Luft meinen Blicken entschwand.

»So geht jeder eigensinnig seinen Weg,« dachte ich, als ich das Boot wieder aufs Ufer gezogen hatte und in meine Hütte zurückkehrte. »Den einen treibt's, den andern hält's. Im Grund wird keiner dabei viel klüger tun als der andere.« So hartnäckig wie der Alte darauf bestanden hatte, in der Richtung zu bleiben, die er einmal eingeschlagen hatte! O, ich hatte das gut verstanden. Hatte man nicht auch mich im Leben wieder und wieder auf Wege drängen wollen, die gewiß bequemer gewesen wären, als es der meine war?

Acht Tage darauf war das Eis auf Fluß und Wiesen unter dem südlichen Winde geschmolzen. Das einförmige stumpfe Grau des Himmels hatte wieder ziehenden Wolken Platz gemacht, und die Wiesen waren bei dem gesunkenen Wasserstande im Flusse wieder zu begehen. Die Gräben standen freilich bis zum Rand voll Wasser, aber mit einem Kluvenstaken konnte ich selbst die breitesten nehmen. Es war herrlich, mit einem Schwung hinüber zu setzen, und ich konnte wie früher in einer halben Stunde im Fährhause sein. Es war aber selten, daß ich hinüberging. Ich hatte kein Verlangen nach Gesellschaft, und empfand 66 die Einsamkeit nicht mehr, nun ich sie, wenn ich wollte, jeden Augenblick unterbrechen konnte.

Eines Nachmittags kam der Pastor zu Besuch. Er hatte seinen Springstock mit, und ich sah ihn schon von weitem, wie er sicher und gelassen wie ein Bauer über die Gräben setzte. Einmal verlor er dabei den Hut. Er mußte zurückspringen, um den Ausreißer wiederzuholen.

»Hallo!« rief er, als er sich meiner Hütte näherte und mich auf der Warf stehen sah: »Ich wollte mich doch einmal nach Ihnen umsehen.«

»Da bin ich wohl nur der Vorwand,« antwortete ich und lächelte.

»Nein, nein,« wehrte er sich. »Der Hund wird es schon hier draußen aushalten. Nun, wie macht er sich? Hat die Rattenplage abgenommen?«

»Da die Wiesen wieder trocken sind, ja. Aber er lernt es, davon bin ich überzeugt.«

Gram war wie toll. Er hatte den Pastor sofort an der Stimme erkannt, winselte und bellte in der Hütte und kratzte hinter der Tür.

»Ah, Sie haben es sich wirklich ganz wohnlich gemacht hier drinnen!« sagte der Pastor, als wir auf die Diele traten. »Und sogar eine Ziege haben Sie sich erstanden? Sieh doch an! Woher Sie das nur alles kennen – melken, meine ich, und füttern, und was sonst damit verbunden ist? Ziegen sind nämlich gar nicht so leicht zu behandeln, wie viele Leute meinen. Sie stammen wohl vom Lande?«

»Ach,« dachte ich, »jetzt fängt er an, dich auszuhorchen.«

»Nein,« antwortete ich kurz, »ich bin ein Stadtkind.«

»Und doch eine solche Neigung zum Leben auf dem Lande und zur Einsamkeit? Das verwundert mich wirklich. Ich würde ja meine kleine Landpfarre auch nicht mit einer 67 Stellung in der Stadt vertauschen. Aber daß Sie als Städter so sehr die Zurückgezogenheit lieben – im Dorfe hält man Sie bereits für menschenscheu! Wunderliche Dinge, die dort über Sie umgehen,« setzte er hinzu und lachte ein wenig gezwungen.

Es war gut, daß Gram da war und ihm keine Ruhe ließ. Immer wieder sprang er an ihm auf, lenkte ihn ab und bedrängte ihn so, daß er Mühe hatte, sich seiner zu erwehren.

In meiner Stube gab es ein neues Erstaunen.

»Wirklich, so traulich habe ich es bei Ihnen nicht erwartet . . . Meine Frau wollte es überhaupt nicht glauben, daß jemand auf die Idee verfallen könnte, in dieser alten, verlassenen Hütte zu hausen . . . Wie machen Sie es übrigens mit der Wäsche? Sie lassen wohl im Fährhause waschen? Ausgezeichnete Leute, die jungen Behrens.«

Er sprach und ich schwieg, kochte Kaffee und bot ihm zu rauchen an. Seine Neugier verdroß mich und machte mich noch verschlossener, als sonst schon meine Art war,

»Wie hält es denn die Post mit Ihnen?« fragte er. »Der Briefträger geht doch nur bis zum Fährhause, so viel ich weiß?«

»Ich bekomme keine Briefe,« sagte ich. »Wer sollte mir schreiben?«

»Sie stehen ganz allein?« fragte er und schob die Augenbrauen hoch.

»Für den Fall, daß wirklich einmal ein Brief für mich da ist, zieht Behrens am Bootshaus eine Flagge auf. Ich weiß dann Bescheid und hole ihn mir, sobald es sich macht.«

»Da sind Sie ja sehr anspruchslos. Zeitungen lesen Sie wohl auch nicht?« 68

»Nicht regelmäßig.«

Er merkte wohl, daß er nicht ganz viel aus mir herausbekam, schwieg nachdenklich und fragte zuletzt: »Nun, und was treiben Sie? Sie können doch nicht den ganzen Tag nur die Ziege versorgen. Freilich, Arbeit macht ja so ein Tier schon,« setzte er hinzu und lächelte.

»O,« sagte ich, »da sind die Wiesen und der Fluß, die Bäume, der Wind, die Wolken, und in manchen Nächten die Sterne . . . Und dann ist ja auch Gram da.«

»Gram?« fragte er verwundert. »Haben Sie den Hund Gram genannt? . . . Seltsam . . .«

»Sie mögen den Namen nicht?«

Er antwortete nicht, sah mich nur einen Augenblick lang aus seinen lebhaften, kleinen Augen an und senkte dann den Blick auf seine Fußspitzen.

»Nun verstehe ich Sie,« sagte er leise und legte mir die Hand auf die Schulter. »Ich weiß nur nicht, ob in solchen Fällen die Einsamkeit das richtige Heilmittel ist . . .«

Er war wohl unsicher, ob er noch weiter gehen dürfe, wartete darum meine Entgegnung nicht ab und begann unvermittelt:

»Sie sind Graphiker, nicht wahr?«

»Ich mache Holzschnitte, ja.«

»Kann man nicht einmal etwas sehen?«

Er nahm, ohne lange zu fragen, eine meiner Platten, die ich an die Wand gelehnt hatte, hob sie ans Licht und betrachtete die halbfertige Arbeit.

»Mein Gott, wie mühselig das sein muß, so Faser für Faser aus der Fläche zu heben. Aber ich verstehe nicht recht, was wird das?«

»Ein Buch. Es sind zwölf Bilder dafür geplant.« 69

»Also Illustrationen zu einem Buche?«

»Nein. Es ist das Buch selber.«

»Ich verstehe nicht. Sie schreiben selber auch den Text dazu?«

»Das Buch bekommt keinen Text.«

»Ah so. Sie wollen so etwas wie eine Erzählung in Bildern geben, so zu sagen? Und welches Thema haben Sie sich dafür gewählt?

»Die Schöpfung des Menschen.«

Er blickte überrascht zu mir herüber. »Eine merkwürdige Aufgabe, die Sie sich da gestellt haben,« sagte er dann. »Aber wenn Sie meinem Verständnis ein wenig nachhelfen wollen?«

»Hier auf der ersten Platte haben Sie den Menschen, wie er im Urzustande war, noch ohne Berührung mit der Materie, den Genius des Lichtes zu seiner Seite. Auf der zweiten Luzifer, den Repräsentanten des Eigenwillens, den Erstgeborenen Gottes, noch vor seinem Fall, in der strahlenden Schönheit der himmlischen Welt . . . Auf der dritten die Abkehr Luzifers vom Licht; auf der folgenden seinen Fall in die Materie; auf der vierten den Saturn, den von Luzifer erschaffenen Stern, den Weltkörper, den Luzifer sich erbaute, um der Schöpfung Gottes eine eigene entgegen zu stellen. Auf der fünften, sechsten und siebenten von Luzifer erschaffene geistige Wesen, mit denen er seine Welt bevölkerte und sich Hilfskräfte zum Kampf gegen die Engel des Lichts erschuf. Auf der achten seinen ersten Versuch, den himmlischen Menschen für seine Welt zu gewinnen. Aber noch ist der Mensch zu sicher in sich selber. Er weist Luzifer ab und wendet sein Auge von neuem dem Lichte zu . . . Die nächsten Bilder können Sie ohne jede Erklärung verstehen, nicht wahr? Hier auf dem 70 zwölften Blatt wird dann sein Sieg über den Menschen dargestellt. Es gelingt ihm, den Sohn des Himmels in die Welt der Materie hinabsinken zu lassen . . . Die Tragödie des Menschen beginnt. Auf der nächsten Platte will ich darzustellen versuchen, wie der Mensch nach seinem Fall als Urmensch in den Wäldern dieser Erde erwacht. Luzifers Werk scheint gelungen, aber langsam beginnt der Mensch sich auf das zu besinnen, was er verlor . . . Nur eine traumhafte Erinnerung an sein Leben in den Himmeln der geistigen Welt ist ihm geblieben – und vor ihm liegt ein Leben der Entbehrung, des Kampfes und der Materie, – der langsame Aufstieg des Menschen, wie wir ihn kennen, vom Höhlenbewohner bis zum Menschen unserer Tage.«

Der Pastor war still geworden. Er betrachtete die Platten, soweit sie bereits ausgeführt waren, und lehnte sie dann schweigend wieder an die Wand.

»Merkwürdig,« sagte er, und blieb vor mir stehen. »Natürlich werden Sie kein Urteil von mir über die künstlerische Seite Ihrer Arbeit erwarten. Dafür habe ich wohl nicht das richtige Verhältnis zur Kunst . . . Aber wie ein Mensch in unseren Tagen auf diesen alten Mythos verfällt – heute, wo fast jeder auf naturwissenschaftlichem Boden steht – sehen Sie, da liegt für mich das Problem. Sich in diese alte Moorhütte zu setzen, kilometerweit von jeder menschlichen Wohnung entfernt – denn das Fährhaus zählt nicht – und dort in der Stille solchen Dingen nachzugehen – das ist es, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Sie müssen sehr Schweres erlebt haben, daß Sie darauf verfallen konnten . . . Aber Sie dürfen nicht annehmen, daß ich damit etwas ans Ihnen herauslocken will, beileibe nicht. Seelsorgerische 71 Zudringlichkeit liegt mir nicht, ja, ich hasse sie. Schließlich bleibt doch hinter allem Erleben ein Rest, den jeder mit sich selber ins Reine bringen muß. Aber nun verstehe ich, wie Sie hier in dieser Einsamkeit mutterseelenallein hausen und an den Sternen, an Wind und Wolken genug haben können, – ich glaube, Sie haben sich nicht die schlechteste Gesellschaft erwählt.« –

Er verabschiedete sich, und ich trat mit ihm vor die Hütte.

»Wenn einmal die Einsamkeit hier Sie zu quälen beginnt, vergessen Sie nicht, daß ich zu jeder Zeit für Sie zu sprechen bin,« sagte er und reichte mir die Hand. »Ich sitze hier seit Jahr und Tag inmitten meiner Bauern, und wenn Sie wollen, können Sie gerne sagen, daß ich ein wenig mit ihnen verbauert wäre. Aber ich springe mit meinem Kluvenstock hier lieber über die Gräben, als daß ich im schwarzen Rock durch die wohlgepflasterten Straßen der Großstadt laufe. Jeder nach seinem Geschmack, nicht wahr? Auch in meinem Leben ging nicht alles so glatt, wie man es sich in der Jugend wünscht und denkt . . . Aber das sind Dinge, die wir vielleicht später einmal miteinander besprechen. Jeder hat sein Päcklein zu tragen, und mancher einen ganzen Packen . . .«

Gram sprang vor Freude an ihm auf und schoß ein Stück über die Wiesen voraus, um ihn zu begleiten.

»Sperren Sie ihn solange ein,« riet der Pastor. »Er ist imstande und läuft mit mir ins Dorf, und Sie haben nachher nur die Mühe, ihn wiederholen zu müssen.«

»Nein, lassen Sie ihm seinen Willen,« sagte ich. »Sollte er wirklich mit Ihnen laufen, so behalten Sie ihn bitte, ich verzichte dann auf ihn. Denn wenn er nach den Wochen, in denen ich ihn bei mir gehabt habe, den Pfarrhof vorzieht – gut.« 72

Der Pastor lächelte. »Ich bitte Sie,« sagte er, »ein unvernünftiges Tier! Aber wie Sie wollen. Ich will ihn weder locken noch von mir jagen. Mag er also selber entscheiden, wohin es ihn zieht.«

Er ging, und ich kehrte in meine Hütte zurück und sah vom Fenster aus den beiden nach.

Ausgelassen vor Freude setzte Gram neben dem Pastor über die Gräben. Ich sah, er war mir verloren.

Enttäuscht nahm ich ein Buch und begann zu lesen. Aber es hielt mich nicht, und als ich es aus den Händen legte, überfiel mich eine Einsamkeit, die von einer hallenden Leere war, wie ein ausgeräumtes Zimmer, in dem man vor dem Geräusch der eigenen Schritte erschrickt.

Ich ging hinaus um die Ziege zu füttern.

»Natürlich,« sagte ich, »wenn ich Dir den Stall öffnete, und Du wüßtest den Weg, – Du liefst gewiß auch zu Mutter Schröder zurück, von der ich Dich geholt habe!« warf die Heugabel in ihre Ecke zurück und stieß den leeren Tränkeimer mit dem Fuße nach, so kindisch war ich.

Nach einer Stunde war Gram wieder da.

Er saß vor der Tür, bellte und winselte, um eingelassen zu werden.

»Gram, mein Hund,« sagte ich, und eine Welle von Freude und Zärtlichkeit durchströmte mich.

Jetzt wußte ich, daß er mir gehörte! Ich hatte ihn verlassen, nicht er mich . . .

Der Abend wurde einer der schönsten, die ich in meiner Hütte erlebte.

Draußen stand eine sternschimmernde Winternacht. Der leise Frost, der mit der sinkenden Dunkelheit eingesetzt hatte, machte die Luft klar und trocken. Die Ebene lag wie ein mit Silberfäden durchwirkter Teppich, und die Sterne 73 schimmerten in einem Glanz, als wäre ihnen die Erde auf ihrem Fluge durch den unendlichen Raum um ein Stück näher gekommen.

Ich ging an meine Arbeit zurück und versuchte, das Gesicht der Eva, an dem ich beschäftigt war, mit dem Messer aus der Platte zu heben.

Natürlich ist es Dina, die da vor mir entsteht, ihr Auge, ihre Stirn, die süßen Lippen ihres Mundes.

Denn es ist die himmlische Eva noch, die ich zu bilden versuche, – das Wort Luzifers hat ihre Seele noch nicht berührt.

Aber es gelingt mir nicht recht. Das Urbild meiner Träume ist unendlich schöner, als alle Striche auf meiner Platte es sagen und zu sagen vermögen.

Ich gebe ihr eine Gloriole, um das Heilige ihres Wesens auszudrücken, – denn noch ist sie nicht gefallen und mit dem Manne hinabgesunken in die Welt der Materie. Weich fließt das lange Haupthaar über den nackten Körper . . . Wenn ich malte, würde ich es goldblond malen und sanft gewellt, wie die Alten es taten in der frommen Hingabe ihrer großen Seelen . . .

Über der Arbeit überkommt mich eine Sehnsucht nach Dina, daß ich das Messer aus den Händen lege und auf die Diele trete.

Das Feuer brennt dort auf dem niedrigen Herde, und der Kessel summt leise in der Stille, die so groß ist, daß ich die Ziege vorn im Hause hinter ihrem Stallpfosten wiederkäuen hören kann.

Ein Verlangen überfällt mich zu reden, die schweigende Stille im Hause mit Worten zu erfüllen.

»Gram, mein Hund, komm her,« sage ich und nehme seinen Kopf auf meine Knie. 74

So sitzen wir auf der Diele am Feuer, das mit blauen, zuckenden kleinen Flammen brennt.

»Laß Dir erzählen, Gram . . .«

Denn heute hat die Freundschaft zwischen ihm und mir ihre erste Probe überstanden. Ich kenne ihn nun und weiß, daß er zu mir gehören will. Von jetzt ab kann ich mit ihm reden, wie mit einem Freunde.

»Ist es möglich, zu denken, Gram,« sage ich, »daß auf dieser selben Erde, die unsere Wiesen trägt, diese Hütte und das Fährhaus drüben, unser Dorf mit seinen Häusern und Viehställen und dem Pfarrhof – du kennst doch den Pfarrhof, Gram, denselben, auf dem du aufgewachsen bist, meine ich – daß es auf dieser selben Erde Länder gibt, in denen Palmen wachsen, Palmen an blauenden Meeren, Gram, die unter einer Sonne liegen, wie sie uns hier in unserm Lande niemals scheint? Doch wir, – höre zu, mein Hund, was ich dir sage, – wir werden Jahr für Jahr aus kurzen Sommern in nordische trübe Winter sinken, indes in jenen Ländern alle Glut des Himmels steht und lächelnd auf uns wartet . . .

Ist das zu denken, Gram?

Nein, werde nicht ungeduldig, mein Hund. Du kannst nicht hinüberlaufen wie ins Dorf . . . Es ist weiter, als du denken kannst, viel weiter. Man muß zu Schiff gehen, weißt du? Nein, nicht in ein so kleines Boot, wie das vor unserer Hütte, ein Schiff, das über Ozeane fährt, mit seinem Kiel das Meer aufwühlt und hinter sich zu Schaum zerreibt . . .

Ja, wenn wir mit unserm Boot hinüber könnten! Wir würden dem alten Kristoffer gut zureden und das braune Moorsegel setzen, das da drüben in der Ecke um seinen Mast gewickelt lehnt. Du würdest vorn im Schiffe 75 sitzen und Ausschau halten, und ich würde mit dem Winde reden: Vorwärts, Kristoffer, vorwärts, alter Bursche! Merkst Du nicht, wie ungeduldig wir sind, Gram und ich? Haha, hast Du sie nicht selber im vorigen Herbste viel zu gern in den Arm genommen, wenn Du im Moore über die Wiesen kamst – was lachst Du da über mich und meine Sehnsucht? Tu nur nicht so. Du erinnerst Dich ganz gut, und besser, als Du merken lassen willst . . .«

Gram sieht mich aus seinen dunklen Augen an, bewegt bei jedem Satze, den ich sage, aufmerksam die Ohren und macht eine Miene, als wollte er sagen: Ja, was zögerst Du denn? So komm doch! Ich für mein Teil bin bereit. Ob Indien oder der Nordpol ist mir gleich.

Ich ziehe auch noch seine Vorderpfoten auf meine Kniee und drücke seinen Kopf an meine Brust. So sitzen wir an dem alten verräucherten Herde, während über dem Dach unserer Hütte die Sterne wandern und Schrödersch verwundert zu uns herüber blickt.

»Fritt Du man, Schrödersch,« sage ich, denn mit ihr muß man plattdeutsch reden. Sie hat in Diemenbusch kein Hochdeutsch gelernt.

Halloh, was hat Gram denn mit einem Male? Er springt über die Diele, stößt wild und knurrend in den Ziegenstall, daß Schrödersch kettenrasselnd in die Höhe fährt.

Da kommt er schon zurück.

Er hat eine Ratte gefangen!

»Brav, mein Hund,« lobe ich ihn, aber ich bringe es nicht über mich, ihn zu streicheln, einen so unbezähmbaren Widerwillen habe ich gegen die Beute, die er in seinem Maule trägt.

Es fällt mir schwer zu glauben, daß Gott auch diese Wesen schuf. 76

Nur widerwillig läßt Gram die tote Ratte los. Vom Ekel erfüllt, nehme ich sie auf die Schaufel, trage sie vor die Hütte und schleudere sie in den Fluß.

Gram will durchaus ins Wasser, sie wiederzuholen . . . ich habe Mühe, ihn zurückzuhalten.

»Und wäre auch die ganze Erde mit ihrem Leid ein Werk der dunklen Mächte – Dina hat Gott erschaffen!«

Ja, das denke ich, während ich mich wieder ans Feuer setze.

Wie? sind nicht schon viele Wochen darüber hin, daß ich sie zum letzten Male sah, und ist meine Sehnsucht nach ihr nicht mit jeder Meile, die zwischen uns trat, nur größer geworden?

Die Flamme zuckt, der Torfrauch quillt, Gram streckt sich vor dem Feuer aus, und um uns brandet das dunkle Meer der Nacht.

 


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