Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII.

Als ich erwachte in der Frühe,
Allmählig ward ich inne und mit Mühe,
Was ich erlebt, sei nur Vision
Gewesen und in Nacht zurückgeflohn.
Ins offne Zelt, in dem ich lag,
Mit erstem Schein schon glomm der Tag
Und außen unter den Ruinen sitzend,
An einen hingesunkenen Altar
Das Haupt sich mit der Rechten stützend,
Erblickt' ich Ali. Wunderbar
War seiner Züge Ausdruck, wie noch nie.
Auf seinem halbgeschlossnen Augenliede
Gebettet lag ein sanfter Friede,
Wie Einem, dem in Harmonie
Sich alle Erdenkämpfe lös'ten,
Und Ehrfurcht in die Seele flößten,
Fast wie das Antlitz eines Gottes,
Mir seine ernsten, feierlichen Mienen;
Kaum glauben mocht' ich, daß ich sonst in ihnen
Des Hohns Ausdruck gesehn, des Spottes. –
Ich stand ihm lang zur Seite schon,
Als er aufblickte, doch zuerst noch stumm,
Nachdenkend blieb; im frühern Ton
Anhub er endlich wiederum:
»Ei sieh! Für immer unsrer Zeit entflohn
Dich glaubt' ich; was hat dich zurückgeführt?
Schwur doch, eh' er des Bechers Rand berührt,
Dein Mund mir zu, nie wieder vor dem Tode
Verlassen würdest du die Weltperiode,
In die du dich so heiß gesehnt.
Fast glaub' ich drum, du machtest die Entdeckung,
So herrlich nicht, wie du gewähnt,
Sei jene Zeit der Wiederauferweckung
Von Kunst und Wissen der Hellenen;
Vielleicht erlebtest selbst du ein'ge Scenen
Von Mittelalter-Barbarei,
Die noch in Raffaële's Tagen spuckte;
Denn heute früh im Schlaf durchzuckte
Entsetzen dich, und einen Schrei
Ausstoßen hört' ich dich vor Angst;
Nun! daß du heil zu uns zurückgelangst,
Wenn auch dein Weib den Flammentod erlitt,
Wünsch' ich dir Glück!«

Er hieß zu Roß mich steigen,
Und sank, indeß er mir zur Seite ritt,
Nochmals zurück in tiefes Schweigen.
Wenn oft schon, ob er auch zum Trank mich lud,
Ein fremder Ernst auf seiner Stirn geruht,
Nun mehr als je sah ich auf seinem hagern
Gesichte des Gedankens Stille lagern.
So wundersam erschien der Widerspruch
In seinen Worten, seinem Wesen,
Daß schon – es hätte unsern Bruch
Herbeigeführt – die Bitte, ihn zu lösen,
Sich mit Gewalt auf meine Lippen drängte.
Als hätt' er dessen Ahnung, sprengte
Auf einmal mit der Hast des Sturmes weiter
Des Wegs mein seltsamer Begleiter,
Und auf den Lippen blieb zum Glück
Mir das vorwitz'ge Wort zurück.
Einholt' ich endlich ihn. Wir zogen
An Aquädukten, Tempeln, Siegesbogen
Verschollner Städte hin; doch bald
Verlor sich unser Pfad in dichten Wald,
Der mit Bananen, Sykomoren
Sich aus geborstner Mauern Spalt
Nun wuchernd hinschlingt über alte Foren;
Dazwischen lagen Seen von Asphalt,
Aus deren dunkler Wogenflut die Reste
Aufragten modernder Paläste.

Indeß mir, der ich schweigend ritt,
Das jüngst Erlebte noch am Geist vorüberglitt,
Hub Ali wieder an: »Nun, selbst erfahren
Hast du auf deinem Streifzug durch die Zeiten
Wie alle jene Herrlichkeiten,
Die du geträumt, nur Fabeln waren!
Mit Schuld und Elend immer gleich beladen,
Hinkeucht die Menschheit auf den Erdenpfaden,
Und glaube nicht, sie werd' in künft'gen Jahren
Sich besser als bisher gebahren!
Nur schlimmer wird und mißgestalter
Die Welt, je mehr sie naht dem Greisenalter;
Doch, ist dir noch die Täuschung nicht geschwunden,
Wohlan, so magst du's selbst erkunden!
Stets liebtest du zumeist der Länder eines,
Die schöne Heimath des Gesangs und Weines,
Die nebenbei den wahren Glauben
Vor allen andern cultivirt;
Dorthin sei denn von mir entführt
Und schwelge unter Myrthenlauben
In der Romantik Zaubernacht,
Die dich so lang gefangen hielt!
Aufsteigen soll sie dir in alter Pracht,
Als würd' ein Stück von Calderon gespielt;
Dich leiten will ich auf die Alameden,
Wo Liebe ihre zarten Fäden
Anspinnt, wie in den Mantel-Degendramen!
Ich zeige dir die holden Damen
Lope's Elviren und Ximenen
Wie sie wetteifern in Intriguen.
Träumen magst du beim Plätschern der Fontainen,
Auf denen sich die Mondenstrahlen wiegen,
Indeß der Klang der Serenade,
Die unter maurischer Arkade
Der Ritter vor dem Gitterfenster singt,
Und Castagnettenschall zum Ohr dir dringt;
Nur wähne dich, das ist mein freundschaftlicher
Rathschlag, alldort nicht allzu sicher,
Nein hüte dich vor den Gefahren,
Die dir auf Schritt und Tritt von Familiaren
Des heiligen Officiums drohn!
Selbst von Cervantes und von Calderon,
Obgleich du sie als Dichtungsriesen
In deinen Büchern hochgepriesen,
Erwarte keinen andern Dank
Als daß sie auf die Marterbank
Dich schleppen lassen von den Häschern!
In jenem Land der ächten Religion
Gebeut die Pflicht dem treuen Sohn
Der Kirche, jeden Ketzer einzuäschern. –
Nun? Keine Lust mir scheinst du zu bezeigen,
Zu des dreiein'gen Gottes Ehre
Den Scheiterhaufen zu besteigen?
Gut denn! du sollst die rein're Glaubenslehre
Jenseits der Alpen sich entfalten sehn!
Dort gibt es statt des Einen Papstes zehn,
Calvin, Melanchthon, Luther, Knox
Und wie die Uebrigen noch heißen;
Natürlich sind sie sämmtlich orthodox,
Doch möchten gern sich gegenseits zerreißen,
Und auf der Kanzel, dem Katheder
Verflucht den Andern in die Hölle Jeder.
Sie schmähn auf Ohrenbeichte und auf Messe
Als Teufelswerk und Mummenschanz,
Sie aber – Dank dem menschlichen Progresse! –
Ueben Vernunft und Toleranz.
Das wirst du sehn, wenn beim Chorale
Der Gläub'gen vor Geneva's Kathedrale
Für seine Zweifel an der Trinität
Servet bei Holzstoßfeuer langsam brät,
Wenn Reformirte, Lutheraner
Und all die andern Sekten voll humaner
Gesinnungen aus Scheiterhaufenbränden
Hexen im Rauch gen Himmel senden.
Zu Gottes höherm Ruhme thun sie das;
Darum, wofern du fromm bist, laß
Den Anblick dir den Geist erquicken
Und singe, wenn dir Rauch und Qualm
Im Hals die Stimme nicht ersticken,
Hübsch auf der Menschheit Fortschritt einen Psalm!
Fürwahr, sie schreitet weiter, immer weiter,
Und ferner noch auf ihrem Gang
Dir dien' ich gerne als Begleiter.
Ich will dir zeigen, wie jahrhundertlang
Europa's Völker wilden Thieren gleich
In Glaubenskriegen sich bestreiten,
Wie edlen Eifers, um das Reich
Des wahren Gottes auszubreiten,
Sie auf den neuen Weltmeerstraßen
Hinziehn mit heergefüllten Flotten,
Um ganze Völker, ganze Racen
Von Andersgläub'gen auszurotten
Und dann auf ihrer Leichen Schichten
Des Kreuzes Zeichen aufzurichten –
Wie Deutschland durch ein dreißigjähr'ges Morden
Zum großen Todtenfeld geworden –
Allein die köstlichste der Weltepochen
Ist hinterher erst angebrochen;
Mit ihren Zöpfen und Perrücken,
Erbfolgekriegen, Wachtparaden
Und dem Despotenthum von Gottes Gnaden
Wird sie vor allen dich entzücken.
O Zeit der Ludwige, der Pompadour,
Glückselige, wo bliebst du nur?
Warum nicht herrschen sie noch stets
In ihren Kaisertümern von Sedez,
Die Fürsten von Baireuth, von Zerbst und Hessen,
Von denen jeder sich Maitressen
Nach dem Versailler Vorbild hielt
Und, wenn beim Pharo er zuviel verspielt,
Alsbald in seinen Kassen die Defekte
Durch seine Landeskinder deckte,
Die er sich baar bezahlen ließ.
Ein Zustand war es wie im Paradies,
Und undankbar muß ich die Menschheit schelten,
Daß sie begehrte nach noch höherm Glück.
Doch nein! mein Wort nehm' ich zurück,
Denn diese beste aller Welten
Erklomm nachher noch höh're Stufen.
Wenn früher Priesterschaft und Königthum
Aus Sucht nach Gold, nach Herrschaft oder Ruhm
Bisweilen kleine Episoden schufen,
Die nicht das Volk nach seinem Wunsche fand,
Nun nahm es selbst sein Wohl in seine Hand,
Riß sich von Kirche los und Monarchie
Und glaubt', indem es Freiheit, Gleichheit schrie,
Zur Erd' herab könn' es den Himmel reißen;
O sei willkommen mir geheißen,
Du heiliges Millennium
Mit deinen Guillotinen und Noyaden,
Und deinem Glück von Volkes Gnaden!
Ich beuge mich vor deiner Glorie stumm.
In Wahrheit, bald gedieh so über Maßen
Das neue Erden-Himmelreich,
Daß seine Bürger frei und gleich
Beisammen im Gefängniß saßen
Und brüderlich in wahrer Herzensliebe
Sich gegenseits vom Hals die Köpfe schnitten.
Nur schade, daß die Menschen in dem Triebe
Nach immer höherer Voll kommenheit
Auf diesem Weg nicht fortgeschritten,
Dann hätten sie einander aufgerieben
Bis Keiner auf der Welt geblieben,
Und endlich wäre ausgelitten
Das alte immer gleiche Leid.«

So Ali. Stumm an seiner Seite war,
Das Ohr nur halb ihm leih'nd, ich hingeritten,
Indeß, mir selber halb erst klar,
Gedanken, die mit seinen stritten,
Empor in meiner Seele tauchten.
Dem alten Tmolus waren wir genaht,
Und frische Bergeslüfte hauchten
Uns labend an, wie wir den Pfad
Dahin durch seine wirren Schluchten zogen.
An uns vorbei mit halb versiegten Wogen
Glitt der Paktolus, der das Gold
In Krösus' Schatzhaus einst gerollt,
Und um uns her im Abendwinde wehte
Der Staub zerstörter Königsstädte.
Zuletzt als wir, im immergrünen Walde
Aufsteigend, um die Biegung lenkten,
Empfing uns eine Felsenhalde,
Von der sich westwärts die Gebirge senkten.
Und sieh! in letzter Abendglut,
Die ihre Purpur-Strahlenflut
Herabgoß, fernhin dämmernd lag sie da,
Die blühende Ionia!
Geblendet von den Sonnenflammen,
Lang schauten meine Augen nichts,
Als eine Fülle goldnen Lichts,
In welcher Erd' und Himmel schwammen;
Erst nach und nach stieg aus dem Glanz
Die schöne Schwester Griechenlands,
Die ewig jugendliche, auf;
Ich schaute Rebenhügel, grüne Thale,
Durchschlängelt von der Silberbäche Lauf,
Und weiße Marmorsäulen und Portale,
Die zwischen Ahornwipfeln glänzten,
Und drüberhin am blauen Mittelmeer
Smyrna in ihrer mastenwaldumkränzten
Ueppigen Bucht. Von Abend her
Bewimpelt glitten Schiffe mit den hellen
Westwindgeschwellten Segeln durch die Wellen,
Und ihnen, als Europa's Boten,
Schwang sehnsuchtvoll entgegen sich mein Herz;
Auf einmal da im dunkelrothen
Glutscheine, wie geschmolznes Erz,
Aufflammten höher Meer und Land.
Die Sonne sank an Chios' Klippenrand
Und ließ die tausend Mastenspitzen,
Gebirge, Inseln, Uferstrand
Im Zitterlicht noch einmal golden blitzen;
Allmählig dann in Dämmrung schwand
Alles zurück, ich aber stand,
Die Seele von dem Anblick trunken,
Noch lange da wie festgebannt;
Erst als die Nacht herabgesunken
Und mich ins Zelt der Sklave rief,
Aufs Lager streckt' ich mich.

Für Schlaf zu tief
War ich erregt, und fast wie Fieberkranken
Ging mir der Puls; noch einmal in Gedanken
Macht' ich die Irrfahrt durch die fernen Zeiten
Und Länder von geträumten Herrlichkeiten,
Von denen keine meinen Wunsch gestillt.
Dann vor die Seele wieder trat das Bild
Des Abendlandes mir, dem ich entflohen,
Und immer höhern Glanzes strahlte
Vor mir der ferne Welttheil auf; ich malte
Ihn mir im Geist mit allem Hohen
Und Herrlichen was er umschließt,
Wie dort allein die Saat des Schönen
In tausend duft'gen Blumen sprießt,
Nur dort in Farben und in Tönen,
Im Stein, zum Götterbild gestaltet,
Der Künste Frühling sich entfaltet.
»Wär' ich doch nie geflohen aus den Banden,
Mit denen mich die Heimat sanft umschlang!
Was fand ich in den Sonnenaufgangslanden
Für meines Herzens heißen Drang?
Mag reich mit tausendfachen Blüthen
Sie auch umwuchern die Natur,
Ein träges Träumen ist, ein dumpfes Brüten
Das Leben ihrer Söhne nur,
Ein stetes Kleben an den Schollen;
Was Jeder für sein ärmlich Dasein braucht,
Dahin nur geht sein Streben und sein Wollen.
Wie anders nicht, wie herrlich und erlaucht
Mit deinem Ringen, deinem Wissensdürsten,
Mit deinem Mühen um der Menschheit Glück,
Europa, stehst du da vor meinem Blick!
Was sind vor deinen Geistesfürsten
Die Welterobrer all und die Despoten,
Die über Trümmerhaufen, über Todten
Aufthürmten ihrer Herrschaft Bau?
O! auf das Tageslicht, das grelle,
Des Orients und seine ew'ge Helle
Mit Wonne grüß' ich deines Himmels Grau
Und deine Nächte, wo in stiller Zelle
Der einsam grübelnde Gedanke wacht!
Da holt aus tief verborgnem Schacht
Der Denker ungeahnte Weisheitsschätze
Und gibt dem Weltall die Gesetze,
Nach denen es hin durch den Himmel kreis't,
Und zählt die Jahr-Millionenzahl
Dem fernsten Fixstern vor, in der sein Strahl
Hernieder bis zur Erde reis't;
Da zeigt der Eine, wie der Raum, die Zeit
Nur Schatten sind, die in die Ewigkeit
Hinaus der Geist des Menschen wirft, da reißt
Ein Anderer die Götter alten Wahns
Aus ihren Himmeln auf die Erde,
Auf daß statt des zerriss'nen Weltenplans
Ein neuer nun der Menschheit Leitstern werde.

»Und o! die Banianenhaine
Kaschmirs mit ihren Lotosteichen,
Mit ihrem Sternensilberscheine
Und goldnen Sonnenglanze wie erbleichen,
Europa, sie vor deinen Sälen,
Wo leuchtend Bild sich reiht an Bild
Und von den Tizianen, Rafaelen
Der Schönheit Zauber auf uns niederquillt!
Wie stumm und öde gleich dem Todtenreiche
Erscheint das ganze weite Asien mir,
Wenn deinem kleinsten Stübchen ich's vergleiche,
In dem von Mozarts Tönen das Klavier
Erzittert und in Andachtstille
Die Seele den Akkorden lauscht
Und trunken in der Wunderfülle
Der Melodien sich berauscht.«

In Unrast so oft trat ich aus dem Zelte
Und spähte nach dem Himmelsrand,
Ob bald den Osten nicht ein Schein erhellte.
Der erste Lufthauch, der ein Segel schwellte,
Heimtragen sollt' er mich ins Abendland,
Gelobt' ich mir. »O Wahn, der mich befangen,
Daß ich in ferne Länder mich verbannt,
Ja gar in Zeiten, längst vergangen,
Gejagt von ruhelosem Seelenfieber,
Die Abenteuerfahrt gemacht.
Ein Jahr der unsern ist fortan mir lieber,
Als ein Jahrhundert von zuvor,
Denn auf der Welt lag eine große Nacht,
Bevor sich der Erkenntniß Thor
Vor ihr erschloß und jene Riesengeister,
Die Führer zu der Menschheit Siegen,
Wie Sterne auf am Himmel stiegen,
Eh Galilei, Kepler, Newton
Und Humboldt, mein erhabner Meister,
Die Schleier hoben, die auf Allem ruhten.
Erst seit der Blick, getragen von dem starken
Sehrohr, den fernsten Himmelsraum durcheilt
Und sich der Nebel an der Schöpfung Marken
In neue Riesenwelten ihm zertheilt,
Da erst hinschwanden jene Wahngestalten,
Die Götter auf geträumtem Sternenthron,
Die Volk mit Volk in Haß gespalten,
Da erst hob kühn dem Erdensohn
Die Geistesschwinge sich, frei von den Banden,
Die sie jahrtausendlang umwanden.
Heil mir, daß ich der Vorzeit finstern Tagen
Entronnen bin; ich denke noch mit Zagen
An all' die Wehen, all' die Schrecken,
Durch die ich hingeirrt – wohl heut' auch ruht
Noch auf des Menschen Stirn ein Flecken
Von Eigensucht und Haß und Blut,
Doch von den schlimmsten hat er sich gereinigt;
Nicht mehr den Einen macht die Glaubenswuth
Zum Henker, der den Andern peinigt,
Nicht mehr in dumpfer Sklaverei
Läßt er die Brüder elend schmachten,
Indeß er selber jubelt: ich bin frei;
Und, hat auch noch dem Werk der Schlachten
Nicht ganz entsagt das irrende Geschlecht,
Setzt hier und dort auch noch die Macht dem Recht
Die Ferse übermüthig auf den Nacken,
Doch bald geläutert von den letzten Schlacken
Der wilden Vorzeit wird die Menschheit sein,
Denn mächtig weht so wie noch nie
Ein reiner Geistesodem hin durch sie« – – –

Da plötzlich glomm's wie morgenrother Schein
In meiner Seele auf; erhellend fiel
Ein Strahl auf das, was ich erlebt, zurück,
Und mehr und mehr vom Anfang bis zum Ziel
Trat Alles klar vor meinen Blick.
»Kann ich noch zweifeln? meine Flucht
In ferne Zeit war nicht vergebens;
Was, brütend ob den Räthseln dieses Lebens,
Ich lange sehnsuchtvoll gesucht,
Das Licht in unsrer Erdenfinsterniß
Ich fand's auf meiner Wanderfahrt;
Denn meinem Geiste als gewiß
Hat sich das Eine offenbart:
Aufwärts, ja aufwärts geht der Menschheit Gang;
Ob sich ihr Pfad auch krümmt und windet,
Und ob er auch jahrhundertlang
In dunkle Abgrundtiefen schwindet,
Nach oben wieder reißt sie doch ihr Drang.
Wie sie der niedern Thiergestaltung
Mit Mühe eben sich entrang,
Wie Stamm mit Stamm in ew'ger Spaltung,
Mit Wesen Wesen sich bestritt,
Erlebt hab' ich es selber mit.
Ich sah, wie dann die Wilden, Rohen,
Auf Pfähle in die See'n geflohen,
Sich sammelten am Herd der Hütte,
Und wie inmitten jenes Wellenfriedens
Sich mit der Kunst des Eisenschmiedens
Entfaltete der erste Keim der Sitte.
So nach und nach entwich der Urzeit Grauen,
Und wie verwandelt sah ich jenes wilde
Geschlecht auf Griechenlands Gefilde
Der Schönheit ew'ge Tempel bauen,
Wie herrlich sich in marmornen Gestalten,
Im Liede der Rhapsoden und Tragöden
Der Künste Blüthenflor entfalten! –
Wohl schwand sie hin, die große Welt der Alten,
Verwandelt ward in traur'ge Oeden
Das edle Hellas, als der Stürme Wuth
Verheerend einbrach auf die Erde
Und halb erlöschend nur auf ihrem Herde
Noch flackerte der Bildung heil'ge Gluth;
Doch rang nicht aus der dunkeln Zeit
Der Geist sich neu empor zum Licht?
Hat nicht im göttlichen Gesicht
Hoch über Wahn und Glaubensstreit
Sich Meister Eckhard aufgeschwungen?
Verschloß nicht Wolfram in sein Weltgedicht,
Erwin in seines Münsters Dämmerungen
Ein göttliches Mysterium,
Das selbst sie nicht gedeutet, andachtstumm,
Auf daß es erst Geschlechtern künft'ger Jahre
Herrlich und herrlicher sich offenbare?
Selbst jene wilden Fahrten gegen Osten –
Ob auch mein Herz von Grau'n noch bebt,
Denk' ich was bei dem Auszug ich erlebt –
Reich sind die Früchte, die aus ihnen sproßten;
Zu Boden zwischen Volk und Volke sanken,
Vom Sturm des Kampfs gestürzt, die Schranken
Und freier, fröhlicher zu wogen
Begann das Leben; bunt wie Regenbogen
Drang eine Fülle farbiger Gebilde
Durchs offne Thor des Orients,
Und der Provence sonnige Gefilde
Und Catalonien und Florenz
Erschimmerten wie Edelsteine
In jenes Glanzes Widerscheine.
Wie endlich seit den Tagen ew'gen Ruhms,
Als neu die große Welt des Alterthums
Vom Grab erstand, schwang sich mit mächt'gen Flügelschlägen
Der Menschheit Genius dem Licht entgegen!
Vom Blutstrom, der in Frankreich rann,
Bespritzt wohl wurde sein Gefieder,
Allein in reinem Lichtglanz wieder
Hebt er die Schwingen himmelan,
Um höher nun von Sieg zu Siegen
Und immer höher aufzufliegen;
Und jene Geistesgüter all, die hehren,
Unsterblichen, die er auf seinem Pfad
Durch die Jahrtausende errungen hat,
Der Dichtung Blüthen und der Weisheit Lehren,
Die Kunstgebilde, die ein Feuer
Vom Himmel mit Prometheusgluth durchrinnt,
Der Preis von Leid und Weh war nicht zu theuer,
Um welchen sie erstritten sind!«

Indeß ich's dachte, hellen Glanzes wallte
Der Morgen durch der Zeltwand Spalte.
Ich trat hinaus, und aus des Frühroths Urne,
Sieh! eben quoll der junge Tag
In goldner Fluth, daß nach und nach
Luft, Erde, Meer und das azurne
Himmelsgewölb in Einem Lichtglanz schwammen.
Ich sah das Felsenhaupt des Sipylus,
Geküßt vom ersten Sonnenstrahlenkuß,
Zu meinen Häupten glorreich flammen;
Da, noch geblendet von dem Glanz,
Gewahrt' ich, wie im weißen Lichtgewand
Ein Fremdling mir zur Seite stand –
Doch nein! er war es, nur verwandelt ganz,
Ali, mein Führer und Begleiter.
Verjüngt um viele Jahre däuchten
Mir alle seine Züge; heiter
Und wie verklärt sah ich sein Auge leuchten,
Indem er sprach: »Es ist genug;
Hinweg werf' ich die Hülle, die ich trug,
Seit ich in jenem Tempel dir erschienen,
Um dir als Führer auf der Fahrt zu dienen.
Verstrickt in des Gedankens Labyrinth
Und an der Zeit, der Zukunft blind
Verzweifelnd fand ich dich, den Wahnbefangnen;
In eitlem Traume dem Vergangnen,
Wie du es sahst im Spiegelbild der Sage,
War deine Seele zugekehrt,
Und deine Sehnsucht, früh're Tage
Selbst zu durchleben hab' ich dir gewährt;
Doch nicht im Schleier, den die Dichtung spinnt,
Nein so wie sie gewesen sind
Und wie auf allen schweres Weh gelastet,
Dir zeigt' ich sie. Nur die Erkenntniß fruchtet,
Die unter Kampf und Widerspruch,
Tief in der eignen Seele reift
.
Drum, während wir umhergestreift,
Durch meine Reden noch den Bruch
In deiner Seele sucht' ich zu verschärfen
Und lud dich ein, dich einzig dem Genuß
Des Augenblickes in den Arm zu werfen,
Da doch bis an der Zeiten Schluß
Elend, ein ew'ges Einerlei
Von Schuld und Weh des Menschen Leben sei.
Gesteh' ich's dir, auch mich, obgleich schon lang
Allmählig dämmernd auf dem Erdengang
Das Licht sich meinen Blicken aufgethan,
Mich selbst befiel noch oft ein Schwanken,
Und wieder rissen finstere Gedanken
In Abgrundtiefen mich, wo sich die Bahn
In ausganglose Schlucht verlor.
In meiner Blindheit dann, ich Thor,
Für sinnlos, ohne Zweck und Frucht,
Hielt ich dies ganze Erdentreiben,
Für weise, wer sein Herzweh zu betäuben
In Lust und Lärm des Tages sucht.
Erst jetzt, da ich mit dir im Geist
Die Weltzeitalter neu durchreis't,
Hat sich die Wahrheit voll und ganz
Mir aufgeschlossen, und so hell fortan
In meiner Seele strahlen wird ihr Glanz,
Daß keine Wolke mehr ihn trüben kann. –
Heil dir auch, daß, indeß von Land zu Landen
Ich dich geleitet durch der Zeiten Nacht,
Du der Versuchung widerstanden,
Daß aus dem Abgrund der Geschichte,
Aus des Gedankens tiefem Schacht
Du der Erkenntniß Schatz dir mitgebracht!
Sie leuchte, die dich heimgeführt zum Lichte,
Dir immer herrlicher und reiner! –

Ich bin der grauen Vorzeitsöhne einer;
Selbst Ahasver, der ew'ge Wandrer, hat
So viel nicht der Jahrtausende durchschritten,
Wie ich auf meinem Lebenspfad.
Aufwirbeln sah ich unter meinen Tritten
Den Staub von Völkern und von Reichen
Und über mir die ält'sten Sonnen bleichen.
Als ich zuerst erwacht zum Sein,
Herab noch sandte auf des Nordens Meere
Der Stern Soheil geheimnißvollen Schein,
Der mit den Nacht- und Tagesgleichen
Nun niedersank zur andern Hemisphäre;
Und doch, vor jenen frühen Tagen,
Die Euch als Erdenjugend gelten, lagen
Jahrhunderttausende des Lebens schon
Mit Völkern, die, im schwarzen Staub gebettet,
Selbst ihren Namen nicht gerettet.
Von ihren Sprachen war der letzte Ton
Verschollen längst, bevor die ältste deren,
Die noch verworren in Hieroglyphen
Ihr stammeln hört aus dunkeln Zeitentiefen,
Erklang an nun zerbröckelten Altären,
Und ganze Götterhimmel über Himmeln,
Um die sich Volk mit Volk und Heer mit Heer
Zerfleischt in blut'gen Schlachtgetümmeln,
Selbst kannte nicht die Sage mehr. –
Ein Magier im Lande der Chaldäer
War ich und blickte wie die andern Seher
Sinnend empor zur hohen Himmelshalle,
Von deren Dach von leuchtendem Krystalle
Atair und Sirius ihr klares
Glanzlicht herniederströmten und Antares.
Zu ihnen und den kreisenden Planeten
Aufblickten forschend wir und spähten,
Ob nicht von dem Geheimnisse der Dinge
Ein Lichtstrahl uns als Bote Kunde bringe.
Umsonst; kalt, wie zu Eis erstarrt,
Hernieder sah'n die Himmelslichter.
Da floh ich in der Berge Nacht, bis dichter
Und dichter um mich her das Dunkel ward,
Und lauschte, wo in Wasserfällen
Die Ströme braus'ten aus verborgnen Quellen,
Nach Kunden aus der Erde Schooß;
Ich fragte, wenn Gewitter grollten,
Die Donner all, die durch den Himmel rollten,
Um Aufschluß über Welt und Menschenloos;
Vergebens; keiner, der mir Antwort gab.
Da trieb's mich fort am Wanderstab;
Und wo der Nil, die alte Wunderschlange,
Aus unentdecktem Land mit leisem Gange
Geschlichen kommt, in Philä's Tempelbauten,
In Theben unter den ergrauten
Pylonen, an der Obelisken Fuß
Dahingestreckt auf halbvermorschte
Sargdeckel, vor mir ein Zodiakus,
Schlug ich mein Lager auf. Ich forschte
Und forschte in den räthselhaften Zeichen,
Der stummen Sprache von Granit;
Und in den Nächten noch, wenn mit dem bleichen
Lichtschein der Mondstrahl niederglitt,
Hing mir das Auge an der Sphinxe Zügen,
Ob sie auf ihren Lippen, ihren Brau'n
Nicht eine Antwort für mich trügen.
Starr aber blieben sie, nur daß voll Grauen
Ich einen Zug verborgnen Hohns
Um ihre Augen zucken sah.
Hinweg vom Nile trieb mich's da,
Und in dem Sonnentempel Babylons
Fragt' ich der großen Weltenmutter Bild
Nach den Geheimnissen des Menschenseins.
In Hellas, wo aus Spalten des Gesteins
Der Erde Odem dampfend quillt,
Im Wald Dodona's und in Delphi's Grotte
Hofft' ich von dem geträumten Gotte
Die Antwort auf das ewige Warum.
Ich bat in Cumä's Höhle die Sibylle,
Daß sie den heißen Wissensdurst mir stille,
Allein vergebens, Alle blieben stumm.
An der Propheten Mund in Israel
Hing lauschend mir das Ohr, und im Gesicht
Erschloß, wie dem Ezechiel,
Sich mir das erstgeborne Licht;
Hell, unergründlich brach die Klarheit
Wie aus des Himmels Innerstem hervor,
Und doch tief hinten vor der Wahrheit
Hing schattend noch ein Nebelflor.
Dann weiter durch des Nordens Nebelländer
Mich trieb es fort bis an die Erdenränder,
Wo durch die trübe Fluth die Geisterschaaren
Ins Schattenland hinüberfahren.
Schon mich zum Todesgang zu rüsten
Gemahnte mich mein greises Haar
Und keins der großen Räthsel war
Mir noch gelös't. An Asiens Küsten
Kehrt' ich zurück, und nochmals riß
Der Wissensdrang mich fort von Stadt zu Städten.
Im Tempel von Persepolis
Las ich mit Baktriens Propheten
Die Schriften des geweihten Zend;
Allein, wie viel ich ob dem Pergament,
Den Marmortafeln brütete und sann,
Das alte, ew'ge Dunkel blieb.
Und aus dem Feuerlande Iran trieb
Mich's weiter in das Reich des Ahriman
Zu Magog und zu Gog, den Völkerschrecken,
Bis ich durch unermess'ne Länderstrecken
Zum Sonnenlande Indien kam.
Noch kurz begann mein Leben aufzuflammen,
Doch dann, verzehrt von hoffnungslosem Gram,
Erlöschend brach's in sich zusammen.
Ich fühlt' in einer Tempelhöhle
Des Todes Nah'n, allein die Seele
Noch klammerte sich an das Leben fest:
»So werd' ich fortgerissen von der Welt,
Und kein Geheimniß ward mir aufgehellt
Und ew'ges Schweigen ist der Rest?
Nein, brechen will ich diese Schranke
Des Augenblickes und, wie mein Gedanke
Die kommenden Jahrtausende durchirrt,
So selbst dem Tod den Sieg bestreiten
Und von Geschlechte zu Geschlechte schreiten
Bis der Erkenntnißdurst gestillt mir wird!«
Ich rief's und wollt' empor mich raffen,
Doch fühlte alle Sehnen mir erschlaffen;
Zurück zum Herzen schoß das Blut mir kalt
Und auf die Stirn mir trat der Todesschweiß.
Da sah ich eine schwankende Gestalt,
Von der Brahmanen weißem Kleid umwallt,
Mir durch die Höhle nahen, einen Greis,
Wohl mehr als ein Jahrhundert alt.
»Erfüllen kann ich dein Begehren –
Sprach er – daß ewig deine Jahre währen!
Von meinem Vater, dem Brahmanen,
Ward ehmals auf dem Todtenbett
Gereicht mir dieses Amulet.
Aus Urweltzeiten von den Ahnen
An ihn vererbt, hat es die Kraft,
Daß es auf Erden stetes Leben schafft;
In Jugendblüthe oder Mannesstärke
Und Altersruhe, ganz nach seiner Wahl,
Kann leben wer es trägt – doch merke!
Eh neu du auf dich nimmst des Athmens Qual:
Mein Vater nicht noch einer seiner Väter
Begehrten nach vollbrachtem Lebenswerke
Noch läng'res Dasein; in den reinen Aether
Verströmten gerne sie den Hauch
Und müd', in längerm Athemholen
Noch länger Leid zu schlürfen bin ich auch;
Kein Sohn lebt mir; dir lass' ich die Phiolen
Mit Wundersäften und den Talisman!«
Ich griff nach dem, was er mir bot, in Hast,
Und kaum hatt' ich das Amulet gefaßt,
So fühlt' in frischer Kraft, die mich durchrann,
Ich mich wie vor Jahrzehnten jung,
Und zog, vom alten Drang getrieben,
Von Neuem aus zur Wanderung.

Kein Land ist, keine Zeit geblieben,
Kein noch so fernes Weltgestade,
Wohin ich nicht geschweift auf meinem Pfade.
Wo eine neue Weisheitsquelle nur
Des Durstes Löschung mir versprach,
Ich eilte ihrem Rauschen nach,
Doch sah im Sand verrinnen ihre Spur. –
So seit Jahrhunderten schon in die Irre
War ich gestreift, indeß Geklirre
Von Sklavenketten, Eisenräder-Rollen,
Kampfwuthgeschrei um mich erschollen.
Brechende Blicke, blassen Jammer,
Elend und Noth hatt' ich gesehn,
Den Ring, an den das Werden und Vergehn
Geschmiedet war mit eh'rner Klammer,
Gesehn, wie bald vor dem und bald vor jenem Gott
Hirnlosen Wahns im Staub die Völker knieten;
Was Einem heilig, war dem Andern Spott
Und gegenseitig sich mit tollem Wüthen
Zerfleischten sie in Glaubenshaß.
Das all hatt' ich erblickt, und dunkel bleiben
Auf immer sollte mir, für was
Das ganze grausenvolle Treiben?
War es ein blindes Ungefähr,
Was diese Menschenwogen hin und her
Wie Sturm die Meereswellen schlug?
Das Dasein ungeheurer Trug
Und Wahrheit nur der letzte Moder,
In welchem Alles endet? Oder
War's eines tollgewordnen Gottes Grille,
Die diese Welt erschaffen hatte? –
Oft dacht' ich so in finstrer Nächte Stille,
Und düster legte des Gedankens Schatte
Sich auf mein Haupt. Dann wie von einer Schlange
Gestochen fuhr ich auf. Zu neuem Gange
Vom fernsten Osten stachelte das Herz,
Das ruhlos klopfende, mich abendwärts.
Ein Hauch verjüngten Lebens wehte
Mich an, als mich die herrlichste der Städte,
Athen, aufnahm und mit dem Blüthenflor
Göttlicher Schönheitsbilder mich umfing.
An ihrer Redner Lippen hing,
An ihrer Dichter mein berauschtes Ohr;
Im Oelwald der Akademie
Sah ich die Welt der ewigen Ideen
Auf Plato's Zauberruf vor mir erstehn;
Doch ach! gleich Wolken in des Windes Wehen
Gestaltlos mir vorüber schwebte sie;
Und bald all jenen Ländern nach,
Die ich erblüh'n sah und vergehen,
Sank Hellas in der Knechtschaft Schmach;
Nicht seines Geistes Sonnenflug,
Nicht alle Götter, welche Phidias' Meißel
Dem Stein entlockt und mit des Lebens Athemzug
Erfüllt, verlieh'n ihm Schutz vor der Scorpionengeißel,
Mit der es Rom zu Boden schlug;
Mein Auge weinte nie so heiße Thränen,
Wie bei dem Untergange der Hellenen.
Da war ein Tag der Knechtschaft angebrochen,
Wie nie zuvor; in Sklavenjochen
Wahnsinniger Kaiser ächzten die Nationen
Und sah'n zu ihren Häupten bleich
Der Zwietracht Furien, des Kriegs Dämonen
Von Land zu Lande zieh'n. Zugleich
Entfesselte Natur die Schrecken,
Die ihr im dunkeln Schooße schliefen.
Erdbeben schlangen ganze Länderstrecken,
Volkreiche Städte in des Abgrunds Tiefen;
Auf Leichenhaufen feierte die Pest,
Die unersättliche, ihr grauses Fest. –
Vor dem Entsetzen mich zu bergen
Und allem Leben sucht' ich durch die Flucht;
Tief in des Skythenlandes fernster Bucht,
Wo den Prometheus einst die Schergen
Des Zeus an gipfelsteilen Fels geschmiedet,
Am Klippenstrand, um den die Woge siedet,
In weltentleg'ner Thäler Irrgewinden
Dacht' ich die Einsamkeit zu finden,
Nach der ich lechzte – doch vergebens;
Das tiefunselige Geschlecht
Hatte die Noth und Fieberangst des Lebens
Dorthin auch in die unwegsame Oede
Des Kaukasus zu tragen sich erfrecht,
Auch dort hinab bis in die tiefsten Schluchten
Und in der Erde Herz sah ich die schnöde
Welttyrannei auf allem Dasein wuchten.

Da war's als ob dem nahen Sturz der Reiche
Voraus ein Zittern durch die Länder schleiche;
Schon regte sich in jeder Seele bang
Ahnung des nahen Untergangs der Dinge,
Und von des Würgeengels Schwinge,
Die langsam sich empor am Himmel rang,
Ward allumher die Erde düster;
Ich aber barg mich, jeder Hoffnung baar,
In Thebens Wüste. Jahr auf Jahr,
Jahrhundert auf Jahrhundert war,
Indeß der Donnergang der Weltverwüster
Von Norden her orkangleich braus'te,
Mein Wohnsitz dort die Gräberstadt.
In dunkler Höhle, wo ich einsam hauste,
Oft dacht' ich, alles Lebens satt,
Mich zu dem schweigenden Geschlecht der Todten
Zu betten, das im Staube drunten ruhte.
»Dort nur ist Frieden vor dem Weltdespoten,
Dem düsteren Geschick, das mit der Eisenruthe
Sinnlos und ohne Zweck und Plan
Die Menschen über diese Erde jagt;
Vor allem Weh, das an der Schöpfung nagt,
Nur dort ein Rettungshafen aufgethan,
Wenn ausgeras't der wilde Lebensreigen;
Der Zweifel wie der Glaubenswahn
Sind Brüder drunten im allew'gen Schweigen;
Vergessen dort im träumelosen Schlaf
Will ich, daß Fragen ich gethan,
Auf welche nirgend Antwort ist.«
Ich dacht' es und den Talisman
Schon wollt' ich von mir werfen, doch ein Christ,
Den ich in jenen Gräberhöhlen traf,
Erfüllte mich mit neuem Lebensmuth.
Nicht ward von seiner Glaubenslehre
Mein Geist bethört; schon allzu viel Altäre
Hatt' ich um solcher Träume halb mit Blut
Befleckt gesehen. Unter Hohn und Spott
Sprach ich zuerst: »Geht mir, ihr Nazarener,
Mit euerm menschgewordnen Gott!«
Abwandte da von mir sich Jener,
Allein in meinen Händen ließ
Er scheidend eine Schrift; sie hieß
Das Evangelium, »die frohe Kunde.«
Darin von seinem Meister las ich,
Wie mild und warm von seinem Munde
Das Wort geströmt, und bald vergaß ich
Die ganze Welt umher bei seinen Reden.
Erhab'ner däuchten, als der Inder
Weisheit in den Puranas und den Veden
Mir seine Sprüche, faßlich selbst für Kinder,
Und doch für Weise tief genug.
Da fand ich keinen Priestertrug,
Nicht Satzungen noch düstre Wahngebilde;
Mitleid und Liebe, Herzensreinheit, Milde
War was ihm als das Höchste galt.
So nicht als Gott, doch als der Menschen größter
Erschien mir dieser Christus bald;
Des Friedens Bringer und der Armen Tröster,
Wie schlug er leuchtend, weltalltief
Die großen Augen vor mir auf!
Ich las und las von Neuem stets und rief:
O käme jemals in der Jahre Lauf,
Die Zeit, wo seine Lehre Wahrheit würde
Nochmals nähm' ich auf mich des Lebens Bürde,
Um jenes große Erdenjahr zu schau'n!
Dann fallen auch wird von dem Weltenplane
Die Hülle und den Sterblichen, ich ahne,
Ein neuer Morgen der Erkenntniß grau'n;
Denn nur der Liebe ist die Macht gegeben,
Den Schleier vom Verborgensten zu heben.

Aufs Neue von der Pharaonen Grabe
Gen Abend brach ich auf am Wanderstabe.
Wie anders Alles nun! Im Staube lag
Die alte Welt; von der Alanen
Sturmfluth, der Hunnen und Germanen
Verrauscht war auch der letzte Wogenschlag
Und nach dem Wetter hin von Volk zu Volke
Hing allbelebend eine Frühlingswolke.
Wohin ich kam, auf Höh'n, in Thälern
Ein fremdes Bild sah ich entrollt;
Da sprengten Ritter erzgeschient und stählern
In Kampf und Schlacht um Minnesold,
Da funkelte im Sonnenschein
Das Crucifix auf Münstern und Abtei'n;
Mit Muschelhüten und Sandalen
Und weh'nden Fahnen hin zu den Portalen
In langen Zügen schritten fromme Waller;
Vor Christus beugten sich die Kniee Aller,
Der mit der Nägel blut'gen Malen
Am Kreuze hing todbleichen Angesichts;
Doch ich erkannte bald: ein hohles Erz,
Der Liebe baar war dieser Christen Herz
Und wußte von des Meisters Lehre nichts;
Bisweilen nur in einsamstiller Grotte,
Wenn sinnende Anachoreten
Geheimnißvoll mir sprachen von dem Gotte,
Der in uns Allen wohne, wehten
Mich Hauche seines Geistes an,
Daß sanfter Andachtschauer mich durchrann.
Dann in die Hallen hochgewölbter Dome
Trieb mich's, die sie am Donaustrome,
Am Rhein gebaut dem neuen Glauben;
Ich kniete nieder unter ihrer hehren
Chorwölbung, wo durch Marmorlauben
Von allen Fenstern und Altären
Heiligenbilder niedersah'n;
Und wenn der Orgel Riesenklänge
Gleich einem göttlichen Orkan
Hinbraus'ten durch die Säulengänge,
War mir, als dringe durch des Himmels Thor
Mir Offenbarung an das Ohr;
Doch Nacht des Zweifels wie zuvor
Umhüllte mich, sobald der Ton verhallt,
Und in dem Sturme der Gedanken
Sah ich umher den Säulenwald,
Die Mauern und die Streben wanken.
Mich lockte in der Philosophen Schule
Der Wahn, daß dort die Weisheit wohne;
Ich saß vor des Anselmus Rednerstuhle
Und lieh mein Ohr dem Petrus von Apone
Und sah die Mystik matten Scheins
Hinunterleuchten zu dem Schlunde,
Der die Geheimnisse des Seins
Verborgen hegt auf seinem düstern Grunde;
Durch sie dacht' ich das ew'ge Eins,
Das nie ergründete, zu finden,
Doch fühlte bald, und sah die Hoffnung schwinden,
Wie tief'res Dunkel mir den Blick umflorte,
Je mehr ich in des Abgrunds Nacht ihn bohrte;
Und endlich schwand vor meinem Auge ganz
Von dieses Mittelalters Bild der Glanz;
Ja nach den Göttern von vordem
In Sehnsucht blickt' ich rückwärts wie Julian,
Denn o! wie hatte Irrsinn, toller Wahn
Die Lehre nicht entstellt, die er verkündet,
Der hohe Meister von Jerusalem!
Wie wandelte die Pharisäerbrut
In sengend Feuer um die milde Glut,
Die in den Herzen er entzündet!
Ja wisse, Freund, nicht so viel Blut
Klebt an des Baal, des Moloch Opferherde,
Wie ich durch Jene sah vergießen,
Die sich des Edlen Schüler hießen!
Ihr Glaube machte diese Erde
Zu einem weiten Feld Akeldama,
Und größ'res Weh als bei den sieben Wunden,
Als bei dem Todeskrampf auf Golgatha,
Glaub', hätte jener Göttliche empfunden,
Wenn er's gesehn!

Erfaßt von tiefem Grauen,
Kein Menschenantlitz ferner wollt' ich schauen,
Und jenseits Calpe's durch den Ocean
Des Westens führte mich der schwanke Kahn
Auf öden, nie zuvor durchreis'ten
Seestraßen zu den Inseln der Britannen.
In Wäldern himmelhoher Tannen,
Auf Felsvorsprüngen und beeis'ten
Berggipfeln dort, an öden Küsten,
Wo einsam nur die Meeresschwalben nisten
Und schlangengleich allum die Woge kreist,
Sann ich und rief hinaus ins Fluthgerolle:
Natur, du große, die du Alles weißt,
Sag an, was soll dies Maskenspiel, das tolle?
Nun seit Jahrtausenden – mir graut,
Zurückzublicken auf die weite Wüste –
Hab' ich dem argen Treiben zugeschaut,
Und jede Zeit, so wie die frühste
Urwelt, war übervoll von Schuld,
Von Jammer, Elend und Entsetzen;
Nur hier und da an selt'nen Ruheplätzen
Fand ich das Leid in Schlaf gelullt,
Doch flüchtig blieb die Rast und kurz,
Und neu begann der stete Sturz
Von Weh zu Weh, der Leben heißt
Und immer noch, ein grauser Todtentanz,
Wie auf Friedhöfen, Greise, Männer, Weiber,
Fliegenden Haars, verstrickt die Leiber,
Ihn schlingen bei des Mondes bleichem Glanz,
Ras't fort der aberwitz'ge Mummenschanz?
Wird endlich müde nicht der Weltengeist,
Dem er zu Kurzweil dient und zu Gelächter,
Ihm zuzuschau'n, wie er Geschlechter auf Geschlechter
Mit sich in seine Wirbel reißt? –
So rief ich, während um die Felsenkegel
Aufflatterten die Meeresvögel;
Ich bebte, wenn am Horizont ein Segel
Mir kündete von Sterblichen die Nähe.

Und doch, als Jahr' auf Jahre meerumbraus't
Ich auf dem öden Riff gehaus't,
Fühlt' ich, daß an der Menschheit Wehe
Das Herz mir festgeschmiedet blieb.
Zuletzt zur Welt des Lebens trieb
Die Sehnsucht, ihrem ferneren Geschick
Ins Angesicht zu schauen, mich zurück;
Die Länder alle wollt' ich sehn aufs Neue
Vom Nordmeer bis zu Wälschlands Südfruchtstrand;
Und sieh! es schien in rein'rer Bläue
Der Himmel über ihnen ausgespannt!
Gesunken war das mächtige Byzanz,
Und wie auf Zauberruf erhoben hatten
Sich wieder aus dem Todtenreich die Schatten
Der Weisen und der Dichter Griechenlands;
Sie schritten, in den Händen alte Rollen,
Von Ort zu Orte lehrend hin
Und deuteten aus den geheimnißvollen
Schriftzeichen den verborgnen Sinn.
Befruchtend hin durch alle Seelen flossen
Die Geistesquellen, die sie neu erschlossen;
Aus Glauben und aus Traum der Kindheit
Sich aufzuringen nun begann
Die Menschheit, ihr vom Auge wich die Blindheit
Und trotz der Kirche Acht und Bann
Empor zur Sonne sah sie kühner.
Zugleich aus Sachsens Klosterzelle
Brach andre ungewohnte Helle,
Als Deutschlands Stolz, der tapfre Augustiner,
Der Christen lang verschloss'nes heil'ges Buch
Aufschlug. Gebrochen war der Fluch,
Der seit Jahrhunderten auf Erden lag,
Und immer höher stieg der Tag,
Je mehr des Meisters Lehre aus der Hülle,
Mit welcher Lüge sie umsponnen,
Vorbrach in ihrer Strahlenfülle,
Ein ewig unerschöpfter Bronnen
Von Glanz und Licht. Wohl wüthend zogen
Des Dunkels Mächte, um ihr Reich betrogen,
In hellen Haufen neu zum Kampf;
Bis heute bebt von ihrem Todeskrampf
Die Erde noch; von Blinden und von Tauben
Noch ist sie voll, die an den Glauben
In ihrer Selbstsucht dunklem Triebe
Verstockt sich klammern, geistesstumpf;
Doch feiern endlich wird die Liebe,
Die Christus lehrte, den Triumph.
Die Ahnung schwebte, wenn auch lang
Mir Nebel trüb noch auf dem Geiste lagen,
Als Stern vor mir seit jenen Tagen,
Da aus der Gruft der Menschheit Genius sich rang
Und durch die Mainzer, Guttenberg und Fust,
Die Kunst erstand, die der Scholastik Wust,
Der Religionen Hirngespinnste
Zerrinnen läßt wie Nebeldünste
Im Sonnenlichte; durch die Meereswogen,
Die öden, die zuvor kein Kiel durchzogen,
Wies nun Amalfi's Tochter, die Boussole,
Den Schiffern ihren Pfad von Pol zu Pole
Und Thule blieb der Länder letztes nicht;
Jenseit des Oceans im Morgenlicht
Auftauchten neue Weltgestade
Mit Schaaren unbekannter Wesen,
Und auf der Spur des kühnen Genuesen
Zog durch der Wildniß Urwaldpfade
Mein Herz dem kommenden Geschlecht vorauf.
Wie dieser Riesenströme Lauf,
Dacht' ich, sich donnernd wälzt zum Ocean,
So durch die Schranken, die vor ihr sich thürmen,
Wird jubelnd nun die Menschheit Bahn
Sich brechen und von Sieg zu Siege stürmen!
Ja bald der Fesseln, die sie eingezwängt,
Sah eine nach der andern ich gesprengt;
Kaum war Amerika dem Wellenschooß
Enttaucht, so that sich riesengroß
Zu ihren Häupten auf das All der Welten,
Zu Sonnen, die um Sonnen kreis'ten,
Zertheilten sich die matterhellten
Milchstraßen. Jenseit der beeis'ten
Jupitermonde und Saturnusringe
Schwang sich das Auge auf des Sehrohrs Schwinge
Empor bis an des Raumes Gränzen;
Selbst wo am Saum der Nacht die Sehkraft schwand,
Sah zahllos, wie am Meer die Körnchen Sand,
Der Geist noch neue Sonnen glänzen,
Und in der Sphären ewige Choräle
Harmonisch stimmte ein der Erdenball,
Und größer schloß der Menschheit Seele
Sich auf im ungeheuern All.
Neue, stets neue Ströme brachen,
Draus sie Erkenntniß trank, hervor,
Und voller ward der Stimmen Chor.
Stammelnd erschloß in lang verscholl'nen Sprachen
Uralte Weisheit ihre Lippen;
An Indiens Kaukasus, den Gletscherklippen
Des Alburs, an der Ganga Himmelsquelle
Aufschlugen in der jungen Morgenhelle
Eisgraue Zeiten ihre Augenlider,
Und durch der Enkel Reihen wieder,
Vom Grab erstanden, wandelten die Ahnen
Und ließen sie die Lehre der Puranen,
Die heilige, von Palmenblättern lesen,
Wie Ich nicht ist noch Du, wie nur
Ein großer Geist in der Natur,
Ein mächt'ger lebt, und unser eignes Wesen
Selbst aus des Thieres Augen traut,
An Mitleid mahnend, uns entgegenschaut.
Heller und immer heller ward
Das Feuer des Prometheus so auf Erden
Und loderte empor von tausend Herden.
Aus Lavafeldern, lang erstarrt,
Den Bergesschichten und den Bodenspalten,
Stieg eine nie geahnte Urwelt wieder
Ans Tageslicht; und Riesenglieder
Erlosch'ner Thiergeschlechter, Schreckgestalten,
Die eines grausen Traums Geburten schienen,
Sah man gebettet in Ruinen
Von hingesunkenen Aeonen,
Und fand in Einer Schicht mit ihnen
Den Menschen, den die Religionen
Gestempelt zu des Gestern Sohn.
Tief in der alten Urnacht schon
Hat er gelebt, in Höhlenschlucht verborgen,
Und lang vor der Geschichte grau'ndem Morgen
In wildem Kampf gestritten und gerungen,
Bis er sich auf der Schöpfung Thron geschwungen.
So von dem alten Räthsel fiel
Der Schleier, den Jahrtausende gewoben;
Er kommt von unten, aber ringt nach oben
Zu höher'm, immer höher'm Ziel,
Und herrlicher, als hätten in die Wiege
Sie güt'ge Götter ihm gelegt,
Wird ihn die Palme schmücken, wenn zum Siege
Zuletzt die eigne Kraft ihn trägt.
Wohl langsam war sein Gang; doch als Ein Tag
Zählt ein Jahrtausend in der Weltgeschichte;
Wohl daß er in dem Ringen oft erlag,
Daß er mit Tritten, schwank und ungewiß,
Wenn er emporgeklommen schon zum Lichte,
Nochmals rücksank in Finsterniß:
Allein das Eine halte fest dein Herz:
Er schreitet mälig sonnenwärts,
Und immer reiner wird der Quell
Des Göttlichen ihm, immer klarer fließen,
Wenn neue Himmel sich ihm hell
Mit den Jahrhunderten erschließen.
Doch zu des Adlers Sehkraft schärfen
Muß er im Lichtglanz seinen Blicks
Und kämpfend, trotzend dem Geschick,
Dem Sturm sich, dem Orkan entgegenwerfen,
So zum Triumphe wird sein Flug ihn tragen.
O Freund! und nicht um Jene darfst du klagen,
Die in dem Ringen untersanken,
Denn glorreich sie, da in des Ruhmes Hallen
Unsterblich ihre Namen schallen;
Für ihrer Thaten jede ihnen danken
Wird noch die spät'ste Zeit, wie allen Jenen,
Die unter Leiden, unter Thränen
Der Menschheit hohes Gut gemehrt.
Der Nachwelt ist, was sie erstrebt, erfahren,
Ein theures Erbe, das von Jahren
Zu Jahren sie bewacht und mehrt;
Mit ihres Denkens Frucht genährt
Spricht sie in klaren Worten aus
Was Jene schüchtern nur gestammelt,
Und jeder Schatz, den sie gesammelt,
Wird unvergänglich durch die Zeiten
Sie auf dem Erdengang begleiten.
Nicht ein Gedanke ist, in stiller Stunde
Gedacht von der Begeisterung,
Der nicht von Herz zu Herz, von Mund zu Munde
Fortwandelte, unsterblich jung.
Der Kindertraum der ersten Mythen,
Der Dichtung wunderbare Blüthen,
Der Weisheit Lehren und des Forschens Funde
In frühster Vorzeit je gethan,
Die Seherblicke, von Propheten
Geworfen in den Weltenplan,
All das bleibt ein Besitz den späten
Urenkeln noch, die es beim Sterben
Dem kommenden Geschlecht vererben.
Auch dir ging nichts davon verloren,
Und dem Geschicke mußt du dankbar sein,
Daß du in dieser Zeit geboren;
Denn jene Güter all sind dein,
Die die Jahrtausende gehäuft.
In Indien an des heil'gen Stroms Gestaden
Kannst du den Geist im Thau der Frühe baden,
Der von der Veden Blättern träuft,
In Hellas' Marmorblüthenflor
Dir den entzückten Sinn berauschen
Und Aeschylus' Oceanidenchor
Und Phädons Seherwort belauschen.
Dir immer offen stehn – betritt sie nur! –
Des Mittelalters Münsterhallen,
Und fort und fort für dich erschallen,
Noch läßt sein Lied der Troubadour.
Doch vor den Frühern wie bist du beglückt!
Indeß dir noch in Bildern, in Gesängen
Die alten Zeiten leben, ihrem engen
Weltkreis wie weit nicht siehst du dich entrückt!
Von Lande hin zu Lande sieh!
Regt sich und wogt und schwillt ein mächt'ges Leben
Und alle Erdenkräfte streben
Nach Einem Ziel in schöner Harmonie.
Dahin durch alle Oceane,
Nicht Wirbel scheuend noch Korallenriffe,
Ziehn auf der hochbeschäumten Flut die Schiffe,
Und ächzend an die Küsten ziehn die Krahne
Die Waaren, die sie fernher brachten.
Bald, glaub mir, in der Sage Dunkel birgt
Die Kunde sich, daß einst in blut'gen Schlachten
Mit Menschen Menschen sich gewürgt:
Denn über Berg und Kluft mit weh'nden Fahnen
Von Nation zu Nation
Rollen bei Tag und Nacht auf ehr'nen Bahnen
Dahin die Friedensheroldwagen schon.
Die allgeheimen Kräfte der Natur,
Die düstern, denen zitternd nur
Der Mensch zu nahen sonst vermocht,
Hat er in seinen Bann gejocht;
Er zieht vom Himmel mit gebundnen Flügeln
Den Blitz herab und läßt an seinen Zügeln
In ferne Länder ihn, in ferne Städte
Als Boten gleiten längs der Eisendrähte;
Und, während auf der Forschung Adlerschwinge
Ihn Wissensdrang durch alle Räume reist,
Enthüllt die Wesenheit der Dinge
Sich immer klarer seinem Geist –
Und doch, des Einen ward ich inne:
Noch steht die Welt erst im Beginne
Und in der frühsten Dämmrung dessen,
Was einst sie werden wird; so unermessen
Wie das Geschlecht, dem heut die Sonne tagt,
Die ersten Höhlenwohner überragt,
Wird ein zukünft'ges Menschenalter
Das Heute überflügeln – wie ein Traum
Im Morgenschlafe, wie ein mattgelallter
Kindischer Laut, werth sein zu achten kaum,
Wird ihm das hehrste seiner Geisteswerke
Erscheinen; thöricht, frevelhaft
Was es beginnt und sinnt und schafft.
Denn in des Mannes voller Stärke
Stehn wird der Mensch; wie er sich selbst erkennt,
Lebt er im Einklang mit dem Weltgesetze;
Natur und Geist sind ihm nicht mehr getrennt,
Und aufgeschlossen liegen ihre Schätze
Vor seinem Blick; kein Element
Des weiten Alls ist, dem er nicht geböte,
Und eine heil'ge Morgenröthe
Hat Haß und Neid und alle dunkeln Triebe
Der Sterblichkeit in ihm verzehrt,
So daß er auf der Erde schon verklärt
Ein Himmelsleben führt, in dem die Liebe
Die Völker mit allmächt'gem Band umschlingt.
Das ist das Ziel, nach welchem Alles ringt;
Doch eine Spanne Zeit, um mitzustreben,
Nur ward dem Einzelnen gegeben,
Denn in der Menschheit ist sein wahres Leben,
Und, wie die Welle in den Ocean,
Sinkt er in sie zurück. Drum wirke du,
So lang vor dir die Erdenbahn
Erschlossen ist; doch, wenn dein Tagewerk gethan,
Froh schließe deine Augen zu
Und juble, daß die Schranken fallen,
Die dich getrennt vom großen Sein!
In ihm, befreit vom trügerischen Schein,
Der deinen Blick umwob, als Eins mit Allen
Erkennen wirst du dich, die sind und waren;
Und, wie von je du in den Wesenschaaren
Gewaltet, eh du trugst dein Staubeskleid,
So darf dich keine Sorge quälen,
Dir werde je die Zukunft fehlen –
Dein ist die ganze Ewigkeit.

»Auch ich, von Zeit zu Zeit, von Ort zu Ort
Genug bin ich geschweift auf Erden,
Und aus dem ewigen Vergehn und Werden
Mich flücht' ich in den Rettungsport.«

Ein Glanz, wie ich ihn nie gesehen, brach
Aus seinem Aug', indeß er's sprach
Und an die Brust mir sank; dann schnell
Hinab in einen nahen Quell
Warf er Phiolen und das Amulet.
Alsbald da legte Leichenblässe
Sich auf sein Antlitz; neben der Cypresse
Sanft glitt er hin wie auf ein Ruhebett.
Ich warf mich jammernd über ihn
Und blieb noch lange bei dem Todten knien.
Dann nahten sich die Treiber der Kameele;
Ich gab, emporgerafft, Befehle,
Ihn in des nahen Friedhofs Schatten
Nach Orientalen-Weise zu bestatten
Und sank von Neuem hin; erschüttert bebten
Mir alle Fibern noch von dem Erlebten;
Es war zu viel des Wundervollen,
Und mit geschwundnen Sinnen lag
Am Boden ich zuletzt.

Da horch! ein Donnerschlag
Zu Häupten mir, ein dumpfes Rollen –
Die Erde zittert – aufgeschreckt
Fahr' ich empor, allein mir deckt
Traumschwerer Halbschlaf noch die Augenlider;
Wucht, wie von Blei, zieht meine Glieder
Aufs Neu' herab und mit betäubtem Sinn,
Bewußtlos blick' ich lange vor mich hin;
Dann, während kühl der Wind um meine Stirne streicht,
In meinen Haaren weht, entweicht
Mein dumpfes Starren nach und nach;
Umschauend seh' ich, fast geblendet,
Wie durchs zerrissne Wetterwolkendach
Die Sonne goldne Strahlen sendet.
Mein Blick schweift staunend allumher;
Wo bin ich hier? Das Mittelmeer,
Ioniens Berge, Smyrna's Bucht
Such' ich umsonst; verschwunden Alles;
Von Quadern eines ungeheuern Walles,
Der hier gesunken durch die eigne Wucht,
Dort, Einsturz droh'nd, in Rissen klafft,
Starrt rings der Grund, und Riesenhallen ragen
Zu Häupten mir, und räthselhaft
Durch halbgesunkner Mauern Spalten
Schaun Bilder aus verschollnen Urwelttagen
Auf mich hernieder, Mißgestalten
Mit Menschenleibern und mit Löwenrachen,
Beschwingte Stiere, Flügeldrachen
Und Könige mit Mitra und mit Keule –
Wo ist hier Träumen? wo das Wachen?
Ich spring' empor, an jede Säule,
Die Keilschrifttafeln an den Wänden,
Die Steingebilde tast' ich mit den Händen,
Zu prüfen, ob nicht meine Augen trügen;
Ich kenne diese Trümmer; ja! zuvor
Durch diese Hallen, dieses Säulenthor
Geschritten bin ich schon, dort an den Zügen
Der Göttin hing der Blick mir staunenvoll,
Als aus der Seele tief der Wunsch mir quoll,
Aus unsrer Welt in frühe Jahre,
Der Erde Jugendzeit zurückzukehren;
Und hier, zu stillen mein Begehren,
Zu mir trat jener Greis, der wunderbare,
Der eben erst am Strand des Mittelmeers
Von mir geschieden – das Erlebte all,
Vision allein gewesen wär's,
Da Mind'res uns für wirklich gilt?
O dann ist dieser Erdenball
Und Zeit und Raum auch nur ein Traumgebild! –
Wie dem Ertrinkenden im Wogenschwall
Des Meerabgrunds ist mir bei dem Gedanken;
Hin durch den Boden geht ein Schwanken,
Und überwältigt, schwindelnd gleite
Ich nieder an des Götterbildes Seite.

Dann endlich mich aufraff' ich, neu ermannt,
Und leuchtend klar tritt Alles mir entgegen:
Von wunderbarem Schlaf gebannt,
In den Ruinen hier am Wüstenrand –
Wer sagt, wie lang? – hab' ich gelegen,
Indessen von Geschlechte zu Geschlechte
Jenseit der Mark von Zeit und Raum
Mein Geist die Fahrt gemacht. Doch diese Nächte
Des Orients, die Träume in dem Traum,
Was ich geschaut, gedacht, so klar,
So wesenhaft, wie was ihr wirklich nennt,
In meiner Seele steht's für immerdar,
Und wie der Angelstern am Firmament
Soll durch das Erdendunkel jenes greisen
Weltwandrers Wort den Weg mir weisen!

Und heimwärts, heimwärts nun vom Orient
Zu ziehn, o wer mir Flügel liehe!
Da aus dem Säulenhofe, siehe!
Entgegen eilten Beder und Chalil,
Die beiden Führer, mir: »Das war zu viel
Beinah des Schlafs! Wie todtenstill Ihr lagt,
Indeß auf dieser grünenden Oase
Die Rast uns und den Rossen wohl behagt!«
Den Renner, der geweidet in dem Grase,
Mir führten sie herbei vom Rand der Hügel,
Mit freudigem Gewieher grüßte
Das treue Thier mich, in die Schaufelbügel
Mich schwang ich und gen Westen durch die Wüste
Mit mir von dannen flog es wie der Blitz;
Die Andern folgten mit verhängtem Zügel.
Noch Tage, Nächte ruhelosen Ritts,
Und vor mir lag, vom Abendglast
Bestrahlt, die Hafenbucht, die schiffbesäte.
An Bord, an Bord nun! Wo von einem Mast
Die Wimpel mir geliebter Länder wehte,
Mit Jubel bot ich jeder meinen Gruß;
Und, nach Europa heimzufliegen,
Ein Schiff, dem Säulen Rauches schon entstiegen,
Betrat ich mit beschwingtem Fuß.
Da hin von Mund zu Munde eilte
Die Kunde dessen, was geschehen war,
Indeß ich in des Ostens Traumreich weilte;
Und leuchtend bald und herrlich klar
Vor meinem Geist stand all das Große,
Das eine Zukunft, hoch und hehr,
Verborgen trug in seinem Schooße.
So wie beim Siegsdrommetenstoße
Dem Krieger, hob sich wonneschwer
In hohen mächt'gen Schlägen mir das Herz,
Und niederknie'nd, im Auge Freudenthränen,
Streckt' ich die Arme heimathwärts:
»Erfüllt des Jünglings Traum, des Mannes Sehnen!
Aus Kampf und Tod und ungeheurem Sieg
Glorreich ein deutsches Reich geboren!
Ja, aus des Himmels offnen Thoren
Hernieder auf die Erde stieg
Der große Geist, deß Hauch mit mächt'gem Wehn,
Hin durch die Hallen der Geschichte brausend,
Die Reiche aufblühn läßt und neu vergehn,
Und vor ihm schlägt ein werdendes Jahrtausend
Die morgenhellen Wimpern auf.
Er sei mit dir auf deinem Siegeslauf,
Mein Deutschland! Schütze du mit mächt'gem Schild
Freiheit und Recht, und schwinge hoch die Fahne,
Wenn es den Kampf mit altverjährtem Wahne
Für unsre höchsten Güter gilt!
Den finstern Nachtgeist, der im Vatikane
Noch brütet seine argen Plane,
Scheuch in sein dunkles Reich, daß frei
Vom gift'gen Qualm die Luft für immer sei,
Und sich im Lichte sonnen die Nationen!
Dann lege nieder deine Siegeskronen
Und flicht ums Haupt des Friedens Oelzweigkranz!
Aufsteigen wird im morgenrothen Glanz
Durch dich ein neues Weltenjahr,
Wo an der Liebe heiligem Altar
Die Völker alle sich zum Bruderbund
Die Hände reichen! O, mit schnellern Schlägen
Führt, Räder, mich dem Vaterland entgegen,
Daß heißen Kusses ich den Mund
Auf seinen Boden drücken kann;
Nie mehr von ihm scheid' ich fortan
Und einst in seinen theuern Grund
Will ich das Haupt zur Ruhe legen.

.


 << zurück