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V.

Beim Häuptling eines Pfahldorfs that ich Dienst in einer Hütte,
Die abgetrennt vom Ufer lag in blauer Wellen Mitte.
Auf Keilen, in den Grund gerammt, zu ihren Seiten ruhten
Wohl hundert Häuslein, kleiner noch, sich spiegelnd in den Fluten,
Und über'n See dahin sah man in weitgedehntem Kreise
Gewalt'ge Berge, tief hinab mit Schnee bedeckt und Eise.

In Wolfsfell war ich eingehüllt, denn schneidend bliesen kalte
Bergwinde aus den Schluchten her und aus der Gletscher Spalte.
Kurz jährlich stieg die Sonne nur so hoch am Horizonte,
Daß ich vom tättowirten Leib die Hülle wegthun konnte.
Das war die schönste Zeit des Jahrs; kaum noch begann's zu tagen,
So ward vom Dorfe an das Land die Brücke aufgeschlagen,
Und auf den schwanken Brettern zog die ganze Pfahldorf-Horde,
Darunter mit den Knechten ich, zum grünen Uferborde.
Da klommen wir zum Berghang auf, das frische Gras zu schneiden,
Da ließen auf den Wiesen wir die magern Ziegen weiden
Und streiften durch die Wälder hin, der Eichel Frucht zu suchen,
Von der das köstliche Gericht man buk, den Eichelkuchen –
Wenn nur nicht oft uns in das Dorf, die Wasser-Zufluchtstätte,
Gefahr von Menschen und Gethier zurückgetrieben hätte!
Kaum gab, wir seien so bedroht, ein geller Pfiff das Zeichen,
So stürzten Alle athemlos, die Brücke zu erreichen,
Und in die Ställe ward in Hast das Vieh zurückgetrieben;
Jedwedem war der Tod gewiß, wär' er am Land geblieben.

Wenn dann der grimme Winter kam, neun Monde lang von Dauer,
Wenn sich in Schnee verwandelte der Wetterregen-Schauer,
Im engen Bretterhause, wo trotz moosverstopfter Ritzen
Die Stürme pfiffen, mußten wir oft Wochen, Monde sitzen,
Denn durch den dichtgehäuften Schnee, gepeitscht von Wirbelwinden
Und hoch zu Bergen aufgethürmt, war nirgend Bahn zu finden.
Da drängten frostig um den Herd sich alle dicht zusammen
Und jubelten, wenn aus dem Holz aufprasselten die Flammen;
Doch oft nicht ward uns solch ein Fest; die Feurung war zu selten,
Und wenig Aexte hatten wir, damit wir Bäume fällten.
Wie langsam in den Nächten dann, den bangen, fürchterlichen,
Der Wärme und des Lichtes baar, dahin die Stunden schlichen,
Indessen von den Ufern her, aus jeder Bergesspalte
Zu uns das Heulen und Gebrüll der wilden Thiere hallte!
Oft wagten auf dem Eis des See's sich bis ins Dorf die Bären,
Und mit den Waffen mußten wir uns vor den grimmen wehren.

Dem Häuptling, der mein Dienstherr war, gehorcht' in Ehrfurcht Jeder;
Auf seinem Haupte wiegte stolz sich eine Adlerfeder
Und um den Hals ihm hing ein Schmuck von blanken Raubthierzähnen.
Tod stand darauf, wenn irgend wer, als er mit seinen Söhnen,
Der gleichen Zierde sich vermaß; ganz zugethan dem Alten
Und eifrig immerdar bestrebt, Besteh'ndes zu erhalten,
Feldherr des Volks nicht war er nur im Kampfe mit dem Feinde,
Nein geistlich auch das Oberhaupt der ganzen Dorfgemeinde.
Zunächst bei seiner Hütte stand ein Hochaltar von Bronze,
An dem den Cultus er vollzog als Imam oder Bonze.
Dem Götzen seines Stammes gab nach uralt-heil'ger Satzung
Er mit der eignen höchsten Hand die vorgeschriebne Atzung
Und trat nach jeder Jagd zu ihm, mit den gehör'gen Riten
Von jeglichem erlegtem Wild ihm seinen Theil zu bieten;
Auch daß man ihm allmonatlich gefangne Feinde schlachte,
War alter Brauch, darüber er mit steter Sorge wachte.
Wenn es an solchen just gebrach, so nahm nach Brauch der Ahnen
Die Fehlenden er aus der Zahl der eignen Unterthanen;
Je mehr bei diesen Festen dann der Menschenopfer fielen,
So mehr gefeiert ward der Tag mit Jubel und mit Spielen.

Den Herren, denn er war in Huld und Gnaden mir gewogen,
Begleitet' ich auf jedem Zug mit seinen Kriegspirogen;
So tobte eben wechselvoll ein Krieg bereits seit Jahren
Mit den Bewohnern eines Dorfs, die unserm feindlich waren;
Oft überfiel dies Pfahlbauvolk, das westlich in der Ecke
Des Sees angesiedelt war, uns aus dem Felsverstecke,
Und wenn es im Verheerungszug auf uns hereingebrochen,
Ward wiederum von uns im Kampf die Missethat gerochen.
Hinüber und herüber ging, so dicht wie Hagelschlossen,
Der Pfeilflug, manche Hütte ward in Brand und Grund geschossen,
Und mit dem Blut der Streitenden sah ich den See sich färben;
Allein wie viel der Andern auch ich sah im Kampfe sterben,
Mir bangte nur vor Einem, daß mein Herr den Tod erlitte;
Denn grauses Schicksal harrte mein alsdann nach alter Sitte:
An jedes Häuptlings Grabe ward gesteinigt sein Gesinde.

Es war die schöne Sommerzeit, lau fächelten die Winde,
Da rief des Häuptlings Töchterlein mich ins Gemach der Frauen,
Als keine just zugegen war: »Dir darf ich ganz vertrauen –
So flüsterte sie leis – mir bürgt dein Blick für deine Treue,
Indeß ich sonst vor jeder Magd, vor jedem Knecht mich scheue.
Erfahre du: als jüngst am Land die Männer jagend streiften,
Vergnügt' ich mich in einer Schlucht, wo rothe Beeren reiften;
Mit meinen Mädchen spielt' ich erst, wir kletterten und liefen,
Dann weiterhin zerstreuten sie sich in des Waldes Tiefen,
Und, als allein ich war, hervor trat durch die Pflanzenschlingen
Ein schöner Jüngling, Hals und Arm geschmückt mit blanken Ringen.
Lang, sprach er und ihm zitterte die Stimme, aus der Ferne
Hab' er nach mir gespäht, so wie nach einem Himmelssterne;
Seit er auf der Pirogue mich einst im Vorüberfahren
Gesehen, dräng' es ihn, sein Herz vor mir zu offenbaren.
Vom Häuptling jenes Stamms, der stets mit uns im Streite liege,
Sei er der Sohn, doch halte selbst sich ferne stets vom Kriege.
Indeß der Jüngling also sprach, stumm stand ich, die Erschreckte,
Denn Beiden drohte uns Gefahr, wenn Einer uns entdeckte;
Allein zuletzt verhieß ich ihm, zu stillen sein Verlangen
Und heimlich an entlegnem Platz bei Nacht ihn zu empfangen.
Du kennst die kleine Hütte wohl, wo Geister hausen sollen;
Nicht scheu' ich sie, mag Keiner sonst sie auch betreten wollen.
Wenn Alle schlafen, heute Nacht laß dort ein Lämpchen glimmen,
Dann wird geleitet von dem Schein, mein Freund herüberschwimmen,
Du aber, während er bei mir, halt vor der Thüre Wache!
Entdeckte uns der Vater, weh! schwer träf' uns seine Rache.«

Befehl war mir der Herrin Wort; kaum daß der Tag erblichen
Und in die Hütte leisen Schritts des Häuptlings Kind geschlichen,
So zündete das Lämpchen ich dicht an des Ufers Borden
Und blieb als Wächter dort am Platz, wie mir Befehl geworden.
Oft trat die Kleine aus der Thür und Sehnsuchtsseufzer hauchte
Sie nach dem Liebsten lang umsonst; da endlich, siehe! tauchte
Ein Lockenhaupt, ein weißer Arm, ein Nacken aus den Wogen;
Er war es; in die Hütte fort ward er von ihr gezogen
Und, während drinnen sich das Paar in Liebesglück berauschte,
Hielt außen achtsam ich die Wacht; ich spähte und ich lauschte;
Da plötzlich lauter Stimmenschall und Schritte, die sich nahten!
Ich rief den Beiden hastig zu: Flieht! flieht! Ihr seid verrathen!
Sie stürzten aus der Hütte vor, allein auf allen Wegen
Wohin sie flohen, ihnen trat der Knechte Schaar entgegen,
Und jählings dicht vor ihnen stand der Häuptling selbst, der grimme;
»Packt mir den Schuft, den Schändlichen!« rief er mit Donnerstimme
Und höhnend zu der Tochter dann: »Bei eurem Hochzeitfeste,
Kind, dürft ihr so allein nicht sein; seht da! ich bring' euch Gäste.«
Vergebens war des Mädchens Fleh'n; er gab Befehl den Knechten,
Daß sie in Eisenkettenhaft hinweg den Jüngling brächten.
»Lang ist es, daß wir unserm Gott kein Menschenopfer brachten,
So soll man morgen diesen ihm am Festaltare schlachten,
Und du, Kind, wirst zugegen sein; ei, dies dein Liebestreiben,
Wie, Thörichte, nur glaubtest du, Geheimniß würd' es bleiben?
Durch deine Mägde kamen mir, die dich belauscht, Berichte
Von deinem ersten Zwiegespräch mit diesem Bösewichte;
Als treu sie preis' ich; aber du – rief er, zu mir gewendet –
Verworfner Knecht, der durch Verrath du deinen Dienst geschändet,
Zum Lohn für deine Kuppelei, darauf magst du vertrauen,
Wird morgen dir das Opferbeil das Haupt vom Rumpfe hauen!«
Man packte mich, ich widerstand, doch ward, bedeckt mit Wunden,
An den Altar geschleppt und fest an einen Pfahl gebunden;
Daneben lag der Jüngling schon in schweren Eisenklammern
Und durch die Nacht vernahm mein Ohr sein Aechzen und sein Jammern,
Dazwischen aus der Knechte Schaar, die um uns her als Wächter
Im Kreise saßen, Stimmenruf und Höhnen und Gelächter:
»Nun, heute früh mit leckerm Mahl wird unser Gott gefüttert!«
Erscholl's, und mir von jedem Ton ward Mark und Bein erschüttert.

Schon glomm mit erstem gelbem Streif der Tag empor im Osten,
Mich loszureißen mit Gewalt da sucht' ich von dem Pfosten,
Allein umsonst, von fernher drang schon wildes Schrei'n und Lärmen,
Die Pfahldorfwohner wälzten sich zu uns heran in Schwärmen,
Und aus den andern Dörfern auch hertanzten auf den Wellen
Der Kähne und Pirogen viel bei Muschelhörnergellen.
Geflogen war die Kunde schnell in alle Bai'n und Buchten,
Und eh des Jünglings Sippen noch ihn zu befrei'n versuchten,
Das Opfer wollte man vollziehn in frühster Morgenhelle.
Die Federkrone auf dem Haupt, gehüllt in Bärenfelle,
Als erster trat der Häuptling vor, in Händen Axt und Keule,
Und tanzte um das Götzenbild mit wüthigem Geheule;
Im Chore folgte ihm das Volk, und pfeifend, klappernd, blasend
Mit höllischer Musik ihm nach sich wälzten alle rasend.
Dann nieder warf der Häuptling sich und faltete die Hände
Und betete zum Fetisch: nimm von mir die Opferspende!
Auf einmal sprang er wieder auf zum letzten großen Akte,
Er stürzte auf den Jüngling los und seine Linke packte
Den Nacken ihm, indeß die Axt in seiner Rechten saus'te –
Abwenden wollt' ich mein Gesicht, weil mir beim Anblick graus'te,
Und dennoch sehen mußt' ich es, – dicht stand der Todgeweihte,
Wie Stiere an der Opferbank, bleich, zitternd mir zur Seite;
Da aus der Menge scholl ein Schrei, durch Hirn und Haupt mir dringend,
Des Häuptlings Tochter drängte sich hindurch, die Hände ringend
Dem Vater sank sie in den Arm, um ihn zurückzuhalten,
Doch mit dem Beil that er den Schlag, des Jünglings Haupt zu spalten,
Und blutend sank der Arme hin; auf ihn gleich Menschenfressern
Eindrangen Männer so wie Frau'n mit Aexten und mit Messern;
Schon lag er todt am Boden da; ich sah und mir umflorten
Die Augen sich, wie Kinder ihm ins Herz ihr Eisen bohrten,
Wie drauf der Häuptling von dem Blut auffing, der Cannibale,
Und es dem Götzen rauchend noch darbot in einer Schale.
Von Mund zu Mund ging da der Ruf: »Sie kommen, ihn zu rächen!
Die Feinde sind es! nur geschwind, damit wir diesem Frechen –
Sie deuteten dabei auf mich – zuvor den Garaus machen!«
Das Lärmen und das Schreien wuchs, in dichtgedrängten Nachen
Herangerudert kam der Feind, das Dorf in Brand zu stecken;
Rothglüh'nde Pfeile schoß er ab; schon stürzten voll von Schrecken
Der Pfahlbewohner viele fort zum Schutze ihrer Dächer;
Allein der Häuptling donnerte: erst sterbe der Verbrecher!
Und zum Altar mich schleppten zwei gehorsam seinen Winken;
Er packte mich – zu Häupten mir die Erzaxt seh ich blinken – –

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