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IV.

»Wie Schade, daß man wieder dich vertrieben
Aus jenem ersten Menschenparadies!
Gewiß gern ewig wärst du dort geblieben,
Da Sehnsucht dich zuvor nicht rasten ließ.
Nicht wahr? ganz wie die Dichter sie beschrieben,
Wie Moses in der Genesis sie pries,
So fandest du aus Unschuld, Frieden, Stille
Gewebt der Urzeit selige Idylle.«

Die Worte tönten, während ich erwachte,
Mir vor den Ohren; aber im Beginne
Nur daß zu meinen Häupten Einer lachte,
Nicht was er zu mir sagte, ward ich inne.
Noch in der Höhle glaubt' ich mich und dachte
An all die Schrecken mit verstörtem Sinne,
Die eben ich erlebt; lang, lange währte
Mein Ringen, bis mir das Bewußtsein kehrte.

Mir däuchte, Jahre hätt' ich, nein Jahrzehnte
In jener grausen Einsamkeit verbracht;
Und daß die Zeit, die sich so endlos dehnte,
Nur die Vision gewesen Einer Nacht,
Daß meinem Geist nur sich das einst ersehnte
Urparadies durch eines Zaubrers Macht
Erschlossen und im neunzehnten Jahrhundert
Ich annoch weilte, war ich tief verwundert.

Indeß ich düster noch ins Leere starrte,
Sprach Ali: »Auf! die Rosse sind geschirrt;
Der ohne Leitstern, ohne Länderkarte
Ihr bis zu diesem Tempel Baals geirrt,
Hört meinen Schwur bei ihm und bei Astarte:
Als Führer will ich und splendider Wirth
Mit Euch den weiten Orient durchreisen;
Für meine Gastfreundschaft mich sollt ihr preisen.«

»So bitt' ich denn, daß ihr, mein Fahrtgenosse,
Von meinen Rennern Euch den besten kürt.«
Er sprach es, rief hinüber zu dem Trosse:
»Ehrt diesen meinen Gast, wie ihm gebührt!«
Und Dromedare wurden, prächt'ge Rosse,
Saumthiere, Sänften tragend, vorgeführt;
Prachtvoll und glänzend, als ob Großsultane
Mitreisen sollten, war die Karavane.

Wir ritten ab; die Säulentempel sanken
Bald in die Ferne hinter uns zurück;
Und in die Wüste ging's; doch noch zu schwanken
Schien Alles, was ich sah, vor meinem Blick.
»Noch immer so versunken in Gedanken? –
Rief Ali aus – um das verlorne Glück
Der ersten Menschen willst du ewig trauern?
Nun, Freund, nimm mein aufrichtiges Bedauern!

»Zurückgeführt hab' ich, so wie versprochen,
Dich zu der Vorzeit fernsten Horizonten,
Als, aus dem Urschleim kaum hervorgekrochen,
Sich unsre Väter mälig trocken sonnten
Und mit den Riesenthieren, deren Knochen
Wir noch mit Schrecken schau'n, den Mastodonten
Und Mammuths so wie andern Quadrupeden
Behaglich wandelten im Garten Eden.

»Ich gratulire, daß dich zu verzehren
Den vielgefräß'gen Bestien nicht gelang;
Doch, treibt zu den Iguana's, Höhlenbären
Zurück dich deines Herzens Sehnsuchtsdrang,
Wohlan, ich will dir deinen Wunsch gewähren!
Bei deiner Rückkehr einen Fest-Empfang,
So wie für Könige, ja noch splendider,
Bereiten werden dir die Affenbrüder.«

So er, und meiner selber kaum bewußt,
Fortfuhr ich schweigend neben ihm zu reiten;
Dann hub er wieder an: »Du hast nicht Lust?
Nun denn, nach einer von den Folgezeiten
Schlägt, Freund, in Sehnsucht dir vielleicht die Brust
Und gern dir werd' ich den Genuß bereiten,
In ihr, nur zum Versuche, ein'ge Tage
Dich umzuschauen; welche wählst du? – sage!

»Gelehrt zu reden: Eben die tertiäre
Periode sahst du, als noch ungetrennt
Des Ostens und des Westens Hemisphäre
Dalag, ein ungeheurer Continent,
Doch plötzlich durch den Einbruch wilder Meere
Die Insel, welche man Atlantis nennt,
Geschaffen ward – nun lebt Erinnrung kaum
Von ihr noch anders, als in Plato's Traum.

»Willst du etwa von jener pliocänen
Siedhitze, die in Islands Tropenglut
Palmen gedeihn ließ, Pisangs und Hyänen
In kälter'm Klima kühlen dir das Blut?
Dann ist die Zeit der Gletscher und Moränen,
Als über des vereisten Meeres Flut
Die Böcke wanderten, die man erratisch
Zu nennen pflegt, dir sicherlich sympathisch.

»O goldnes Alter, jene Eisepoche,
Als sich die frühern Menschen, unsre Ahnen,
Von Frost erstarrt im unterird'schen Loche
Rennthieren zugesellten als Kumpanen!
Wie lustig war's, wenn sie in ihre Joche
Die Thiere zwangen und auf glatten Bahnen
In den aus Knochenbein gefügten Schlitten
Vom Nordpol bis an den Aequator glitten!«

Schon ward es dunkel; da in einem Thale
Absaßen wir und in ein prächt'ges Zelt
Mich führte Ali ein; ringsum vom Strahle
Buntfarb'ger Lampen fand ich es erhellt,
Und Schalen waren, funkelnde Pokale
Auf goldgesticktem Teppich aufgestellt.
Zum Nachtmahl nach der ersten Tagereise
Dort ruhten wir nach Orientalen-Weise.

Wein in die Becher goß ein junger Schenke,
Wie schön're nicht Hafis gefeiert hat,
Und Ali, der vom perlenden Getränke
In vollem Zug zu schlürfen oft mich bat,
Hub wieder an: »Nicht an Vergangnes denke,
Noch an Zukünftiges, das ist mein Rath!
Wer nicht das Jetzt genießt und seine Freuden,
Dem geb' ich Schuld, sein Dasein zu vergeuden.

»Von mir, mein Freund, die ächte Weisheit lerne,
Und durch das Leben mag sie dich geleiten!
Urthorheit muß ich's nennen, in der Ferne
Das Glück zu suchen, in vergangnen Zeiten;
Wie Schattenbilder, die an der Laterne,
Wenn sie der Gaukler schiebt, vorübergleiten,
So zieht die blöde, willenlose Heerde,
Die Menschheit mein' ich, über diese Erde.

»Nicht Einer weiß, von wem sie wird geschoben,
Weshalb das ganze Spiel ist und für was;
Wenn ein Geschlecht nach langem, wüstem Toben
Und wildem Streit von Ehrgeiz, Habgier, Haß,
Drin es das Unterste gekehrt nach oben,
Ich sage, wenn es endlich leichenblaß
Ins Nichts verstoben ist, beginnt in Schnelle
Ein anderes das Spiel an seiner Stelle.

»So war's von je, so wird es immer bleiben,
Der Schwache Sklav, der Mächtige Tyrann;
Daß Einer sich am Andern aufzureiben
Der Mensch bestimmt ist, scheint, so viel ich sann,
Der einz'ge Sinn mir bei dem schalen Treiben,
Und daß er sich das Leben nehmen kann,
Nur darin hat er Vorzug vor dem Thiere,
Beneiden müßt' ers sonst um seine Viere.

»Thu denn wie ich, der frei vom Erdentruge,
Nicht sorgend um den Lauf des Weltgeschicks,
Ich jeden Harm im weingefüllten Kruge
Ertränke, diesem einz'gen Quell des Glücks,
Und Land auf Land in stetem Wanderzuge
Durchstreife als der Sohn des Augenblicks,
Bis ich nach ausgeschlafnem Lebensrausche
Dies Dasein mit dem sel'gen Nichts vertausche.«

Mit Märchen dann und manchem lust'gen Schwanke
Und mit Erzählungen aus Ost und West
Hielt Ali lange noch, mit feur'gem Tranke
Den Becher füllend, mich beim Mahle fest,
Doch folgen ließ der brütende Gedanke
Mich kaum den Reden; auch noch, als der Rest
Des Weins geschlürft war, hielt er in der Nacht
An meinem Pfühl, den Schlummer scheuchend, Wacht.

Ob Ali Schlaf gefunden, weiß ich nicht;
Leer war sein Lager Morgens; vor dem Zelte
Ihn sah ich stehen, wie des Frühroths Licht
Sein greises Haupt mit erstem Strahl erhellte.
Kaum wieder kennen konnt' ich sein Gesicht;
Jedweder Zug von Hohn und Spott und Kälte
Schien von dem goldnen Scheine, drin verklärt
Das ernste Antlitz glänzte, aufgezehrt.

An eines Felsens Abhang hingetreten,
In sich versenkt, nicht ward er mein gewahr;
Und, wie er dastand mit dem winddurchwehten,
Weißer als Schnee gebleichten Lockenhaar,
Erschien er mir als einer der Propheten
Uralter Zeiten, welcher wunderbar
Durch wechselnde Geschlechter, Völker, Sitten,
Hindurch bis in das kleine Heut geschritten.

Mit feierlichem Ernst sah in die Weite
Sein dunkles Auge, das begeistert glomm –
Seltsam! Er, der mir lachend das Geleite
Gegeben, nun so andachtvoll und fromm!
Schon lang stand ich ihm unbemerkt zur Seite,
Da trat ein Sklav zu ihm mit Ehrfurcht: »Komm,
Gebieter! Rufen dich nach dem Gebote,
Das du mir gabst, sollt' ich beim Morgenrothe.«

Ali, sich wendend, sah mich an mit Schweigen;
Er suchte, wohl gewahrt' ich's, wiederum
So wie er sonst gewesen sich zu zeigen,
Doch fand, in sich versenkt, oft lange stumm,
Erst nach und nach die Art, die sonst ihm eigen.
Was sollt' ich denken? Welch Mysterium,
Das diesen Mann umgab! Zwei Wesenheiten
Schienen in seinem Wesen sich zu streiten.

So, uns zu Rosse setzend bei dem frühsten
Tagslichte, Mittags ruhend und bei Nacht,
Durchzogen Städte, Dörfer wir und Wüsten,
Doch stets, als wär' ich kaum vom Traum erwacht,
War mir zu Sinne noch. Am Tigris grüßten
Wir Bagdads halbverschollne Märchenpracht,
Und neben ihm im königswürd'gen Schlosse
Als Gast zu wohnen, lud mich mein Genosse.

Da prangte jeder Saal mit blanken Fliesen
Und golddurchwirkten Divans, Purpurbetten,
Da schlängelten sich goldene Devisen
An rothen Simsen, blauen, violetten,
Empor bis zu den Wänden und den Friesen
Und spiegelten vereint mit den Rosetten,
Mit des Gewölbes weißen Tropfsteinzellen
Sich in des Wasserbeckens klaren Wellen.

Früh lud beim Ruf des Isan von den Thürmen
Zu sich mich Ali auf die Hausthürbank,
Wo breite Matten vor der Sonne schirmen.
An uns vorbei schwoll wild des Volkes Drang,
Und kecken Ritts, als gält's die Stadt zu stürmen,
Sprengten bei kriegerischem Paukenklang,
Hoch in der Hand geschwenkt die Lanzenrohre,
Der Wüste braune Söhne durch die Thore.

Sodann ein Morgengang durch die Bazare!
Welch Wogen der Beduinen und der Städter,
Der hohen, frachtbeladnen Dromedare!
Dazwischen Schlangenzähmer, Wunderthäter,
Kaufherrn, dem Volk laut preisend ihre Waare,
Indeß inmitten des Gedrängs ein Beter,
Nicht achtend, ob ihn Einer hört und sieht,
Tiefandachtvoll auf seinem Teppich kniet.

Zur Mittagsstunde beim Gedüft der Myrthe
Ausruht' ich in des Hofes offnem Raum,
Und die Cikade, die im Laube schwirrte,
Der winddurchsäuselte Citronenbaum,
Lullten den Geist, der hier- und dorthin irrte,
Mir nach und nach in Schlaf und sanften Traum;
Glückselig ich, wenn bis zur Abendspäte
Mein Denken all versank in dieses Lethe.

Im Laub, nachdem gestillt der Sonnenbrand,
Erhob die Nachtigall die Stimme wieder,
Und mir zur Seite lösten von der Wand
Sich Abu-Nuwas', Dschami's trunkne Lieder.
Klangreich, nicht mehr in stumme Schrift gebannt,
Von den Gewölben rannen sie hernieder
Und in den Blenden, Nischen insgeheime
Kos'ten und flüsterten die süßen Reime.

Drauf bald ans Tigrisufer, das Narghile
Zu rauchen, zog mich mein Begleiter mit,
Wo auf der Wiese kecker Reiter viele
Die Stäbe lustig warfen im Dscherrid
Und bunt beflaggt bei Sang und Saitenspiele
Kahn neben Kahn an uns vorüberglitt;
Bald führt' er mich in eins der Rosenthäler,
Daß ich den Märchen lauschte der Erzähler.

Doch trotz der Wunderstadt der Schehrezade
Und aller Reize, welche sie mir bot,
Trotz Ali's Rath und nimmer müder Suade
Wich nicht von mir der Trübsinn, der Despot.
Auch noch, als wir zu neuem Längengrade
Ostwärts auszogen bei des Morgens Roth,
Mir folgt' er nach, denn immerdar noch schwebte
Vor meinem Geist das jüngst im Traum Erlebte.

Von Schiras' duft'gen Gärten die Arome
Einschlürften wir und boten unsern Gruß
Dem Dichtergrab am vielbesungnen Strome
Des Roknabad, wie dem im alten Tus.
Dann thürmte seine eisgekrönten Dome
Vor uns zum Himmel Indiens Kaukasus,
Der Patriarch der Berge, dessen Kinder,
Die weitverirrten, Deutsche sind und Inder.

Geblendet hob mein Blick erst mälig, zage
Sich zu dem himmelnahen Felsengrat,
Dem Götterberg der alten Ariersage,
Den nie ein Menschenfuß zuvor betrat.
Mit reinem Schnee der ersten Erdentage
Wie aus der Ewigkeit auf unsern Pfad
Sah er herab, und hoch im Aetherglanz
Glaubt' ich zu schaun der Sel'gen Feiertanz.

Oft, wenn von Osten her mit Flammenrädern
Der Morgenröthe goldner Wagen zieht,
Rauscht noch ein Urweltklang hier durch die Cedern,
Der jungen Menschheit erstes heil'ges Lied,
Als einst sie gleich den Persern, gleich den Medern
Voll Andacht an der Felsen Fuß gekniet
Und in des Lichts, des Lebens lautrer Quelle
Sich badete in reiner Morgenhelle.

»Der Wahrheit geb' ich ungescheut die Ehre –
So rief ich aus – der Menschen erster Glaube
War auch der beste, als zum Sternenheere
Sie betend aufsah'n aus dem Erdenstaube,
Als sie nicht Tempel kannten noch Altäre
Und in der Berge hehrer Säulenlaube
Ihr Hymnus mit der Stürme Donnerpsalmen
Vereint hinbraus'te durch das Dach der Palmen.

»Auch sie, die mit der Bilder stummen Reden
In Indiens Tempelhöhlen zu uns spricht
Und um die Gangaquelle in dem Eden
Des Himalaya räthselhaftes Licht
Verbreitet, das sich dämmernd auf der Veden,
Auf der Puranas heil'gen Blättern bricht,
Der Seelenwandrung trostreich-fromme Lehre,
Wo ist die Religion, die besser wäre?

»O daß zu jener Urzeit unsrer Väter
Und zu dem Glauben, welchen sie geglaubt,
Wir wiederkehren könnten! Rein'rer Aether
Umspielte morgendlich uns dann das Haupt,
Und von dem Irrwahn, der den Menschen später
Die Unschuld jener Kinderzeit geraubt,
Uns läuternd, würden wir gleich jenen frühen
Geschlechtern neu in frischer Jugend blühen!«

Da lachte Ali: »Und mit dreister Stirne
Berufst du dich auf derlei Fabelei,
Erfunden von verbranntem Dichterhirne,
Dann forterzählt im Dienst der Klerisei
Von der Geschichte, jener Lügendirne?
Die Tage solcher Märchen sind vorbei.
Mag man davon in tausend Büchern lesen,
Die Zeit, von der du sprichst, ist nie gewesen.

»Hast du nicht selbst erlebt, wie über Maßen
Das Glück der ersten Erdbewohner war,
Als noch die beiden kaum getrennten Racen,
Affe und Mensch, sich glichen auf ein Haar
Und alle Lebenden einander fraßen?
Nun denn! der Zeiten beste offenbar
War jene noch, und schlimmer, ungestalter
Nur ward die Welt mit jedem Menschenalter.

»Denn wenn zuerst die Menschheit vor Aeonen
Naiv das war, wozu sie schuf Natur,
So ward auf ihren späteren Stationen
Sie übertüncht vom Firniß der Cultur,
Doch stachelten Gesetze, Religionen
In ihrem Innern mehr die Bestie nur
Und künstlich wird, so lang die Zeiten währen,
Jedwede künftige ihr Leiden mehren.«

Drauf ich: »Elend, so wie du's mir gewiesen,
Wohl mag des Menschen Loos gewesen sein,
Als er im Kampfe mit den Schöpfungsriesen
Noch schwach dastand und hülflos und allein;
Doch jedes Volk spricht von den Paradiesen,
Drin seine Ahnen unschuldsvoll und rein
Vordem gelebt; preis't nicht dies goldne Alter
Die Leier des Ovid wie Davids Psalter?

»Ja, daß am frühen Anfang der Geschichte,
Als sich der Geist aus erster Finsterniß
Emporgerungen, hell im Morgenlichte
Solch eine goldne Zeit liegt, ist gewiß;
Auf aller Völker Sagen und Gedichte
Mich stütz' ich, nicht bloß auf die Genesis;
Und wisse, Spötter, diesen heil'gen Glauben
Wird alle deine Weisheit mir nicht rauben.«

»Wohlan, mein Freund, so magst du selber schauen!
Von meinem Trank schon mischt' ich in dein Glas.«
Rief Ali aus, als ich um's Abendgrauen
Beim Mahl ihm, wie gewohnt, zur Seite saß;
Und bald den Schlaf fühlt' ich herniederthauen,
So daß ich Alles um mich her vergaß;
Nicht lange, und ich fand mich fern dem Zelt
Ein Anderer in einer andern Welt.

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