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X.

Gleich Einem, der in dumpfer Sommerschwüle
Vom nächt'gen Alp, der grausen Mißgestalt,
Geängstet ward und ächzend auf dem Pfühle
Sich hierhin bald gewälzt und dorthin bald,
Doch dann aufathmet in der Morgenkühle,
Die ihm durchs Fenster frisch entgegenwallt,
So grüßt' ich, noch von Schrecken halb erstarrt,
Erwachend froh das Licht der Gegenwart.

O wohl mir, daß ich diesem Mittelalter,
Für das ich einst geschwärmt, entronnen bin!
So dacht' ich und mir zog ein eisigkalter
Entsetzenschauer durch die Seele hin.
Ehmals, als ich im Wolfram las, im Walther,
Wie anders stand es nicht vor meinem Sinn!
Nach seinem Ritterthum und Minnesange
Wie oft nicht sehnt' ich mich mit brünst'gem Drange!

Doch jetzt als einen großen Unheilsbronnen,
Aus dessen finsterm Schlund von Land zu Land
Ein Strom von Blut und Thränen hingeronnen
Hab' ich die vielgepries'ne Zeit erkannt.
Was je der Mensch an Freveln nur ersonnen,
An Wahngebilden, toll und hirnverbrannt,
Gebrütet hat, schoß wucherisch und dumpfe
Pestluft verbreitend auf aus ihrem Sumpfe.

Und hin zu Ali trat ich: »Deinem Spotte
Vorbeugend, eh' er in das Ohr mir gellt,
Selbst sag' ich dir: von einem bösen Gotte
Erschaffen ward, von Ahriman, die Welt;
Die Menschen hat er, die verworfne Rotte,
In seiner Arglist zu dem Amt bestellt,
Daß sie, zur Kurzweil ihm, an Marterpfählen,
Auf Foltern, gegenseits zu Tod sich quälen.

Durchschaut als Fabelei der Mythologen
Hab' ich das Erdenglück auf Edens Flur;
Auch Hellas – o wie fand ich mich betrogen! –
Wies mir im Menschen nur die Thiernatur;
Ob Freiheit brüllten seine Demagogen,
Die Sklavenkette klirren hört' ich nur;
Nun erst dies Mittelalter – ich erkannt' es
Für grausiger, als das Inferno Dante's.

Ja frei bekenn' ich mich zu deinen Lehren:
Ein wüster Rausch nur ist das ganze Sein,
Ein ew'ger Krieg zahlloser Ephemeren,
Wie sie zur Sommerzeit der Sonnenschein
In Teichen brütet, welche faulend gähren.
In tollem Zank, in Angst und Noth und Pein
Wälzt sich der Wesen widriges Gewimmel
Durch alle Welten hin, durch alle Himmel.

Für immer bin ich von dem Wahn genesen,
Als ließ' aus diesem taumelnden Gewirr
Ein Sinn sich und ein Zweck zusammenlesen;
Ich weiß, unselig, an sich selber irr,
Ruchlos von jeher ist der Mensch gewesen
Und Jammer, Kettenrasseln, Schwertgeklirr
Wird ihn bis an den letzten Schluß der Zeiten
Auf seinem wüsten Erdengang begleiten.

So such' ich denn nur Eines noch: Vergessen,
Daß je ein höh'rer Trieb in mir gelebt,
Vergessen meiner selbst und alles dessen,
Wonach mein Geist mit heißem Drang gestrebt;
Nie, mehr zu sein jetzt will ich mich vermessen,
Als nur ein Wurm, der an der Scholle klebt;
Nur an den Augenblick noch laß mich denken,
Und Zukunft drin, Vergangenheit versenken!«

»Glückauf! – rief Ali aus – als Proselyten
Begrüß' ich dich zu meiner Religion.
All der gewohnten Cultusrequisiten,
Wie des Castratensangs im Fistelton,
Des Zankes von Sunniten und Schiiten,
Der Dogmen, die man der Vernunft zum Hohn
Uns ins Gehirn prägt, hat sie sich entledigt
Und kennt nicht Freitags- und nicht Sonntagspredigt.

»Sogleich den Frühtrunk will ich dir kredenzen;
Alsdann zu Rosse, wenn es wieder tagt,
Und da mit ihren Bajaderentänzen
Die Festlust unsres Wirths dir nicht behagt,
Da du auch jenseit der Nirvana-Gränzen
Den Inder zu begleiten nicht gewagt,
So werde nach den Ländern des Propheten
Der Rückzug morgen von uns angetreten!

»Zu Muth sein, wie in Allahs Paradiese,
Wird dort uns glaubensstarken Orientalen;
Auf Pfaden, überstreut mit goldnem Kiese
Lustwandeln wir mit silbernen Sandalen,
Und Houris bieten auf der Lotoswiese
Den Labetrunk uns in krystallnen Schalen;
Sie werden doch nach des Propheten Willen
Sie nicht, anstatt mit Wein, mit Wasser füllen!

»Für ihn, der neues Leben gibt den Todten,
Den Göttersohn, den edlen Rebensaft,
Ist, eben weil ihn Muhammed verboten,
So mächtiger der Frommen Leidenschaft.
Der Lebensräthsel tiefverworrnen Knoten
Lösen wird er auch dir unzweifelhaft,
Wie er mir jeden Schmerz in Schlummer lullte;
Ihm laß uns weih'n den eifrigsten der Culte!«

So ließen wir die Länder der Brahmanen;
Von Kaschmirs Seeen, von dem Hain der Buße,
Den Kokilas, den Lotos und Lianen
Abschied nahm ich mit letztem Freundesgruße,
Und uns empfing das Hochland der Afghanen;
Nach Westen dann, wo von der Berge Fuße
Das Land sich senkt, Terrasse auf Terrasse,
Fortzogen wir im engen Felsenpasse.

Und wunderbar! – es schien mir wie ein Traum –
Als würden wir im Flug dahingetragen,
Wie Pfeile schnell durchmaßen wir den Raum;
Kaum sah'n wir vor uns Riesengipfel ragen,
So sanken sie zurück am Himmelssaum
Und weite Wüsten, unabsehbar, lagen
Um uns gebreitet; wieder in Sekunden
Dann waren sie an uns vorbeigeschwunden.

Auf seinem goldnen Wagen nicht geschwinder
Zieht Helios über Meer dahin und Land,
Als unsre Fahrt ging. Von der Mark der Inder
Bis wo am Libanon der Wüstensand
Mit Grün sich säumt, gelangten wir in minder
Als einem Tag; am Abendhimmel stand
Die Sonne noch, als vor uns in der Ebne
Damascus lag, das frühlingsgrün-umgebne.

Vorbei an Bächen, die durch Wiesen rinnen,
An Pinien, säuselnd in des Abends Weh'n.
An Halbmondfahnen auf gezackten Zinnen,
Friedhöfen, Minareten und Moscheen,
Führte mich Ali in ein Haus, das innen
Mit Allem prangte, was der Saracen
An Kunst vermag; empor bis an die Dächer,
Blendend von Goldstuck glänzten die Gemächer.

Indessen an den Gartenhöfen trunken
Mein Blick hing, die in Rosenfülle blühten,
Den Wasserbecken, draus wie goldne Funken
Im Abendglanz die Tropfen blitzend sprühten,
Schritt Ali neben mir, in sich versunken,
Und schaute nicht empor in seinem Brüten;
Kaum hinter uns lag das Gewühl der Gassen,
So winkt' er mir, ich möcht' allein ihn lassen.

Er, der sonst unaufhörlich rieth, beim Tranke
Den Trübsinn und die Grübelei zu flieh'n,
Seltsam, daß plötzlich oft ihn eine Schranke
Von dem, der sonst er war, zu trennen schien!
Dann breitete Gedanke auf Gedanke,
Wie Wolken auf den Berg, darob sie zieh'n,
Auf seine hohe Stirn den ernsten Schatten
Und, ihm zu nah'n, mir wollt' er nicht gestatten.

Zurück zum abgelegnen Gartensaale
Sich zog er, wo er einsam lange blieb.
Dort spät am Abend noch beim Lampenstrahle
Mit seinem Buche, wie er las und schrieb,
Durchs Fenster ihn gewahrt' ich manche Male;
Mich aber ließ alsbald des Herzens Trieb
Durchs Thal der Ghauta, das zugleich mit reifen
Goldfrüchten und mit Blüthen prangte, streifen.

Hier sei mit mir ein guter Genius,
Daß ich durch ihn der Andern Weise lerne,
Mich zu begnügen mit des Schicksals Schluß
Und, nur des Heut gedenkend, meinem Sterne
Zu danken für des Augenblicks Genuß!
Hält unter Palmen froh an der Cisterne
Nicht so der Wandrer Rast, ob allumher
Auch wogt der Wüste gränzenloses Meer?

Damascus! Wie von Zauberbann umfangen,
Träumt der Beduine, der dies Wort vernimmt,
Von quelldurchrauschter Gärten Frühlingsprangen,
Durch deren Schattendach kein Lichtstrahl glimmt,
Von Eichenhainen, wo gleich Riesenschlangen
Die Rebe auf zu Stamm und Wipfel klimmt
Und, einem Sturzbach gleich in grünen Wogen
Herabfällt aus des Laubgewölbes Bogen.

So wie im Traum dich schaut der Orientale,
Wie vor der Seele mir dein Bild geglänzt,
Als ihren Göttertrank aus voller Schale
Zuerst Arabiens Dichtkunst mir kredenzt,
Liegst du vor mir in deinem Wunderthale
Und ladest mich an Ströme waldumkränzt,
In deiner Gärten Baum- und Schattenfülle,
Daß ich des Herzens alte Sehnsucht stille.

Wenn ich hinschreite auf den Dämmerpfaden,
Wo Blüth' an Blüthe, Blatt an Blatt sich drängen,
Und zu den Schläfen deß, der mühbeladen,
Des Schlummers goldne Früchte niederhängen;
Wenn deiner Bäche sprudelnde Cascaden
Die heiße Stirne mir mit Thau besprengen,
Wird meine Seele von den letzten Wunden,
Die drüben ihr das Schicksal schlug, gesunden.

Am Fuße bald der zitternden Mimose,
In frischen Grotten bald am Wasserfall,
Am Berghang, wo der Mai die Apricose
Schon schwellend rundete zum goldnen Ball,
Saß ich, berauscht vom Duft der Schirasrose,
Der schönen Sultanin der Nachtigall,
Und ließ – mein Blick hinirrend ob den Lettern –
Den Ostwind in Hafisens Divan blättern.

Geschäftig füllt' ein turbanhäupt'ger Mohr
Den Becher mir mit perlendem Sorbete,
Und, während von des Gartens Blüthenflor
Narkotisch mich der süße Duft umwehte,
Der Zeit nicht hatt' ich Acht, bis an mein Ohr
Der Abendruf erscholl vom Minarete
Und in der Nacht, die schon im Thale lag,
Zuletzt der Berge Zwielichtschatten brach.

Schon waren Wochen also mir verronnen,
Seit ich der Ghauta reine Lüfte trank,
Und doch, nicht hindern konnten all die Wonnen,
Daß ich in Brüten wiederum versank;
Von den Gedanken, die ich sonst gesonnen,
Fühlt' ich wie ehmals meine Seele krank,
Und trüb vorüber zogen meinem Blicke
Der Menschen ewig wechselnde Geschicke.

Da kam der alte düstre Geist, der wilde,
Von Neuem über mich; vom Lager fort
Früh scheuchten mich der Seele Schreckgebilde
Und jagten unstet mich von Ort zu Ort.
Die Reize all der blühenden Gefilde,
Damascus' ganze Pracht schien mir verdorrt,
In Wolken eingehüllt, in trübe, gelbe,
Des Himmels klarkrystallenes Gewölbe.

In finstres Sinnen dergestalt versunken,
Einst ruht' ich Abends so am Barada;
Da scholl's: Selam Alaikum! mir zu Ohren
Und sieh! auf einer Gartenbank, mir nah,
Gewahrt' ich Ali: »Einen schlimmern Thoren
Muß ich dich nennen, als ich jemals sah,«
Lacht' er mich an, indeß er aus dem Schlauch
Gewölkgleich blies der Wasserpfeife Rauch.

»Verscheuch die eitlen Sorgen, Grillenfänger!
Froh sind die Damascener, und nicht Frist
Zu deinem Trübsinn geben wir dir länger,
Da des Propheten heil'ger Tag heut ist.
Im Kreise der Erzähler und der Sänger
Bald lehr' ich dich, wie man die Pein vergißt;
Komm! dort, wo sich die frohen Gruppen drängen,
Gleich wollen wir in ihre Reih'n uns mengen!«

Nicht lang, und zwischen blüh'nden Rosenbeeten
Auf Polstern ruhten ich und mein Genosse
Und schauten bald die steigenden Raketen,
Bald eines Taschenspielers tolle Posse;
Bald lauschten wir den Wundern des Propheten,
Wie kühnen Ritts auf Borak, seinem Rosse,
Die sieben Himmel er im Nu durchzogen –
Man zeigt den Platz noch, wo er aufgeflogen.

Dann folgten Märchen aus der Tausend-Einen
Vom unterird'schen Schloß, von Nureddin;
Und wie sich in der Dichtung Blüthenhainen
Erging mein sagenduftberauschter Sinn:
»Nun – sagte Ali – Freund! ich sollte meinen,
Der Eingeweihten Einer, wie ich bin,
Zu werden solltest du dich auch entschließen
Und von dem Wunderkraut Haschisch genießen.«

»Wer das thut, fühlt, zu neuen Weltgestaden
Entrückt, die Nachtgedanken eines Young,
Mit denen seine Seele sonst beladen,
Verschwunden bis auf die Erinnerung;
In rein'rer Luft glaubt er die Stirn zu baden
Und neidet nicht, er selbst unsterblich jung,
Die Götter Indiens oder andrer Mythen,
Die selig wandeln unter Amrablüthen.«

Gesagt, gethan, ich nahm von seinem Kraute
Und fühlte bald, wie mir die Sinne schwanden;
Mein inn'res Ohr nur hörte dumpfe Laute,
Wie Sturmgebraus, wie Meereswogenbranden;
Auf einmal ward es hell um mich, als blaute
Der ganze Himmel; frei von Erdenbanden
Hoch ob den Ländern, welche drunten lagen,
Den Meeren fühlt' ich mich dahingetragen.

Mir war, von einer göttlichen Aurore,
Schön, wie sie keines Menschen Augen sah'n,
Mit Rosenfingern würden mir die Thore
Zu neuem besserm Leben aufgethan
Und luft'ge Geister jubelten im Chore
Für das besiegte Erdleid den Päan;
In ein Gefühl von gränzenlosen Wonnen
Schien Welt und Zeit und Raum mir hingeronnen.

Doch ach! kaum Stunden lang, geschweige Wochen,
Blieb dieses Glückes Fülle mir bescheert;
Ich wachte auf, die Glieder wie zerbrochen,
Die Augenlider wie von Blei beschwert,
Und fühlte Schmerz bis in das Mark der Knochen;
Dumpf war's im Kopf mir, und verwirrt, verstört,
Vermocht' ich lang mich – Nacht in mir tief innen –
Auf wer und wo ich war nicht zu besinnen.

Da der Versuch, durch den Haschisch mich heiter
Zu stimmen, dergestalt mißlungen war,
So schlug mir Ali vor, wir wollten weiter
Die Welt durchziehn, ein Abenteurer-Paar.
So denn nochmals aufbrachen wir als Reiter
Und bald vor uns im Morgenlichte klar
Erhob sein Patriarchenhaupt, sein greises,
Der Libanon, der Vater ew'gen Eises.

Empor! empor! In Windungen wie Schlangen
An steilen Schlünden zieht der Weg sich hin,
Der Sturzbach schäumt, von Myrthen überhangen,
Und freier wird mir, froher schon zu Sinn,
Wie mir der Bergwind streift um Stirn und Wangen.
O jede Stunde preis' ich als Gewinn,
Wenn mich nicht wirre Menschenstimmen stören,
Nur des Naturgeists ew'gen Laut zu hören.

Als Gast nicht, als Vertrauten und Verwandten,
Befreundet ihnen seit der Jugendzeit,
Empfangen mich die hehren Berggiganten
In ihre wunderbare Einsamkeit,
Und an der Steinwand, die von steilen Kanten
Beschäumte Bäche in die Tiefe speit,
So sicher, wie ein Sohn des Drusenlandes,
Hinspreng' ich längs des jähen Felsenrandes.

Zu Dörfern, die an steilen Felsen kleben,
Zerstörten Vesten blickst du himmelan,
Aus denen oft der Kampf auf Tod und Leben
Von Maroniten, Drusen sich entspann,
Daß hin durch das Gebirg in Bächen, Gräben
Das heiße Blut mit rother Welle rann;
Ach! würd' auch aus den Adern alles Naß
Verströmt, es stillte nicht den Glaubenshaß!

Nun höher, wo in ihren Wolkenwiegen
Die Wetter schlafen! Durch den Nebel blinkt
Ein weißer Pik, zu dem emporzufliegen
Ermattet selbst dem Wind der Flügel sinkt,
An dessen Gletscherbrust in vollen Zügen
Das Thal der klaren Quellen Labsal trinkt!
Kühlend umfächelt von der reinen Firne
Der frische Lufthauch Wange mir und Stirne.

Hier war's wo einst – ich hatt' erst Ein Semester
Studirt – auf meinem ersten Orientzug
Du freundlich mich aufnahmst wie eine Schwester,
O edle Brittin, durch der Menschen Lug
Bis in das Grab geschmähte Lady Esther!
Zu Söhnen der Natur hier vor dem Fluch
Europa's und des engen Lebens Schranken
Warst du geflohen aus dem Land der Franken.

Und bald erhob sich dir mit stolzen Zinnen
Ein Schloß auf höchstem Grad des Libanon;
Wie wenn es Tadmors, Saba's Königinnen
Gehörte, staunte des Gebirges Sohn
Zu ihm empor als einem Bau der Dschinnen,
Und dienstbereit umstanden deinen Thron
Die Drusenhäuptlinge, die hoch dich ehrten –
So lang, versteht sich, deine Schätze währten.

Als ich dich traf, verlassen längst von Allen
War dein Palast; der Eule Schrei erscholl,
Die Spinne wob ihr Netz in seinen Hallen,
Durch die vordem der Schwarm der Gäste schwoll.
Im dürftigen Gemach, das tief zerfallen,
Zur Seite saß ich dir, und wehmuthsvoll
Mich fragtest du: »Kommt Ihr in unsern Osten,
Um reine Patriarchenluft zu kosten?«

»Ich fürchte, daß von Eurem Heimatherde
Umsonst Ihr floht; doch Ihr seid jung; so geht
Und sucht, ob irgend Ihr auf dieser Erde
Sie athmen mögt! Für mich ist es zu spät.
Zu weiter Fahrt, auf der ich forschen werde,
Ob sie vielleicht in andern Räumen weht,
Schon rüst' ich mich.« Bald drauf, als ich geschieden,
Hast du die Welt verlassen. Ruh' in Frieden!

Doch unsrer Reise auf dem Höhenkamme
Des schönen Libanon vergess' ich fast;
Abwechselnd bald bei diesem Drusenstamme
Und bald bei jenem waren wir zu Gast,
Bald lud zur Mahlzeit uns des Herdes Flamme,
Bald bot uns weiches Divanpolster Rast;
Man weiß, die Patriarchensitten dauern
Im Orient noch stets, selbst für die Giauren.

Umringt von Emirs und von würd'gen Scheichen,
Saß ich beim duft'gen Trank der Mokkabohne
In schmucken Höfen an den Gartenteichen,
Indeß ein Sänger uns beim Lautentone
Kassiden vortrug. Vögel zwar zu scheuchen
Vermöchte die Musik, die monotone,
Allein volksmäßig ist sie, eigenthümlich,
Und ruhig zuzuhören schien mir rühmlich.

Fast Freundschaft schloßen mit dem Christenhunde
Die Scheichs. Vom Kampf mit des Seraskiers Heeren
Ging lustig die Erzählung in die Runde;
Von Zauberei auch hört' ich viele Mähren,
Allein selbst Ali wußte mir nicht Kunde
Zu geben von der Drusen Glaubenslehren;
»Es ruht – sprach er – bei diesem frommen Volke
Ob der Dogmatik eine dichte Wolke.

»Mit welchen Heil'gen, Göttern oder Götzen
Beglückt sie hat ihr Evangelium,
Ob sie Anbeter sind von Fetischklötzen,
Die Mythenforscher bleiben drüber stumm!
Man weiß nur, daß in ihren Glaubenssätzen
Behauptet wird, in jedem Säculum
Sei Gott verschiedne Male Mensch geworden,
Und daß sie deßhalb Andersgläub'ge morden.«

Oft Tage lang mit meinem Fahrtgenossen
Blieb ich gebannt in dieser Männer Mitte,
Durch Berg und Thal auf unsern edlen Rossen
Mit ihnen schweiften wir im wilden Ritte.
Dann wieder, von den Menschen abgeschlossen,
In ödes Berggeklüft lenkt' ich die Schritte
Und klomm empor zur höchsten Felsenspitze,
Der weltentrückten Nachbarin der Blitze.

Das war's, was lange schon mein Herz verlangt!
Wo zitternd bei des Wasserfalls Getose
Mit wirrem Haar die Bergesceder hangt,
Glitt über Höhen, drauf die Lorbeerrose,
Ein dunkelrother Blumenteppich prangt,
Das Auge mir und sah ins Gränzenlose
Sich unermeßlich zu den beiden Seiten
Die Wüste hier und dort das Meer verbreiten.

Da lag vor mir Phöniciens Wellenbusen,
Und drüben Deutschland, o wie weit, wie weit!
Mir war, als winkten fernher mir die Musen,
Die Freundinnen aus lang verschollner Zeit
Und mahnten mich, dies wilde Land der Drusen
Zu meiden und die Geisteseinsamkeit,
Um neu mit Dichtung und mit Weisheitslehren
Die Seele, die verschmachtende, zu nähren.

Doch wieder auch, gleich wie aus Grabcypressen
Ein Friedhof mit den Leichensteinen schaut,
Sah'n mich Gebilde an, schon halb vergessen,
Verhaßte Klänge wurden wieder laut,
Und Schlünde schloßen, welche auszumessen
Sich der Gedanke zagend nur getraut,
Sich wieder vor mir auf; mir war, als riefen
Dämonenstimmen dumpf mir aus den Tiefen.

So, folgend meinem Seelendrang, dem irren,
Des Wegs mit Ali zog ich weiter fort;
Durch blüh'nde Thäler bald, bald durch die dürren
Sandwüsten Syriens ging der Weg nach Nord;
Und, als wir aus des Taurus Felsgewirren
Vortraten, lag an eines Stromes Bord
Mit Marmorsäulen, morsch und altergrau,
Vor uns ein halbgestürzter Tempelbau.

Mir däuchte, daß mich Heimatluft umwehte,
Da wieder Griechenhimmel mich umfing
Und es dem Land der altberühmten Städte,
Homers Ionien, entgegenging;
Rankt Epheu auch um trümmerübersäte
Einöden jetzt mit wucherndem Geschling –
O, dennoch, diese bröckelnden Ruinen,
Mißt sich ein Bau, noch aufrecht steh'nd, mit ihnen?

Und vorwärts ging's; bald daß ein Säulenriese,
Der des Apollo Tempeldach getragen,
Bald daß gebrochne Architrave, Friese
Inmitten Steingerölls am Boden lagen –
Mir war wie auf der Asphodillen-Wiese
Im Schattenland, und dumpfe Todtenklagen
Vernahm mein Ohr, die mich von rings umklangen –
O große Welt, die hier zu Grund gegangen!

Jetzt schweben nur noch düstere Phantome
Um ihre Gruft, ein trauernd Geisterheer,
Und wenn Ihr Tempel, Thermen, Hippodrome
Und Götter und Heroen des Homer
Vordem gespiegelt habt in eurem Strome,
Nun trübe und von Haufen Schuttes schwer
Stockt eure Flut, die Ihr wie zwei Geschwister
Zum Meere wallt, Mäander und Kayster!

Ich weiß, wohl lag – selbst hab' ich es erfahren –
Auch auf den Griechen alles Daseins Fluch,
Und doch, welch Volk von allen, welche waren,
Kommt ihnen gleich in der Geschichte Buch?
Beinah zurück zu jenes Hauses Laren,
Wo in Athen ich Sklavenketten trug,
Mich sehn' ich jetzt; wo schlug des Geistes Flamme
So herrlich auf, wie im Hellenenstamme?

Ich dacht' es. Da um einen Felsen wandten
Wir eben, und ein weites Trümmerfeld
Lag vor uns hingedehnt. Am Abhang spannten
Zur Nachtrast schwarze Sklaven unser Zelt,
Und lang noch über Säulensturz-Giganten,
Um die nun Nachts des Schakals Heulen gellt,
Gesunkne Kapitäle, Marmorstücke
Hinschweiften mir im Abendschein die Blicke.

So wie beim Frühthau die gewelkte Ranke,
Wie Wanderer, die lang erschöpft am Stabe
Dahingewankt, bei frischem Quellentranke,
Ward ich durchströmt von wunderbarer Labe.
Und liegt denn wirklich – das war mein Gedanke –
Liegt wirklich jene große Welt im Grabe?
Ist nach Jahrtausenden aus Todesbanden
Des Mittelalters sie nicht auferstanden?

Wie auf den Feldern, die der Aschenkrater
Des Feuerbergs mit Lava übergossen,
Pompeji sich mit Marktplatz und Theater,
Mit Aquädukten, Hallen, Erzkolossen
Dem Schutt entwunden und der Göttervater
Sein Marmorauge neu dem Licht erschlossen,
Ist so nach der Barbarenvölker Siegen
Nicht seinem Grabe Hellas selbst entstiegen?

Und hin zu Ali trat ich: »Nochmals mische
Mir deinen wunderbaren Trank, o Greis,
Daß mich ein Gang in früh're Zeit erfrische!
Allein die letzte dieser Fahrten sei's!
Führ' in die Tage mich, als zauberische
Lenzluft zerrinnen ließ das starre Eis,
Das rings die Welt bedeckt, und Kunst und Wissen
Sich leuchtend rangen aus den Finsternissen.«

»Ich meine jene Zeit, als nach dem Falle
Der Siebenhügelstadt am Bosporus
Sich aus der unterird'schen Todtenhalle
In altem Glanz der Griechen Genius
Erhob und ihm entgegen froh sich alle
Nationen drängten, daß an seinem Kuß
Nach Irrwahnnacht und wilder Kriege Wüthen
Sie neu zu ächter Menschlichkeit erblühten.«

»Das war das wahre Ostern der Geschichte,
Da stieg was groß und hehr im Alterthume
Verklärt empor im jungen Morgenlichte,
Da legte von des Mäoniden Ruhme
Ein Wiederschein sich auf Ariosts Gedichte;
Neu ihren Wunderkelch aufthat die Blume
Der Bildnerkunst und neu erschloß die hehre
Philosophie das Buch von Plato's Lehre.

»Zu jener Zeit eröffne mir die Pforten
Und ich verbürg' es dir, an Wiederkehr
Wenn einmal ich mit deiner Hülfe dorten,
In unsre Tage denk' ich nimmermehr.«
So ich, und Ali drauf: »Gleich deinen Worten,
Sieh, komm' ich nach! – trink nur den Becher leer!«
»Wohlan! – rief ich – es ist zum letztenmal,«
Und leerte hast'gen Zuges den Pokal.

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