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Wie anders das Loos, das jetzt mich traf,
Als da ich in Hellas gedient als Sklav!
Wohl vierzehnhundert Jahre hatten
Ueber die Erde ihren Schatten
Seitdem gebreitet; längst war ihr zu Theil
Geworden des wahren Glaubens Heil,
Da fand ich auf einer Burg mich, die steil
Ueber dem Städtlein St. Goar
Am schönen Rhein gelegen war.
Ich war ein Ritter von edlem Geschlecht,
Doch meinem Bruder, so wollt' es das Recht,
Als seines Vaters ältestem Sohn,
Gehörte das Schloß, bei ihm zu Frohn
Gingen die Mannen und Diener all,
Und jenseits auch von Zwinger und Wall
Der Güter hatt' er viel und der Leh'n;
Ihm fischte der Fischer in Bächen und See'n,
Ihm jagte der Jäger durch Wald und Moor,
Und fort und fort herein durchs Thor
Trugen ihm Hintersassen den Zins –
Mir ward kein Theil des reichen Gewinns.
Ein lustiges Ritterleben führen,
Die Welt durchstreifen auf Aventüren,
Nichts schuf mir auf Erden gleiches Vergnügen,
Aber der Noth mich mußt' ich fügen,
Und, bis ich zu neuer fröhlicher Fahrt
Mir genug im Säckel erspart,
Den langen Winter im engen Gemach
Vertrauern unter dem Berchfrietdach.
Zuerst, so lang durch den Schnee hindurch
Der Weg uns freistand von der Burg,
Kurzweil noch gab's in Fehde und Strauß.
Wir schossen herab von dem Raubnest droben
Und plünderten Reisende tüchtig aus –
Ein Schutzzoll, den wir von ihnen erhoben,
Mit stattlichem Namen genannt ward das;
Zogen dann die Beraubten fürbaß,
Ein Stündlein noch an ihrer Seite
Ritten wir mit als sichres Geleite;
Aus ihrem Munde vernahmen wir da
Was außen in der Welt geschah,
Wie die Pfaffen von Köln und Mainz
Krieg führten wider den Kaiser Heinz,
Wie in Trier bei der Zunftgenossen
Und Adligen Kampf viel Blut geflossen
Und wie man weitumher im Land
Ketzer und Gotteslästrer verbrannt.
Aber bald machte der kalte Jänner
Ein Ende solchem Zeitvertreib,
Denn Gefahr an Leben und Leib
Liefen sogar die stärksten Männer,
Wenn sie über den Burghofkreis
Hinaus sich wagten ins starrende Eis;
Durch Schnee, gethürmt von Wirbelwinden,
War nicht Weg noch Steg mehr zu finden;
Wölfe, getrieben von Hungerqual,
Kamen in Rudeln hinab ins Thal,
Und der Burgherr'n eigene Leute,
Leibeigne und Hörige, gierig nach Beute,
Durchstreiften in Banden das Thal, halbnackt;
Mit Zins und Zehnten und Gülten geplackt,
Nicht hatten die Armen das tägliche Brod;
So machte zu Räubern sie die Noth.
Wie traurig mir auf dem schauerlichen
Felsenneste die Wochen schlichen!
Durch das offene Fenster im Thurm
Gemüthlich wehte herein der Sturm,
Und, wollt' ich aus Reisig und aus Scheiten
Ein wärmendes Feuer mir bereiten,
So qualmte und wirbelte Rauch mir dicht
Zum Ersticken in das Gesicht.
Dazu vom ersten Hahnenschrei
Bis Abends das ewige Einerlei!
Man hörte kaum anderen Lebenston
Als früh die Messe und des Kaplanes
Salbungsvolle Morgenlection,
Und Tags das Drehen des Wetterhahnes –
Aber ja! dazwischen nicht selten
Meiner Schwäherin Zanken und Schelten,
Wie sie die Mägde zur Arbeit trieb.
Auch ich war bei der bösen Sieben,
Ich merkt' es wohl, schlecht angeschrieben
Und galt ihr als lästiger Tagedieb;
Nicht müde ward sie, mit ihrem Schwätzen
Den Bruder wider mich aufzuhetzen,
Daß er mir immer zeige, der Herr
Des Schlosses, der Erstgeborne sei er
Und dulde beim Mittag- wie Abendmahl
Mich nur aus Güte im Palas-Saal.
Dagegen bäumte sich auf mein Stolz;
Im Herzen mir that ich den Schwur: ich will
Für immer von hinnen, sobald im April
Nur erst das Eis auf den Wegen schmolz!
Müßt' ich mühsam mein Leben fristen,
Besser doch ist es außen als hier.
So mich zum Aufbruch begann ich zu rüsten,
Aber Monde noch lagen vor mir,
Eh der ersehnte Frühling nahte,
Und langsam in meiner Kemenate
Schwanden die trägen Tage mir hin.
Auf meinem Pfühl mit verdrossenem Sinn
Oft lag ich bis zu des Dunkels Beginn;
Dann kam für mich die liebste Stunde.
Zu uns versammelten sich in die Runde
Die Knappen der Burg und die Edelknechte,
Und oft bis spät hinein in die Nächte
Lauschten wir mit Begier dem Kaplan,
Der vor uns an dem brennenden Span
Mit aufgeschlagenem Buche saß
Und uns alte Geschichten las;
Wenn er die Blätter zusammenschlug,
Immer noch hatt' ich nicht genug,
Und, wär' ich gelehrt wie er gewesen,
Bis zum Morgen hätt' ich gelesen,
Wie, zu suchen den heiligen Gral,
Den die strengen Templeisen bewahrten,
Parzival über Gebirg und Thal
Geabenteuert auf weiten Fahrten,
Wie vor Reinhold, dem Haimonsohn,
Ein ganzes Heer von Feinden entfloh'n.
Mählig rückte die Zeit heran,
Wo das Eis auf dem Rhein zerrann;
Aus dem Fenster sah ich die Schollen
Brechen und berstend abwärts rollen,
Und schon am Thore dann und wann
Eingang begehrte ein Reitersmann,
Ein fahrender Sänger; das war ein Fest,
Da seit Monden das einsame Nest
Keine Gäste mehr aufgenommen.
Wir hießen den Fremdling freudig willkommen
Und, zu erzählen die neusten Mähren,
Kaum konnt' er stillen Aller Begehren. –
Als nun durch den Schnee, der zerrinnend thaute,
Wieder hervor die Erde schaute
Und vor den Menschen zurück der Wolf
In die Schluchten der Berge floh,
Die Burg des Bruders verließ ich froh
Mit meinem wackeren Knappen Markolf,
Und hielt bald hier bald dort als Gast
Bei Ritterspiel und Jagd und Gelage
Auf den Burgen am Rheine Rast.
Länger und länger wurden die Tage;
Es kam der holde Monat Mai,
Farbige Blumen mannigfalt
Blühten empor in Heide und Wald,
Und, wo ich des Weges ritt, mir vorbei
Zogen Ritter, von Tracht so bunt
Wie unten der junge Wiesengrund,
Zu Turnieren an Mosel und Lahn,
Wo eben die Schranken aufgethan,
Da regte sich auch mir in der Brust
Hoch und höher die Wanderlust,
Und, mit anderen Rittern gesellt,
Weiter trieb's mich hinaus in die Welt.
Mit Wort und Handschlag verbanden wir uns
Zur Fahrt an den Hof von König Alfuns;
Zu ihm ins Land Castilien lockten
Uns die Kämpfe mit dem verstockten
Volke der mahumedanischen Sekte,
Das noch den Christenboden befleckte.
Durch Thäler hin und Wälder ging's,
Wo von den Sträuchern und Bäumen rings
Der Blüthen Duft herniederquoll
Und muntrer Vögel Lied erscholl.
Unter duftendem Wipfel die Linden
Ließen Abends uns Obdach finden;
Abzäumten auf der Wiese die Knappen
Unsere Schimmel und Schecken und Rappen,
Und wir, gelagert am plaudernden Quell,
Erzählten bis spät uns von Abenteuern
Mit Riesen und Drachenungeheuern,
Von fahrenden Rittern und Tiosten
Und Jungfrau'n, gefangen im Zauberkastelle.
Graute der Tag dann wieder im Osten,
So rief das Glöckchen der nahen Kapelle
Uns vor den Altar zum Frühgebete.
Drauf weiter in der Morgenhelle
Durch die rheinischen Dörfer und Städte!
Auf allen Straßen und Stegen und Wegen
Schwoll uns fröhliches Leben entgegen;
An die Arbeit mit Hammer und Kellen
Zogen singend junge Gesellen,
Meißelten Bilder an den Portalen
Halbaufragender Kathedralen,
Klommen empor an Leitern und Seilen
Zu den Pfeilern und Mauersteilen
Und fügten Quader an Quader zum Bau,
Daß endlich der Tempel der lieben Frau,
An dem schon gebaut die Elterväter,
Vollendet rage ins Himmelsblau.
Zu schlimmen Gegenden kamen wir später,
Mußten uns wider Räuber schlagen
Und hatten Hunger und Durst zu tragen.
Verödet im Mainzischen Weichbild stand
Von steten Fehden verwüstet das Land,
Der Ernte Hoffnung im Lenz schon vernichtet.
Wohin die Blicke sich wenden mochten,
Sahen sie Galgen aufgerichtet
Und Leichen von Frevlern aufs Rad geflochten.
Von Aussätzigen, von verstümmelten
Jammergestalten und Bettlern wimmelten
Dörfer und Städte, durch die wir kamen,
Von Krüppeln, Einäugigen, Blinden, Lahmen
Und Bauern, denen der Habe Rest
Wegen unerschwinglicher Gülten
Der Bischof, der Lehnsherr abgepreßt;
Bettelmönche dazwischen erfüllten
Die Luft mit Geschrei; im zerlumpten Gewand
Schritten sie hin, den Sack in der Hand,
Um Gaben zu sammeln für die Christen,
Die im gelobten Land von den Heiden
Drangsal, Schmach und bittere Leiden,
Mehr als zu sagen, erdulden müßten.
Ueber Gebirge und Haide und Moor
Ging weiter der Ritt bis zu Straßburgs Thor.
Es war der schöne Johannistag,
Da alle Welt der Freude pflag!
Und als wir in die Stadt gelangten,
Welch ein flutender Menschenschwall!
Mit bunten Fähnlein und Wimpeln prangten
Die Plätze und die Gassen all,
Und von rings wie ein Strom ergossen
Sich Ritter und Knechte und Zunftgenossen
Auf einen großen Platz vor dem Wall.
Kaum daß wir unseren müden Rossen
Platz gefunden im Herbergstall,
So folgten den Andern wir vor die Mauern;
Aber zwischen der Junker und Bauern,
Mönche und Weiber und Kinder Menge
Fast verging uns Gehör und Gesicht.
Vor der Kanzel war das Gedränge
Wie einer Heerde Schafe so dicht.
Ein Priester hielt einen Heiligenknochen
Hoch empor; heran zu ihm krochen
Gichtbrüchige, Lahme, ächzend vor Pein,
Und kaum noch mit dem heil'gen Gebein
Hatte der Pfaffe berührt ihre Glieder,
Aufrecht von dannen schritten sie wieder.
Zu einer Bude nah dabei
Noch dichter mit Toben und wildem Geschrei
Wälzten sich hin die Menschenhaufen;
Wunderdinge da gab es zu kaufen
Und mühsam nur durch das Stimmen-Babel
Konnt' ich verstehn, wie der Händler rief:
»Kauft, kauft! Hier Christi wahrer Nabel,
Hier ein ewiger Ablaßbrief,
Vom heiligen Petrus selbst geschrieben,
Für die Todsünden alle sieben!
Hier Abrahams Zehe und die Leiter,
Die Jakob im Traum gesehen; weiter
Der Apfel, in welchen Eva biß,
Ein Stück der Aegyptischen Finsterniß
Und ächte Milch der Jungfrau Maria – –«
Auf einmal scholl es: I–a, I–a
Ueber den Platz daher und sieh!
Nach dort, von wo der Esel schrie,
Wandten sich Alle, Bauern und Städter.
Der Kuku-Peter! der Kuku-Peter!
Riefen Männer und Kinder und Frauen,
Und geritten auf seinem Grauen
In brauner Kutte kam ein Greis;
Lang floß bis zum Strick, mit dem er die Lenden
Gegürtet, der Bart ihm silberweiß.
Gegen die Menge mit beiden Händen
Streckt' er aus ein Crucifix
Und schaute gen Himmel andächtigen Blicks
Und rief:
vobiscum dominus!
Da welch ein Gedräng! Wem 's möglich war,
Dem Schwanze seines Esels ein Haar
Auszureißen, nur einen Kuß
Auf den Saum seiner Kutte zu drücken,
Der pries sich glücklich wie noch nie.
Auf Schultern dann von des Thieres Rücken
Ihn auf die Kanzel hoben sie,
Und er, die Brust sich zerschlagend, sprach
Von Jerusalems Jammer und Schmach,
Und ein Strom von heißen Thränen brach
Aus Aller Augen, als er erzählte,
Wie das heidnische Volk die Frommen,
Die pilgernd zum heiligen Lande gekommen,
Plagte, schändete, mordete, quälte,
Daß Oelberg, Zion, Gethsemane
Widerhallten von ihrem Weh;
Wie es sie zwänge, die theuern Stäten,
Die der Fuß des Erlösers betreten,
Durch Flüche und Lästerung zu entweih'n
Und auf die Gruft des Heilands zu spei'n.
»Auf! – rief er, indem er die Brust sich zerfleischte –
Vollführt was lange schon Gott von euch heischte!
Die Engel und Heil'gen an seinem Thron,
Ja seinen eingeborenen Sohn
Ruf' ich zu Zeugen, daß Wahrheit es ist,
Was ich euch künde. Einst Abends spät
Kniet' ich am heiligen Grab im Gebet,
Da schwebte der Heiland Jesus Christ
Zu mir hernieder in lichter Wolke.
› Auf Peter! – sprach er – auf! Ich erwähle
Dich zum Vollstrecker meiner Befehle!
Im Abendland zu den Fürsten, dem Volke
In meinem Namen rede so:
Was ruht ihr zu Hause behaglich und froh,
Während die mahumedanischen Horden
Eure Brüder plündern und morden?
Schaarenweis zieht zum gelobten Lande!
Rächt an den schändlichen Saracenen
Meiner Bekenner Trübsal und Thränen!
Die heiligen Orte wascht von der Schande
Und der Heiden Befleckung rein!
Alle Frevel dann wird und Sünden,
Die ihr begangen, Gott euch verzeih'n;
Peter, geh, um das zu verkünden!‹ «
Indeß er's sprach, durch die Menge scholl
Murmeln und Rufen; das wuchs und schwoll
Und brauste wie Meereswogengeroll;
Dazwischen Andre mit Schluchzen und Klagen
Hörte man an die Brust sich schlagen;
Der Kuku-Peter aber rief
Und wies einen pergamentnen Brief:
»Seht da! vom Himmel ist er gefallen;
Christus schrieb ihn und gibt darin allen
Den Seinen Befehl zum heiligen Krieg.«
Und lauter und lauter, als er schwieg
»Gott will es!« ertönte der Ruf und ein Wallen
Begann auf dem Platz, als wollten sogleich
Sich Alle erkämpfen das Himmelreich.
Zum Schwure wurden die Hände erhoben,
Und heran durch das wilde Toben
Stürzte ein Mönch, wie Todte so bleich;
Auf die weiße Stirne gebrannt
War ein Kreuz ihm blutigroth.
Er rief: »So hat mich auf Gottes Gebot
Gezeichnet eines Engels Hand.
Die nach dem ewigen Heil ihr begehrt,
Ergreift zum heiligen Kampfe das Schwert
Und eilt, zu dem gottbefohlenen Zug
Euch mit dem Gnadenzeichen zu schmücken!«
Er sprach's und ein wallendes Scharlachtuch
Hinwarf er der Menge; alsbald zu Stücken
Ward es zerrissen, zu Kreuzen zerschnitten,
Um die köstlichen Fetzen stritten
Sich Alle, und wer einen errang,
Der heftete sich das Zeichen aufs Kleid.
Gott will es! Gott will es! scholl es noch lang,
Zum Kreuzzug waren Alle bereit.
Sogleich zur Fahrt nach dem heiligen Grabe
War auch ich mit den Rittern entschlossen;
Doch bis sich von Heimat, von Gut und Habe
Losgerissen meine Genossen,
Weilt' ich noch auf des Einen Burg,
Des Grafen Richard, Monde hindurch.
Wir hörten, in Frankreich auf dem Concil
Habe der Papst die Christenheit
Nach Palästina entboten zum Streit,
Und weiter erschollen der Kunden viel,
Wie es in allen Landen sich rege.
Mit Reisigen füllten sich Wege und Stege,
Die in Schaaren gen Osten wallten;
Seltsame, niegeschaute Gestalten,
Fremd von Sprache und Tracht und Sitten,
Normannen, Waräger, Angeln und Britten
Zogen heran von fremden Meeren;
Nachts sah man auf den Häuptern deren,
Welche zur heiligen Fahrt sich gesellten,
Flammen, die weithin die Nacht erhellten;
Das Kreuz zu pred'gen, hernieder stiegen
Eremiten aus ihrer Klause,
Nicht litt es die Weiber, die Kinder zu Hause;
Weissagende Thiere, Gänse, Ziegen
Schritten, vom heiligen Geist erfüllt,
Als Wegweiser dem Zuge vorauf.
Vollbracht schon hatte der Sommer den Lauf,
Von Schnee ward wieder die Flur umhüllt,
Und noch war ihrer Burgen Verkauf
Immer den Rittern nicht gelungen.
So ward auch ich zum Bleiben gezwungen,
Aber von Ungeduld pochte heiß
Mein Herz; Nachts über den Feldern von Eis
Blutrothen Schein gewahrt' ich am Himmel
Und ziehende Heere und Kampfgetümmel
Und eine Stadt, in die Lüfte gethürmt,
Von Fußvolk zahllos und Reitern umstürmt.
Ich zählte die Stunden im engen Gemach,
Bis wieder der Frühling würde wach.
Und sieh! er kam; an des Schloßthurms Dach
Sang die Schwalbe, zurückgekehrt
Von des Morgenlands fernen Küsten,
Und Keinen nun litt es länger am Herd;
Graf Richard auch begann sich zu rüsten;
Einem reichen Hebräer der Stadt
Verschrieb er auf pergamentenem Blatt
Seine Güter, um Rosse und Waffen
Für sich und seine Vasallen zu schaffen;
Auch die Ritter, die uns sich verbunden,
Sendeten naher Ankunft Kunden,
Und, bevor den Zug wir begannen,
Ward für uns und unsere Mannen
Nah dem Rhein ein Lager geschlagen.
Dort in den lieblichen Frühlingstagen
Nicht Ruhe ließ mir's unter dem Zelt;
Ich schweifte lässig dahin durch das Feld,
Wo auf dem Rasen, nun frei von Schnee,
Straßburgs Bürger bei Brunnenfahrten
Unter der grünen Linde sich schaarten.
Da pflückten Mädchen den jungen Klee,
Drückten sich auf die Stirne den Kranz
Und schwangen beim Klange von Zither und Pfeife
Mit Jünglingen sich im Reihentanz,
Da warfen Männer und Frauen die Reife
Und die bunten gefiederten Bälle
Oder ruhten an plaudernder Quelle.
Abseits von den fröhlichen Reih'n
Fand ich ein Mädchen, das allein
An einer ärmlichen Hütte im Gras,
Versteckt von hohem Gebüsche, saß.
Gestützt auf ihre Rechte war
Ihr Haupt, umflutet von schwarzem Haar.
Auffuhr sie erschrocken bei meinem Nah'n,
Und unter den wallenden Locken sah'n
Zwei Augen mich an mit dunkler Glut;
Nie hatte mein Blick auf gleichen geruht,
Aber sie waren mit Thränen erfüllt,
Von Schatten tiefer Trauer umhüllt.
Nicht konnt' ich hinweg von dem Mädchen schau'n
Und bat sie, mir ihren Schmerz zu vertrau'n;
Sie aber schüttelte schweigend das Haupt,
Beinahe stumm sie hätt' ich geglaubt.
Erst als ich lange gebeten, zuletzt
Nahm sie das Wort: »Und Ihr flieht nicht entsetzt
Die Jüdin, deren Blick schon befleckt?
Ausstoßen, wenn man hier Euch entdeckt,
Werden aus ihren Reih'n Euch die Euern,
Für Menschen gelten wir ihnen nicht;
Uns zu tödten gleich Ungeheuern
Gebietet allen Christen die Pflicht.«
Aufstand sie und wollte flieh'n, doch wieder
Sanft, wo sie gesessen, zog ich sie nieder
Und bat sie: dein Schicksal, Mädchen, erzähle!
Endlich durch meine warmen Worte
Thaute das Eis in ihrer Seele
Und sie erzählte, von Ort zu Orte
Habe sie mit der Mutter, die blind,
Hülflos die Welt durchirrt schon als Kind:
»An der Donau, wo ich geboren,
Hatte das Volk, das uns haßt und verachtet,
Sich zu der Unsern Verderben verschworen.
Wir hätten ihre Kinder geschlachtet,
Oder das Bild des Jesus Christ
Mit glühenden Nadeln durchstochen, das ist
Das Geschrei, auf dessen Signal
In jedem Jahrzehnt Ihr einigemal
Die Juden erwürgt, verbrennt, erschlagt;
Glücklich noch Jene, die, nur verjagt,
In Wäldern sich nähren von Wurzeln und Rinden
Und bei Wölfen das Mitleid finden,
Das die Christenheit ihnen versagt.
Diesmal, vom Adel angestiftet,
(Nach unsern Schätzen stand ihm der Sinn)
Brüllte das Volk durch die Straßen hin,
Daß wir die Brunnen mit Schierling vergiftet.
Bei Nacht, von dem Mordgeschrei erweckt,
Aus unserer Hütte floh'n wir erschreckt
Durch der Straßen Menschengewoge;
Mit Leichen, blutend dahingestreckt,
War bald der Boden überdeckt,
Die Andern in eine Synagoge
Trieb man wie eine Heerde zusammen,
Und ließ sie elend sterben in Flammen.
Mein Vater mit den Söhnen fand
Den Tod durchs Feuer, durchs Mordbeil so,
Ich nur mit der Mutter entfloh
Zur nächsten Stadt am Donaustrand.
Aber entgegen uns scholl es dort:
› Der Bischof hat die Juden verbannt! ‹
Und sie hetzten mit Hunden uns fort.
So, weiter eilend voll Angst und Schreck,
Uns bergend in der Höhlen Versteck,
Kamen wir bis nach Bacharach,
Wo eines Rabbi trauliches Dach
Uns schützend barg. An seinem Heerd
Fünf Jahre lang war uns Frist gewährt,
Dann wieder zu einem blutigen Fest
Trieb die Christen die Mordbegier;
Sie schrieen, herbeigezaubert die Pest,
Geschändet die Hostien hätten wir;
Aber noch vor des Mordens Beginnen
Gelang es den Meisten, der Stadt zu entrinnen.
Schon schlug aus unserem Hause der Brand;
Da eben noch den wüthigen Horden
Entrannen wir Beide; an der Hand
Führt' ich die Mutter, die blind geworden,
Und so verhöhnt, mißhandelt, gepeinigt,
Oft auf den Straßen fast gesteinigt,
Von Dorfe zu Dorfe, von Stadt zu Stadt
Gelangten wir hierher todesmatt.
Einer der Unsern erschloß uns sein Haus;
Aber lauert nicht Mord und Entsetzen
Immer auf uns? Schon seh' ich voraus,
Wie sie uns wieder von dannen hetzen;
O Heil ist für uns nur drunten im Grab!«
Sie sprach's und wandte das Antlitz ab,
Noch wollt' ich sie trösten, aber schon
Nach der Stadt zu war sie entfloh'n;
Ich folgt' ihr durchs Thor mit hastigem Schritte
Und sah, wie sie in eine Hütte
In ärmlicher finsterer Straße trat.
Als ich wieder dem Lager genaht,
Sah ich Knechte der Zelte viel
Nächst unseren auf der Wiese bauen;
Ritter waren aus fernen Gauen
Gekommen, um zu dem gleichen Ziel
Sich mit uns für die Fahrt zu verbinden.
Vor mir unter ragenden Linden
Weideten Rosse, putzten Knappen
Ihrer Herren Schilde und Wappen;
Helmbüsche flatterten farbenbunt
Und inmitten wallender Fahnen
Blitzten Schwerter und Partisanen.
Da auf mein Fragen wurde mir kund,
Daß dort die Ritter Berathung pflögen,
Welchen Wegs sie nach Osten zögen.
Ich eilte hin, und als ich kam
Hielt Einer, der in der Mitte stand
Und eben das Wort zum Reden nahm,
Aller Augen an sich gebannt.
Schnell meinen Bruder hatt' ich erkannt
Und hörte, wie er also sprach:
»Wollt Ihr noch länger dulden die Schmach,
Daß in Ländern, in Städten der Christen
Diese giftigen Schlangen nisten,
Diese Juden, die Heiligenschänder?
Bevor wir ziehen in ferne Länder
Wider die Hunde Baphomets,
Laßt uns beginnen mit dem, was uns näher
Und die gottverfluchten Hebräer
Bekehren zu des Heilands Gesetz!
Hier in Straßburg, so hört' ich gestern,
Wie in den anderen Sündennestern,
In Worms, in Oppenheim und in Speier,
Dürfen sie halten die Sabbathfeier;
Den gelben Flecken sich auf die Gewänder
Zu heften, selbst zwingt man kaum sie mehr,
Und inne haben sie schon als Pfänder
Die Güter aller Ritter umher.
Wohlan denn! keine Zeit verloren!
Brechen bei Nacht wir ein zu den Thoren,
Um die Argen auf einen Haufen
Wie Rudel Schafe zusammenzutreiben!
Lassen sie dann vom Priester sich taufen,
Wohl! am Leben mögen sie bleiben!
Nur ihre Gelder, des Wuchers Früchte,
Fallen uns zu als gerechter Lohn;
Doch leugnen sie ferner Gottes Sohn,
Zur Hölle mit dem verruchten Gezüchte!
Wir wollen in dem Blute der Frechen
Christum, den sie gekreuzigt, rächen!«
Durch all mein Wesen ging ein Zittern,
Als er gesprochen, doch von den Rittern
Mit Jubel wurde die Rede gegrüßt,
Und laut erscholl es im ganzen Heere;
»Auf, auf! es ist zu des Herren Ehre,
Wenn dieses Volk seine Frevel büßt!«
Schon war der Abend hereingesunken.
Von Glaubenswuth und von Mordgier trunken
Wälzte zur Stadt sich der wüste Zug.
Mein Bruder selber, ich sah es, trug
Das Banner mit dem Kreuze voran,
Auch Graf Richard war nicht der letzte.
Ich indessen, der Tiefentsetzte,
In das Dunkel mich bergend, sann,
Mir möchte des Mädchens Rettung gelingen
Und bat, mir zu helfen, Markolf den Knecht;
Er aber sprach trotzig: »Das wär' Euch recht!
Doch eh'r soll mich die Erde verschlingen,
Als daß ich Verrath am ewigen Gotte
Begehe und Einem der schändlichen Rotte
Das Leben friste! Das Heil der Seele
Gilt mir höher als deine Befehle.«
Den Rücken mir wendend, Arm in Arm
Mit den Knappen folgt' er dem tobenden Schwarm,
Ich aber schwur im Herzen den Eid,
Müßt' ich mein letztes Blut auch verspritzen,
Das Mädchen mit meinem Leben zu schützen,
Und stürzte zur Stadt, für's Aergste bereit.
Kaum durch's Thor noch war ich gedrungen,
Und mir entgegen bei Fackelschein
Schon blinkten Schwerter hochgeschwungen;
Allum, entlang den Häuserreih'n
Unter den düsteren Laubenbogen
Sah ich wildes Getümmel wogen,
Hörte Geheul und Wehgeschrei,
Angstrufe und Todesdrohungen gellen;
Wie der Wolf bei des Wolfes Bellen
Wälzte beim Brüllen der Mordgesellen
Alles Gesindel der Stadt sich herbei.
Priester, in ihren Händen Becken,
Donnerten Jedem mit gelbem Flecken
Ins Ohr: empfange die Taufe, Hund!
Und wer nicht abschwur den alten Bund,
Sank sterbend auf den blutigen Grund.
Umsonst mir durch das Menschenknäuel
Bahn sucht' ich zu brechen; wüste Gräuel
Starrten mich an bei jedem Schritt;
Ueber Sterbende, über Todte
Strauchelte hier und dort mein Tritt.
Hoch und höher inzwischen lohte
Das Feuer aus den Dächern empor;
Dem Flammentod zu entgehn, durchs Thor
Der Häuser stürzten Flieh'nde hervor,
Doch sanken, von Kolbenschlägen zermalmt;
Händeringend umher auf den Söllern
Standen Andre, von Rauch umqualmt,
Mit brennenden Kleidern; aus den Kellern
Wurden Weiber, die sich versteckt,
Beim Haare gerissen und mit Keulen,
Mit Lanzenstichen zu Boden gestreckt.
Zuletzt brach ich durch die Flammensäulen
Mir Bahn bis an des Mädchens Haus –
Da eben durch die Thür heraus
Stürzte die Unglücksel'ge: Erbarmen,
Rief sie, Erbarmen! Hinter ihr her
Stürmte mein Bruder mit drohendem Speer.
Ich erhob sie mit beiden Armen,
Sie aus dem Mordgetümmel zu tragen,
Aber von allen Seiten umstarrten
Mich Schwerter und Lanzen und Hellebarten,
Mir im Arme ward sie erschlagen,
Und selber auf ihre zuckenden Glieder,
Zu Tode getroffen, sank ich nieder.