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Der Tag brach an, ein frischer Ostwind blies,
Und auf das Roß von Yathribs edlem Stamme,
Dem auf der Stirn gleich einer weißen Flamme
Die Blässe strahlte, durch den dürren Kies
Vorwärts drang ich ins Sonnenaufgangsland.
Zwei junge Araber, Chalil und Beder,
Geleiteten, auf feur'gem Renner jeder,
Als Führer mich. Bald hinter mir verschwand
Der Meeressaum, nicht Grün mehr blieb noch Fels,
Vom Sand war jede Quelle aufgesogen,
Und ringsum schlug die Wüste ihre Wogen,
Die noch die kühnen Söhne Ismaels
Rastlos, wie vor Jahrtausenden, durchirren.
Heil euch, ihr freien Kinder der Natur,
Die ihr, getränkt vom Hauch der reinsten Myrrhen,
Bei des Canopus Strahl und des Arktur
So kühn und stolz, wie eures Landes Palmen,
Erwuchs't, fern von der Menschenstädte Qualmen!
Kein Haus von düstern Steinen und Gebälken,
Gleich denen, drin wir früh schon welken,
Wirft seinen Schatten über eure Stirn
Und ruft darunter böse Träume wach,
Wie sie uns Schmerzen regen im Gehirn;
Mit euch der Zelte leichtbeweglich Dach
Tragt ihr von Ort zu Ort, ihr Wanderhirten,
Und, ladet euch ein grüner Fleck zur Rast,
Hoch schlägt alsbald empor der Flamme Glast,
Daß er den Fremdling, den verirrten,
Zu eurer Hürde leite. Solch ein Gast,
Ihn nach der Väter Sitte zu bewirthen,
Kampf, Liebe, Jagd, ein schwarzgemähnter Renner,
Der mit den weißen Füßen Blitze wirft,
Was ist, das ihr auf Erden sonst bedürft?
Im frischen Hauch der Wüste, den ihr schlürft,
Früh werden eure Jünglinge schon Männer
Und spät doch Greise. Hin durch's Leben zieht,
Als holde Freundin Eurer Wanderzüge,
Mit euch die Dichtkunst; lächelnd aus der Wiege
Schon schaut der Jüngling auf bei ihrem Lied;
Der Knabe sieht sie mit der goldnen Leier,
Gleich einem Sterne, der durch Wolken blinkt,
Zu seinen Häupten stehn; sie schlägt zur Feier
Die Saiten, wenn die Jungfrau ohne Schleier
Beim Brautfest in des Jünglings Arme sinkt;
Sie gibt hinaus ins wilde Schlachtgedränge
Dem thatendurst'gen Manne das Geleit
Und schenkt durch ewige Gesänge
Dem Sieger die Unsterblichkeit.
So rein die Luft, die mich umhaucht!
Noch aus der Menschheit erster goldner Zeit
Scheint sie zu wehen; all mein Wesen taucht
Sich unter in die klaren Wellen,
Die labend um die Stirn mir schwellen,
Und steigt verjüngt aus ihrem lautern Bad.
Endlos der Himmel, ohne Schranke,
Und der beflügelte Gedanke,
Der, so wie er, nicht Gränzen hat,
Schwelgt in der Unermeßlichkeit, der blauen.
Dann ladet bei des Mittags Glut
Mich einer Palme Schirm zu Schlaf und Traum;
Und, wenn die Abendschatten niederthauen,
Wenn sich fernhin am Wüstensaum
Das Sonnenfeuer roth wie Blut
Verlodert hat, ausspannt sich droben
Das Zelt der Nacht, aus lauter'm Glanz gewoben.
Hier weiß, dort roth, dort golden tausendfach
Blitzt es hervor an dem krystallnen Dach,
Und funkelnd drängt mit unstet-wildem Licht,
Dann wieder fixen Scheins, wie Diamanten,
Stern an den Stern und Welt an Welt sich dicht,
Milchstraßen, Sonnen und Trabanten,
Planeten, Nebelstreife, Strahlenringe.
Sie sind's, die Lieblinge der alten Nacht,
Der großen Mutter aller Dinge,
Die, eh das Erdenleben noch erwacht,
Schon auf den öden Ball herabgeschaut –
Denebola, der schöne Fomahaud;
Argo, das Schiff, das durch das Meer
Der Ewigkeit von Süden her
Gesegelt kommt; die Taube, die beschwingt
Von unbekannten Weltgestaden
Des Friedens holden Oelzweig bringt;
Canopus und die freundlichen Plejaden –
Nicht, wie bei uns, in Nebel halb erstickt,
Nein hell noch strahlen sie, wie die Sabäer
Sie sah'n, als sie, dem Lebensquell noch näher,
Zuerst zum jungen Himmel aufgeblickt.
Hier, wo der frühe Sternendienst geblüht,
Wie oft die Nacht durch hab' ich knie'nd gelegen
Und mich geweiht in jenem Strahlenregen,
Der, durch die Weltnacht hingesprüht,
In goldner Fülle niederrann!
So wie empor zu Sirius, zu Astarte
Chaldäa's Weise sah'n von ihrer Warte,
Blickt' ich mit Andacht himmelan
Und forschte an dem lichten Firmamente
Nach einer Kunde, einem Zeichen,
Das mir des Daseins Räthsel lösen könnte;
Doch die Gestirne sah'n, die immer gleichen,
Wie auf des ersten Menschen Grab
So kalt und stumm auf mich herab.
Verfolgt mich denn der alte Geist,
Der finstere, noch immer und umkreis't
Mein Haupt wie eines nächt'gen Vogels Flügel?
Wohl, wenn den Schlummer mir die kühlen
Frühwinde fort von Stirn und Schläfe spülen,
Wenn durch die Wüste über Sandeshügel
Das Roß mich trägt im Sturmeslauf,
Klopft freier mir die Brust und fessellos,
Das Leben schlägt von Neuem groß
Und hell die Augen vor mir auf
Und hohen Schlags klopft ihm mein Herz entgegen;
Doch wieder bald im tiefsten Innern regen
Sich mir die alten Seelenqualen;
Mit seiner eignen Trübsal Netz umspinnt
Mein Geist auch dieser Sonne Strahlen.
Ich fühl's, des Abendlandes düstres Kind,
Mir selber muß ich erst entrinnen
Und nicht mehr denken, grübeln, sinnen,
Vielleicht dann wird mir Frieden werden.
Oft luden uns in ihren Kreis,
Wo unter Zelten bei den durst'gen Heerden
Sie lagerten, die gastlichen Beduinen,
Und traulich drückten Jüngling mir und Greis
Die Hand, als wär' ich heimisch unter ihnen.
Ein einfach Mahl dann – selbst Homers
Heroen allzu dürftig wär's
Mit seiner Mehl- und Dattelkost erschienen –
Trug man heran, und von der Stämme Fehde,
Von Dschinnenkampf im nächt'gen Wüstengrauen,
Gazellenjagden ging die Rede.
Hoch flammten unter schwarzen Brauen
Die Blicke Aller, und so stolz,
Wie Kön'ge auf dem Thron von Ebenholz,
Im Sande saßen sie am niedern Herd,
Gebräunt vom Sonnenbrand und Mittagswinde,
Ihr einz'ger Schmuck die braune Binde,
Die sich um's Haupt die Wüstensöhne schlingen.
Dem kahlen Boden, der sie spärlich nährt,
In Kampf und Wagniß mit verwegnem Willen
Das Dasein mühsam abzuringen,
Um jedes Tags Bedarf zu stillen,
Das macht sie froh und keine Sorgen mischen
In ihres Lebens Becher Galle;
Nicht kennen sie den Drang den fieberischen,
Dran in Europa krank wir Alle.
Daß mir vom Haupt des Kummers Bürde
In ihrer Mitte weichen würde,
Hatt' ich zuvor geglaubt; doch nein!
Fremd fühlt' ich mich in ihren Reih'n
Und sehnte mich, statt dieser Immerfrohen
Ein bleiches Angesicht zu sehen
Ein gramumschattetes, das auf der hohen
Gewölbten Stirne von Europa's Wehen
Und Geisteskämpfen Furchen trüge,
Die Spuren von durchweinten Nächten
Und Ringen mit den finstern Schicksalsmächten.
Kalt schienen, seelenlos mir diese Züge,
Wie selbst die fremd'sten nicht im Abendland.
Allein was schweift mein Blick zurück?
Pries ich mein Loos nicht, als am Himmelsrand
Der blasse Welttheil hinter mir verschwand?
Im fernen Orient winkt mir das Glück,
Zu dem ich ausgezogen. Weiter, weiter
Denn auf des Sandes ödem Plan,
Nur die Gestirne meine Leiter
Durch diesen uferlosen Ocean!
Herniederströmte auf den Kies, den nackten,
Die Sonnenglut in Flammen-Katarakten,
Und keine Wolke thaute Kühlung nieder;
Wenn eine aufstieg, in die heiß entbrannte
Luftströmung, die der Boden aufwärts sandte,
Alsbald zerrann das Dunstgebilde wieder.
Was wirbelt ferne hoch empor,
Daß dunkelroth nur wie ein Meteor
Die Sonne durch den Schleier glimmt?
Ist's Kriegslärm, was mein Ohr vernimmt?
Ja, Wuthgeschrei hör' ich und Kampfgeheule,
Und sehe durch die Staubessäule
Den Blink von Schwertern und von Lanzenspitzen,
Der Pfeile Wurf, wie sie von Bogenschützen
Geschleudert, durch das Sandgewirbel blitzen.
Daß ich nicht in der Kämpfer Mitte
Gerathe, weich' ich seitwärts aus im Ritte,
Allein entrinnen soll ich nicht dem Schrecken;
Auf einen Platz führt mich der Pfad,
Wo schon der Kampf gewüthet hat
Und Todte, Sterbende den Boden decken
Und Klageweiber wild die Haare
Sich an den Leichen der Erschlagnen raufen.
Inmitten wirrer Trümmerhaufen
Gestürzte Rosse, Dromedare,
Von weh'ndem Sande halb begraben,
Dazwischen Männer, Jünglinge und Knaben,
Aechzend im letzten Sterbekampf!
Hinweg! laßt diese Schreckenstäte
Mich flieh'n, die leichenübersäte!
So wälzt sich hier seit Kains Zeit der Kampf
Von Bruder mit dem Bruder, Stamm mit Stamme
Durch die Jahrtausende dahin,
Und ewig, wie seit Anbeginn,
Fortlodern wird der Rachekriege Flamme,
Bis die Geschlechter gegenseits
Sich ausgetilgt in Wuth des Streits,
In Ströme Bluts das ganze Volk versunken.
Hat nicht mit unnatürlichem Gelüsten
Das Kind schon an der Mutter Brüsten
Die Milch der Rachbegier getrunken?
Entweiht nicht selbst die Himmelstochter Dichtung
Hier des Gesanges schöne Kunst
Und gießt ins Herz des Knaben wilde Brunst,
In Mord zu schwelgen und Vernichtung?
Thor, daß bei Söhnen der Natur
Ich Frieden hier geglaubt zu finden!
Für immer möge meines Weges Spur
Im Staube, windverweht, verschwinden!
Durch weite menschenleere Wüstenstriche
Nach dort, von wo der Sonne morgendliche
Glanzfülle strömt, zog ich den Weg;
Die Stunden schlichen langsam träg,
Und öde Tage folgten öden Tagen.
Da vor dem Blick, der ostwärts streift,
Steigt's wie Gewölke, das sich häuft und häuft,
Am Himmel auf; nein, Hügel seh' ich ragen;
Schon kündet an dem Wege die Cisterne,
Daß hier bisweilen Regen löscht den Staub,
Und durch den blassen Dunst der Ferne
Glänzt an den Halden grünes Laub.
Allmälig mir im Rücken weicht
Die Wüste, und beim Sonnensinken
Hab' ich den Hügelsaum erreicht.
Im letzten Abendlichte blinken
Sprudelnde Quellen durch das frische Grün;
Chalil und Beder lassen auf dem Rasen
Die Rosse, frei von Zügeln, grasen,
Und mir Erschöpftem von des Tages Müh'n
Geschlossen hatte Schlaf die Augen bald;
Da fühlt' ich, wie der Nachtthau kalt
Auf meine Stirne rann; ich fuhr empor
Und sah von leichtem Nebelflor
Des Mondenlichts die Erde überwallt.
Aufraffend mich zu kurzem Gang,
Schritt ich hinan den Hügelsaum
Und starrte staunend. Meine Augen schauten
Ein Feld mit Trümmern ungeheurer Bauten,
Die gränzenlos sich vor mir dehnten,
Gestürzte Säulen, halb noch aufwärts ragend
Und mühsam riesengroße Blöcke tragend,
Die wie im Todeskrampf an ihnen lehnten,
Schutt über Schutt, Ruinen bei Ruinen,
Vom Zitterlicht des Mondes matt beschienen.
Weit warfen Obelisken ihren Schatten
Hin über Säulenstücke, Marmorplatten,
Und, wie ich zagend weiter schritt,
Versank im Staub von Tempeln mir der Tritt.
Drauf stieg mit schwindelhohen Wänden,
Gethürmt wie von Gigantenhänden,
Ein Urweltbau vor mir empor;
Kolosse stehen aufrecht noch am Thor,
Und über Stufen, halb zerfallen,
Klimm' ich hinan und bröckelndes Gestein.
Nacht wird's um mich; dann blinkt aufs neu ein Schein;
In weite himmelhohe Hallen,
Dem Blicke kaum ermeßbar, tret' ich ein
Und sehe Reihen ungeheurer Pfeiler
Und Mauern über Mauern steil und steiler
Gleich Bergesklippen mir zu Häupten hängen.
Vor mir in die Unendlichkeit verlieren
Sich Säulengänge hinter Säulengängen,
Und räthselvolle Bilder drängen
Sich an der Wand von Flügelstieren
Mit Menschenantlitz und mit Adlerklauen,
Gekrönten Löwen, in den Stein gehauen,
Einhörnern, Widdern; der Zodiakus
Zeigt noch den ält'sten Stand der Sternenuhr,
Als hier den ersten Blick in die Natur
Die junge Menschheit that.
Bewältigt nieder
Sink' ich an eines Pfeilers Fuß
Auf einer Sphinx gebrochne Glieder.
Da schau'n von rings, die Augenlider
Noch von dem Traum der großen Weltnacht schwer,
Mich Götterbilder an und Steingestalten,
Die Marmortafeln in der Rechten halten;
Und mehr noch seh' ich, immer mehr
Dem Staube der Jahrtausende entsteigen;
Kein Laut, kein Lufthauch stört das Schweigen,
Das feierliche, um mich her.
So, wie ich sinnend all die wunderbaren
Gebilde schaute, dacht' ich: sie, die Zeugen
Noch von der Erde Jugend waren,
Vielleicht von dem verhüllten Weltgeschick
Den Schleier heben sie vor meinem Blick.
Woher wir kommen, wer wir sind,
Warum durch dieses Lebens Labyrinth
Wir irren auf der öden Erdenfahrt:
Ihr Ew'gen, denen im Beginn der Tage
Natur ihr groß Geheimniß offenbart,
Gebt Antwort auf die große Räthselfrage!
An einer Göttin heil'gem Bild,
Das, von des Schleiers Falten tief umhüllt,
Vor mir in dämmerdunkler Nische stand,
Hing mir das Auge, das erwartungsvolle.
Ich glaubte, ihr vom Haupte das Gewand
Walle zurück, sie rege ihre Hand,
Als ob sie eine Keilschriftrolle,
Die in der Rechten lag, entfalten wolle –
Nein, nur vor meinem Blick ein Flimmern
Gewesen war's; stumm, regungslos blieb Alles,
Nur daß bisweilen leisen Falles
Ein Stein sich löste von den Trümmern.
In wache Träume ohne Schlaf
Zuletzt die Sinne hingeschwunden,
Geachtet hatt' ich nicht des Flugs der Stunden
Als lichter Schein das Augenlid mir traf.
Ich fuhr empor und sah den ersten blassen
Frühsonnenstrahl, der in die Trümmermassen
Durch halbgestürzte Riesensäulen fiel.
Der Morgenwind strich meine Schläfe kühl,
Doch immer war's mir noch wie Traum,
Als ich den ungeheuern Raum
Mit Blicken maß und durch die Lücken
Mit Quadern und mit Mauerstücken
Behäuft den Boden sah, mit Steinkolossen,
Zerbrochnen Löwenbildern, Siegesbogen.
Wie jäh erstarrte Meereswogen
Ist allumher die Trümmerflut ergossen.
Wo bin ich? Drang ich durch des Aufgangs Thor
Bis an der Zeiten Anfang vor?
Ist eine dies von jenen Urweltstädten,
Drauf ihren Fluch geschleudert die Propheten,
Erbaut von den titanischen Geschlechtern,
Die Gottes Söhne mit den Erdentöchtern
In Frevel zeugten? Stand hier Ninive,
Das Haus des Baal, von Sünden übervoll,
Aus dem Verderben, Jammer, Weh
In alle Länder überquoll?
Ist's von Belsazars Frevelmahl
In Babylon der eingestürzte Saal?
Bewegungslos, als würd' in Bann
Ich von den ries'gen Steingestalten,
Die auf mich niedersah'n, gehalten,
Blieb ich den Tag hindurch und sann und sann
Inmitten runenüberdeckter Mauern –
Hier Fabelwesen, Minotauren
Mit Löwentatzen und dem Haupt von Sperbern,
Dort Kön'ge mit der Mitra oder Krone,
Und um sie her längs der Pylone
Kriegswagen, Heere, die mit den Verderbern
Zum Kampfe sich gewälzt; mir war, als schöllen
Der Cymbeln Klänge von den Wällen
Und durch der Sieger Jubelchor
Der Wehruf der Besiegten an mein Ohr.
Schon ließ die Sonne schräge Strahlen gleiten,
Und immer noch dasaß ich stumm,
Versunken in die Nacht der Zeiten.
O – sprach ich endlich vor mich hin – warum
Floh ich des Abendlandes trüben Himmel
Und seines Lebens düstre Irrgewinde,
Wenn ich im Land der Sonne Mordgetümmel
Und seelenlose Oede finde?
Hier, dacht' ich, blühe noch der Menschheit Lenz;
Doch, flücht' ich auch zum Saum des Orients,
Umsonst, daß ich bei Lebenden ihn suche!
Selbst hier das stumme Reich der Todten,
Das mich umgibt, spricht von dem Fluche,
Der früh die Welt gegeißelt mit Despoten.
Kaum, daß der Menschheit Erdenmorgen graut,
Was seh' ich? Götzendienst und Sturz von Reichen
Und Tyrannei, die auf der Völker Leichen
Der Herrschaft Zwingburg sich gebaut.
Und doch! auf Erden waren schön're Tage,
Die noch uns aus den Augen alter Sage,
Dem Dämmermorgen der Geschichte,
Anschau'n mit wunderbarem Zauberlichte.
Hat ein Geschlecht vom Götterstamme
In diesem Stromthal nicht geblüht,
Als an der hohen Himmelsflamme
Zuerst das Erdenleben aufgeblüht?
Und glänzt aus fernster Zeitenferne
In unsern Abendhorizont voll trüber
Gewölke nicht gleich einem Morgensterne
Das alte Paradies herüber?
Wer hätte nicht nach ihm im ungestillten
Verlangen sich gesehnt, seit er im Buch
Des Moses las und im Gedicht des Milton,
Wie uns aus ihm verbannt der Sünde Fluch?
Verlebt hat in des Welttags erster Frühe
Die Menschheit ohne Sorge, ohne Mühe
Dort ihre sel'gen Kinderjahre;
Damals noch war sie froh und frei
Und ahnte nicht, an welches unwirthbare
Gestade sie geworfen sei.
Kein fremder Wille zwang sie in sein Joch;
In kinderreiner Unschuld noch,
Sich schmiegend an der großen Mutter Brüste,
Zum Himmelsstrahle, der ihr Antlitz küßte,
Auflachte sie – o wär' ein Zauber mein,
Ich würd' in jene frühe Welt mich flüchten,
Um unter ihren Blüten, ihren Früchten
Beglückt zu weilen; all mein Sein
Gäb' ich für eine Stunde, dort verlebt!
So sprech' ich noch; da hinter mir erhebt –
Bin ich im Traume oder Wachen? –
Auf einmal sich ein höhnisch Lachen.
Ich schaue rückwärts, und mein Blick gewahrt
Auf einem Steinblock stehend einen Greis
In Kleidung eines Emir, Haar und Bart
Wie Schnee des Libanon so weiß.
Auf seine Stirne, scheint es, haben
Jahrhunderte die Furchen eingegraben;
Welk sind die Adern, ohne Blut,
Die Augen wie verhängt mit trübem Schleier,
Und dennoch lodert oft ein seltsam Feuer
Daraus hervor mit dunkler Glut.
»Du Thor – rief er – du lächerlicher,
Daß kindisch du dein Herz an längst
Verschollne Ammenmärchen hängst!
Vor sechs Jahrtausenden, gilt dir für sicher,
Bestand ein Milch- und Honigparadies,
Das Gott nach Koran und nach Pentateuch
Zum Aufenthalt den ersten Menschen wies;
Und in dies Eden sehnt ihr euch
Zurück, ihr armen Menschentröpfe?
Sechstausend Jahre! nimm statt dessen
Aeonen, mehr als die Gedanken messen,
So lang schon ist's, seit die Geschöpfe,
Die Menschen heißen, auf der Erde kriechen,
Und andre Jahrmyriaden wird es währen,
Daß diese Jammervollen, Siechen
Die Welt verpesten. Fort mit den Chimären,
Die du aus tollen Büchern aufgelesen!
Von Anbeginn ein elend Jammerwesen
Schon war der Mensch und wird es bleiben
Bis an der Zeiten Schluß; das ganze Treiben
Auf Erden ist ein wüstes Spiel,
Von einem Dämon ausgeheckt,
Und Keiner hat den Zweck, das Ziel
Der jämmerlichen Farce noch entdeckt.
Wie kranke Gaukler auf den Messen,
Wenn sie im bunten Kleid, besetzt mit Tressen,
Fiebergeschüttelt bei der Schellen Ton
Noch Kurzweil treiben und beim Paukenschalle,
So in des Lebens Lust selbst fühlen Alle
Des nahen Grabes Schauer schon.
Wär's möglich, tüchtig bei dem Stück zu lachen,
So würd' es dem Erfinder Ehre machen,
Doch weil so viele Thränen dabei flossen,
Ist es die schlechteste der Possen.« –
Er schwieg und lange, wie erstarrt,
Kaum blickt' ich auf; durch meine Seele rann
Ein Schauer, wie bei Geistergegenwart.
Wenn nun der böse Ahriman,
Der Schreckensfürst der alten Nacht,
Wenn einer seiner Dive oder Dschinnen
Hier vor mir stände, wie entrinnen?
Nur mühsam über mich gewann ich Macht,
Von neuem zu dem Fremdling aufzuschauen;
Doch, wie ich hinsah, nach und nach das Grauen
Vor dem Unheimlichen fühlt' ich sich mindern.
An Tracht den andern Menschenkindern
Ihn fand ich gleich; um hagre Glieder wallten
Des Kaftans weitgebauschte Falten
Bis zu den Fußsandalen ihm herab;
Ein grüner Turban, der sein Haupt umgab,
That kund, daß er als Jünger des Propheten
Mekka's geheiligte Moschee betreten;
Doch des Gesichtes wundersame Züge
Straften die Kleidung wieder Lüge;
Nicht diesem Volk gehörte, der sie trug,
Das schien gewiß; doch welcher der Nationen
Mocht' er entstammen, die auf Erden wohnen?
»Ist es des Schweigens nun genug?« –
Anhub er wieder und mit milderm Laute –
»Verwundert ruht auf mir dein Auge,
Und scheu, als ob vor mir dir graute.
Du denkst, ich sei aus anderm Stoffe,
Als ihr, geformt; allein Geduld! ich hoffe,
Daß ich für dich zum Umgang tauge.
Willst du, daß ich in deiner Sprache rede,
So mag es sein; doch auch der andern jede
Ist mir geläufig; als Kosmopolit
Sprech' ich Assyrisch, Zend, Sanskrit,
Tamulisch, antediluvianisch, Pali;
Mich aber nenn', ich bitte, Hadschi Ali,
Da dem, der einen grünen Turban führt,
Dies Ehrenepithet gebührt.
Der köstlichste von allen Schätzen
Fürwahr ist solch ein grüner Fetzen,
Denn wer ihn trägt, genießt die Ehrfurcht Aller,
Weil er die Stirn als Mekka-Waller
Am schwarzen Stein gerieben hat.
Auch du umgib dein Haupt auf dieser Reise
Mit solchem Glorienschein, das ist mein Rath!
Klug wechseln muß der Lebensweise
Je nach dem Brauche der verschiednen Länder
Die Religionen und Gewänder.
Wie ich zu Allah hier und Muhammed,
Die Stirne auf den Koran drückend, flehe,
So vor des Buddha heil'ger Zehe
Verricht' ich meine Andacht in Tibet,
Und werf' in Indiens Pagoden,
In Händen einen Kuhschweif, mich zu Boden.«
Und nun von Abenteuern jeder Art,
Die er erlebt auf weiter Wanderfahrt,
Anhub er zu erzählen; an den Quellen
Des Nil wie an den Niagarafällen
War er zu Haus, im Lande der Mongolen
Wie in Peru und an den beiden Polen;
Er sprach vom Märchenland Kathai,
Als ob er jüngst erst dagewesen sei,
Und oft mich glaubt' ich in Delirien,
Wenn bald er von Aegyptens Finsterniß
Erzählte, bald vom Hofe von Assyrien
Und von den Gärten der Semiramis.
Memphis und Theben, Ninive und Babel
Wollt' er gesehen haben – tolle Fabel!
Drauf wiederum, so wie er mit dem Ernste
Spott und Gelächter wechseln ließ,
In die Berichte über fernste
Weltalter mengt' er das Modernste,
Als spräch' ein Zeitungsschreiber aus Paris.
Ich dachte, einer von den Schlangenzähmern
Und Tausendkünstlern, wie man unter Krämern
Sie auf Aegyptens Bazars sehen kann,
Sei dieser Greis; doch wieder dann
Ein alter Magier, aus der Gruft erstanden,
Der hin von Volk zu Volk, von Land zu Landen
Gepilgert, schien er mir. Als eine Spanne
Kam Zeit und Raum mir vor, indeß er sprach,
Und seltsam! wie mit einem Zauberbanne
Mich zog er an sich nach und nach.
Wie oft ich Muth auch, ihn um Vaterland
Und Herkunft zu befragen, fassen mochte,
Es war umsonst; beklommen pochte
Mein Herz, daß ich nicht Worte fand.
Allmählig war von seinem ersten Hohn
Die letzte Spur selbst im Gespräch entfloh'n,
Und manchmal blickt' er mich so feierlich,
So ernst an, daß mich Ehrfurcht überschlich,
Ja, wenn in seine meine Augen sah'n,
Glaubt' ich, ins Gränzenlose aufgethan,
Den unergründlich tiefen, blauen
Sternhimmel einer Neumondnacht zu schauen.
Ein groß Geheimniß schien in seinen Zügen,
Wie auf dem Angesicht der Sphinx zu liegen,
Die, halb versunken in den weh'nden Sand,
Des Weltalls Räthsel auf den hohen Brauen,
Weit in die bleiche Wüste starrt.
Indeß ich ihm zur Seite saß
Und aller Welt umher vergaß,
Nicht daß es dunkel, immer dunkler ward,
Gewahrt' ich. Plötzlich rief der Greis:
Mostakfi Billah! Amrul Keis!
Und, Fackeln in der Hand, erschienen
Zwei Sklaven zwischen den Ruinen
Und trugen auf geschnitztem Tafelbrette
Ein Mahl heran; mit ihnen um die Wette
Von andern Dienern wurden Silberschalen
Gebracht mit köstlich duftenden Gerichten
Und Indiens Spezerei'n und Tropenfrüchten;
Wein schimmerte in goldenen Pokalen
Und neben Ali mußt' ich mich als Gast
Am Mahle laben. Mir im Haupte
Fühlt' ich ein Schwindeln und ich glaubte
Mich in des Aladdin Palast,
Im Traumreich aus den tausend Nächten.
Zu mir mit einem Druck der Rechten
Sprach so, indem er mich zum Trinken lud,
Der Alte: »Bald, wenn wir uns näher kennen,
Ich hoffe, sollt Ihr Euern Freund mich nennen!
Nicht Einer kann im Morgenland so gut
Wie ich den Führer machen. Statt so einsam
Und melancholisch durch die Welt zu zieh'n,
Reis't drum von morgen an mit mir gemeinsam!
Aufschlagen soll mein Sklav den Baldachin
Bald hier uns und bald dort auf sichern Pfählen
Und nicht an Wechsel in dem Einerlei
Des Aufsteh'ns und Zubettgeh'ns soll's Euch fehlen,
Auch stets auf gutes Nachtmahl könnt Ihr zählen,
Doch ein Bedingniß ist dabei:
Mit Fragen, wer ich und von wo ich sei,
Vorwitzig dürft Ihr nie mich quälen.
Und nun merkt auf! Erfüllen will ich hier
Euch Euern Herzenswunsch. Ein Elixir,
Ein Kleinod, das ich fand auf Reisen
Und so unschätzbar, wie der Stein der Weisen,
Stets führ' ich mit mir. Meine Sklaven haben
Die Tempelhöhlen Indiens all durchgraben,
Und machten auf dem tiefsten Grund
Des herrlichen Arcanums Fund.
Wer einen Tropfen kostet von dem Saft,
Aufthun vor dem sich, wie durch Zauberkraft
Die Pforten der Vergangenheit,
Und wählen darf er nur die Zeit,
Die er als Gegenwart erblicken will,
So wird ihm augenblicks vergönnt,
In ihr zu leben. – Aber still!
Ich sehe, wie kaum wach Ihr bleiben könnt!
Schon in den Wein, den ihr genossen,
Hab' ich von meinem Elixir gegossen;
Vorhin, als ich Euch unterbrach im Reden,
Pries't Ihr der ersten Menschen Loos;
Mit ihnen in dem Garten Eden
Zu weilen, war Eu'r Sehnen groß;
Wohl denn! lernt kennen das beglückte Leben,
Das sie geführt in jenem Paradies!
Mir Kunde sollt ihr morgen geben,
Ob Ihr gefunden was man Euch verhieß.«
Ich hörte seine Worte kaum;
Ein Schwindel war in allen meinen Sinnen
Und Schlaf fühlt' ich auf mich hernieder rinnen.
Vor mir der Wüste bleicher Saum;
Um mich die riesenhaften Trümmer,
Auf die Canopus blauen Schimmer
Wildflackernd niedergoß; mir däuchte,
Der Strahl des Wundersternes leuchte
Zur fernsten Urwelt mir zurück;
In Schlummer, tief wie Tod, erlosch mein Blick.