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Der Wolke Bruder

Mehr als leben fand ich war zu lieben,
Mehr als lieben ist wie er zu sterben.

Hoch im Walde lag der kleine Pachthof,
Tief in öder Wildniß, weit vom Wege,
Wo der Krieg schon seit dem Herbst gewechselt.
Noch kein Feind die Stelle hatt' gefunden,
Keines Feindes Fuß den Steig betreten,
Der dahin führt; Kund' von Blut und Streiten
Gab der Rabe nur, aus Wolken rufend,
Und die Weihe, satt im Baume ruhend,
Und der Wolf, der mit der blut'gen Beute
Sucht der Heide dunkle Klüfte wieder.
In der Rauchstub', bei dem langen Tische
Saß der Wirth, am Samstagsabend, traurig,
Von der Woche vieler Mühe ruhend.
Standhaft stützt er in die Hand die Wange,
Stemmt den Arm fest an des Tisches Ende,
Doch sein Auge schaut' mitunter seitwärts,
Hielt sich ruhig nicht in einer Richtung.
Dies bemerkt' doch keiner von den Seinen,
Von den Beiden, die darinnen waren,
Nicht sein Pflegesohn nicht seine Tochter;
Schweigend, still einander fest umarmend,
Hand in Hand, und Haupt zum Haupte neigend,
Saßen sorglos traulich sie am Herde.

Doch der Alte brach zuletzt das Schweigen;
Für den Klugen ward die Meinung deutlich,
Sang er scheinbar auch nur zum Vergnügen,
Wie der Sang sich fiel, die Worte wollten.

»König«, sang er, ist der Bär im Walde,
Auf die Föhre wächst zur Zier der Heide,
Ob das Menschenkind zu Kraft und Größe,
Ob zu Tand und Staub erzeugt, weiß Keiner.
Eines Winterabends kam der Knabe,
Unbekannt, gleich einem wilden Vogel,
Irre gehend, in der Menschen Wohnung;
Durch der Mütze Fetzen schien der Scheitel,
Durch den Schnee am Fuß sah man die Zehe,
Und die Brust durch die zerriß'ne Jacke.
Wessen? woher? Frage wessen woher
Ihn den Reichen, Vater, Heimat habend;
Kommt wohl auch ein Wind aus meiner Heimat,
Bruder darf ich wohl die Wolke nennen,
Doch nur Schnee am Fuß der Nacht bin ich ja,
Den sie schüttelt ab, ins Haus gekommen. –
Doch der Schnee am Fuß der Nacht zerschmolz nicht,
Mit dem Wind flog nicht der Wolke Bruder,
Hier der Knabe blieb und ward zum Jüngling.
Unbemerkt er spielt' im ersten Jahre,
Fällt im zweiten Jahr schon Holz zum Schwenden;
Und bevor der vierte Sommer endet,
Schlug den Bären er, die Heerde hütend.
Wo ist jetzt sein Ruf, wohl Manchem theuer,
Größer als ihn Jemand hier gewonnen,
Wo des Pflegers Hoffnung? In der Stube
Weilt der Alte, sich vergebens sehnend
Von dem Krieg ein einzig Wort zu hören,
Ob sein Land gerettet, ob gefallen?
Nicht kann er des Adlers Sprache deuten,
Kennt den Ruf des Raben nicht; kein Fremder
Bringt die Kunde zu den öden Gränzen,
Und der Jüngling, der ihm Hülf' sollt' leisten,
Horcht der Botschaft nun von Weiberherzen.

Wie ein Sturmwind wohl am Sommerabend,
Wenn in der Natur herrscht Sonntagsstille,
Kommt alleine, ungesehn und blitzschnell
In den Waldsee niederfährt, sich keine
Pflanze regt, kein Laub, still steht die Tanne,
Still die Blume steht am steilen Ufer,
Alles ruht, und nur die Tiefe siedet;
So, bei dem Gesange saß der Jüngling
Stumm nur da, verschlossen, unbeweglich,
Jedes Wort doch trieb sein Blut vom Herzen.
Bei dem Mädchen blieb er noch den Abend,
Ging zur Ruhe, als die Andern gingen,
Schien zu schlafen, eh' die Andern schliefen,
Doch viel früher wach als irgend Einer,
Schlich beim ersten Strahl der Morgenröthe
Er allein unmerkbar aus der Stube.

Tag es ward, die Sonne stieg am Himmel,
Doch nur zwei erwachten in der Hütte.
Aufgeräumt die Stube ward fürs Frühstück,
Aber zwei nur traten vor zum Tische,
Mittag ward's, doch keinen Dritten sah man.
Unbewölkt war noch die Stirn des Alten,
Thränenlos noch seiner Tochter Auge,
Doch zur Ruh', ob auch gemahnt vom Sonntag,
Ging, als man das Mahl beendigt, keiner.
Eine Weile drauf, lang wie das Stündchen,
Eh' vom Himmelsrande ein Gewitter
Kommet, berstet, hagelt und vergehet.
Nahm das Wort, als wie zum Trost, der Alte:
»Weit ist wohl der Weg zum Dorfe, Tochter,
Berge sperren, Ströme hindern, Stege
Giebt es nicht, und Regen füllt die Moore.
Der dahin beim Morgenroth gewandert,
Ist wohl kaum vor Abend noch zu Hause«.
So der Alte. Unachtsam der Rede
Saß die Tochter, wie die Blum' verschlossen,
Die den Kelch beim Nah'n der Nacht verschließet;
Was sie dachte, war für sie alleine.

Lange saß doch nicht das edle Mädchen,
Länger nicht, als nach der Sonne Sinken
Harrt des Abendthaus die matte Pflanze,
Ehe Thränen ihre Wangen netzten,
Und sie sang gesenkten Hauptes leise:
»Wenn ein Herz ein andres Herz gefunden,
Wenig wird dann was vorher uns viel schien
Erde, Himmel, Heimat, Vater, Mutter.
Mehr als Erden schließt dann ein Umarmen,
Mehr als Himmel strahlt's in einem Auge,
Mehr als Mutters Rath und Vaters Wille
Spricht ein Seufzer dann, wohl sonst kaum hörbar.
Welche Macht bezaubert wie die Liebe,
Welche Bande halten den der liebet?
See'en überschwimmt er wie die Ente,
Hindern Felsen, kriegt er Adlerschwingen,
Lang' vor Mittag ist er schon zurücke,
Wo man ihn zum Abend erst erwartet«.

Den Gesang der Alte kaum vernommen,
Ehe er von Angst und Sorg' geschlagen
Eilt hinaus zu suchen den Verschwundnen.
Schweigend ging er aus der Stube, schweigend
Folgt' er dem irrsamen Pfad der Wildniß;
Schon die Sonne naht der Bäume Gipfeln,
Eh' den nächsten Hof er müd' erreichte.

Leer und öde, wie die Tann' der Heide,
Wo ein Waldbrand sengend fortgeschritten,
Zeigt sich ihm die vordem reiche Wohnung;
In der Stube saß die Wirthin einsam,
Hingebeugt auf ihres Kindes Wiege.
Wie der Vogel, wenn er unvermuthet
Schießen hört und spürt den Schall der Kugel,
Aufschreckt, zittert, seine Flügel ausschlägt,
Also flog das junge Weib vom Sitze,
Als sie hört der Thüre Gang, doch Freude
Ward ihr Schrecken bei des Alten Anblick;
Zu ihm eilend reicht sie ihm die Hände,
Große Thränen netzten ihre Wangen.
»Heil«, sie sagte, »Heil« dir, alter Vater,
Theuer in dem Leid, zu uns gekommen;
Dreifach Heil dem Edlen, den du aufzogst
Zu der Schwachen Wehr, der Armen Beistand!
Setz' dich, ruhe deine müden Glieder,
Und mit Freuden hör' was ich erzähle:
»Hart schon war der Krieg von Herbstes Anfang,
Gleich verheert das Land vom Freund als Feinde,
Doch verschont blieb noch der Waffenlose;
Aber kaum ist noch ein Tag vergangen,
Seit ein Männerschwarm aus nächstem Sprengel
Folgte mit dem Heer dem Feind entgegen.
In der Schlacht verließ der Sieg die Unsern,
Wen'ge nur entkamen hier dem Tode,
Und, wie Laub zerstreut im Sturme, diese.
Strandlos wie die Fluth ging jetzt das Wüthen
Über Alles, wehrlos wie bewaffnet,
Männer, Weiber, Niemand sah Verschonung.
Hierher kam der Strom schon früh am Morgen,
Als zum Gottesdienst es eben läutet,
Auch zu uns langt eine Well' verheerend.
Laß des Jammers Kunde mich verschweigen!
Schon am Boden lag mein Mann gebunden,
Blut man goß, es herrscht Gewalt, am größten
War die Noth, und Hülf' nicht zu erwarten.
Selbst gefaßt von Armen acht ich wurde
Wie ein Raub von Raubthieren gerissen;
Da erschien der Retter, da kam Hülfe;
Stürmisch stürzt ins Haus der Wolke Bruder,
Die Bedrückung wich, die Frechen fielen.
Hier ich sitze jetzt in öder Wohnung,
Ärmer als der Sperling unterm Dache,
Doch weit froher als in Glückes Tagen
Werd ich sehn den Edlen, sehn den Gatten,
Wenn vom Dorf' sie unbeschädigt kommen;
Wohin sie des Feindes Spuren folgten«.

Als der Alte hört' die letzten Worte,
Stand er auf, als weilte er zu lange,
Finster war sein Blick von Sorg und Unruh'.
Nicht zu halten mehr, den Weg er einschlug,
Der zum Dorf dem wohlbekannten führte.
Ferne hinterm Wald schon sinkt die Sonne,
Als er zwischen Angst getheilt und Hoffnung,
Langt zum Hofe, wo der Pfarrer wohnte.
Ausgeplündert schien der große Pfarrhof,
Öd' und leer gleich einer kahlen Insel,
Angesehn vom See am Winterabend.
In der Stube saß allein am Herde,
Lebensmüd' der alte Krieger Klinga.

Nun, als dieser hört die Thüre öffnen,
Sah den Freund aus frühern Tagen kommen,
Sprang er auf, obgleich gelähmt von Wunden.
»Noch hat Licht für uns der Tag«, er sagte,
Wenn die Jugend unsre Steige wandelt,
Kraft und Mannheit herrschen noch im Lande.
Solch ein Gottesdienst ward heut gehalten,
Daß ein Kind, das in der Wieg' ihn hörte,
Davon noch den Enkeln wird erzählen.
Sieh, an Raubgier einer Schaar von Wölfen
Gleich, des Landes Feind kam, siegestrunken,
Her, gefolgt von Blut und Raub. – Geringres
Kann verschwiegen, nicht vergessen werden;
Doch als sich der Trupp in Blut gesättigt,
Nur die Ärgsten hier zurück geblieben,
Da durchbrach das Elend alle Grenzen.
Zwischen zweien wilden Pferden bindet
Man den Priester, noch bisher verschonet,
Um zu Fuß der wilden Jagd zu folgen.
Kurz das Urtheil war, in wen'gen Stunden
Muß die Hand, der Fuß ermüdet sinken,
Und sein weißes Haar im Staube schleppen.
Einsam stand der Alte, auf zum Himmel
Sah sein Auge, wie man schaut zum Himmel
Wenn auf Erden alles Nacht und Dunkel.
Preis und Ehre! Da war Hülfe nahe;
Er, der gleich dem Winde auf der Heide
Ward erzeugt, der Wolke Bruder, blitzschnell
Schlug herab, zerschmetternd den Bedrücker.
Hier ich jetzt gelebt mit Andrer Beistand,
Eine morsche Ficht' an Andre lehnend,
Schwer für mich, dem Nächsten eine Bürde,
Dennoch will des Lebens Gab' ich schätzen,
Wenn vom Kampfe dort nah' bei der Kirche
Noch der Edle siegreich kehrt zurücke«.

Als der Alte hört' die letzten Worte,
Ging er fort als ob von Gluth er eilte;
Blasser schien doch schon die Abendröthe
Ehe er das Kirchendorf erreichte.
So das Dorf sich zeigt in Rauch und Asche,
Wie ein wolkengrauer Sternenhimmel,
So die Kirche hinterm Dorf am Hügel,
Wie ein Stern alleine unter Wolken,
So lag Stille auf der öden Gegend,
Wie ein Mondschein überm kahlen Herbste.

Zwischen todten Kriegern, Freunden, Feinden,
Wie ein Schatten auf gemähtem Felde
Ging der Alte. Überall war Tod nur,
Und vom Leben nicht ein Hauch zu spüren.
Erst am Ende des gebognen Pfades,
Fort sich windend durch verheerte Höfe,
Saß am Weg' ein Jüngling, bald verblutet.
Flüchtig röthen sich doch seine bleichen
Wangen, wie des Abends Silberwolken,
Und sein mattes Auge leuchtet wieder,
Als erwacht er sah den Alten kommen.
»Heil«, er sagte »jetzt ist leicht verbluten,
Einer unter vielen die's errungen
Siegend für das Vaterland zu sterben.
Heil dir, der erzogst des Landes Retter,
Dreifach Heil dem Edlen, der uns führte,
Einzeln mächtig mehr als wir zusammen.
Sieh, gebrochner Kraft stand unser Haufe,
Wie die Heerd' zerstreut, die niemand leitet,
Hoffnungslos des Todes Schmach geweihet.
Keiner kam das Volk herbei zu rufen,
Keiner rieth uns, keinem man gehorchte,
Eh' er kam, eh' aus der Wildniß Klüften
Er der Bettlersohn mit Königsstirne
Trat hervor und rief zum Kampf gewaltig;
Da entflammt die Gluth in jedem Herzen,
Jeder Zweifel floh, ihn kannten Alle,
Und mit ihm ging unser Trupp zum Kampfe,
Wie ein Sturmwind in das Schilf hereinbricht.
Sieh, zur Kirche hin, so weit der Weg reicht,
Liegt des Landes Feind, wie auf der Wiese
Halm an Halm, wo mäht' des Schnitters Sense;
Dort die Bahn ist, die der Edle wandert',
Dem mein Blick gefolgt, seit hier ich hinfiel,
Dem bis in den Tod mein Geist noch folget«.
Sprachs, und sanft erlöscht des Kämpfers Auge.

So verlöscht auch jetzt der Tag im Stillen;
Und der Mond, der Nächte bleiche Sonne
Leuchtet mild des Wandrers Schritt zum Kirchhof.
Als der Alte in den Hof hereintrat,
Stand ein Menschenschwarm dort um die Kreuze,
Schaurig, lautlos, wie die Schaar darunter.
Keiner trat ihm einen Schritt entgegen,
Keiner sagt' ein Wort ihm zum Willkommen,
Keiner war's, der ihm mit Blicken zusprach.
Als der Alte in den Kreis getreten,
Lag ein Jüngling todt zu seinen Füßen,
Leicht, wenn auch von Blut bedeckt, erkennbar.
Wie die Föhr' gefallen zwischen Tannen,
Noch im Staube groß und ohne Gleichen,
Lag der Held bei den erschlagnen Feinden.

Aber mit gekreuzten Händen sprachlos,
Wie vom Blitz getroffen stand der Alte,
Weiß die Wange war, die Lippen bebten,
Bis sein Schmerz fand Wort' und klagend ausbrach:
»Jetzt ist meiner Hütte First' gebrochen,
Meines Feldes Erndt' verheert vom Hagel,
Und das Grab viel werther als die Hütte.
Weh' mir, daß ich so dich wiedersehe,
Meines Alters Stütze, meines Lebens
Ehr, Geschenk des Himmels, jüngst so herrlich,
Wie der Sand jetzt, drauf du ruhst, geringe«.
So vor Angst der Alte kaum geklaget,
Als man hört die Stimme seiner Tochter,
Und sie redet, eben hergekommen:
»Lieb er war mir, meinem Herzen nahe,
Mehr als alles in der Welt mir theuer,
Doppelt lieb ist mir doch jetzt der Edle,
Wie er kalt hier ruht auf kalter Erde.
Mehr als leben, fand ich, war zu lieben,
Mehr als lieben, ist wie er zu sterben«.

Also sprach sie ohne Klag' und Jammer,
Trat dann still an des Gefallnen Seite,
Kniete nieder, nahm ihr Tuch und deckte
Still und sanft ihm die durchschoßne Stirne.
Schaurig schweigend stand die Schaar der Kämpfer,
Gleich dem Walde wo kein Hauch sich rühret;
Schweigend standen hier der Gegend Weiber,
Hergekommen um zu sehn und trauern.
Und das edle Mädchen sprach schon wieder:
»Wenn doch jemand wollte Wasser bringen,
Daß ich könnt' vom Blut sein Antlitz säubern,
Mit der Hand noch seine Locken streichen,
Sehn sein Auge lieb auch noch im Tode;
Zeigen wollte ich mit Freuden Allen
Den verlaßnen Sohn, der Wolke Bruder,
Der erstand und ward der Heimat Retter«.

Als der Alte so die Tochter hörte,
Die verlaßne sah an seiner Seite,
Sprach er wieder mit gebrochner Stimme:
»Weh dir, weh dir, meine arme Tochter!
Freud' in Freuden, Trost im Leide, Lind'rung,
Wehr in Nöthen, Vater, Bruder, Gatte,
Alles ist mit ihm für dich verloren,
Alles du verlorst, nichts blieb dir übrig«.

Laut in Jammer brach jetzt aus die Menge,
Keiner war, der stand mit trocknem Auge,
Doch des edlen Mädchens Thränen glänzten
Und sie faßt' des Todten Hand und sagte:
»Nicht man klagend feire dein Gedenken,
Nicht wie deß, der geht und wird vergessen;
So soll dich das Vaterland beweinen,
Wie der Abend weinet Thau im Sommer,
Voll von Freude, Licht, Gesang und Frieden,
Mit der Brust dem Morgenroth entgegen«.


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