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Netherby, Mai 1647. – Sie haben uns oben die besten Zimmer des Hauses eingeräumt, ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer für Mutter und mich. Dieses letztere hat ein großes Bogenfenster, das auf den Obstgarten hinausgeht, in dessen Hintergrunde der Teich ist, auf dem jene Wasserlilien wachsen, von denen mir Roger an dem Abend pflückte, wo Dr. Taylor und Herr Milton mit einander über Rede- und Gedankenfreiheit sprachen, wobei ihre Worte wie die herrlichste Musik klangen.
Seitdem hat England alle diese Jahre her von einer andern Musik über dasselbe Thema widerhallt; aber es scheint, als seien wir dem Schlusse nur wenig näher gerückt. Die Presbyterianer, welche jetzt an der Spitze stehen, scheinen es ebenso wohl für Sünde zu halten, Andere frei denken und reden zu lassen, wie der arme Märtyrer Erzbischof Laud. Sie sind für den Covenant (darunter verstehen sie das Presbyterium), den König und das Parlament; doch zuerst für den Covenant. Wir sind für den König und die Bischöfe, ohne Covenant. Aber die Presbyterianer sind gegen Conventikel und alle Sectirer (sie selbst ausgenommen); und darin stimmen wir so ziemlich überein. In dieser Uebereinstimmung wollen Manche eine Hoffnung für die gute Sache sehen. Wenn wir uns vereinigen könnten, so wäre es möglich, daß die Ordnung wieder hergestellt würde. Jedoch dies scheint sehr schwierig zu sein. Sie müßten auf den Covenant verzichten, der ihnen so theuer wie die Bibel sein soll; und wir auf die gesetzlich gegründete Kirche, die heilige Kette, welche uns, wie Mutter sagt, mit der heiligen allgemeinen Kirche aller Zeiten verbindet; und sie glaubt, der König werde eher sterben, als sich dazu entschließen. Wir werden uns also wohl nur dann vereinigen können, wenn die Presbyterianer die Independenten in höherem Grade hassen oder fürchten, als sie den Covenant lieben. In diesem Falle, denken Einige, könnten der König und die Presbyterianer, Schotten und Engländer sich verbinden und gemeinsam die Independenten überwältigen; und was dann?
Ich kann es mir nicht vorstellen. Denn wenn der gemeinsame Feind fort wäre, stünden noch immer der Episcopat und der Covenant einander gegenüber. Sir Launcelot sagt, der König denke, er habe ein ganz einfaches »Spiel«. Er müsse einen seiner Feinde überreden, den andern zu vernichten, und dann kommen und mit leichter Mühe den geschwächten Sieger unter seine Füße treten! In seinen Briefen soll er geäußert haben, daß dies seine Absicht sei. Allein ich bin überzeugt, man hat die königlichen Briefe falsch gedeutet. Denn ein solches »Spiel« scheint mir weder väterlich noch königlich; und wenn diese Nachricht nicht besser verbürgt ist, will ich sie nicht glauben. Für mich sind diese Angelegenheiten ganz besonders traurig. Olivia, die ihre Politik von Roger lernt, scheint die Independenten, welche die Hauptstärke des Heeres ausmachen, und ihren Abgott, den General Cromwell, am höchsten zu achten; so daß vermutlich nichts zwischen den Davenants und den Draytons Frieden stiften wird, welche Sache auch obsiegen mag.
Jetzt freilich herrscht Friede in diesem Hause, seit meine Mutter und Fräulein Dorothea auf Grund ihrer gemeinsamen Treue gegen Seine Majestät und ihres gemeinsamen Abscheus vor »Sectirern« einen Vertrag abgeschlossen haben.
Ueberdies ist Fräulein Dorothea wunderbar sanft und gütig gegen uns. Nachdem sie ihrem Gewissen Genüge gethan, behandelt sie meine Mutter mit einer so zärtlichen Rücksicht und Achtung, die mir ganz zu Herzen geht. Zuweilen, ich muß es gestehen, denke ich, es geschehe nur aus Mitleid, wie es ein wohlwollender Kerkermeister gegen verurtheilte Verbrecher empfinden mag. Sind diese einmal verurtheilt, so wird der Gerechtigkeit sicher Genüge gethan werden; darum kann inzwischen das Mitleid ohne Gefahr walten und sie nähren und warm halten. Fräulein Dorothea spricht nicht viel, aber sie findet den Geschmack meiner Mutter heraus und versorgt sie mit unerwarteten Leckerbissen, was mein ganzes Herz an sie fesselt.
Ich weiß nicht warum; aber ich habe mich immer zu ihr hingezogen gefühlt. Sie ist so offen und wahr und wie ein Mann; männlich, wie ein Mann weiblich sein kann. Sie ist in mancher Hinsicht Roger von Allen am ähnlichsten; nur daß er, der wirklich ein Mann und Soldat, darum auch sanfter ist. Und es ist als ob sie Einen wider ihren Willen lieb hätte, was ihre Zuneigung noch um so süßer macht. Denn sie liebt mich. Ich weiß es ganz gewiß, weil sie mich so beobachtet und ermahnt und mir widerspricht, besonders seit ich ihr an jenem Nachmittag die drei Predigten vorlas, während wir auf Roger und Olivia warteten. Ich fragte Olivia und sie sagte mir, Fräulein Dorothea habe nachher gesagt, sie finde, ich hätte vortreffliche Anlagen. Das sollte, wie ich wohl weiß, so viel heißen, als sie habe mich lieb. Sie wollte sich entschuldigen, daß sie ein so weltliches, babylonisches Mägdlein lieb hatte, wie sie mich für eines hielt. Und darum hat sie mich in ihren Gedanken mit vortrefflichen Anlagen begabt und glaubt sich dazu bestimmt, mich aus Babylon zu retten und ein »Gnadenmittel« für mich zu werden, was ich ihr gewiß recht gern gestatten will. Denn ich weiß wohl, mein Herz ist zu leicht und sorglos, – ausgenommen in einem oder zwei Punkten. Und unterdessen schmeichle ich mir, in geringem Maße für sie eine »Bestimmung und Gnadenmittel« zu sein, so wenig sie es auch anerkennen dürfte. Denn es ist frommen Leuten so gut, Leute, welche nicht so fromm sind wie sie, lieb zu haben (ich meine wirklich lieb zu haben, nicht nur sie wie Patienten in die Kur zu nehmen). Sie werden dadurch veranlaßt, an Andere zu denken und für sie zu beten, und abgehalten in sich hinein nach Zeichen, und vorwärts nach Belohnung zu schauen, indem das Herz von Liebe erfüllt wird, welche selbst das huldreichste Zeichen und der herrlichste Lohn ist.
Meine süße Mutter, welche Gnadenmittel sind wir Alle auf diese Weise für Dich gewesen!
Sie mag sagen, was sie will, allein sie wäre sicher in Klein-Gidding keine bessere Heilige geworden, und wenn sie auch im Jahr die Psalmen dreihundertfünfundsechzig Mal durchgesungen hätte. Ich glaube, sie und Fräulein Dorothea fördern einander. Sie erinnern mich an die zwei Gruppen christlicher Tugenden in der Bibel. Die des heiligen Paulus: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmuth, Keuschheit, stelle ich mir als liebliche mädchen- oder matronenhafte, strahlende Gestalten in weißen Gewändern vor, mit leisen, süßen Stimmen. Sie repräsentiren meine Mutter und die frommen Leute von Herrn Herberts Schule. Dann kommt die von St. Petrus geschilderte Gruppe: Glaube, Tugend, Erkenntniß, Mäßigkeit, Geduld, Gottseligkeit, brüderliche Liebe und allgemeine Liebe. Diese stehen vor mir wie eine Schaar gewappneter Ritter, tapfer, wahr und rein, ungefähr in der einfachen, männlichen Rüstung der Eisenseiten, wie Roger an jenem Morgen in Oxford aussah, als er sich noch einmal nach mir umwandte und mir vom Hofe des Stiftes aus ein Lebewohl zuwinkte. Diese repräsentiren Fräulein Dorothea und die edelsten unter den Puritanern. Es sind ohne Zweifel im Grunde dieselben Tugenden. Liebe ist die Mutter der einen Gruppe und die Königin und die Krone der andern. Allein mir kommt vor, sie stellen zwei verschiedene Orden der Frömmigkeit dar, – den männlichen und den weiblichen. Vereint, neben einander, sich gegenseitig helfend und dienend – nicht gegen einander fechtend – welch eine Kirche, welch eine Welt würde dies sein!
Doch das wichtigste Ereigniß in der Familie ist Olivia's Verlobung mit Dr. Antonius, welche den Tag nach Fräulein Dorotheens »Großer Warnung« Statt fand.
Ein Paar Tage darauf reiste Dr. Antonius wieder ab. Und seitdem waren wir Alle äußerst geschäftig, um die Aussteuer zu machen, da die Hochzeit im Juli gefeiert werden soll. Dies ist keine lange Brautschaft. Allein sie hatten nicht nöthig, sich erst noch kennen zu lernen.
Es ist für uns Alle angenehm, für sie zu arbeiten, die so wenig gewohnt ist, an sich selbst zu denken. Sie scheint sich in einem kleinen Glückstaumel zu befinden, so sehr, wie dies bei einer puritanischen Seele möglich ist.
Manche dieser puritanischen Sitten kommen mir wunderbar lieblich und unschuldig vor.
Wie ich sehe, haben auch sie ihre Feierlichkeiten, ihre Riten und Ceremonien und überdies ihre Symbole und ihre heilige Kunst, mag auch Fräulein Dorothea das Gegentheil behaupten, so viel sie will.
Zarte, heilige Familiengebräuche und Feierlichkeiten. Freilich haben sie weder Kapelle noch Kaplan. Aber die Familie selbst ist wie eine kleine Kirche, und der Vater ist der Priester. Auch entbehrt diese Ordnung weder heiliger Schönheit noch der Weihe der Kirchenväter (älter als der Erzbischof Laud) – der Erzväter Abraham, Isaak und Jakob.
Als zum Beispiel Olivia und Dr. Antonius sich verlobt hatten, führte sie Herr Drayton in sein Zimmer, legte ihnen dort die Hände auf und segnete sie. Dies war das Siegel ihrer Verlobung. Und Olivia erzählte mir, daß sie und Roger als Kinder jeden Sonntag Morgen nach der Familienandacht vor ihrem Vater niederzuknieen pflegten, um seinen Segen zu empfangen. Heilige Berührungen, heilig wie das geweihte Krönungsöl, däucht mir, deren Andenken das ganze Leben hindurch nie verlöschen wird. Aber Eins darf nicht dabei vergessen werden. Wenn die segnenden Hände auch im täglichen Leben mit uns arbeiten, so müssen dieselben von großer Reinheit sein, da keine Pracht der Umgebung, kein verschleiernder Nebel der Entfernung den Segnenden verklärt.
Familien-Feierlichkeiten müssen sehr ächt sein, um überhaupt schön zu sein. Puritanische Heuchelei oder einen blos formellen Puritanismus stelle ich mir als das Trockenste und Widerlichste vor, das es auf der Welt geben kann.
Was nun Symbole und heilige Kunst betrifft, was sind denn diese Bibelsprüche anders, welche bei den Puritanern über den Thorwegen ausgehauen, in Kaminsteine gegraben, mit Verzierungen auf die Wände gemalt sind? »Dies sind keine Götzen,« sagt Fräulein Dorothea. Allein was sind Worte anders, als Bilder in der Seele; und was sind richtig gebrauchte Bilder als Worte für Kinder? Ja, es fehlt sogar bei den Puritanern nicht gänzlich an »heiligen Bildern.« Was sind denn jene Fresken aus der heiligen Schrift in Herrn Draytons Zimmer, an welchen Olivia und Roger aus Fräulein Gretchens Munde zuerst biblische Geschichte gelernt haben? Freilich sind es meist Scenen aus dem alten Testament. Allein der den Garten bebauende Adam und Eva, die um den Baum gewundene Schlange, welche ihre gespaltene Zunge herausstreckt, Noah und die Thiere, wie sie aus der Arche herauskommen, sind eben so gut Bilder als der Fischzug des heiligen Petrus oder die gebenedeite Jungfrau mit dem Christuskinde auf Kirchenfenstern. Worin besteht denn der Unterschied zwischen beiden, außer daß die einen zu Hause auf die Wände, die andern in der Kirche auf Glas gemalt sind? »Sie dienen zur Belehrung und nicht zum Götzendienste,« sagt Fräulein Dorothea. Allein haben in alten Zeiten die Mönche nicht auch ihre Bilder zur Belehrung und nicht zum Götzendienste gemalt? »Jahrhunderte langer Mißbrauch macht die unschuldigsten Dinge gefährlich,« sagt Fräulein Dorothea. »Als die eherne Schlange zum Götzen geworden war, nannte sie Hiskia ein Stück Erz und zerbrach sie.« Das leuchtet mir ein. In solchem Falle ist der Götzendienst, nicht das Zerstören des Götzenbildes, eine Gotteslästerung. Wenn wir aber anfangen, alle Dinge zu zerstören, welche schon zu Götzen gemacht worden sind, oder noch dazu gemacht werden können, wo sollen wir aufhören? Manche Leute haben schon aus den Steinen ihrer Häuser, ohne Inschriften daran, oder aus ihrem häuslichen Herde, ohne die heiligen Bilder, Götzen gemacht.
Allein Zweierlei flößt mir in den puritanischen Sitten Ehrfurcht ein: erstens ihre liebliche, heilige, häusliche Frömmigkeit; zweitens (oder ich sollte vielmehr erstens sagen, da es die Wurzel von Allem ist) die feste Ueberzeugung, daß Jedes, Mann, Frau und Kind bei jedem Wort und jeder That es unmittelbar mit Gott zu thun hat, daß der Schöpfer, gerade wegen seiner Göttlichkeit uns näher ist, als alle Geschöpfe, daß ein Jedes Ihm unmittelbar verantwortlich ist und daß man nur auf Sein Wort hin mit Sicherheit etwas thun oder glauben kann. Solche Ueberzeugung gibt eine Macht, welche uns nicht mehr wunderbar erscheint, wenn wir an ihre Quelle denken. Aber ach! was soll daraus werden, wenn dieses göttliche Wort mißverstanden wird?
Im Juli. – Roger hat auf einige Tage Urlaub genommen und ist hieher gekommen, um der Hochzeit seiner Schwester beizuwohnen.
Er hat die seltsame Nachricht gebracht, der König sei im Verwahrsam der Armee. Wir wissen nicht, sollen wir darüber trauern oder uns freuen. Roger erzählte meiner Mutter, es sei auf folgende Weise zugegangen.
Unter dem Heer hatte sich das Gerücht verbreitet, die presbyterianische Partei beabsichtige im Parlament, den König von Holmby, wo er sich befand, nach Oatlands, in der Nähe von London zu bringen, um dort einen Separatvertrag mit ihm abzuschließen, bei welchem die Soldaten nicht befragt noch berücksichtigt werden sollten.
Am 4. Juni ging daher der Cornet Joyce, ganz ohne Auftrag von irgend Jemand, wie es scheint, nur weil er wußte, daß es der Armee angenehm sein werde, und um diesen Plan eines Separatvertrags mit den Presbyterianern zu vereiteln, an der Spitze von sieben- oder achthundert Mann nach Schloß Holmby, wo Seine Majestät seit unserm Besuch im April geblieben war.
Die Commissäre des Parlaments, welche Seiner Majestät als Kerkermeister dienten, waren sehr entrüstet über diese Einmischung des Cornets Joyce, ließen die Thore schließen und Vorbereitungen treffen, um einem Sturm zu widerstehen. Allein ihre eigenen Soldaten, welche im Gegentheil die Gesinnung der Armee und des Cornets theilten, öffneten ihren Kameraden sogleich die Thore. Auch scheint es, daß der König nicht unzufrieden damit war. Als Cornet Joyce sich in Gegenwart Seiner Majestät befand, redete der König äußerst gnädig mit ihm. Er fragte den Cornet, ob er versprechen wolle, ihm kein Leid zu thun und ihn zu nichts zu zwingen, was ihm das Gewissen verbiete. Cornet Joyce versicherte, er habe durchaus keine schlimmen Absichten, die Soldaten wünschten bloß zu verhindern, daß Seine Majestät an die Spitze einer andern Armee gestellt werde, und er möchte Niemand, am allerwenigsten Seine Majestät zu etwas zwingen, das gegen sein Gewissen sei. Hierauf willigte der König ein, ihn am nächsten Morgen zu begleiten; denn diese Unterredung hatte des Nachts Statt gefunden.
Am nächsten Morgen, früh um sechs Uhr, ließ sich Seine Majestät herab, den Soldaten entgegen zu gehen.
Nochmals fragte er nach der Vollmacht des Cornets und ob er nichts Schriftliches von dem General Sir Thomas Fairfax habe.
»Ich bitte Sie, Herr Joyce, seien Sie aufrichtig und sagen Sie mir, welche Vollmacht Sie haben.«
Da sagte Joyce:
»Hier ist meine Vollmacht.«
»Hinter mir,« sagte der Cornet, auf seine Reiter zeigend; »und ich hoffe, Eure Majestät wird damit zufrieden sein.«
Der König lächelte.
»Das ist eine schöne Vollmacht,« sagte er, »und so wohl geschrieben, als ich je in meinem Leben eine gesehen habe; eine Compagnie so schöner und tüchtiger Edelleute, wie mir lange keine mehr zu Gesicht gekommen sind. Wie aber, wenn ich mich nun weigerte, mit Ihnen zu gehen? Ich hoffe, Sie würden mich doch nicht zwingen wollen? Ich bin Ihr König. Sie dürfen nicht Hand an Ihren König legen. Ich erkenne Keinen über mir als Gott.«
Cornet Joyce versicherte den König, daß er nichts Schlimmes mit ihm vorhabe, und endlich zog der König mit den Soldaten, wie sie es gewünscht hatten, und sie ließen ihm unter drei Orten die Wahl, wo er am liebsten bleiben wollte.
So geleiteten sie ihn in bequemen Tagemärschen nach Childerley, unweit Newmarket. Und man sagt, der König sei unter Allen der Fröhlichste gewesen. Gebe der Himmel, daß dies eine gute Vorbedeutung sei!
Roger sagt überdies, Seine Majestät sei fortwährend guten Muthes und die Armee sei freundlich gegen ihn gesinnt. Man hofft noch immer, daß Sir Thomas Fairfax, General Cromwell und Ireton vielleicht Vorschläge machen werden, die Seine Majestät mit Ehren genehmigen kann.
Unterdessen gestatten sie ihm nicht nur die Aufwartung seiner eigenen treuen Diener, sondern auch seine eigenen Kapläne, um den Gottesdienst der bischöflichen Kirche zu halten, was ihm die Presbyterianer in Holmby verweigerten. Engländer, besonders das gemeine Volk und vorzüglich, däucht mir, englische Soldaten haben im Grunde ehrliche Herzen, und es ist ihnen eher zu trauen als solchen von der Sohle bis zum Scheitel mit Covenants und Glaubensbekenntnissen bewaffneten Leuten. Sicher wird der König noch die Herzen der Armee gewinnen und Alles wird noch gut werden.
Roger ist für den Augenblick von einer so steifen Höflichkeit gegen mich wie ein spanischer Hidalgo, und hört und genehmigt auf eine mir unausstehliche Weise Alles, was ich sage. Denn dies bedeutet nur, daß er denkt, unsere Ansichten seien zu sehr verschieden, als daß er es wagen dürfte, sich darüber auszusprechen.
Den 2. Juli. – Es ist herrlich: Roger hat wieder angefangen mir zu widersprechen und mit mir zu streiten. Diesen Morgen lieferten wir unsere erste Schlacht.
Gestern hatte ich etwas davon geäußert, daß ich Mittelzustände jeder Art verabscheue. Es geschah im Zusammenhang mit der Erwähnung, daß die armen Bauern sich um den König schaarten. Ich sagte, es liege keine Poesie in mittleren Dingen, oder Zeiten, oder Ständen, im Mittag, in der Sommermitte, im mittleren Alter, oder im Mittelstand im Staate.
Dies nahm er, nach seiner gewohnten Weise, sehr ernsthaft auf und ließ sich in eine strenge Widerlegung ein, um mir mein Unrecht zu beweisen. Dies sei nur eine schwächliche, halbbeschwingte Poesie, sagte er, welche für ihre Vergleichungen und Zierathen der Schneeglöckchen und rosiger Wolken, der Primeln und Veilchen bedürfe und keine Schönheit und Herrlichkeit am Sommer oder am Mittag finden könne, an dem Sommer mit seiner goldenen, reifenden Ernte und allen Tiefen milden Lebens in Wald und Feld; an dem Mittag mit seiner beharrlichen Arbeit oder seiner entzückenden Ruhe und Stille; an dem reiferen männlichen und weiblichen Alter mit seiner edeln Aufgabe und mit seiner Kraft, dieselbe zu vollbringen. Er könne es nicht ausstehen, sagte er, von dem Lenze jammernd reden zu hören, als ob er verbleichte und verwelkte anstatt zum Sommer heranzureifen, oder von der Jugend, als ob sie unterginge anstatt sich zur Männlichkeit zu entwickeln. Und was den Mittelstand einer Nation betreffe, die Freisaßen und Gewerbsleute, so müßten Nationen natürlich ihre Köpfe haben, um zu denken, und ihre Hände zum Arbeiten, aber der Mittelstand sei das Herz der Nation. Wenn dieser gesund sei, so sei die Nation gesund; sei dieser niedrig und verderbt, so sei die Nation im Grunde ihres Herzens verderbt. Und (damit schloß er seine Beweisführung) die letzten Jahre hätten, trotz allem Elend, das sie gebracht, doch bewiesen, daß das Herz von England nicht verderbt sei.
Roger hat eine ganz eigene Art zu streiten. Er läßt alles leichte Scharmützeln bei Seite und greift gerade Herz und Kern der Personen an, mit denen er es zu thun hat. Dies ist vermuthlich bei den Eisenseiten der Brauch. In der Unterhaltung mit den jungen Cavalieren war ich nur an ein oberflächliches Scharmützeln gewohnt, an ein leichtes Scherzen, mochte man ernst oder heiter gestimmt, mochte der Gegenstand selbst ein ernster oder ein heiterer sein, und selbst ernste Gefühle verbargen sich unter der Maske des Leichtsinns. Roger dagegen scherzt selten, eigentlich nie. Seine Fröhlichkeit ebensowohl als sein Ernst kommt wie das Lachen der Kinder aus dem Herzen. Er will wissen, und verlangt, daß ein Jedes selbst wisse, was es wirklich ehrt oder liebt, wünscht oder fürchtet.
So geschah es, daß wir heute auf der Terrasse gerade auf den Gegenstand zu sprechen kamen, den ich mir vorgenommen hatte, stets zu vermeiden: – den General Cromwell.
Mir entfuhr eine Anspielung auf die Urtheile, die ich über den General gehört hatte, ein Paar unüberlegte Worte über sein Beten und Predigen vor den Soldaten.
Nie hatte ich bis dahin geahnt, wie sehr Roger diesen Mann verehrt, wie ein Sohn den Vater, oder ein treuer Unterthan seinen Fürsten.
Ruhig, aber mit jener verhaltenen Heftigkeit, die seinen Worten oft solch merkwürdige Gewalt verleiht, sagte er, daß Keiner, der je bei General Cromwells Gebeten die Kniee gebeugt habe, über sein Beten scherzen könne, so wenig als irgend ein Mensch, der ihm in der Schlacht begegnet, sich werde einfallen lassen, über sein Fechten zu scherzen. Roger sagte, Cromwells Wort vermöge die Soldaten zum Angriff zu begeistern, als ob es vom Himmel herab gerufen wäre, und sie wieder zu sammeln, als ob er ihnen Verstärkung zuführte. Er erzählte, daß seine kräftigen Aeußerungen christlichen Glaubens und Hoffens nach der Schlacht den Verwundeten Muth zum Sterben geben können, gerade wie dieselben sie zum Kampfe begeistert hätten; nach der Schlacht bei Marston-Moor hätte derselbe, während er die Belagerungsarbeiten vor York leitete, noch Zeit gefunden, in die Tiefen seiner eigenen Schmerzen hinabzusteigen, um von dort lebendiges Wasser herauf zu holen, zum Troste eines Freundes (Herrn Walton), dessen Sohn gefallen war, indem er ihm einen Brief schrieb, (den Roger gesehen hat), welcher tief gehende Worte enthielt, um den Kummer des Vaters zu stillen.
Dann sprach Roger von der unbeugsamen Gerechtigkeit, die nur eine andere Seite seiner Theilnahme und Vorsorge sei; wie General Cromwell zwei Männer habe aufhängen lassen, weil sie bei Winchester einige Gefangene ausgeplündert hatten, und andere, welche desselben Vergehens angeklagt waren, in das königliche Hauptquartier nach Oxford gesandt habe, um dort vor Gericht gestellt zu werden, von dem sie durch den Gouverneur mit ehrenvoller Anerkennung zurückgeschickt wurden.
»Loyalität ist es, was Sie für den General Cromwell fühlen,« sagte ich; »dieselbe uneigennützige, edle, aufopfernde Liebe, welche unser Harry für den König fühlte.«
Er schwieg eine Weile, dann sagte er endlich:
»Wenn Gott uns einen Richter und einen Befreier schickt, was können wir anders für ihn fühlen? Ich glaube, daß General Cromwell der Vertheidiger des Gesetzes ist, und noch der Befreier der Nation und, läßt es der König zu, sogar sein Befreier sein wird,« setzte er mit leiserer Stimme hinzu.
»Ist es denn wirklich wahr,« fragte ich, »was Sie uns einmal sagten, daß General Cromwell und die Armee höflich gegen Seine Majestät sind und gern sich mit ihm vergleichen würden? Wäre denn ein ehrenhafter Friede noch immer möglich?« »Ich glaube,« versetzte er, »daß alles Andere möglich ist, wenn nur der König wahr zu sein vermag. Wenn aber ein gegebenes Wort, sei es nun das eines Königs oder eines Bauern, nichts werth ist, welches Band bleibt dann noch übrig um Menschen unter einander zu verbinden? Vergeben Sie meine rauhe Rede. Ich weiß, Ihre Treue ist Ihnen heilig. Wenn der König aufrichtig sein will, so glaube ich, daß General Cromwell einen solchen König aus ihm machen wird, wie er nie zuvor gewesen ist. Aber wer kann Seile drehen aus Sand? Ein unwahrer Mensch ist in meinen Augen gar kein rechtes Wesen, nicht einmal der Schatten eines Wesens, sondern einfach ein Traum, oder Truggebilde – mit einem Worte nichts!«
Ich fühlte, daß mir das Blut in die Wangen stieg. Wir haben Seiner Majestät zu große Opfer gebracht, um nicht an ihn zu glauben. Allein ich fürchte, er hält in der Politik Falschheit nicht für so unerlaubt wie Harry oder manche der Edelleute in seinen Diensten.
Ich vermochte Roger nichts zu antworten als:
»Das Unglück wenigstens sollte uns einen König heilig machen. Wenn die Sache des Königs wieder einmal eine glückliche Wendung nähme, könnten wir über solche Dinge streiten; aber jetzt nicht, Roger. Jetzt wage ich es nicht.«
Worte schienen ihm auf den Lippen zu schweben, welche er mit aller Höflichkeit und Selbstüberwindung kaum zurückzuhalten vermochte. Allein er drehte sich um und rief Leo vom Teiche zurück, wo derselbe ein wildes Huhn verfolgte, dann gingen wir in's Haus.
Den 4. Juli. – Dr. Antonius ist angekommen. Morgen soll die Trauung Statt finden. Er machte uns eine rührende Schilderung von dem zweitägigen Besuche der königlichen Kinder – Jakobs, Herzog von York, des Herzogs von Gloucester und der Prinzessin Elisabeth – bei Seiner Majestät zu Caversham in der Nähe von Reading. Die Offiziere der Independenten erlaubten es. Und man sagt, General Cromwell, der selbst Kinder hat, habe Thränen vergossen, als er die Zärtlichkeit des Königs und die unschuldige Fröhlichkeit der Kinder sah, welche nichts von den Gefahren wissen, die sie umgeben.
Den 5. Juli. – Olivia nahm sich als Braut wunderhübsch aus in ihrem einfachen weißen Gewande, ohne alle Verzierung, theils aus puritanischer Einfachheit, theils weil aller Familienschmuck schon längst mit den silbernen Fingerhüten und Schnürnadeln der Londoner Frauen in den Schatz nach Guildhall gewandert ist. Sie sah so ernst und heiter, so rein und jugendlich aus, mit ihrem blassen Gesicht, ihrer reinen, weißen Stirne und ihren sanften, treuen Augen.
Sie wurde in der Kirche getraut, wobei der Pfarrer Bruchstücke der alten Trauungsformel verlas, weil die ganze verboten ist.
Es war ein lieblicher Anblick, als sie nachher vor meiner Mutter kniete, während diese sie auf die Stirne küßte und ihr eine Perlenschnur mit Edelsteinen um den Hals hing.
Beide hatten stets ganz besondere Zuneigung für einander, Olivia und meine Mutter. Am Nachmittag reiste das Brautpaar nach seiner Heimath in London ab.
Den 6. Juli. – Diesen Morgen stand ich früh auf und ging hinunter an den Teich im Obstgarten, dessen Anblick mich an Olivia und alte Zeiten erinnerte, und so wanderte ich in Gedanken versunken gegen den Liebfrauenquell, wo wir uns zum ersten Mal gesehen hatten.
Unterwegs kam ich an Gammer Grindle's Hütte vorüber, und da die Thüre offen stand, trat ich, trotz der frühen Stunde, ein, um ihnen von der Braut zu erzählen.
Da sah ich Cäcilie und das Kind wieder und hörte die schreckliche Geschichte erlittenen Unrechts und Kummers.
Sie machte mich sehr traurig, und während ich meinen Weg nach der Quelle fortsetzte, dachte ich über Vieles nach.
Warum hatte Olivia mir dies nie gesagt? Aber dann fiel mir ein, daß ich mehr als einmal eigenwillig mich geweigert hatte, etwas Böses von Sir Launcelot zu glauben, weil ich nur glauben wollte, was mir angenehm war. Und während ich so an dem Liebfrauenquell saß, überlief mich ein kalter Schauder, indem ich bedachte, in welcher Gefahr ich geschwebt, und wie schrecklich es gewesen wäre, wenn ich ihn geliebt hätte (was freilich nicht möglich war). Ich überlegte auch, ob man nicht Cäcilien zu ihrem Recht verhelfen könnte. Und ich nahm mir vor, in Zukunft nie mehr etwas zu glauben, weil ich es wünsche, sondern weil es wahr ist, oder vielmehr nicht von vornherein zu wünschen, daß gewisse Dinge wahr sein möchten oder nicht, sondern aufrichtig zu forschen, ob sie es sind. So stand ich und schaute, tief in solche Gedanken versunken, in die Quelle, und überlegte, ob es wohl Jemand gebe, der diese Regel stets befolgt habe, als ich Schritte vernahm und beim Aufblicken Roger gewahrte.
Und nun sprach er mir von seiner Liebe.
Ich kann nicht sagen, daß ich nie zuvor daran gedacht hätte. Ich hatte mir sogar oft vorgestellt, daß es so kommen könnte, und hatte mir dann ausgemalt, was ich, oder vielleicht nicht sowohl was als wie ich darauf antworten wolle, wie ich ihm viele vernünftige Dinge sagen und es so einrichten wolle, daß auf irgend eine Weise alle Schwierigkeiten in Bezug auf die Bürgerkriege verschwinden und er einsehen müsse, daß er sich geirrt habe, und dann wollte ich offen bekennen, daß auch unsere Partei nicht frei von Tadel gewesen, und dann gestatten, daß er vielleicht später einmal mit mir auf den andern Punkt zurückkomme. Wenigstens endeten meine Träume, so viel ich weiß, immer damit, mich vollkommen darüber zu beruhigen, daß Roger einst noch zu der guten Sache übergehen werde, während er in Bezug auf das Uebrige in einer kleinen Ungewißheit blieb.
Allein in Wirklichkeit ging Alles anders. Es war Roger solcher Ernst mit dem, was er zu sagen hatte, daß ich ganz vergaß, was ich ihm über Politik zu sagen hatte. Roger hat mir nicht die geringste Hoffnung gemacht, so wie die Dinge stehen, je ein Cavalier zu werden. Und ich habe ihn über das Andere nicht im Geringsten im Zweifel gelassen.
Dies war, fürchte ich, eine goldene Gelegenheit, die ich mir entgehen ließ. Allein was war zu thun? Wenn er mir sein ganzes Herz enthüllte, wie konnte ich ihn daran hindern in dem meinigen zu lesen? Und da ich überzeugt bin, daß auf der ganzen Welt Niemand mit Roger zu vergleichen ist, wie konnte ich verhindern, daß er sah, ich fühle und denke so. Ueberdies haben solche Bedingungen am Ende doch etwas Niedriges.
Es wäre mit seinem Gewissen gespielt gewesen. Und das wäre fast ein Verbrechen.
Deshalb bin ich überzeugt, daß ich nicht anders konnte, und ich glaube, ich habe recht gethan.
Wir haben uns jedoch kein Versprechen gegeben.
Wir wissen, daß wir einander lieben. Das ist Alles. Und ich weiß, daß er mich geliebt hat, so lange er denken kann. Und ich weiß, wenn ein Herz wie das seine einmal liebt, ist es auf ewig.
Und ich weiß, daß wenn jetzt die ganze Welt sich zwischen uns legen könnte – eine Welt von Meeren und Ländern – eine Welt von Kriegen und Verläumdungen, – so würde die Trennung immer nur äußerlich sein; zwischen unsere Herzen würde sie nie sich drängen dürfen.
Meine Mutter glaubt es auch. Jetzt fühle ich zum ersten Male recht, was es ist ein Mutterherz zu haben, an welchem man ruhen kann. Obgleich ich aus ihrem liebevollen Schweigen wohl merke, daß sie noch mehr Schwierigkeiten für mich vorhersieht als ich selbst.
Den 10. Juli. – Eine Welt von Meeren und Ländern soll uns nicht trennen! Wie kühn ich dies schrieb! Roger ist zur Armee zurückgekehrt, vor kaum einer halben Stunde, höchstens eine Meile weit, fast noch nicht aus dem Gesichte. Wenn ich horche, bilde ich mir ein, den Hufschlag seines Pferdes in der Ferne zu hören. Und doch scheint diese Meile eine Welt von Meeren und Ländern zu sein, als ob die Augenblicke seit seinem Weggehen der Anfang einer Ewigkeit wären, außer dem Bereich armer gezählter Minuten, Stunden und Tage der Zeitlichkeit. Vor wenigen Minuten lag seine Hand noch in der meinigen; und was kann sich Alles ereignen, bis ich ihn wieder sehe? Wer bürgt mir dafür daß ich ihn je wieder sehe? Bei einer Liebe wie die unsrige ist das Je und Nie so schrecklich verschlungen!
Wie ungläubig ich bin! Jetzt werde ich erfahren, ob ich wirklich etwas davon verstehe, was Gottvertrauen und Beten heißt.
Gebet und Vertrauen muß so tief sein, wie diese Liebe; sonst sind sie nichts.
Sie müssen noch tiefer sein, sonst sind sie keine Stütze.