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XXV.
Olivia's Erinnerungen.

Ende Februar kam Roger nach Hause. Er sah blaß und mager aus von der schlechten Luft und Kost im Gefängnisse, und das Haar war ihm auf der Oberlippe gewachsen. In meinen Augen hatte er weit mehr gewonnen als verloren. Sein Blick hatte etwas Entschlossenes und Gebietendes, dem man sich gerne unterwarf, obgleich er in den letzten vier Monaten wenig genug zu beherrschen hatte, außer sich selbst, was in der That der wahre Gehorsam ist und jeder wahren Herrschaft zu Grunde liegt.

Er war weniger als je zu langen Erzählungen oder Reden irgend welcher Art aufgelegt.

Nur in abgebrochenen Sätzen entfiel ihm die Geschichte dessen, was er gesehen und gehört hatte, während er verschiedene Arbeiten beaufsichtigte, die zur bessern Befestigung unseres Hauses dienten, oder des Abends seine Waffen ausbesserte und putzte.

Von dem, was er gelitten, sprach er gar nicht, ausgenommen auf meine Fragen, um zu zeigen, daß er sich nicht viel daraus gemacht habe. Mehr als einmal erwähnte er kurz Lady Lucia's Güte. Von Lätitia jedoch sprach er gar nicht, außer einmal, als wir Alle in der Wohnstube um das Feuer saßen, Tante Dorothea, Tante Gretchen und ich; da sagte er nachlässig, als ob es ihm eben zufällig in den Sinn gekommen wäre:

»Fräulein Lätitia läßt Dir sagen, daß sie Deine Predigten gelesen habe, Tante Dorothea. Und sie sendet Dir ihren Gruß, Olivia.«

»Das Kind hat liebliche Anlagen,« sagte Tante Dorothea. »Ich war schon lange davon überzeugt.«

Und nach einer kleinen Weile wagte ich zu sagen:

»Sie sendet mir ihren Gruß, Roger, war das Alles?«

»Ihren herzlichen Gruß, glaube ich,« versetzte er trocken, als ob das Eigenschaftswort den Werth des Substantivs nur wenig veränderte.

»Sagte sie sonst gar nichts weiter, Roger? Gab sie Dir gar keinen Auftrag?«

»Ich sah sie kaum zehn Minuten lang, Olivia,« entgegnete er ein wenig ungeduldig; »und fast die ganze Zeit liebkoste sie einen kleinen französischen Pudel, einen kleinen Wicht mit krauser Wolle wie ein Schaf und Augen wie Glasperlen.«

»Du bist hart gegen das arme Kind, Roger,« sagte Tante Dorothea. »Bedenke, wie sie erzogen worden ist! Ich wette, sie hat in ihrem ganzen Leben nie ein Stückchen Leinwand gesponnen, noch ein Kapitel aus den Sprüchen Salomonis auswendig gelernt. Was kannst Du von einer Mutter erwarten, welche eine Freundin der papistischen Königin ist, und wie ich nur zu gewiß weiß, falsches Haar trägt und Schminke braucht?«

»Tante Dorothea!« rief er auffahrend, »Lady Lucia ist einem Schutzengel so ähnlich wie nur je ein Geschöpf es sein kann. Und selbst wenn dem nicht so wäre, so würde es mir, der ich Monate lang von ihrem Brod und ihren freundlichen Blicken gelebt habe, übel anstehen, ein Wort gegen sie anzuhören.«

Mit diesen Worten stand Roger auf, verließ die Wohnstube und schritt, seinem Hunde pfeifend, über den Hof, Tante Dorothea in Ungewißheit zurücklassend, ob sie ihn mehr durch ihre Verteidigung Lätitiens oder durch ihren Angriff auf Lady Lucia geärgert habe, während ich verlegen war, wie ich wohl das Gespräch wieder auf Lätitia bringen könnte, von der mich doch verlangte noch mehr zu hören.

»Du hast Lätitia also nicht mehr gesehen, nachdem sie Dir die Grüße aufgetragen?« fing ich eines Tages wieder an, als wir zwei allein mit einander ausgingen.

»Wie könnt' ich das, Olivia?« sagte er; »ich ging ja gleich darauf fort; ausgenommen,« setzte er hinzu »als ich mich zufällig umschaute, indem ich den Hof verließ, da sah ich sie mit dem Pudel auf den Armen am Fenster stehen. Allein ich sah nicht wieder hin, denn in demselben Augenblick kam Sir Launcelot Trevor durch eine andere Thüre und sah aus, wie wenn er ganz bei ihnen zu Hause wäre, was er auch ohne Zweifel ist.«

»Ach Roger!« sagte ich, »Eins von uns sollte gleich an Lady Lucia schreiben, um ihr über seine Schlechtigkeit die Augen zu öffnen.«

»Wozu würde es helfen, Olivia?« sagte er traurig. »Wird sie von uns Rebellen und Verräthern etwas Schlechtes über einen loyalen Cavalier glauben? Am wenigsten von mir oder den Meinigen über Sir Launcelot!« setzte er in leiserem Tone hinzu.

»Aber er kann sie Alle betrügen!« rief ich heftig. »Es ist eine Sünde, dies zuzulassen. Kann denn gar nichts geschehen? Hast Du nie daran gedacht?«

»Du solltest eher fragen, ob ich an sonst nichts denken konnte, Olivia?« erwiderte er. »Denn ich mußte es mich selbst oft fragen, während ich in meinem Gefängniß auf- und abging und um Alles wußte. Und je mehr ich es überlegte, desto klarer sah ich ein, daß wir in dieser Sache nichts zu thun vermochten.«

»Und zu welchem Schlusse kamst Du am Ende?« fragte ich.

»Ich kam zu dem Schlusse, daß dies die Kosten des Bürgerkrieges sind,« versetzte er; »nicht nur Schlachten und Verlust des Lebens oder der Glieder, sondern auch Mißverständnisse und Verlust der Freunde. Es ist kein Kleines, Alles, was wir sagen oder thun, denen, die uns die theuersten sind, durch unsere schlimmsten Gegner hinterbracht zu wissen, ohne ein Wort zu unserer Rechtfertigung oder der Erklärung sagen zu können; mit den schlimmsten Menschen und gewaltsamsten Thaten, die sich auf unserer Seite finden, gleichgestellt zu werden; und aus Treue gegen die Grundsätze unserer Partei sie nicht verleugnen zu können, zu sehen, wie die Menschen, welche wir am innigsten lieben, sich mehr und mehr von unsern theuersten Grundsätzen entfremden, und wie ein tiefer Abgrund zwischen uns sich immer weiter und weiter aufthut, so daß keine menschliche Stimme mehr hinüber dringen kann.«

»Ich bin gewiß, daß nichts und Niemand Lätitia je vermögen wird, schlimm von uns zu denken, Roger!« rief ich aus. »Ich bin dessen so gewiß, als ob ich erst gestern mit ihr gesprochen hätte.«

»Wie kann es anders sein, Olivia?« entgegnete er; »zumal wenn ich unter Oberst Cromwell stehe. Du hättest ihren leichten Schauder und den verächtlichen Blick sehen sollen, als ich seinen Namen erwähnte. ›Oberst!‹ sagte sie halb leise, als ob sie nur mit dem Pudel redete. Allein ich hörte es wohl. Keinen hassen die Cavaliere so wie ihn.«

»Es ist fast Schade, daß Du gerade unter ihm dienen mußt,« sagte ich, nur an Roger und Lätitia denkend.

»Schade, Olivia!« rief er aufbrausend. »Die Cavaliere hassen Oberst Cromwell, weil da, wo er ist, stets gehandelt anstatt disputirt wird. Ist dies nicht der beste Grund, es mit ihm zu halten? Wenn wir überhaupt kämpfen, so geschieht es, weil wir glauben, daß etwas Wertvolles dabei zu gewinnen oder zu verlieren ist; und wo Oberst Cromwell ist, da wird es gewonnen. Die Gegend, die er vertheidigt, ist beschützt; die Stadt, die er besetzt hat, hält sich; die Männer, die er einübt, fechten; und ich danke Gott, daß es mein Loos ist, unter ihm die alten Freiheiten zu vertheidigen, Olivia, oder wenn es mißlingt, neue Freiheit jenseit des Meeres in Neu-England zu finden.«

Am folgenden Tage reiste Roger zu seinem Regimente nach Cambridge ab, wo Oberst Cromwell sich aufhielt.

Wie still und öde schien das Haus, nachdem er uns verlassen hatte, ohne seinen festen soldatischen Tritt, womit er in wenigen Sätzen die Treppe hinabsprang, ohne seinen Pfiff nach den Hunden, und ohne seine Stimme so taktfest wie der Marsch eines Regiments, womit er Bruchstücke ernster, majestätischer alter Psalmenmelodien sang, nach welchen die Eisenseiten so gerne marschirten.

Vierzehn Tage später folgte ihm Hiob Forster. Und dann kamen Monate banger Erwartung, widersprechender Gerüchte, die nur zu oft durch schlimmere Nachrichten verdrängt wurden, als die schlimmsten, die wir befürchtet hatten.

Denn jenes ganze Jahr brachte den Parlamentstruppen fast nichts als Unglück. Tag für Tag finden sich in meinem alten vergilbten Tagebuche traurige Nachrichten von Niederlagen und Verlusten verzeichnet.

Zuerst kommt:

» Den 18. Juni. – Herr Hampden wurde verwundet, indem er sich bemühte Prinz Ruprechts Plünderer aufzuhalten, bis Lord Essex käme. Lord Essex erschien nicht zu rechter Zeit und Herr Hampden verließ schwer verwundet das Schlachtfeld. Man erzählt, er habe sich tödtlich getroffen gefühlt und sein Pferd nach dem Hause seiner ersten Gattin, die er innig geliebt, gewendet, um dort zu sterben. Allein seine Kräfte verließen ihn. Kaum vermochte er noch seinem Pferde die Sporen zu geben und über einen kleinen Bach zu setzen, der das Feld begränzte, um das nächste Dorf und sein Quartier zu erreichen.

» Den 24. Juni. – Herr Hampden starb, mehr an sein Vaterland als an sich selbst denkend. Mitten unter den furchtbarsten Schmerzen (erzählte mein Vater) schrieb er an Lord Essex, um ihn zu beschwören, energischer zu handeln und seine Streitkräfte um London zu sammeln. Er empfing das heilige Abendmahl und sprach mit Liebe von dem Gottesdienst der englischen Kirche, aber nicht so von ihren Bischöfen.

»Demüthig und friedevoll legte er sein Geschick voll Vertrauen in Gottes Hand. Aber für England blickte er mit schwerer Besorgniß in die Zukunft. Seine letzten Worte waren: »Herr, erbarme Dich meines blutenden Vaterlandes!« und dann ein anderes Gebet, dessen Schluß kein menschliches Ohr mehr vernahm. Mein Vater schreibt: »Seine Liebe zum Vaterlande wird nicht aufhören in jenem bessern Lande, wohin er gegangen ist. Aber sein Rath und seine mühsam gesammelten Schätze der Weisheit sind nun auf immer für uns verloren!«

Die nächste von mir aufgezeichnete Todesnachricht ist:

» Den 20. September. – Eine Schlacht bei Newbury in Gloucestershire. Lord Falkland getödtet. Einst Hampdens Freund und jetzt (kann es wohl anders sein?) aufs Neue sein Freund. Ein frommer, sanfter, kluger Mann, wie man sagt. Wie es wohl dort drüben heißen und aussehen mag, wohin sie gegangen sind?«

Und die folgende:

» Im November. – Herr Pym ist todt. Sie haben ihn bei den Königen in der Westminsterabtei beigesetzt. Wie viele von den Leuten, welche den Krieg anfingen, wohl noch das Ende desselben erleben werden? und ob sie dann wohl noch auf derselben Seite und für dieselben Zwecke kämpfen werden, wie im Anfange?«

Dann kommen untermengt mit diesen Todesanzeigen lange Berichte über Scharmützel und Gefechte, welche man damals allgemein für hochwichtig hielt, an die aber jetzt Niemand mehr denkt, ausgenommen diejenigen, deren geliebte Todte dort unter jenen Feldern, wo gekämpft worden, begraben liegen.

Und während dieser ganzen Zeit, von jenem verhängnißvollen Junitage des Jahres 1643 an, da Hampden starb, bis fast zum Schlusse des folgenden Jahres ging es mit der Sache des Parlaments beständig rückwärts.

» Den 30. Juni 1643. – Die Truppen unter Fairfax geschlagen bei Atherton-Moor.«

» Den 13. Juli 1643. – Sir Wilhelm Waller (den man unverdienter Weise einen zweiten Wilhelm den Eroberer genannt hatte) in Landsdowne geschlagen und seine Armee zerstreut.«

» Den 22. Juli. – Prinz Ruprecht hat Bristol eingenommen.«

Und so zog sich der Krieg gegen den royalistischen Westen und Norden, bis im ganzen westlichen Lande Gloucester die einzige Stadt war, welche dem Parlament geblieben, und im Norden nur Hull, an dessen verräterischer Uebergabe an den König die Hothams verhindert worden waren; während in den dazwischen liegenden Grafschaften Prinz Ruprecht und seine Plünderer fast ungestört ihr Wesen trieben. Das schienen uns sehr böse Zeiten. Man schrieb dieses Fehlschlagen der guten Sache gar vielen verschiedenen Ursachen zu. Tante Dorothea fürchtete, es sei eine Strafe für leichtsinnige Duldung von Zeloten und Sektirern und für die Sünden der Independenten. Der eifrige Prediger, welcher zuweilen von Suffolk kam, um einer Versammlung in Hiob Forsters Haus die Schrift auszulegen, war überzeugt, daß fleischliche Verträge, die unrechter Weise über das Erbe Gottes die Meisterschaft führten, und die Sünden der Presbyterianer daran Schuld waren. Und Rahel glaubte, unser aller und vorzüglich ihre eigene Sünde habe dieses Strafgericht heraufbeschworen, indem sie, ähnlich wie Ananias und Saphira, sich bereit erklärt habe, Gott den ganzen Preis hinzugeben, während sie doch im Stillen die betrügerische Hoffnung hegte, daß Hiob durch seine Wunde unfähig geworden sei, wieder in den Krieg zu ziehen.

Placidia und Herr Nicholls waren sehr »geprüft,« besonders seit dem Verlust der drei Pfarrkühe, welche mit denen meines Vaters durch die Plünderer von der Wiese am See weggetrieben worden waren (worin Tante Dorothea eine feierliche Warnung für Placidia erkannte). »Zwei Sprüche,« sagte Placidia, schienen ihr stets außerordentlich schwer in Uebereinstimmung zu bringen, nämlich die Sprüche: »Gottseligkeit hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens«, und: »Wen der Herr lieb hat, den züchtiget Er.« – Was sollte man mit so widersprechenden Stellen anfangen?

Hierauf erwiderte Tante Dorothea:

»Gib den Versuch auf, sie in Uebereinstimmung zu bringen. Laß sie mit einander kämpfen wie Frost und Hitze, Feuer und Wasser, Sonnenschein und Sturm; aus dem Kampfe geht die Blume und die Frucht, geht Frühling und Herbst hervor, die nie aufhören sollen. Nicht als ob ich eine Schwierigkeit daran finden könnte. Die Verheißung bezieht sich nicht auf Wiesen oder Kühe, sondern auf Gnade und Friede. Die Verlegenheit ist vorüber, wenn Du einsiehst, daß Du nicht bloß ein Paar warme Tage wünschest, sondern daß Alles wächst, nicht ein Paar sonnige Stunden, sondern die Ernte.«

Tante Gretchen war vielleicht unter uns Allen am wenigsten verwirrt durch diese fortwährenden Unglücksfälle, weil sie das ganze Gebiet der Politik als viel zu verworren ansah, um es begreifen zu können, und sich daher begnügte, jeden Tag in seiner Verbindung mit der Ewigkeit zu betrachten und in jeder Begebenheit die Hand des liebenden Vaters zu erkennen, so daß sie sich über nichts so sehr verwunderte, als über Seine Barmherzigkeit, die so viele Sünden vergibt, und Seine Liebe, die so treu und väterlich für Alles sorgt. Ueber alle Scharmützel und Schlachten um uns her hinwegschauend, sah sie nur Einen Kampf, nur Ein Schlachtfeld und nur zwei Feldherrn. Alle Unterabteilungen in Nationen und Parteien übersehend, erblickte sie nur Eine Herde und Einen Hirten; und der Hirte rief Jedes bei seinem Namen, von dem großen Gustav Adolph bis zu Cäcilia und dem armen Tim herab, den Er in Seine himmlische Herde aufnahm, ohne daß derselbe davon wußte, bis er hineinkam, während Er jene in ihr niederes irdisches Haus zurückbrachte, das sie mit ihrer Liebe und ihrem Kinde für die arme, alte Gammer wieder zur Heimath machte. Denn seit Cäciliens Rückkehr war das zerrissene Band zwischen Gammer Grindle und ihren Nachbarn wieder angeknüpft worden, und mehr als Einer in Netherby nahm sich Hiob Forsters Worte zu Herzen. Der weite Liebesmantel, welchen Gammer über den Fehler der verirrten Tochter warf, der herzliche Willkomm, den sie ihr zu Theil werden ließ, dienten ihr selbst zum Schilde.

Aber neben diesen traurigen Berichten in meinem Tagebuch finden sich zwei Reihen Briefe voll Sieg und Hoffnung.

Die eine war von Dr. Antonius, der den größten Theil jener Periode in London zubrachte, an meinen Vater gerichtet. Und in der Hauptstadt schien trotz allen jenen Niederlagen der Muth der Bürger nicht gesunken.

Als Lord Essex mit sehr zweifelhaftem Erfolge, aus dem er durch sein Zögern und seine Unschlüssigkeit verfehlt hatte dauernden Nutzen zu ziehen, von Edgehill zurückkehrte, votirte ihm London großmüthig und hochherzig, wie das alte Rom, eine Belohnung von 5000 Pfund Sterling.

Als Prinz Ruprecht Bristol eingenommen hatte und alle Städte des Westens, ausgenommen Gloucester in die Hände des Königs fielen, als Lord Essex ängstlich zu einem Vertrag mit dem Könige rieth und die Lords eine Petition an ihn richten wollten, da verwarfen die Prediger, die Bürger und das Unterhaus all solchen Wankelmuth, wohl wissend, daß man sich auf keinen Vergleich mit dem König verlassen konnte, der nicht durch den Sieg gesichert war. Mehrere Tage lang waren alle Läden geschlossen, nicht um zu feiern, sondern zu einem strengen Fasten. Diese Tage wurden in den Kirchen zugebracht, und das Volk ging zu jedem Opfer für die ewige Wahrheit und seine alte Freiheit bereit daraus hervor. Es wurde beschlossen, London mit Laufgräben zu umgeben. Ritter und Damen gingen unter Trommelwirbel, mit dem Spaten in der Hand, hinaus, um an dem Ausgraben Theil zu nehmen und Andere bei der Arbeit zu ermuntern. In wenigen Tagen waren zwölf Meilen lange Laufgräben fertig. Seine Majestät nahm davon Notiz und verlor dadurch den Muth.

Während all dieser ungünstigen Zeiten verlor London dagegen nie den Muth. Silberzeug und Juwelen flossen beständig in die Schatzkammer des Parlaments in Guildhall. Die Zeit, welche Lehrlinge in der Parlamentsarmee zubrachten, mußte ihnen angerechnet werden, als ob sie dieselbe in ihrem Gewerbe gedient hätten. Und Scherze über den Muth von Männern, welche auf den Straßen und hinter den Ladentischen erzogen waren, verloren ihren Stachel. In allen Briefen von Dr. Antonius aus jener traurigen Zeit weht die Heiterkeit und Lebendigkeit eines Triumphzuges, obgleich er keine Siege zu berichten hatte, sondern nur Niederlagen, die mit jenem Muthe ertragen wurden, welcher sie wieder gut macht, und obgleich er selbst nicht um Wunden zu schlagen, sondern um sie zu verbinden auf das Schlachtfeld ging.

Die andere Reihe von Briefen war von Roger. Und diese erheiterten uns, weil sie immer Sieg verkündeten. Sie waren kurz und meist auf dem Schlachtfelde geschrieben, um uns den Sieg zu verkünden und über seine Sicherheit zu beruhigen. Wie Sonnenstrahlen durchkreuzten sie die düstern Schatten meines Tagebuches. Als wir im Juni über den Tod Hampdens trauerten und die weitschweifigen Verhandlungen des Lord-Generals beklagten, welcher langsam überlegte, was für das blutende, durch die Schläge der Plünderer und der sorglosen Cavaliere auf allen Seiten verwundete Land geschehen sollte, kam Rogers erster Brief vom 18. Mai 1643, aus Grantham datirt, sehr verspätet bei uns an. Er sprach von einem ruhmvollen, an diesem Tage gegen einen bei Weitem zahlreichern Feind gewonnenen Siege, von der Flucht des Gegners auf drei Meilen weit, von vier eroberten Standarten, fünfundvierzig Gefangenen, die sie gemacht, und einer Menge Gefangener, die sie befreit hatten. Dann wieder im Juli, als wir über die Niederlage der Truppen unter Fairfax zu Atherton-Moor im Norden und über das im Westen auf der Landsdowner Heide in die Flucht geschlagene Heer Sir Wilhelm Wallers und den Verlust von Bristol trauerten, schrieb uns Roger den 31sten von Gainsborough die Nachricht von »einem denkwürdigen Siege und einer sechs Meilen weiten Verfolgung des Feindes.«

Untermischt mit diesen frohen Botschaften waren Aussprüche, welche Roger von Oberst Cromwell gehört hatte. Einige davon waren wie Sprüchwörter, so genau paßte das Wort zu dem Gedanken. Andere klangen wie Kriegslieder, wie zum Beispiel, was er an die Commissäre zu Cambridge schrieb: »Ihr seht aus dem Anschlusse, wie traurig es mit Eurer Sache steht. Da ist keine Zeit länger zu disputiren, sondern gebt sogleich heraus, was Ihr könnt. Zieht alle Eure Compagnieen zusammen und sendet sie unverzüglich nach Huntingdon; bringt so viele Freiwillige als möglich zusammen und treibt Eure Reiterei zur Eile an. Sendet diese Briefe ohne Verzug nach Norfolk, Suffolk und Essex. Ich bitte Euch dringend, zögert nicht. Ihr müßt rasch handeln. Thut es ohne Tumult. Vernachlässigt keine Mittel.« Allein oft schien es, wenn man Oberst Cromwell zuhörte, als ob seine Gedanken, so oft es je geschah, nur durch einen wunderbaren Zufall sich in das rechte Gewand steckten, so seltsam angethan schlenderten sie gewöhnlich heraus. Nur hie und da, wenn man Geduld hatte, blitzte unter dem Gerassel grober Steine und Kiesel ein scharf geschliffener und wie ein Diamant glänzender Spruch hervor, anscheinend seiner Schärfe und Politur so unbewußt wie die übrigen ihrer Sonderbarkeit. »Schlauheit kann Euch betrügen, Redlichkeit niemals.« – »Wahrlich der Gott des Segens überhäuft uns mit Aufmunterungen; und ich bitte Euch ernstlich, laßt Ihn Seine Segnungen nicht vergebens an uns verschwenden! Sie kommen zu rechter Zeit und sollen uns ermuthigen, als ob Gott sagte: ›Auf! und handelt, so will ich mit Euch sein und Euch helfen!‹ Wir haben nichts zu fürchten als unsere eigene Sünde und Trägheit.« – »Wenn ich Worte finden könnte, um Euer Herz mit dem Gefühl unserer und Eurer Lage zu durchbohren, ich würde es thun. Es mag schwierig sein, in so kurzer Zeit so viele Leute zusammen zu bringen; aber glaubt mir, es ist nothwendig, und darum muß es geschehen.« – »Gott hat unserer Handvoll (Eisenseiten) einen guten Ruf geschenkt; laßt uns suchen, ihn zu bewahren. Ich mag lieber einen einfachen Hauptmann in grobem Rock, der das kennt, wofür er kämpft, und das liebt, was er kennt, als einen der wie Ihr's nennt, ein Edelmann ist, aber nichts weiter. Ich achte einen Edelmann der in Wirklichkeit einer ist.«

»Allein,« schrieb Roger in einem seiner Briefe, »Ihr werdet Euch doch nur einen schwachen Begriff von dem Oberst machen können, wenn ich Euch solche Bruchstücke aus seinen Reden mittheile und den Nachdruck darauf lege, als ob sie Epigramme sein sollten, während gerade ihre Macht darin besteht, daß sie ohne alle Anstrengung gesagt wurden. Gedanken und Vorhaben, die bei ihm stets als Thaten auf das Ziel losgehen, treffen von Zeit zu Zeit das Ziel in Worten, die so mächtig sind, wie anderer Leute Thaten. Aber das weiß ich, wenn er von uns sagt: »Nie finden wir unsere Leute so heiter, als wenn es Arbeit zu vollbringen gibt,« oder: »Gott hat unserer Handvoll Leute einen guten Ruf geschenkt,« so sind wir Alle so stolz, als ob wir den Ritterschlag empfangen hätten und mit königlichen Orden geschmückt einhergingen.«

So begann in Einigen von uns im Laufe des Jahres nach und nach das Gefühl zu dämmern, daß ein königliches Wesen unter uns aufgestanden sei, ein König wie David vor seiner Krönung, als er um des erschlagenen Riesen und der geheimen Salbung des Sehers willen die Herzen der Tausende in Israel regierte; ein mächtiger Mann, dem nichts, was er für Recht hielt, unmöglich schien, bei dem das, was »nothwendig« war, auch geschehen mußte.


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