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XXII.
Olivia's Erinnerungen.

Der Winter von 1642 auf 1643 verging uns zu Netherby in banger Ungewißheit. Die ganze Welt schien düster und trübe, wie ein Novembernebel, vor uns zu liegen. Die nächsten Dörfer schienen bei dem unsichern Zustande des Landes fern und fremd geworden zu sein. So schnell wechselte man oft die Parteien, daß Freund und Feind fast nicht zu unterscheiden war. Aus dem Gefährten von gestern konnte schon heute ein Gegner geworden sein. Wer vermochte zu sagen, was der morgende Tag aus dem Freunde von heute machen konnte? Herr Capel, der Abgeordnete von Hertfordshire, der Erste, welcher im Parlament von Beschwerden geredet hatte, war zum Lord ernannt worden und bedrohte die sieben verbündeten Grafschaften mit seinen Plünderern.

Manche glaubten, Lord Essex fürchte den Sieg eben so sehr wie eine Niederlage. Siege wiegten ihn in fruchtlose Unterhandlungen ein, und das Einzige, was ihn zur That aufstachelte, war offenbar drohender Ruin. Manche murmelten, Soldaten von Profession seien Liebhaber von langen Kriegen, wie Aerzte von langwierigen Krankheiten. Die Einen flüsterten von Verrath, die Andern von göttlichem Unwillen. Die Erschütterung der Schlacht war gekommen, allein die einzige Folge davon schien ein Lösen der ganzen Erde rings umher, ein Zerbröckeln der Nation nach allen Richtungen hin.

Dieses Gefühl der Unbestimmtheit und Dunkelheit rührte wohl zum Theil daher, daß die muthigsten und fähigsten Männer aus jeder Familie und Gemeinde fort waren – theils in Garnison, theils im Felde, theils beim König in Oxford oder um das Wohl der Nation in Westminster zu berathen. So waren denn nur alte durch das Fehlschlagen mancher schönen Hoffnung verzagt gewordene Männer zurückgeblieben, welche die Begebenheiten erriethen oder besprachen; oder Frauen, deren ängstliche Phantasie die Gefahren übertrieb, welche sie nicht theilen konnten; oder Knaben, die ein Vergnügen daran hatten, Gefahren, welchen sie bald zu begegnen hofften, zu vergrößern, um sich in den Augen der Mütter oder Mädchen wichtig zu machen.

Rahel Forster, auf deren sanfte Kraft das ganze Dorf sich zu stützen pflegte, war fort, und Tante Dorothea, das muthigste Herz unter uns, glaubte an die allgemeine Verderbtheit der Menschen und an einen schlimmen Verlauf der Dinge in dieser bösen Welt, eine Ueberzeugung, die durchaus nicht geeignet war, diejenigen zu beruhigen, deren Befürchtungen durch lebendigere Hoffnungen als die ihren gesteigert waren.

Daher waren wir in Netherby in jenem Winter jeder Art von Leichtgläubigkeit fähig.

Nur zwei Ueberzeugungen erhoben sich, wie ich mich noch erinnern kann, aus diesem allgemeinen Gemurmel und Nebel; sie wuchsen beständig und wurden immer deutlicher anstatt schattenhafter, je näher sie kamen. Die erste war, daß man unmöglich dem König trauen könne; die zweite, daß Alles gut ging, was Oberst Cromwell unternahm; – denn er war mittlerweile zum Oberst ernannt worden und stand an der Spitze seines Regimentes, das er langsam sichtete und zu dem festen unüberwindlichen Kern seines unüberwindlichen Heeres zusammendrängte.

Es war eine trübe, traurige Zeit für uns von dem Gefecht bei Edgehill an, im Oktober 1642 bis zu Anfang Februar 1643. Roger schmachtete mit Hiob zu Oxford im Gefängnisse; mein Vater befand sich in Reading oder London bei Lord Essex und dem Heere.

Allein in den ersten Tagen des Februar begann eine neue Zeit für uns anzubrechen. Vater kehrte auf einige Tage zu uns zurück, um das alte Haus, so gut es gehen wollte, zu befestigen, damit es den Angriffen Lord Capels oder einem Streifzuge der Plünderer des Prinzen Ruprecht Widerstand leisten könnte, welche beständig in die dem Parlamente geneigten Grafschaften einfielen und stets da erschienen, wo man sie am wenigsten erwartete.

Der alte Schloßgraben, der dem Hause gegenüber so lange Zeit vielen Generationen von Enten zum friedlichen Aufenthalt gedient hatte und an andern Stellen zum Theil mit abgefallenen Steinen und Bäumen angefüllt war, wurde sorgfältig gereinigt und mit Wasser gefüllt. Die Terrassen, welche auf der steilen Seite des Hauses dahin führten, wurden mit Böschungen versehen, ausgenommen die oberste, die verpallisadirt und mit zwei Kanonen vertheidigt wurde. Die Zugbrücke ließ er herstellen, und befahl, daß sie jeden Abend aufgezogen werden sollte.

Vier Ackerknechte, die, so gut es eben ging, in den Waffen geübt und unter Bobs Oberbefehl gestellt waren, bildeten die Garnison, wodurch die ganze Festung eigentlich unter Tibs Befehl kam, da sie die einzige Person war, deren Wünschen Bob niemals zu widerstreben suchte. Unterdessen lernten meine Tanten und ich nebst den Mägden Patronen und Lunten verfertigen; und Tante Gretchens Erfahrung im Charpiezupfen, in Verfertigung von Verbandzeug und anderer Lazaretharbeit kam uns ebenfalls sehr zu Statten.

Im ganzen Hause war man jedoch überzeugt, daß Tante Dorothea im Fall eines Angriffes die Stelle des Commandanten übernehmen würde, da ihr Muth eher aktiver als passiver Natur war. Ich glaube wirklich, daß das Gefühl der uns bedrohenden Gefahr für die Meisten unter uns eine Erleichterung war. Es schien uns, als ob wir dadurch Theil nähmen an dem großen Kampfe, wie wir glaubten, für Gott, Wahrheit und Gerechtigkeit. Aus Leuten, die ängstlich jedem Gerücht lauschten, wurden wir nun Schildwachen, die auf jeden Angriff gefaßt waren. Der ganze Geist des Hauses erhob sich von einer träumerischen Unruhe zu heiterer Wachsamkeit und Thätigkeit.

Mein Vater erzählte uns die Geschichte von dem Versuch des Königs, London anzugreifen. »Es war eine verrätherische unkönigliche That,« sagte mein Vater, »welche allein schon genügt hätte, in den Herzen des Volkes jeden Funken von Vertrauen zu Seiner Majestät auszulöschen.

Donnerstag den 11. November 1642 (so erzählte mein Vater) empfing der König Boten von dem Hause der Gemeinen mit Friedensvorschlägen, erklärte sich bereit zu unterhandeln, und versprach, friedlich an derselben Stelle zu bleiben, bis Alles freundschaftlich geordnet sei. Das Parlament, im Vertrauen auf sein Wort, stellte die Feindseligkeiten ein. Nichtsdestoweniger machte er sich gleich nach Abfertigung dieser Gesandten rasch auf den Weg nach London. Am Sonnabend sandte er eine Truppenabtheilung unter Prinz Ruprecht aus, um unter der Bedeckung eines Novembernebels und seines nur zu treu geglaubten Wortes Brentford zu überrumpeln. Allein Denzil Hollis leistete mit einem Theil seines Regimentes heldenmüthigen Widerstand und that den Fortschritten des Prinzen Einhalt.

Nun eilte zuerst Hampden und dann Lord Brook dem gefährdeten Regimente von Hollis zu Hülfe, indem sie versuchten, sich durch die königlichen Truppen durchzuschlagen, welche Hollis mit seinen Leuten in den Straßen von Brentford umringt hatten. Doch gelang ihnen dies nicht. Aber die kleine Schaar von Hollis selbst kämpfte, bis ihre letzte Kugel verschossen war, und sprang dann in den Fluß, worauf diejenigen, welche nicht ertranken, an Prinz Ruprechts Truppen vorüber zu Hampden und seinen Grünröcken hinüberschwammen. Lord Essex, der im Parlamentshause, wo er sich eben befand, das Knallen der Geschütze vernahm, schwang sich auf's Pferd und galoppirte durch die Parks und über die Königsbrücke auf den Schauplatz der Handlung. Nun strömten während der ganzen Nacht Soldaten aus der aufgeregten Stadt herbei, so daß am Sonntag Morgen vierundzwanzigtausend Mann auf dem Anger von Turnham versammelt waren.

Nun wendete sich das Blatt und Hampden fiel dem König in den Rücken.

»Und dann?« fragte Tante Dorothea.

»Und dann,« versetzte mein Vater trocken, »rief Lord Essex ihn zurück, und es hatte weiter keine Folgen. Aber seitdem kocht es immer leise fort, – man macht sich beständig fertig, rathschlagt, wie man handeln soll, und nichts wird gethan.«

»Wie ertragen Herr Hampden und Herr Pym solche Verzögerung?« fragte Tante Dorothea.

»Herr Hampden rieth, daß Lord Essex Oxford angreifen sollte,« erwiderte mein Vater, »allein er ist der Untergebene und Lord Essex ein Veterane; und ich vermuthe, Herr Hampden hält den militärischen Gehorsam für das beste Beispiel, das er einer Armee geben kann, welche kaum erst seit sechs Monaten vom Laden und Pflug zusammen berufen wurde.

»Ich wette,« sagte Tante Dorothea, »unterdessen ist Prinz Ruprecht thätig genug. Die Geschichten von seinen Verwüstungen nehmen gar kein Ende. Ganze Züge spannt er vom Pfluge, steckt um Mitternacht ruhige Dörfer in Brand, wobei, ich weiß nicht welche Schandthaten, verübt werden, und führt aus einer Entfernung von zwanzig Meilen die Beute in das Hauptquartier des Königs nach Oxford. Wenn Lord Essex den König nicht bekämpfen will, warum unterwirft er sich ihm nicht lieber? Vierundzwanzigtausend Bewaffnete auf öffentliche Kosten halten und ernähren, ohne etwas damit auszurichten, ist, meiner Ansicht nach, weder Krieg noch Friede!«

»Du hast Recht, Schwester Dorothea,« sagte mein Vater, »auch ich verstehe nicht, wie man auf freundliche Weise Krieg führen kann. Vielleicht wenn Lord Essex dies einsehen gelernt hat, wird es etwas schneller gehen.«

»Wird dies je unter Lord Essex der Fall sein?« bemerkte sie.

»Die Zeit wird es lehren,« sagte er. »Wir haben freilich unsern großen Gustav Adolf noch nicht gefunden.«

»Oberst Cromwell hat in Cambridge etwas Besseres zu thun gewußt, als zu träumen, als er im vorigen Juni dem Parlament die dortigen Magazine und für 2000 Pfund Sterling Silbergeschirr rettete,« sagte Tante Dorothea. »Man sagt, von Essex und Suffolk und von allen Seiten strömen ihm Truppen zu; Cambridge soll befestigt werden, und wie man glaubt, haben wir es Oberst Cromwell zu verdanken, daß es in den sieben Grafschaften noch so ruhig geblieben ist.«

»Oberst Cromwell hat eine seltene Gabe den Weizen von der Spreu zu sichten und für jede Arbeit die rechten Leute anzustellen,« sagte mein Vater nachdenklich.

»Und dabei ist er so streng gegen seine Soldaten,« fuhr Tante Dorothea fort. »Man sagt, Jeder, der leichtsinnig schwört, muß zwölf Pfennige Strafe bezahlen.«

»Dann thut er,« sagte Vater, »was, wie er seinem Vetter Hampden gesagt hat, geschehen muß, wenn die Parlamentsarmee je der königlichen gewachsen sein solle.«

»Was ist dies?« fragte sie.

»Männer von Religion zu suchen, um Männer von Stande zu bekämpfen. »Mit Kellnern und Lehrlingen«, sagte Oberst Cromwell, »wird es uns nie gelingen, wenn man nicht dem Enthusiasmus der Treue den Enthusiasmus der Frömmigkeit gegenüberstellt.«

»Sonderbar,« fing Tante Dorothea wieder an, »daß Herr Cromwell nie zuvor seinen wahren Beruf erkannte. Bis in sein dreiundvierzigstes Jahr ein Landwirth, findet er auf einmal, daß er zum Soldaten bestimmt war!«

»Was anders als Krieg kann den Soldaten bilden oder ihn den Beruf dazu erkennen lassen, Schwester?« sagte mein Vater. »Ueberdies stehe ich dafür, daß Oberst Cromwell schon früher gewußt hat, was es heißt, eine andere Art von Krieg zu führen. Dies ist nur ein Kampf mit neuen Waffen. Es ist derselbe Streit für den Bedrückten gegen den Unterdrücker, welchen er für das Marschland gegen königliche Anmaßung, oder für die armen Leute aus Somersham gegen die Höflinge führte, die sie um ihr altes Weiderecht bringen wollten, oder für die evangelischen Prediger, die der Erzbischof Laud zum Schweigen gezwungen hatte. Es ist derselbe Krieg, nur auf einem neuen Felde und mit neuen Waffen. Jedenfalls bin ich froh, daß Roger unter ihm dient, und Ihr könnt ihm dies sagen, wenn er wieder in Freiheit gesetzt wird und heimkehrt, was, wie ich hoffe, in ungefähr vierzehn Tagen der Fall sein wird.«

Diese Unterredung fand Statt, als mein Vater allein mit uns in der Halle frühstückte, während sein Pferd schon gesattelt vor der Thüre stand, um ihn wieder in das Hauptquartier des Generals zu tragen.


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