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XXIII.
Olivia's Erinnerungen.

Rahel und Hiob Forster kamen vor Roger in Sir Walter Davenants Wagen, von Lady Lucia reichlich mit Vorräthen, Stärkungsmitteln und weichen Kissen versorgt, zurück.

Ich glaube in der Nacht, welche auf ihre Heimkehr folgte, schlief ein Jedes in Netherby mit einem größern Gefühl der Sicherheit. Die arme Margarethe, Dickons junges Weibchen, sagte, es sei als ob die Bundeslade wieder von den Philistern zurückgekommen wäre, unbekümmert um den Tadel, den sie damit auf die royalistische Armee warf, in welcher ihr Gatte diente. Und doch hatte Hiobs Aussehen nichts sonderlich Beruhigendes. Er sah wie ein riesenhafter Geist aus und stolperte in die Hütte wie ein wankendes Kind, und fiel mehr auf das Bett, das in der Küche für ihn bereitet worden war, als daß er sich gelegt hätte, so gebrochen war seine Kraft. Als jedoch eine Weile darauf die Nachbarn herein kamen, hatte er für jeden ein tröstliches Wort. Rahel, ohne viele Umstände zu machen, nahm ihre alten Gewohnheiten wieder auf und besorgte Alles mit der ihr eigenen praktischen Ruhe, welche auf Kranke so besänftigend wirkt.

Sie erzählte mir später, wie sie, durch Hiobs Begrüßung der Nachbarn erheitert, erst seine Schwäche erkannte, als Alles um sie her still und sie eben damit beschäftigt war, Feuer für die Nacht anzumachen. Während sie von dem Holz holte, das Hiob für sie ganz nahe beim Herde aufgestapelt hatte, erschreckte sie plötzlich ein Ton wie ein unterdrückter Seufzer aus der Ecke, wo er lag.

»Liegst nicht bequem?« fragte sie, augenblicklich zu ihm eilend. »Thut Dir etwas weh? Ist das Bett schlecht gemacht?«

»Nichts,« sagte er, »'s ist besser als Salomo's Bett mit silbernen Säulen und goldenem Grunde. Aber ich bin wie die Träumenden und lache und weine zugleich. Denn eh' Du in's Gefängniß kamst, dacht' ich, daß ich Dich nie wieder in unserer alten Hütte werde ein Feuer machen sehen, und daß jedes Stück, das Du von dem Haufen nehmen werdest, den ich für Dich gemacht, Dir wie ein Stich durch's Herz gehen werde. Und ich schämte mich, daß ich des Herrn Absicht mit Dir und mir nicht besser getroffen hatte.«

»Wie konntest Du seine Absichten wissen, bevor er sie Dir sagte? Er gab Dir keine Verheißung, Dich aus dem Gefängniß zu retten, und mir auch nicht.«

»Nein,« versetzte Hiob, »aber es ist recht anmaßend und thöricht von uns, Seine Worte errathen zu wollen, wenn Er erst halb ausgeredet hat, anstatt Ihn bis zu Ende anzuhören. Und es betrübt mich, daß ich Ihm mißtraute, während Er es so wohl mit uns meinte. Lies mir vor, was die Schrift von der Vergebung der Sünden sagt!«

»Allein, Fräulein Olivia,« schloß Rahel diese kleine Erzählung, »als Elias, von Kummer erschöpft, den Herrn mißverstand, stärkte ihn der Engel nicht mit einem Spruch, sondern mit einem auf den Kohlen gebackenen Kuchen; daher als Hiob anfing an dem Allmächtigen irre zu werden, indem er glaubte, der Herr könne über etwas zürnen, was nicht einmal arme, heftige Geschöpfe wie wir sind, geärgert hätte, da gab ich ihm anstatt der Bibel eine große Tasse voll kräftiger Fleischbrühe. Denn ich wußte wohl, daß nur der Körper und nicht der Geist zu tadeln war, und daß alle die muthigen Worte, die er den Nachbarn gesagt, ihn mehr gekostet hatten, als sie werth waren; und natürlich mochte ich auch Gottes Wort nicht mißbrauchen, indem ich es wie einen Zauberspruch in einer Hexenbeschwörung angewendet hätte.«

So ließ sie nun mehrere Tage lang Niemand in das Haus, weshalb ich ihren Rath in einem Augenblick großer Verlegenheit entbehren mußte, worein ich in derselben Woche gerieth.

Lord Capels Truppen fuhren fort, in der Nachbarschaft umherzustreifen und den Distrikt in einem Zustande ängstlicher Aufregung zu erhalten, der die Bewohner fähig machte die ungereimtesten gräßlichsten Geschichten zu glauben, oder fürchterliche Rache zu üben. Denn in stürmischen Zeiten gibt es immer feige Gemüther, welche geneigt sind, irgend ein hülfloses Opfer den finstern Mächten zur Sühne hinzuwerfen.

An einem Sonnabend in den letzten Tagen des Februar kehrte ich spät Abends durch das Dorf aus Gammer Grindle's Hütte zurück, die ich seit dem Tode des armen Tim häufig zu besuchen pflegte. Die Alte schien milder gegen ihre Nachbarn gestimmt und hatte mehrmals ihre Freude mich zu sehen verrathen, indem sie mich heftig schalt, wenn ich länger als gewöhnlich ausgeblieben war, gerade als ob ich einer ihrer verlorenen Enkel gewesen wäre.

Als ich zurückkehrte, machte ich einen ziemlich weiten Umweg, um die Landstraße zu vermeiden, wo ich zuvor etwa einem Dutzend königlicher Reiter begegnet war, die mich auf eine unangenehme Weise anredeten und mir folgten. Da ich die Stimme Sir Launcelot Trevors darunter erkannte, wendete ich mich um, redete ihn an und bat ihn, seine Leute abzurufen. Dies that er denn auch, sobald er mich erkannte, doch nicht ohne sich einige thörichte Cavaliersscherze zu erlauben, welche mir Herzklopfen verursachten und mir den Entschluß eingaben, auf einem ruhigen Pfade durch die Wälder der Davenants, der an Hiob Forsters Haus vorüber durch das Dorf führte, heimzugehen.

Die arme alte Gammer Grindle war sehr freundlich. Vermuthlich zitterte ich ein wenig, obgleich ich ihr nicht sagte warum; denn sie behauptete, ich bebe vor Kälte, und nöthigte mich, eine Tasse heißen Pfeffermünzthee zu trinken; auch zündete sie ein Feuer an, zog mir die nassen Schuhe aus, um sie zu trocknen und wickelte meine Füße in ihr bestes, wollenes Tuch. Ja sie war so zugänglich und gnädig, daß ich es sogar wagte, etwas von dem Nutzen des Kirchenbesuchs und des Umgangs mit den Nachbarn verlauten zu lassen.

»Zu spät, zu spät dazu!« rief sie auffahrend. »Zu Petri Kettenfeier (den ersten August) werden es zwanzig Jahre, daß meine Johanne, Cäciliens Mutter mit ihrem Manne, Cäciliens Vater in ein Grab gelegt wurde. Und der Pfarrer wollte nichts thun ohne Bezahlung. Da verkaufte ich meine Bettdecke, um ihn zu bezahlen. Aber ich gelobte, die Schwelle seiner Kirchthüre nie mehr zu überschreiten.«

»Aber Gammer, jener Pfarrer ist todt,« sagte ich; »auch war es am Ende nicht einmal seine Kirche.«

»Das mag sein,« erwiderte sie. »Aber ein Gelübde ist ein Gelübde. Ueberdies konnte ich das Angaffen der Leute nie ertragen. Ich bin häßlich und einsam und arm; darum schneiden sie mir Gesichter und schelten mich eine alte, garstige Hexe. Doch das ist ganz natürlich. Alle Hühner hacken auf das lahme Hühnchen los; und der getroffene Hirsch wird von der ganzen Herde verlassen. Schrie und spottete nicht das ganze Dorf meinem armen, lieben, unschuldigen Tim nach?«

Und nun schüttete sie die Geschichte ihres kummervollen Lebens vor mir aus, wie ich sie nie zuvor gehört hatte.

Unter dem Drucke einer tyrannischen Stiefmutter und deren Kinder hatte sie in früher Jugend Mißtrauen und Argwohn hegen gelernt. Nach einem einzigen Jahre ehlichen Glückes plötzlich zur Wittwe geworden, hatte ihr Herz den letzten Ueberrest von Vertrauen auf Gott verloren, und es war ihr nichts übrig geblieben, als ohne Aufblick zu Gott, allein in einer harten Welt, um das tägliche Brod für sich und ihr verwaistes Kind zu kämpfen. Diese Tochter wuchs heran, ward ihre Stütze und ihr Trost, und nach ihrer Verheirathung fand die arme Mutter drei Jahre lang bei ihr eine zweite Heimath. Eine ansteckende Seuche raffte in Zeit von einem Monat die Tochter und deren Gatten hinweg und ließ die Großmutter abermals allein zurück, um mit geschwächten Kräften für zwei Waisen zu arbeiten. Der Knabe war der arme, treue, halb blödsinnige, kränkliche Tim, das Mädchen die eigenwillige, stolze Cäcilie, die bewunderte Schönheit des Dorfes. Dann kam der traurige Morgen nach Cäciliens Verschwinden; Niemand vermochte zu sagen, wohin sie gegangen, während aus Tim nichts heraus zu bringen war, als der verwirrte und triumphirende Bericht, daß Cäcilie geweint und gelacht, ihn geküßt und ihm aufgetragen habe, der Großmutter ihr Lebewohl zu überbringen und ihr zu sagen, sie werde als eine vornehme Dame wieder kommen und Tim eine Flinte mitbringen wie die Junker Rogers. Dies war für Gammer Grindle ein härterer Schlag, als wenn sie ihre Enkelin durch den Tod verloren hätte, und als alle bis jetzt erlittene Noth; denn sie war aus einer ehrsamen Pächterfamilie, welche nie Schande erlebt hatte. Tim jedoch betrachtete das Verschwinden seiner Schwester, man mochte sagen was man wollte, nie anders als in dem heitersten Lichte. Stundenlang wartete er an der Krümmung des Weges, der nach dem Dorfe führte, auf Cäcilien und die »Flinte wie die Junker Rogers«; bis im Verlauf der Zeit die Erwartung schwächer wurde, welche nur die geheimnißvolle Hand des Todes noch einmal erweckte. Seither kein Wort von dem armen, verlorenen Mädchen. Tim lag im Grabe und die Großmutter wünschte vergebens, daß Cäcilie auch dort ruhen möchte. Und die ganze kleine Welt um sie her war, wie sie glaubte, verschworen gegen ihr zermalmtes, aber unbezwungenes Herz.

Sie schloß mit den Worten:

»Es ist aber natürlich. Wenn der Blitz den Stamm gespalten hat, so bricht der Wind bald die Zweige ab. Die Leute sagen, der Teufel halte es mit mir. Wenn dem so wäre, brauchte sich ihn Niemand zum Freund zu wünschen. Man sagte, der Allmächtige sei gegen mich. Und oft denke ich selbst, es möchte wohl so sein.«

Da fielen mir Tante Gretchens Worte ein: » Ueberall; nur da nicht. Suche die Finsterniß überall, nur da nicht;« und ich sagte:

»Niemals, Gammer, niemals! Der Teufel sagte dies schon vor mehreren tausend Jahren; allein der Herr Jesus Christus ist gekommen, um zu zeigen, welch eine Lüge es war. Er stand immer den Geschlagenen und Verwundeten bei. Die Blinden und Lahmen kamen zu Ihm in den Tempel und Er heilete sie.«

Sie hörte mir mit halb gläubiger Miene zu; dann sprach sie nach einer Pause:

»Der Teufel ist kein Feind, der so leicht zu bekämpfen ist, Fräulein; wenn ich aber gewiß wüßte, daß er es nur wäre, würde ich vielleicht wieder versuchen empor zu schauen.«

Endlich ließ sie sich so weit überreden, mir zu erlauben, am nächsten Sonntag auf meinem Weg zur Kirche ihr zu rufen. Es könnte, meinte sie, eben so wohl sein, daß sie nicht mit ginge, aber auf jeden Fall würde es ihr nichts schaden mich zu sehen.

Und als ich fortging, hörte ich etwas wie einen Segenswunsch, und sah wie die arme gebeugte Alte unter der Thüre stand und mir nachschaute.

In Netherby angekommen fand ich das ganze Dorf vor den Thüren in eifrigem, aufgeregtem Gespräche.

Sogleich fiel mir Sir Launcelot mit seinen Reitern ein, und ich fragte, ob wieder eine Schlacht vorgefallen sei.

»Ne, ne,« sagte das Weib, das ich angeredet hatte, »'s ist weiter nichts, als daß gewisse Leute endlich ernten sollen, was sie verdient haben.«

Und nun kam ein Chor von Beschwerden.

Pächter White hatte in einer Nacht drei seiner schönsten Milchkühe verloren! Der guten Frau Joyce war ihr bestes Huhn getödtet, ohne daß eine Feder dabei berührt worden; das konnte offenbar kein sterblicher Fuchs gethan haben!

Die Hunde hatten am Samstag Abend geheult, als ob sie besessen wären, was auch wohl sein mochte, da die armen Thiere vermuthlich mehr in der Luft vorgehen sahen, als sie sagen konnten. Lord Essex und sein Heer lagen fest gebannt, unfähig etwas auszurichten, während Prinz Ruprecht das Land weit und breit ausplünderte! Hiob Forster und Junker Roger, die Besten im Dorfe zuerst, getroffen; da war es nur zu deutlich, woher der Schlag kam! Und heute des Gutsherrn eigenes Vieh mit sammt den Kühen der Frau Nicholls von der Wiese fortgetrieben durch einen Trupp Plünderer, die gekommen waren, Niemand wußte woher, und verschwanden, Keiner wußte wohin! Und zuletzt war Tony Tomkin von einem Hund ohne Kopf durch die Wälder der Davenants gejagt worden, als er ein Paar Kaninchen holen wollte, die er, an nichts Böses denkend, in Schlingen gefangen hatte, da ja die Familie fort war und gegen das Land kämpfte! Und, doch dies wurde nur leise gemurmelt, es gab Leute, welche etwas aus Gammer Grindle's Kamin hatten aufsteigen sehen, das kein Rauch war, – etwas das schneller als ein Vogel über die Moore dahin flog. Und dies war vergangenen Sonnabend Nacht gewesen, und, sagte man, ein Jedes wisse, daß der Sonnabend der Hexensabbath sei, seit die Juden das unschuldige Blut über ihre Häupter gebracht!

Da begriff ich auf einmal, was dies Alles zu bedeuten hatte. Sie wollten furchtbare Rache an Gammer Grindle nehmen, die sie für eine der Hexen hielten, welche alles Unheil im Lande anrichten sollten.

Es wäre vergeblich gewesen, mich dem wüthenden Strome zu widersetzen, und ich sagte daher so ruhig als möglich:

»Was soll denn geschehen, und wann?«

»Zuerst,« war die Antwort, »wird man sie in den See vor ihrer eigenen Thüre untertauchen. Sinkt sie unter, so wird man sie herausziehen, wenn man kann, weil sie es dann vielleicht nicht gethan hat. Schwimmt sie aber, dann ist's klar und deutlich, daß sie eine Hexe ist.«

»Und was dann?« fragte ich.

»Nichts gar zu Schlimmes für solche Geschöpfe. Aber die Burschen werden schon sehen, wenn es dazu kommt. Man sagt, ihr Meister helfe den Hexen nicht oft aus der Noth. Und wenn sie nicht von selbst untersinkt, wie es einem Christen ziemt, nun dann werden vielleicht die Burschen ihr dazu helfen.«

»Wann sind sie fort gegangen, um dies zu thun?« fragte ich.

»Sie haben sich eben erst auf den Weg gemacht,« war die Antwort. »Sie werden aber kurzen Prozeß machen, da sorgen Sie nicht. Es ist einmal Zeit, daß dem Unfug Einhalt gethan werde.«

»Wenn Rahel und Hiob unter Euch wären, hätte dies nie geschehen können,« dachte ich. Gar zu gerne hätte ich Rahel zu Rath gezogen. Aber es war keine Zeit zu verlieren.

Meine erste Regung war, den grausamen Burschen nachzurennen; allein ich sah ein, daß mich die Leute, in der wahnsinnigen Furcht, welche sich des Dorfes bemächtigt hatte, zurückhalten würden. Daher ging ich, ohne ein Wort zu sagen und ohne meine Schritte sichtlich zu beschleunigen, nach Hause.

Unter dem Thorwege fand ich Tante Gretchen, die auf mich gewartet hatte.

Ich nahm ihren Arm, nicht heftig, denn ich fürchtete, ich möchte ihr bange machen vor dem, was ich zu thun beschlossen hatte. Daher sagte ich ganz ruhig:

»Tante Gretchen, wir müssen sogleich mit einander zu Gammer Grindle gehen.«

»Was gibt es denn?« sagte sie.

»Ich werde es Dir unterwegs sagen. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Sie ging mit mir, ich schlug den Pfad über die Wiesen ein.

»Nicht diesen Weg, Olivia,« sagte sie. »Die Plünderer sind heute hier gewesen und haben die besten Kühe Deines Vaters und diejenigen Deiner Base Placidia mitgenommen.«

»Wenn das Vieh fort ist, so werden die Plünderer wohl auch fort sein«, entgegnete ich. »Allein wenn das ganze königliche Heer in der Nähe wäre, so müßten wir doch den kürzesten Weg nehmen.«

Und nun erzählte ich ihr die ganze Geschichte.

Sie sagte nichts als:

»Dann beschütze uns der gute Gott, mein Herzenskind! Spare Deinen Athem und sprich nicht.«

Wir eilten rasch vorwärts.

Nur einmal glaubte ich lautes Geschrei zu vernehmen und fragte:

»Tante Gretchen, was thut man den Hexen, wenn's zum Schlimmsten kommt?«

»Man hat schon einige lebendig gebraten,« sagte sie halblaut. Weiter sprachen wir nicht.

Als wir an die Bucht des Sees kamen, auf deren gegenüberliegender Seite die Hütte stand, hörten wir lautes gellendes Geschrei, das in der Stille des Abends nur zu deutlich zu uns herüberschallte, unvermischt mit dem Blöcken der gestohlenen Herde, welche noch am Morgen hier geweidet hatte. Einen Augenblick darauf sahen wir den Widerschein von Fackeln im Wasser leuchten. Ich horchte ängstlich auf die Stimme der armen alten Gammer Grindle. Allein ich hörte nichts. Mein eigenes Herz begann in der That so laut zu pochen, daß ich sonst fast nichts vernehmen konnte. Da in demselben Moment als wir die Hütte erreichten, vernahmen wir einen dumpfen Fall in's Wasser, und dann war's wieder todtenstill. Ein leises Stöhnen folgte, aber kein Schrei. Sie ertränkten die arme alte Frau, und das muthige gebrochene Herz gönnte ihnen nicht den Triumph, sie um Gnade bitten oder einen Angstschrei ausstoßen zu hören. Ich wußte es so gut, als ob ich es vor mir gesehen hätte. Im nächsten Moment war ich an's Ufer geflogen, mitten unter die Menge, an den Rand des Wassers, und mit einer Hand mich an dem Stamm einer Erle fest haltend, streckte ich die andere aus, bis ich die armen runzligten Hände ergreifen konnte, welche sich an den über das Wasser hängenden Zweigen gehalten hatten.

»Klammert Euch fest, Grindle – an mich, Olivia Drayton! Ich halte fest. Hängt Euch an mich!«

Auf ein so verzweiflungsvolles Festhalten meiner dargebotenen Hand war ich kaum gefaßt. Bis zu diesem Augenblick hatte ich nicht gewußt, was es heiße, am Leben zu hängen. Mein anderer Arm hielt fest; aber das Ufer war morastig und schlüpferig, und ich fühlte, als ob meine Kräfte mich verlassen wollten, als im selben Moment Tante Gretchen kam, neben mir niederkniete, und Frau Grindle's Kleid erfassend, mir half, sie an's Land zu ziehen.

Nun aber kam der zweite und schwierigste Theil des Rettungswerkes.

Die Männer, oder vielmehr die Burschen (denn nur wenige waren mehr als dies), welche sich zusammen gerottet hatten, waren vor Erstaunen über unsere plötzliche Erscheinung in ihrer Mitte zuerst fast gelähmt gewesen; allein nun begannen sie zornig zu murren und wollten uns rauh hinweg drängen, indem sie sagten, das sei keine Angelegenheit für Weiber. Sie seien nicht umsonst hergekommen, und wollten auch fertig machen. Die ganze Umgegend solle nicht verwüstet werden, um eine böse, alte Hexe zu retten, für die Niemand ein gutes Wort einlegen möge.

Gammer Grindle hatte sich nunmehr so weit erholt, daß sie fähig war aufzustehen, aus dem bloßen Instinkt der Selbsterhaltung, womit sie sich an mich so krampfhaft fest geklammert hatte. Nun sagte sie, mich loslassend und aufrecht stehend, ihren Angreifern fest in's Auge schauend:

»Lassen Sie mich, Fräulein Olivia! Die Leute haben Recht. Die, welche ein gutes Wort für mich einlegen würden, sind Alle nicht mehr da. Lassen Sie mich zu ihnen gehen.«

Zwei von den Männern packten sie von Neuem.

»Gestehe!« sagte einer von ihnen sie heftig schüttelnd. Gesteh, so wollen wir Dich dem Gericht überlassen. Wo nicht, so sollst Du's noch einmal im Wasser versuchen und entweder sinken oder schwimmen.«

Damit zogen sie sie von Neuem an den Rand. Bei der Berührung des kalten abfließenden Wassers überfiel sie abermals Schwäche und Grausen. Ihr Muth sank und sie rief wie ein altes schwaches Weib, das sie war:

»Habt Erbarmen, Nachbarn! Ich will Alles gestehen, wenn Ihr mich loslasset – Alles was ich kann. Ich bin ein sündhaftes altes Weib gewesen, und der Herr ist gegen mich; der Herr ist gegen mich!«

»Da hören Sie's, Fräulein!« riefen die Burschen triumphirend; »sie will Alles gestehen. Sie sagt, der Allmächtige sei gegen sie. Es taugt nicht, daß eine solche Hexe am Leben bleibt.«

Sie trieben die Unglückliche mit Gewalt vorwärts; ihre armen, dünnen gestückelten Kleider zerrissen in meinen Händen, indem ich sie daran fest halten wollte. Tante Gretchen, die wie gewöhnlich in starker Aufregung ihr Englisch im Stich gelassen hatte, bestürmte die Leute mit Bitten und Flehen, als ich plötzlich einen Burschen von Netherby erkannte, der als die Pest des Dorfes und der Rädelsführer alles Unfuges bekannt war. Er trug eine Fackel. Ich ergriff ihn beim Arme und sah ihm fest in's Gesicht.

»Tony Tomkin!« sagte ich, »das soll der Gutsherr Drayton erfahren, und er wird es nicht ungestraft hingehen lassen. Deine Gottlosigkeit und die Bosheit derer, die Dir gleichen, bringt das Unglück über uns Alle, nicht Frau Grindle. Gott zürnt Dir, Tony, weil Du Deinem kleinen Bruder ein Loch in den Kopf geschlagen hast, weil Du immer müssig gehst und Deine arme Mutter sich zu Tode arbeiten lässest, um Dich zu ernähren. Ihr wollt Gott Eure Herzen nicht hingeben, und fromm sein, wie tapfere Männer, was das einzige Opfer ist, das Gott gefällt; und statt dessen wollt Ihr wie eine Rotte Feiglinge eine arme hülflose alte Frau dem Teufel opfern? Ist denn kein Einziger unter Euch, dem ein Männerherz in der Brust schlägt? Was kann Euch der Teufel, und noch vollends eine Hexe schaden, wenn Ihr Gott gefällig seid? Und wer von Euch glaubt wohl, es werde Gott gefallen, wenn eine Schaar von Euch in der Dunkelheit herbeischleicht, eine hülflose alte Frau vor ihrer eigenen Hütte zu ermorden? Denkt keiner von Euch Burschen aus Netherby mehr an den armen Tim, der für Junker Roger gestorben ist, und wie gut seine Großmutter gegen ihn war? Oder traut Ihr dem Gutsherrn Drayton nicht zu, daß er die Gerechtigkeit handhaben werde, und könnt Ihr sie ihm nicht überlassen?«

Tony ließ die Fackel fallen und schlich weg. Nun traten zwei Männer aus Netherby vor und sagten:

»Sie hat Recht! Fräulein Olivia hat Recht! Gutsherr Drayton wird Recht verschaffen.«

Zwei oder drei andere gesellten sich zu diesen. Sie schrieen: »Keiner soll dem alten Weib zu nahe kommen diese Nacht, so lange ein Bursche von Netherby um den Weg ist, es zu verhindern!«

Nun folgte eine Balgerei, welche Tante Gretchen und ich benützten, um uns Frau Grindle's zu bemächtigen und sie in ihre Hütte zu führen.

Dort angekommen verbarrikadirten wir die Thüre mit Klötzen und Reisigbüscheln aus Gammer Grindle's Holzvorrath, und fühlten uns geborgen.

Allein nicht eher als bis der Lärm der Streitenden sich ganz in der Ferne verloren hatte, und wir wieder das ruhige Plätschern des Wassers zwischen dem Schilfe hörten, vermochten wir die arme alte Frau so weit zu beruhigen, daß sie unsere Hände losließ. Nun gestattete sie uns, Feuer anzumachen und sie in warme trockene Kleider zu hüllen.

Wir wollten sie in ein reines, weiches Bett legen, das in einem Winkel der Hütte bereit stand. Allein dies gab sie nicht zu. »Es ist für Cäcilie,« sagte sie, »nicht für mich.« Nun wickelten wir sie denn auf dem Haufen Stroh, der in einer alten Kiste ihr Bett vorstellte, mit ihren ärmlichen Lumpen so gut wie möglich ein, und da lag sie lange Zeit ganz ruhig, indeß Tante Gretchen und ich in der Hoffnung, sie werde einschlafen, ganz still am Feuer saßen.

Allein nach einer Stunde sagte sie ruhig:

»Nehmen Sie diese Klötze von der Thüre weg.«

Ich trat an ihr Bett.

»Morgen früh, Gammer,« sagte ich, »wenn Alles ganz sicher ist.«

»Nein, jetzt gleich!« sagte sie aufspringend und versuchte hinzugehen.

Allein durch die Schrecken der Nacht war sie so schwach und ohnmächtig geworden, daß sie hülflos wieder auf ihr Lager zurücksank.

»Jetzt gleich, Fräulein Olivia!« wiederholte sie mit schwacher kläglicher Stimme, sehr verschieden von ihrem sonstigen scharfen, festen Tone, – »jetzt gleich! Die arme Dirne möchte kommen und versuchen, die Thüre zu öffnen, und wenn sie dies nicht könnte, weggehen und nie wiederkehren. Ich bin streng gegen sie gewesen, ich weiß es wohl; und das arme Lamm, das nicht weiß, wie schmerzlich ich auf sie warte, könnte bange sein.«

Nun ging Tante Gretchen an die Thüre und begann die Klötze wegzuräumen.

»Gott wird uns beschützen, Olivia,« sagte sie mit bebender Stimme. »Er weiß Alles und sorgt für uns, Er, der uns nie die Thüre verschließt.«

Und so schoben wir denn sachte die Klötze bei Seite, die uns beschützen sollten.

»Setzt ein Licht ans Fenster,« sagte Gammer.

Unter dem Fenster verstand sie eine rohe Spalte in der Mauer, welche mit einer Gardine von Segeltuch verhängt war.

Tante Gretchen wagte eine leise Einwendung zu machen.

»Das geht nicht wohl heute Nacht,« sagte sie. »Es könnte übelgesinnten Leuten den Weg zeigen.«

»Es könnte ihr den Weg zeigen, was macht Alles Uebrige?« sagte Gammer Grindle fast grimmig. »Sie wußte, daß immer ein Licht in der Hütte brannte, und wenn sie keines sähe, könnte sie glauben, ich sei gestorben, und wieder fortgehen.«

Und die Lampe wurde an's Fenster gestellt.

Eine lange Pause, welche hierauf folgte, wurde abermals von Gammer Grindle unterbrochen.

»Was werden sie bei Ihnen zu Hause denken, daß aus Ihnen geworden sei, meine Fräulein? Was ich doch für ein selbstsüchtiges altes Weib gewesen bin! Warum ließ ich die Leute nicht mit mir anfangen, was sie wollten, und verhielt mich still! Ich hatte nie zuvor gewußt, was Furcht sei. Wie oft hatte ich mir schon den Tod gewünscht; als er mir aber nahe kam, hing ich am Leben wie ein ertrinkender Hund oder eine Katze, und kümmerte mich nicht darum, wen ich mit hineinzog, um mich zu retten. Ich hätte nie gedacht, daß ich in meinen alten Tagen ein so erbärmlicher Hasenfuß werden würde. Aber der Herr ist gegen mich. Warum haben Sie versucht, mich zu retten? Ich muß doch am Ende in seine Hände fallen!«

Das war es gerade, was Tante Gretchen nie geduldig anzuhören vermochte.

»Ihr seid ja nicht viel besser als jene schlechten Leute, meine liebe Frau,« sagte sie. »Keins von Euch macht einen Unterschied zwischen dem guten Gott und dem Teufel. Ihr redet davon, in Seine Hände zu fallen, wie wenn Seine Arme die Hölle wären. Und doch streckt er beständig Seine Arme nach Euch aus, um Euch an Sein Herz zu ziehen. Ihr verleumdet Gott, Großmutter!« setzte sie hinzu. »Er ist nicht gegen Euch, sondern Ihr seid gegen ihn.«

»Das kommt am Ende auf Eins heraus,« seufzte die arme Alte, »wenn wir Beide gegen einander sind.«

»Nein es kommt nicht auf Eins hinaus,« entgegnete Tante Gretchen. »Ihr könnt umkehren, und es mit Ihm halten, und Er wird Euch nicht fortschicken. Ihr könnt Euch unter Sein Joch beugen, und es wird Euch nicht schwer fallen. Ihr könnt Euch unter Seine Ruthe beugen, und sie wird Euch so tröstlich sein, wie Sein Stab.«

»Das ist nicht so leicht, Fräulein,« sagte Gammer nach einer Pause; »ich habe mich so lange von Ihm abgewendet; wie kann ich wissen, ob er mich aufnehmen will?«

»Das ist es gerade, worauf Cäcilie wartet, Gammer,« flüsterte ich, an ihrer Seite niederknieend. »Aber die Thüre ist offen, und das Licht brennt für sie. Wenn sie es nur wüßte! Wenn sie nur einen Blick in's Innere werfen könnte!«

»Ja, wenn sie es nur wüßte!« murmelte die arme Alte, und ihre Augen wurden feucht, indem sie über dem Kummer ihres verlorenen Kindes des eigenen vergaß.

Sie sagte nichts weiter. Aber es lag ein Ausdruck des Friedens in ihren Zügen, der mich hoffen ließ, daß sie selbst einen Blick in's Innere gethan hatte.

Und bald darauf schlummerte sie ein.


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