Joseph Roth
Tarabas
Joseph Roth

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XXIII

An diesem Vormittag gelangte Tarabas in den Marktflecken Turka. Die Erzählung des alten Jedliner hatte in ihm die Lust geweckt, Holz zu sägen und kleinzuhacken.

Deshalb ging er in Turka von einem Haus zum anderen und fragte, ob es Holz zu sägen gäbe. Er fand, was er suchte. Es galt, einen halben Klafter Eichenholz zu zerkleinern. »Was willst du als Bezahlung?« fragte der Besitzer des Holzes. »Ich werde mit jedem Lohn zufrieden sein!« erwiderte Tarabas. »Nun gut!« sagte der Hausherr. Es war ein wohlhabender Mann, ein Pferdehändler. Er führte Tarabas in den Hof, zeigte ihm das Holz, holte Axt und Säge aus dem Schuppen und das hölzerne Gestell, das man die Schere nennt und auf das man die Stämme legt.

Der Pferdehändler hatte einen Pelz angezogen, bevor er in den Hof ging, innen Biber, mit einem schön gekräuselten, silbrigen Krimmerkragen. Sein Gesicht war rot und wohlgenährt, seine Beine steckten in pelzgefütterten Stiefeln, die Hände hielt er in den warmen Taschen. Tarabas indessen fror in seinem Militärmantel, hauchte sich in die steifen Hände, versuchte, die viel zu kleine Mütze bald auf das rechte, bald auf das linke Ohr zu schieben, denn der Frost stach in beide mit zahllosen Nadeln. Der Pferdehändler betrachtete ihn mißtrauisch. Tarabas trug einen wirren, blonden Bart, der unter den Backenknochen begann und über den Mantelkragen ragte. Andere Landstreicher gaben sich die Mühe, wenigstens solange sie noch jung waren wie dieser hier, sich einmal in zwei Wochen zu rasieren. Gewiß hat er etwas zu verbergen, dachte der Pferdehändler. Was für einen mörderischen oder diebischen Zug verheimlicht er hinter seinem Bart? Beil und Säge konnte er an sich nehmen und einfach weggehn! Der vorsichtige Mann beschloß, achtzugeben und den Fremden während der Arbeit zu beaufsichtigen.

Allein, Tarabas, der zum erstenmal in seinem Leben Holz zersägen sollte, stellte sich dermaßen ungeschickt an, daß der Pferdehändler noch mißtrauischer wurde. »Hör zu!« sagte er und faßte Tarabas an einem Mantelknopf, »mir scheint, du hast noch nie gearbeitet?« Tarabas nickte. »Du bist wohl ein Verbrecher? Wie? Und du glaubst, daß ich dich in meinem Gehöft allein lasse? Damit du es ausspionierst und in der Nacht bei mir einbrichst? Mich kann man nicht betrügen, weißt du, und Angst hab' ich auch nicht. Ich war drei Jahre im Feld. Ich habe acht Sturmangriffe mitgemacht. Weißt du, was das ist?«

Tarabas nickte nur.

Der Pferdehändler nahm Axt und Säge an sich und sagte: »Nun geh! Ich könnte dich sonst zur Polizei bringen. Und zeig dich nicht mehr in meiner Nähe!«

»Gott mit Ihnen, Herr!« sagte Tarabas und ging langsam durch den Hof.

Der Pferdehändler blickte ihm nach. Es war ihm warm und wohlig in seinem Biberpelz. Den Frost fühlte er in seinem geröteten Gesicht nur als eine angenehme, göttliche Einrichtung, geeignet und vielleicht sogar dazu geschaffen, den Appetit der Hausbesitzer und Pferdehändler zu fördern. Er war außerdem zufrieden, daß er mit seinem klugen Auge sofort den verdächtigen Burschen durchschaut und ihm mit seiner kräftigen Hand Respekt eingejagt hatte. Auch hatte er wieder einmal von seinen acht Sturmangriffen sprechen können. Überdies fiel ihm ein, daß der Fremde gar keinen Arbeitslohn verlangt hatte. Er wäre vielleicht mit einer Suppe zufrieden gewesen. Derlei Überlegungen stimmten ihn milde. Und er rief Tarabas zurück, ehe dieser noch das Tor erreicht hatte.

»Ich will es mit dir doch versuchen«, sagte der Hausherr, »weil ich ein zu gutes Herz habe. Was verlangst du als Bezahlung?«

»Ich werde mit jedem Lohn zufrieden sein!« wiederholte Tarabas. Er begann, den Stamm zu zersägen, den er früher mit so deutlichem Ungeschick auf das Gestell gelegt hatte. Er sägte fleißig, unter den Augen des Händlers. Er entwickelte und fühlte dabei eine beträchtliche Kraft in seinen Muskeln. Er arbeitete schnell, er wollte dem Bereich der mißtrauischen Blicke des Pferdehändlers entkommen. Diesem gefiel Tarabas immer mehr. Auch fürchtete er sich ein wenig vor der nicht zu leugnenden Kraft des Fremden. Auch ein bißchen neugierig wurde man, wenn man einen so merkwürdigen Mann vor sich sah. Deshalb sagte der Hausherr: »Komm ins Haus, kriegst einen Schnaps, zum Wärmen!«

Zum erstenmal seit langer Zeit trank Tarabas wieder einen Schnaps. Es war ein guter, ein kräftiger Schnaps, klar und sauber, durch allerhand Kräuter, die man auf dem Grunde der mächtigen, gebauchten Flasche schwimmen sah wie Algen in einem Aquarium, hellgrün gefärbt und bitterlich gewürzt. Es waren gute, zuverlässige Hausmittelchen, wie sie auch der alte Vater Tarabas seinen Schnäpsen beizumischen pflegte. Der Schnaps brannte, ein kurzes, schnelles Feuerchen, in der Kehle, erlosch sofort, um sich tiefer im Innern in eine große, gütige Wärme zu verwandeln. Er wanderte in die Glieder und dann in den Kopf. Tarabas stand da, das Gläschen in der einen, die Mütze in der andern Hand. Seine Augen verrieten eine derartige Anerkennung und Zufriedenheit, daß der Wirt, geschmeichelt und zugleich von Mitleid ergriffen, noch ein Gläschen einschenkte. Tarabas trank es auf einen Schluck. Seine Glieder wurden schlaff, seine Sinne verwirrten sich. Er wollte sich setzen, aber er wagte es nicht. Plötzlich empfand er Hunger, gewaltigen Hunger, es war, als spürte er mit den Händen die unermeßliche, vollkommen leere Höhle seines Magens. Das Herz krampfte sich zusammen. Tarabas öffnete weit den Mund. Er tastete mit den Händen einen Augenblick, der ihm selbst eine Ewigkeit schien, ins Leere, erfaßte die Lehne eines Stuhls und fiel mit großem Gepolter zu Boden, während der erschrockene Pferdehändler ratlos, ohne Zweck, die Tür aufriß.

Die Frau des Pferdehändlers stürzte aus dem Nebenzimmer. Man goß einen Eimer eisigen Wassers über Tarabas. Er erwachte, erhob sich langsam, ging an den Ofen, trocknete, ohne ein Wort zu sagen, den Mantel und die Mütze, sagte: »Gott segne Euch!« und verließ das Haus.

Zum erstenmal hatte ihn ein Blitz der Krankheit getroffen. Und schon fühlte er den ersten Hauch des Todes.


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