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31

Der Expreß brauste durch die Nacht der Grenze entgegen. Mason und Harry lagen in unruhigem Schlummer in den wiegenden Betten des waggon lit, Bärte hatten sie fast zur Unkenntlichkeit verändert, lange hatten sie sich in den elendesten Quartieren verborgen gehalten, bis sie heute die Flucht wagten.

Ein scharfer Ruck durchlief zitternd das Abteil, der Wagen legte sich in die Kurve.

Harry schreckte auf, gewohnheitsgemäß griff er nach der Waffe; immer hatten sie die Revolver zur Land in letzter Zeit. Nichts war, als das monotone Surren und Klingen der Räder, das Rauschen der Telegraphendrähte vor den Fenstern, ein hallendes, polterndes Echo, das den Schall des rasenden Zuges zurückwarf.

Harry schlief in dem unteren Bett, er konnte die gleichmäßigen tiefen Atemzüge des anderen vernehmen.

Auch er wollte sich wieder zum Schlafen zwingen, aber die Stille gab ihm einen Gedanken ein – schon lange saß dieser Gedanke in seinem Hirn, aber noch nie hatte er ihn auszuführen gewagt. Ganz plötzlich wurde er sich bewußt, daß er sein Vorhaben in dieser Nacht ausführen mußte, sonst war es zu spät dazu. Und es sollte nicht zu spät sein!

Lautlos kleidete er sich an, nahm den Revolver fester und kletterte in das Abteil hinab. – –

Als Mason blinzelnd die Augen öffnete, sah er, wie sein Komplize ihn bestahl. Er durchschaute mit hastigen Griffen die Taschen der Jacke, seine Diebesfinger betasteten die Hosen nach eingenähten Werten, schnappend sprang das Schloß des Koffers auf und gab den Inhalt preis.

Harry raffte in hemmungsloser Gier das letzte zusammen, was der andere besaß – ein scheuer, fliehender Blick ging noch einmal über den kleinen, schwankenden Raum, ehe er ihn verließ. Da sah er die geöffneten Augen des Bestohlenen, die ihn hart und unbarmherzig an die Stelle bannten, an der er gerade stand. Er versuchte, krampfhaft zu lachen und das Ganze als einen tollen, unsinnigen Scherz hinzustellen, aber die Augen öffneten sich in finsterer Drohung weiter und erstickten den Laut in der Kehle ...

»Her damit!« herrschte Mason und erhob sich langsam. Mit zitternden Länden entleerte der Komplize Taschen und Behältnisse und legte das Gestohlene vor den anderen hin.

»Ich wollts net – ich wußt net –!« stammelte er in furchtbarer Angst.

Mason schob mit einem einzigen wilden Griff Geld und Werte zur Seite und trieb ihn vor sich her bis an die Abteiltür heran.

»Du Schuft, du!«

Der Komplize duckte sich wie unter einem Schlag. Demütigung und ohnmächtige Wut beraubten ihn der letzten Vorsicht, der letzten Besinnung – standen sich nicht zwei Tiere gegenüber in einem engen rollenden Käfig?

»Daß du's weißt, du Lump du!« schrie er in das Toben der Räder hinein, »immer hab' ich dich belogen – damals mit Suzy, ich hab' sie dir auf den Hals gehetzt, die Polizei, die damals und jetzt, ich – du dachtest, du wärst der ›King‹, der Mann, der die Macht hatte über uns und mich, über alle – ein Narr warst du immer, getanzt hast du nach meiner Pfeife, gearbeitet hast du, wie ich es wollte – du Narr du, du wahnsinniger Narr!«

Er stieß mit aller Kraft nach vorn und drängte den Überraschten zurück, einen Augenblick nur, in dem er durch den Türspalt hinausschlüpfte.

Mason lehnte noch immer an der Wand. Das halbgedämpfte Licht der Deckenlampe geisterte gespenstisch über ihn hin, deckte zitternde Schatten über sein entstelltes Gesicht, das soeben die furchtbarste Wahrheit erkannt hatte, die ein Mensch erkennen kann – er war ganz allein, der einzige, dem er von allen vertraut, war sein schlimmster Verräter, sein ärgster Feind, sein gefährlichster Berater – auch auf Harry kein Verlaß – alle ließen ihn im Stich, alle verfolgten, alle hetzten ihn – man mußte über sich selbst hohnlachen!

Er tappte hinaus auf den Gang, ein paar Wagen weiter fand er den Geflohenen. Dieser versuchte wieder zu entkommen, aber der Zug war hier zu Ende, nur blinkende Gleise schwanden in rasender Schnelligkeit unter stampfenden Rädern.

Schritt um Schritt drängte er den Gegner zurück, schützend hob Harry die Hand vor das verzerrte, schweißbedeckte Gesicht, eine Faust packte sie brutal und riß sie herunter.

Mason wollte sehen – er wollte die gemeinste Fratze seines Lebens mit wissenden. Augen erkennen.

»L–laß mich!« lallte der andere in Todesangst.

Mason hatte nur ein grimmiges Lachen, er ließ nicht, nicht um den Tod! Sie rangen mit versagenden Kräften, ein furchtbarer Schlag ließ Harry taumeln, er fiel wankend und griff haltsuchend an den Türgriff – ehaah!«

Der Todesschrei wurde zum grausigen Doppelklang, die Verbrecher stürzten ineinander verkrampft unter den Zug.

– – In traumhafter Folge glitt es an Masons erstarrenden Augen vorüber – Hérussiers, Jeannettes geöffneter Mund, der ihn Mörder nannte – die blonde schlanke Hedenus und das strahlende Lächeln Mrs. Glaids, die düster harten Züge eines Kommissars, der ihn verfolgt hatte, die dunklen schönen Augen der Polizeispionin, die ihn auslieferte – Monna Treßler, die sich weinend an Harry klammerte, und das Gesicht eines jungen Menschen, der die Faust gegen ihn erhob und seinen Revolver beiseite stoßen wollte – die Welt jagte, stieß, schrie und lachte, sie richtete auf und zertrümmerte – – rauschte nicht mild der Urwald des Polo Poto, nahmen ihn nicht weiche samtene Wege auf, fächelten nicht raschelnde Zweige erquickende Kühle?

Das Gesicht Oliver Masons, den sie in Europa und drüben in den Schatten den ›King‹ genannt hatten, schloß sich zur letzten starren Maske.

 

Ende

 


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