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5

Der ›King‹ ist wieder da!

Ein Hehler aus Malaga hatte das Gerücht aufgebracht, es wollte nicht mehr verstummen, lebte auf in den Tavernen der Hafenplätze, wuchs in unsichtbaren, immer wachsenden Kreisen, erreichte Paris und London, spannte Berlin und Warschau in seinen magischen Bann. Lebedamen flüsterten es in den Sälen Monte Carlos, Zünftige raunten in den Quartieren Stockholms: Der ›King!‹

Tag und Nacht lagen die Polizeispitzel in Kneipen und anrüchigen Lokalen, der Telegraph summte drohend und drängend, Scotland Yard gab die letzten bekannten Photos aus – alte, wertlose Bilder. Wie mochte der ›King‹ heute aussehen?

Wo war er?

Was plante er?

Niemand wußte es, kein pflichteifriger Beamter, kein doppelzüngiger Spitzel konnte es sagen, nur das Gerücht war und blieb, verborgen der ahnungslosen Öffentlichkeit, mit Unruhe von den Behörden verfolgt.

Der ›King‹ war wieder aufgetaucht!

*

›Pension Atlantik‹ hatte Frau verwitwete Obersteuerinspektor Rohlauf ihre Kurfürstendammwohnung benannt, als sie sich eines Tages einer harten erbarmungslosen Zeit gegenübersah. Der gute Inspektor hätte es sich wahrscheinlich nicht träumen lassen, daß eine derartige Wandlung von Zeit und Menschen möglich wäre, er hätte es kaum ertragen können; besser für ihn, daß er vorher sanft entschlafen war.

Es war vieles, alles anders geworden, Berlin glich plötzlich einer gewaltigen Pension, die alles beherbergte und aufnehmen mußte, was hineindrängte: Arbeitsuchende von draußen, Menschen aus verlorenen Kolonien, abgetretenen Landesteilen, aus den baltischen Provinzen, Menschen, die den allerletzten grimmigen Kampf ums Brot und nackte Leben hier durchzukämpfen gedachten.

Und diesem Heer folgte der Schwarm der Schieber, der Leute, die ihre Pässe nur auf Umwegen erhielten, der Gesuchten, Ausgewiesenen, der Schmarotzer sämtlicher Metropolen des Kontinents und der Vereinigten Staaten.

Manche erkannten es später, andere früher, zu allererst hatte es Frau Hedwig Rohlauf erkannt, hatte von zwölf Zimmern nur zwei für sich behalten, die anderen zehn wurden ›Pension Atlantik‹, elegantes Heim mit jedem Komfort für In- und Ausländer. English spoken, on parle français, habla español!

»Die Rohlaufen is ne janz Jeriebene«, wußte die Hausverwalterin vom Kurfürstendamm 62 b zu berichten, »an alle Zimmer hat se sone Emaillenummern machen lassen, und die Meechens sind wie Kellnerinnen angezogen, und denn will se noch überall 'n Telephon anmachen – na, wenn's man jut jeht!«

Doch allen Neidern zum Trotz ging es gut und täglich besser, Coué hätte seine Freude gehabt. Ein, zwei Jahre später war kaum mehr ein Haus in den Hauptstraßen des Berliner Westens ohne seine ›Pension Atlantik‹.

In diesen zwei Jahren hatte sich Frau Rohlauf eine gewisse Praxis angeeignet; sie wußte nun, wie man es zu machen hatte, um in den tristen Zeiten existieren zu können.

Hand auf, Augen zu! hieß es jetzt bei ihr.

»Se hat 'n Bogen raus!« meinte die Portiersfrau von 62 a und mischte in diesen anerkennenden Ausspruch grimmigen Haß, der sich gegen die Pensionsinhaberin genau so wie gegen den eigenen Mann richtete, der allen amerikanischen Schnellbesohlereien zum Trotz weiter Woche für Woche einige Schuhpaare in alter Weise mit der Hand reparierte – wenn er welche bekam; er bekam leider nicht allzuviele.

Man hatte keine Zeit mehr in Berlin.

Frau Rohlauf, die den Zug der Zeit so gut erfaßt hatte, instruierte auch ihr Personal dementsprechend. Manche begriffen schneller, andere waren schwerfälliger; in solchen Fällen pflegte die Pensionsinhaberin kurzen Prozeß zu machen, sie brauchte ›gediegene Arbeitskräfte‹. Ob sie unter ›gediegen‹ Fräulein Emma verstand, die als Stubenmädchen seit zwei Wochen im Hause tätig war, sich bereits Emmy rufen ließ und öfters in Zimmer Nummer 8, das ein in weitesten Kreisen unbekannter Filmregisseur bewohnte, auf ihre Filmeignung geprüft wurde, ob diese junge Dame in Frau Wwe. Rohlaufs Augen gerade gediegen war, sei dahingestellt.

An einem Abend jedenfalls spähte Fräulein Emmy durch das Schlüsselloch von Nummer 6. Das Zimmer war vor zwei Stunden von einem auffallend gut aussehenden Gentleman bezogen worden, vielleicht war der auch beim Film! Emmy spürte es in sich, Karriere machen zu können. Drinnen stand vor dem Waschtisch ein gutgebauter Mann.

Da er nicht vermuten konnte, daß man ihn beobachtete, hatte er den sehr braunen, muskulösen Oberkörper entblößt und wusch sich mit außerordentlichem Behagen.

Vielleicht hätten ihn Emmys Augen nicht einmal in Verlegenheit gebracht, er sah ganz danach aus und gefiel dem gierigen kleinen Fräulein ausgezeichnet.

Das war ein Mann – wirklich ein Mann!

Der ›King‹ trocknete sich sorgfältig ab und kleidete sich in aller Ruhe an. Schon wollte das Stubenmädchen seinen Posten eilig verlassen, der Herr mußte jeden Augenblick aus dem Zimmer herauskommen, da fesselte noch etwas erneut seine Aufmerksamkeit.

Nummer 6 war stehen geblieben, anscheinend suchte er etwas. Langsam fuhr seine Hand in die Tasche, ein dunkelglänzender Browning kam zum Vorschein, er betrachtete ihn aufmerksam und entsicherte ihn.

Fräulein Emmy vergaß alle Neugier und stürzte davon.

Und nun verließ der Gentleman, der vielleicht doch nicht beim Film war, sein Zimmer, ging mit raschen festen Schritten den Korridor hinunter, klopfte kurz und herrisch gegen die Tür von Nummer 3, trat ein und knallte sie hinter sich zu.

» Evening!«

Harry Speidler – man kannte ihn nur unter Harry – fuhr vom Sofa auf und starrte den ›King‹ an, wie man ein Gespenst anstarrt, bevor man den Geist aufgibt.

Seine Lippen öffneten und schlossen sich, der Mund blieb still.

» Allright!« sagte der andere ziemlich freundlich und suchte einen Stuhl.

»Mason«, brachte Harry heraus, »Mason – Oliver – Ol!«

Sein Besucher holte Zigaretten aus der Tasche und reichte ihm die Schachtel hinüber. Harry prallte entsetzt zurück.

Unter der Schachtel ruhte ein Browning, entsichert.

»Bitte, sich zu bedienen!« meinte der ›King‹ lakonisch.

Harry Speidler hockte elend auf dem Rand seines genießerisch aufgebauten Ruhelagers und stierte mit verfärbtem Gesicht auf die drohende Hand, die gab und nehmen wollte.

Oliver Mason warf achtlos das Streichholz auf den Perser, ein Prachtstück aus vergangenen Zeiten, und rauchte einige Züge.

»Hm. Wie war das damals mit Suzy?«

Harry griff sich verzweifelt an die Stirn: war sein ehemaliger Chef gekommen, um sich zu rächen an ihm, dem er bis zu dem Tag, an dem die Sache mit diesem raffinierten Weib geschah, restlos vertraute, den er als Freund betrachtet hatte?! Wie sollte er beweisen, daß der Verdacht gegen ihn grundlos war?! Er zitterte vor Furcht und Erregung.

»Ol«, stammelte er, »ich wußte selbst nicht – wie konnte ich wissen, daß sie im Dienst der Polizei stand – ich dachte nicht daran – sieh, es traf mich wie dich!«

Plötzlich sprang er auf, er erinnerte sich an einen Brief Suzys, aus dem unzweideutig herausging, daß er an dem Komplott gegen den ›King‹ unbeteiligt gewesen war. Er ging mit unsicheren Schritten zum Schreibtisch hinüber, suchte, warf alles hastig durcheinander, las, zerknitterte, fand endlich fluchend und erleichtert den Brief.

»Hier, Ol – ich war's nicht!«

Oliver Mason überflog die Zeilen, nein, dieser hier war es nicht gewesen, er atmete wie in Erleichterung auf; der Anfang war besser so, zum Teufel, man mußte doch irgendwie wieder anfangen.

Er schob die Waffe in die Tasche.

»Was war inzwischen bei dir, Harry?«

Harry lachte glücklich auf und ließ sich in den anderen Sessel fallen. Er war nicht glücklich, weil er sein Leben gerettet sah, sondern weil der ›King‹ wieder mit ihm sprach wie früher.

Er war eine ganz haltlose Natur, hörig dem Willen des anderen.

»'s war schlecht, Ol. Ging nicht als Croupier, nicht als Mixer – sogar Bankbeamter war ich.« Er sah lauernd zu Mason hinüber, ob er über den ›Bankbeamten‹ lachte. Aber Mason hatte das Lachen verlernt, das Gesicht blieb wie Stein.

»'s ging auch bei mir nicht, Harry. Wollte in Poto Poto so was wie Mensch werden, wollte ehrlich arbeiten, gegen Lohn bei einem Holzkonzessionär – ehrlich, verstehst du das, Harry?«

Harry Speidler, dieser verdorbene Mensch, nickte scheu.

»Eine Frau?« fragte er unterdrückt. Immer traten Frauen in Masons Leben, sie warfen sich ihm an den Hals oder haßten ihn, immer besiegten sie ihn. Es war sein Geschick.

Mason, den sie den ›King‹ nannten, nickte demütig wie ein gescholtener Knabe. Jetzt wußte der Komplice alles.

»Jung – hübsch? Was ist mit dem anderen?«

»Tot – glaube ich – Harry.«

Es wurde ganz still zwischen den beiden Gehetzten, diesen beiden Männern, die ein irres Schicksal zu Verbrechern bestimmt hatte.

Klänge flatterten in das Schweigen hinein, ein russisches Lied summte im Nebenzimmer auf, schwermütig, verwehend und wiedererstehend. Leichte taktmäßige Schritte klopften über den Boden.

Oliver Mason zuckte zusammen.

»Das Tänzerpaar nebenan«, sagte Harry wie entschuldigend; »sie üben immer um diese Zeit, ich kann's ihnen nicht abgewöhnen.«

Der Komplice wehrte mit der Hand und lauschte. Sein Gesicht nahm einen merkwürdigen Ausdruck an, den Harry zum erstenmal an ihm bemerkte und der ihn erschütterte.

Der ›King‹ lauschte in sich hinein.

Bis er erschauerte und sich erhob.

»Gehen wir, Harry!«


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