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23

Mason und sein Komplice saßen sich gegenüber und berieten. »Es muß sofort etwas geschehen!« sagte Mason und warf seine Zigarette fort, »zuerst die Maschinen in Sicherheit, das ist das Wichtigste – was ist mit dem Drucker, wird der Junge zu schweigen wissen?« Harry wiegte den Kopf hin und her.

»Glaubs net! Die Treßler gibt sich die größte Müh', aber 's wär besser, wenn wir ihn – –!« er machte die Geste des Beiseiteschiebens.

Mason hatte eine senkrechte Falte in der Stirn.

»Ich tue es nicht gern, Harry, aber ich kann mir nicht meinen letzten Coup, den ich in diesem verfluchten Leben zu führen gedenke, durch einen dummen Zufall in Frage stellen lassen – 's wird nämlich klappen mit der Spencer, nur Geduld!«

»So–o?« machte Harry gedehnt und reckte sich; was ging ihn das schließlich an? Immer war es so gewesen, er mußte die kleine schmutzige Arbeit verrichten, und der ›King‹ schluckte die großen Gewinne. Er dachte sich seinen Teil, aber er wagte noch nicht aufzumucken.

»Also der Klahr«, nahm er Masons Gedanken wieder auf, »muß fort, der kann jetzt gefährlich werden – das macht die Treßler; die Monna ist ein tüchtiges Mädel. Weiter, müßte man sich nicht gleich auch gegen diesen Kerl von Kommissar schützen?«

Er warf seinem Chef einen vielsagenden Blick zu. »In unserem Fall ist's der Forster, er führt die Aktion für Grant durch, der in Urlaub ist – man könnte ihm was anhängen, woran er sein Leben lang zu knabbern hat – ich mein' nur, damit wir Ruh' haben!«

Mason nickte düster. Er hatte keine Bedenken, die verbrecherischen Gedanken seines Helfershelfers in die Tat umzusetzen – vielleicht, wenn er bei ruhiger Besinnung gewesen wäre, hätte er die Pläne zurückgewiesen, aber er befand sich schon im Strudel eines Verbrechens, der ihn mit reißender Kraft zu sich hinabzog. Und dann war wieder die Frau im Spiel, Glaid Spencer, die er erringen wollte – nicht nur um ihrer Reichtümer willen, er konnte sich im Augenblick selbst keine Rechenschaft darüber geben, es war anders gekommen, als er gedacht. War er diesmal der Hörige? – – er wußte es nicht, nur daß ihm diese Frau eines Tages gehören mußte, war bei ihm zur fixen Idee geworden und ließ ihn vor keiner Untat zurückschrecken.

»Auch er wird dran glauben müssen, Harry, erledige das!«

Harry spreizte mit einem verschmitzten Grinsen die Hand – »dazu brauch' ich Geld, mein Lieber, – – aber echtes!«

»Sssst!« machte Mason unruhig und sah nach der Tür, »wie kannst du so was so laut sagen – in einer Pension wie hier haben die Wände Ohren, das weißt du doch!«

»Wer wohnt hier schon?!« gab Harry schlagfertig zurück und hatte nicht so unrecht. Er nahm das Geld in Empfang, das ihm der andere gab, und stand auf.

»Ich geh' jetzt zur Monna und erledige das, wie wir's besprochen haben – auch die andere Sache mit dem Kommissar werden wir fingern, ich hab' da so eine Idee – wir sprechen noch darüber!«

»Gut, gut«, nickte Mason. Er ließ Harry freie Hand in allem, es gab keinen geschickteren Burschen, er selbst sparte sich für wichtigere Dinge auf.

Der ›King‹ befaßte sich nicht mit dergleichen.

Monna Treßler kleidete sich an diesem Abend mit besonderer Sorgfalt. Harry setzte sich in einen Sessel und verwahrte den Scheck, den er ihr gezeigt hatte.

»Also – du weißt Bescheid. Sobald es in Ordnung ist, bekommst du ihn, morgen früh schon, wenn du tüchtig bist, du kennst mich ja in der Beziehung!«

Sie schnitt ihm in den Spiegel hinein eine Grimasse.

»Alter Gauner, möchte nicht wissen, wieviel du dir immer von meinem Teil abziehst – na, lange mach ich's nicht mehr mit, daß du's weißt!«

»Um so besser!« antwortete er mit der Ruhe des Überlegenen und zündete sich eine Zigarette an.

Es war wie ein Verhängnis für diese schöne Frau, daß Harry Speidler in ihr Leben getreten war, er zog sie immer tiefer in den Schmutz seiner Laster und Verbrechen – es gab schon lange kein Entrinnen mehr für sie, und das Seltsamste war, daß sie sich ein Leben ohne ihn – den sie haßte und vor allen Menschen geohrfeigt hatte – nicht vorstellen konnte, obgleich er ihr Tag für Tag neue Beweise seiner Minderwertigkeit gab. Was an ihm sie so anzog, war schwer zu sagen, er gehörte zu ihr und sie zu ihm, ein vom Schicksal zusammengekoppeltes Menschenpaar.

Es klopfte.

»Komm's halt herein!« ermunterte Harry großzügig, der das Stubenmädchen vermutete. Aber es war nicht das neugierige Fräulein Emmy, sondern Klahr, der Drucker Paul Klahr, der mit sehr blassem Gesicht hastig ins Zimmer trat.

»Ah – der Herr Klahr!« rief Harry in freundlichem Erstaunen. Aber er erhob sich rasch, es war besser, jetzt das Zimmer zu verlassen.

Klahr sah sich gehetzt um, sein Blick wanderte von der halbangekleideten Frau, die ihn nicht beachtete, zu dem Spitzbubengesicht dieses hübschen, eleganten Österreichers – – Betrogen die beiden ihn?

»Wo willst du hin?« fragte er heiser und trat dem anderen in den Weg. Harry zuckte die Schultern und warf Monna einen verstohlenen Blick zu, red' doch, lenk' ihn ab!

Aber diese Vorsichtsmaßnahme erwies sich als überflüssig. Klahr ließ sich erschöpft in den nächsten Sessel fallen und hatte bereits vergessen, was er gefragt hatte. Er starrte ein paar Sekunden vor sich hin, hob die Schultern, ließ sie wieder sinken, schüttelte den Kopf, seufzte – – er trug ein ganz sonderbares Benehmen zur Schau. »Die Maschinen habt ihr fortgeschafft?!« sagte er endlich dumpf, man konnte nicht erkennen, ob er wußte oder wissen wollte.

Harry lächelte – der andere sah es ja nicht, er war ja schon ein erledigter Mann, bevor überhaupt der Schlag gegen ihn geführt wurde. »Natürlich! Denkst, wir wollen uns ausheben lassen?«

Klahr nickte. Selbstverständlich, wie konnte er das nur vergessen, sie waren ja hinter ihnen her – hinter ihm! Das war es, verdammt nochmal!

»Was soll jetzt werden?« fragte er, ohne aufzublicken.

»Bist du zu mir gekommen, um mir die Laune zu verderben?« warf die Frau brutal dazwischen und puderte sich.

Er hob jetzt langsam den Kopf und sah sie in grenzenlosem Erstaunen an, seine Augen blickten so fremd, es spiegelte sich ein so abgründiges Erwachen darin, daß sogar der gewiß nicht wehleidige Harry ein vorsichtiges Zeichen gab – nicht so, nicht so grausam, Monna!

»Na, ja!« mokierte sie sich und kam auf ihn zu, »was geht mich das alles an, das sind doch deine Geschäfte, die du mit Harry hast – wir wollen an andere Dinge denken, nicht?«

»Ja, weißt du denn gar nicht – –?«

Sie winkte ärgerlich ab, natürlich wußte sie. »Später, mein Lieber, ich gedenke jetzt etwas zu essen – was hattest du eigentlich heute abend vor?«

Er sah sie aufmerksam an, einmal glitt sein Blick ab zu Harry, der rauchend am Fenster lehnte – hier fand er gewiß keine Hilfe, nein, das wußte er nun – es war wohl alles gegen ihn jetzt, hier und draußen und überall.

Er bezwang sich, es war ja doch sinnlos anzukämpfen, die beiden wollten nicht auf seine Fragen und Sorgen eingehen – sie wollten nicht, sie wollten zu Abend essen. Er erhob sich schwerfällig und suchte nach seinem Hut; er lag neben ihm, ein Paar schöner gelber Handschuhe darüber. Er griff mechanisch danach. »Wenn du gestattest, möchte ich mit dir zusammenbleiben!« Wie unfaßbar, daß man das über die Lippen bringen konnte. Er mußte daran denken, wie er den Weg zu ihr geeilt war, wie er zu ihr gekommen – heute – zu dem einzigen Menschen, den er in seiner furchtbaren Not als Freund und Helfer zu haben glaubte – wie er alles mit ihr besprechen, von sich wälzen wollte – der bloße Gedanke an sie hatte alles leichter und erträglicher gemacht! Und jetzt? Als er beim Eintritt Harry im Sessel erblickt hatte, war ein ahnungsvoller Zweifel blitzartig aufgetaucht und wieder verschwunden – er war überspannt, hier Möglichkeiten zu suchen, die nicht vorhanden sein konnten – – es konnte doch einfach nicht so viel Gemeinheit und Hinterhältigkeit geben!

Er zuckte zusammen und sah sich um – Monna war bereits im Flur. Harry stand noch in der Tür und wartete auf ihn. »Was stehst hier herum, komm – worauf wart'st, davon wird auch nix besser!«

Während der Fahrstuhl mit ihnen hinabglitt, suchte er krampfhaft nach Worten, nach irgendeinem Wort, das er sagen wollte – er mußte sich doch mit ihr aussprechen!

Harry blickte gleichmütig zur Seite und zählte die Etagenknöpfe auf der kleinen Schalttafel – nein, hier konnte man nicht sprechen, nicht vor diesem Mann, man mußte mit ihr allein sein, ganz allein oder in einem menschenerfüllten Raum, wo einen niemand beobachtete.

Der Lift setzte mit einem gedämpften Ruck auf, Harry öffnete weit die Tür und schlug sie knallend hinter ihnen zu. Vor dem Haus blieb er stehen: »So, Kinder, Ihr müßt's mich jetzt entschuldigen – Servus, Monna – Servus, Paul!« Er schwenkte den Hut und ging schnell die Straße hinunter.

Er hatte sich von dem Mann, den er zu beseitigen gedachte, genau so verabschiedet wie zu den Zeiten der besten Freundschaft, genau so herzlich und unbekümmert wie sonst.

Die Frau ging schweigend neben Klahr her, der endlich zu sprechen vermochte – immer noch gelang es ihm, sich zu bezwingen. »Ich verstehe das alles nicht, Monna, – bist du denn gar nicht unruhig? Es trifft dich doch ebenso wie mich – wenn jetzt etwas passiert!« Er achtete mit einer in seiner Lage lächerlichen Sorgfalt darauf, daß er in der Erregung nicht in seinen Jargon verfiel. Er wollte sich noch immer keine Blöße vor ihr geben.

Er kämpfte um sie bis zum letzten Atemzug.

»Was soll denn passieren?« fragte sie und blieb stehen, »was erzählst du immer von mir und dir – ich verstehe dich gar nicht!«

Er griff sich an den Kopf, was war das, was hatte sie eben gesagt, sie verstand ihn gar nicht, sie gehörten gar nicht zusammen – was meinte sie nur? Sie ging mit kurzen, elastischen Schritten weiter, er mußte sich bemühen, mitzukommen. An der nächsten Ecke kaufte sie eine Abendzeitung und überflog sie – da!

›Falschgeld!

Wie das Falschgelddezernat der Berliner Kriminalpolizei mitteilt, ist man umfangreichen Fälschungen auf die Spur gekommen. Kriminalkommissar i. V. Forster fahndet bereits mit zahlreichen Streifen nach den Fälschern. Eine der Spuren dürfte bereits im Laufe der heutigen Abendstunden zur Verhaftung führen, genauere Einzelheiten muß sich die Behörde vorbehalten. Das Publikum wird weiterhin ersucht, auf die unten abgebildeten Scheine zu achten und gegebenenfalls den damit Betroffenen feststellen zu lassen.‹

 

Sie zerknüllte das Blatt und warf es fort. Er lief neben ihr her wie ein verprügelter Hund, jetzt mußte sie doch sprechen, jetzt, wo sie sah, daß er in Gefahr war – sie waren doch schon hinter ihm her, die Andeutung, daß bereits am Abend eine Verhaftung erfolgen würde, konnte sich doch nur auf ihn beziehen – vielleicht hatte ihn ein ehemaliger Kollege denunziert – oder der Milchhändler Heesmann – fest stand, daß nur er gemeint war, er und kein anderer!

Er griff sich verzweifelt an den Hals, er erstickte – man konnte nicht mehr atmen in dieser schwülen Luft.

Monna kümmerte sich nicht um ihn, sie schien jetzt angelangt zu sein – sie blieben wieder einen Augenblick stehen, dann folgte er ihr in das kleine elegante Weinrestaurant.

Sie bestellte ruhig und wählerisch, er selbst deutete auf die Karte: »Ja, bringen Sie – dasselbe!«

Er sah sich verstohlen um, sie waren fast die einzigen Gäste, es pflegte hier erst später voll zu werden; zwei, drei elegante Paare saßen im Licht des mächtigen Deckenleuchters – an einem Tisch las ein Herr die Zeitung, dann und wann griff er, in seine Lektüre versunken, nach dem Weinglas und trank einen Schluck.

Klahr atmete auf, jetzt war endlich die Zeit gekommen, endlich würde er mit ihr sprechen können – es mußte ein Mißverständnis zwischen ihnen liegen, es gab keine andere Erklärung für ihr Verhalten.

Er sah ihr zu, wie sie mit ihren schlanken, gepflegten Händen das Besteck hielt – sie hatte ein raffiniert pikantes Vorgericht gewählt – oh, sie war bewandert in den vielfältigen kleinen Nebensächlichkeiten, die das Leben lebenswert machten. Hatte er jemals ohne sie gelebt, wußte er denn früher überhaupt, was das Wort bedeutete – Leben? Wieder erwachte in ihm die blinde, bedingungslose Liebe zu ihr, die ihn ins Unglück gestürzt hatte – konnte man denn von diesem süßen Geschöpf verlangen, daß es sich um seine Angelegenheiten kümmerte? Er preßte die Lippen zusammen, seine fiebrigen Augen bettelten.

Monna Treßler beendete in aller Ruhe ihr Essen, ehe sie ihn beachtete; sie ließ sich eine Zigarette geben und begann genußvoll zu rauchen. Ihr Blick schweifte über die Ringe der Hand zu dem Mann, der mit letzter Beherrschung an sich hielt und auf ein Wort von ihr wartete – auf ein armseliges Wort, das die furchtbare Last des Alleinseins in der Not von ihm nahm. Sie beugte sich etwas vor.

»Also – mein Lieber – was willst du nun eigentlich von mir – ich glaube, ich verstehe dich heute nicht recht.«

Ein feiner Rauchring schwebte empor und zerflatterte.

Der Mann lächelte zerquält – er hatte ja ihre Stimme wieder gehört, die ihn fragte. Er wußte, es war ein Mißverständnis zwischen ihnen – er wollte es jetzt klären; alles war erträglich, wenn Monna wieder mit ihm sprach, nur der Gedanke, sie verlieren zu müssen – sie zu allem anderen – das war unmenschlich, das konnte er nicht.

Wäre er im Augenblick nicht so sehr mit sich beschäftigt gewesen, er hätte das Zeichen bemerkt, das sie dem Herrn gab, der nun seine Zeitung fortlegte und desinteressiert vor sich hinsah. Dieser ›Herr‹ verkehrte in seinen Kreisen unter dem Namen ›Thomas‹ und hatte einen Teil der Aufgabe übernommen, den Drucker Klahr, der jetzt überflüssig und störend geworden war, weil die Polizei ihn bald erwischen konnte, zu erledigen. Man mußte ihn schnell und geschickt für alle Ewigkeit loswerden, darüber waren sich die Beteiligten einig – nur er ahnte noch nichts. Er vertraute noch und hoffte auf ein Wunder: »Du hast ja inzwischen gelesen, Monna, wie die Sache steht – du weißt, daß ich alles, was ich tat – für dich, nur für dich getan habe!« Er mußte innehalten, die Stimme versagte, es würgte in seiner Kehle. In dieser Stunde zahlte er für seine Verfehlung: hundertfach, tausendfach mußte er entgelten, was ein flüchtiger Rausch gegeben.

»Ich dachte«, fuhr er fort, »wir würden zusammen zu flüchten versuchen – wir gehören zusammen, Monna?!« Sie sah ihn rätselvoll an.

»Wir können vielleicht noch nach Südamerika kommen – niemand kennt uns dort – ich werde mir Arbeit suchen – willst du?« Er glaubte Einverständnis aus ihrem Blick zu lesen und tastete nach ihren Händen – die Hände entzogen sich ihm. Er übersah die neue Demütigung und spann seine wirren Gedanken weiter, er sprach von Dingen, an die er selbst nicht mehr glauben konnte, er bettelte mit einer Inbrunst, mit der Gebete geflüstert werden – er litt grauenvoll.

»Nimm schnell meine Tasche!« forderte sie ihn plötzlich mit verhaltener Stimme auf. Er kam verständnislos ihrem Befehl nach.

»Das Päckchen – rechts, schnell, rasch!«

Er schob den kleinen weißen Karton in sein Jackett, was war, was wollte sie jetzt?

Der Herr am Fenster starrte nicht mehr ins Leere, er war langsam aufgestanden und durchschritt den Raum.

Der Drucker fuhr mit der Hand an den Mund, ein entsetzlicher Schreck durchzuckte ihn – sollte etwa – bedeutete dieser Herr das Ende? Ihr Mund flüsterte:

»Du mußt fort – ich werde ihn aufzuhalten suchen – du kannst mich später anrufen – geh, geh doch!«

Er raffte sich auf und sah entgeistert um sich, Raum und Gesichter begannen sich zu drehen, er rang nach einem Entschluß, er wollte nicht ohne die Frau flüchten – dann kam die Angst und schlug ihre erbarmungslose Faust in seinen Nacken und jagte ihn davon. Als ›Thomas‹ den Fliehenden bereits verfolgte, ließ sie sich die Rechnung geben und zahlte: ›ein Geisteskranker!‹ bemerkte sie zu dem Kellner, der sie voller Erstaunen und Neugierde ansah.

Klahr floh vor dem vermeintlichen Kriminalbeamten in panischer Angst, er rannte taumelig die Straße entlang, bis er eine Taxe vorüberkommen sah, in die er sprang – als er sich nach einiger Zeit nach Atem ringend umwandte, sah er den Verfolger in einem zweiten Wagen hinter sich. Im ersten Augenblick dachte er daran, den Wagenschlag aufzureißen und hinauszuspringen, aber das Auto fuhr zu schnell, er hätte sich alle Knochen gebrochen. Schweiß rann über seine Stirn, er murmelte wirre, unzusammenhängende Worte vor sich hin, er dachte an den Nachmittag, an dem er aus dem Eingang der Druckerei herausgetreten war und Monna zum erstenmal gesehen hatte – er saß wieder in dem kleinen Café und küßte sie in wahnsinniger Gier, er telephonierte mit der ›Pension Atlantik‹ und hörte ihre weiche schmeichelnde Stimme »Polly?!«

Er sank ganz in sich zusammen, sie hatte ihm doch etwas zugesteckt – was war das mit dem Päckchen? Er riß den kleinen Karton auseinander und prallte entsetzt zurück – der Karton enthielt einen neuen, dunkelglänzenden Revolver! Wie ein Todkranker, der nicht glauben will, daß es zu Ende sein muß, daß es keine Rettung gibt, versuchte er sich selbst noch ein letztes Mal zu belügen, er wollte noch nicht an diese Grausamkeit glauben, er erkannte noch immer nicht diesen Abgrund von Lüge, kalter Berechnung und Verbrechen, der ihm bisher verborgen geblieben war – in den ihn jetzt eine weiße geschmückte Hand stieß – Monnas Hand! Er knirschte mit den Zähnen, war er ein Vieh, ein Hund, ein so elendes, verabscheuungswürdiges Wesen, das man so unmenschlich zu erledigen wagte? Haß stieg in ihm auf und überwand die Furcht – aber es war der Haß eines Wehrlosen, eines zu Tode Gehetzten, Straße und Menschen verschwammen, er sah sich noch einmal furchtsam um – das verfolgende Auto kam näher und näher, bald mußte es ihn erreicht haben.

»Halten!« rief er heiser und warf dem überraschten Chauffeur einen Geldschein zu. Wie ein Betrunkener lief er über den Bürgersteig, seine Augen wanderten hilfesuchend hin und her – da, er sah den wimmelnden Innenraum eines Automatenrestaurants, rücksichtslos stieß er Passanten beiseite, ein kleines Kind fiel zu Boden und begann zu weinen. Entrüstete schimpften laut hinter ihm her – er hörte ihre Worte nicht mehr, die gepolsterte Tür einer Telephonzelle fiel hinter ihm zu – gerettet?

Als Monna Treßler gerade im Begriff war, das Restaurant zu verlassen, eilte der Kellner zu ihr und bat sie ans Telephon. Zuerst hatte sie Lust, sagen zu lassen, daß sie bereits fortgegangen sei, sie ahnte, wer sie zu sprechen wünschte. Dann besann sie sich anders und ging langsam an den Apparat.

»Monna?« – lallte eine entstellte Stimme – »Monna?!«

Sie wartete noch eine Zeitlang, daß diese Stimme, die so grauenverzerrt war, daß sie sie erblassen ließ, weitersprechen würde, aber es kam nichts mehr. Endlich teilte das Fräulein vom Amt mit, daß die Leitung anscheinend plötzlich gestört sei.

Klahr hatte mit fliegenden Händen die Nummer des Restaurants herausgesucht und Monna rufen lassen. Während er wartete, ging draußen vor den dicken, vom Essendunst beschlagenen Scheiben das Leben weiter. Er sah ungezählte Münder, die gierig ihre Wurstportion verschlangen. Durstige drängten an der Bierausgabe, ein Betrunkener ging vor den Brötchenauslagen auf und ab und lachte dumm, so daß die Verkäuferinnen ihr Vergnügen hatten. Und dann näherte sich ein Gesicht und spähte durch die Scheibe – – – das Gesicht des Verfolgers.

»Monna?« – lallte der arme betrogene Teufel – »Monna?!« Mit der freien Hand zerrte er ihr Geschenk aus der Tasche – ihr einziges und letztes, den Revolver; er war schon geladen und entsichert, ah, die Kanaillen hatten alles bis ins kleinste vorbereitet. Der Mann spürte in diesem letzten Augenblick keine Furcht mehr, vielleicht ahnte er, daß auch der Verfolger nur dazu diente, ihn zu bluffen, daß es gar kein richtiger Kriminalbeamter war – es hätte ihm kaum etwas ausgemacht, jetzt die Tür aufzustoßen und an dem anderen vorüberzugehen.

Aber er wollte nicht mehr, es ekelte ihn vor einem Leben, das eine solche verzerrte Fratze zeigen konnte. Diese kurze Zeitspanne lang wuchs der Drucker Klahr, der elend endete, weil er seine Fähigkeiten mißbraucht und Geld gefälscht hatte, gleichsam über sich hinaus, er sah und erkannte und zog mutig die Konsequenzen.

Die Kugel traf ihn sofort tödlich – er starb, den Namen der Frau auf den Lippen, die er bis zum Wahnsinn geliebt und die ihn immer verachtet hatte – er starb im Augenblick, da er es erkannte, elend und von allen verlassen in der stickigen Telephonzelle eines überfüllten Speiseautomaten.

*

»Es hat alles geklappt!« sagte Harry mit merkwürdig leerer Stimme und drückte Monna einen Scheck in die Hand. Sie gewahrte seinen entstellten Blick.

»Was stierst du mich so an – habe ich's denn getan?!« schrie sie hysterisch auf.

Er wollte etwas sagen, aber er unterließ eine Antwort.

Sie saß auf dem Sofa und machte sich zurecht. »Harry!« bat sie, »heute abend mußt du mit mir zusammenbleiben – wir waren lange nicht mehr eine ruhige Stunde zusammen!«

»Nein«, schnitt er hart ab, und wandte sich mit einem Gefühl des Widerwillens, »nein, nein – das kann ich nicht!«

»Harry!« schrie sie auf und stürzte ihm nach, »Harry, ich fürchte mich heut!«


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