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12

Die vom Deutschen Motor-Jacht-Klub veranstaltete Regatta startete auf dem Templiner See. Blendende Sonne und die Aussicht auf ein imposantes Schauspiel hatten eine ungeheure, bisher nie gekannte Zuschauermenge von Potsdam her an die Ufer des weiten glitzernden Sees gelockt, Autokarawanen säumten alle Zufahrtsstraßen weit hinauf. Die Herren des Vorstandes konnten sehr zufrieden sein, die Berliner Veranstaltung hatte internationales Format.

Am Steg lagen die schweren Boote der unbegrenzten Klasse startbereit, bei den Outboards herrschte fieberhaftes Hin und Her letzter Vorbereitungen, das Rennprogramm sah zuerst den Kampf der großen, später den der begrenzten Klassen vor.

Mrs. Spencer schob nervös die Sonnenbrille hoch, in letzter Minute hatten sich am Motor des ›Tornado‹ Mängel herausgestellt, die jetzt schnellstens beseitigt werden mußten. Parnegg kletterte fluchend im Boot hin und her, der Giant-Motor war sein Steckenpferd, er wollte dem Weltrekord des Majors Sensbride zu Leibe rücken, jetzt war alles in Frage gestellt, die große kostspielige Propaganda der letzten Wochen vielleicht umsonst, man lief Gefahr, die erwartungsvolle Öffentlichkeit zu enttäuschen – das bedeutete in der Praxis Hunderte verlorener Giant-Kunden.

Der Führer des Bootes, Pallstreen, bisher ungeschlagener Champion aller Rennen im Mälar, den die Company eigens für die Regatta verpflichtet hatte, stand neben dem schweigend arbeitenden Forster, den man ihm als Bordmechaniker beigegeben hatte.

Parnegg überwachte gummikauend jeden Handgriff, hin und wieder erinnerte er sich an Pallstreen und gab Tips aus: »Sensbride nicht aufkommen lassen – dann ist's schon aus! Nicht vor der zweiten Runde über 110 Kilometer gehen, Motor immer erst einlaufen lassen – t' young man there weiß Bescheid, ich habe den jungen Mann instruiert!«

Pallstreen nahm mit unerschütterlicher Ruhe alle Ratschläge hin, seine blauen Augen wanderten verträumt über die weite sonnige Wasserfläche, zu den grünen Havelufern hinüber, die von Menschen und Automobilen besetzt waren; die Welt wäre so schön, wenn man sie nicht aus ihrer Einsamkeit reißen würde, nicht in jeden Winkel Benzinschwaden verpuffte.

»180 hält er unbedenklich!« sprach der Chefkonstrukteur in ihn hinein, »die Kurven aber lieber vorsichtig nehmen!« Im Innern verwünschte er Mrs. Spencers Schwäche für diesen blonden, schweigsamen Riesen, der überhaupt keine Antwort gab. Der Teufel sollte das ganze Rennen holen, wenn ›Tornado‹ nicht in Front kam.

»Hallo!« rief Major Sensbride winkend, »hallo – habt ihr den alten Kahn endlich in Grund gebohrt?« Er war sehr siegesgewiß, denn seine ›Miß England‹ war die treueste Braut, die es jemals auf Gewässern gegeben hatte. Sein Boot und sein Weltrekord waren ein Begriff, daran würde auch der neue Giant-Motor, von dem so viel Geheimnisvolles gemunkelt wurde, nichts ändern. Alles nur Propaganda, nur nicht bange machen lassen!

Endlich konnte der Start vorbereitet werden, die Boote mit den Zuschauern glitten an den Ungetümen des Rennens vorüber auf den See hinaus.

Einige hundert Meter entfernt flatterte eine weiße Flagge mit einem blauen G.

Der Wimpel der großen Motorjacht, die Misses Glaid Spencer an Bord hatte.

Inzwischen stellte der junge Forster ölbeschmiert seine Arbeit ein, Pallstreen hockte unbeweglich an seinem Platz, Parneggs Stimme klang über das Wasser, er rief irgend etwas Unverständliches. Die Motoren wurden angeworfen und verschlangen brüllend alles andere, Steg und Gesichter fielen jäh zurück, das Rennen begann. Michael Forster sah mit halbem Auge zu Pallstreen hinüber und hatte törichte Gedanken; es mußte wundervoll sein, dieses starke Boot zu führen, vor den Augen Mrs. Spencers zum Siege, vor den Tausenden von Zuschauern zu kämpfen für diese Frau. Warum ist es mir nicht vergönnt? grübelte er verbissen und versank in phantastische Vorstellungen. Pallstreens Stimme schreckte ihn auf. Der Schwede gab mit ruhigen Worten Anweisungen, für ihn schien das Ganze eine Angelegenheit zu sein wie für andere Menschen die Straßenbahnfahrt.

In schräger Linie kämpften die vier Boote, die das Rennen bestritten; am weitesten zurück lag das des belgischen Bankiers Hartmeuren, trotz heftigster Bemühungen seines ehrgeizigen Besitzers fiel es immer mehr ab, bis eine Panne dem von vornherein aussichtslosen Kampf ein vorzeitiges Ende bereitete. Zwei Runden hindurch hielt sich ›Pfeil V.‹ wacker und angriffsfreudig, als aber ›Tornado‹ und ›Miß England‹ Ernst machten und auf hohe Geschwindigkeiten gingen, als die Kraftreserven der beiden Boote, die mit ungleich stärkeren Motoren als ihr Berliner Konkurrent ausgerüstet waren, herausgeholt wurden, war auch das Schicksal des ›Pfeil V.‹ endgültig besiegelt, auch er fiel ab und erlag in Ehren.

›Tornado‹ und ›Miß England‹ schossen in die dritte Runde, Torpedos in gurgelnden Wasserfurchen.

»Pallstreen macht's!« sagte Mrs. Spencer und sah gebannt dem wundervoll erregenden Schauspiel zu. Parnegg überlegte unruhig, ob es schon Zeit wäre, die Presseleute zu informieren, daß ›Tornado‹ im Laufe des Rennens über Weltrekordzeit gehen würde. Aber man konnte nie eine glatte Rechnung mit einem Rennmotor machen, außerdem wußte man leider nicht, was dieser Kerl von Sensbride für Überraschungen bereithielt.

» Look there!« rief in diesem Augenblick Mrs. Glaid erschrocken, »was ist das?«

Parnegg fuhr zusammen und konnte sehen, wie Sensbride in großartiger Manier ›Tornado‹ überholte und Meter um Meter hinter sich ließ. Das amerikanische Boot geriet in die gewaltigen Heckwellen und schlingerte wie ein Auswandererdampfer bei stürmischer See.

»Teufel noch eins, warum holt Pallstreen nicht auf, ist der Junge von allen guten Geistern verlassen?« Parnegg warf einen wütenden Blick um sich, Berichterstatter und Gäste umdrängten ihn, Filmoperateure nahmen die kämpfenden Boote ins Bild, die nächsten Wochenschauen würden diese wenig ruhmreiche Etappe des ›Tornado‹-Motors bringen. Jemand, der sich wohl versehentlich an Deck verirrt hatte, winkte Sensbride ein aufmunterndes Signal zu – – –

Parnegg zerdrückte einen Fluch, wie er bei Cowboys gebräuchlich ist, bei den schlimmsten im hintersten Texas.

»Was ist geschehen?« verlangte Mrs. Glaid zornig zu wissen, sie riß erregt die Hornbrille von den Augen, »was ist denn das, Parnegg, Sie waren doch ganz sicher!«

Er zuckte mißmutig die Achseln, ein verfluchtes Rennen, den Motor würde er in Stücke schlagen, zuerst aber den Schweden – – – – – – – –

Forster sah die Begleitboote mit winkenden schreienden Menschen vorübergleiten, glitzerndes Wasser stand in schräger Fläche gegen das dahinrasende Schiff – – sekundenlang ließ er sich so ins Nichts hineinschleudern, ein schmerzlich schönes Gefühl hielt ihn gefangen. Die Wirklichkeit riß ihn mit ohrenbetäubendem Lärm und Benzindunst aus seinem traumhaften Zustand heraus. Pallstreens Hände glitten schlaff aus den Speichen des Steuers, in die sie sich in allerletzter Anstrengung verkrampft hatten, das kalkweiße Gesicht fiel auf die Brust, mit einem dumpfen Laut sackte der Körper nach und rutschte zu Boden.

Das führerlose Rennboot warf sich in einem tollen Satz in die anstürmenden Heckwellen der ›Miß England‹ – in einer plötzlichen Drehung stieg das ferne Ufer hoch an, einen Augenblick lang schien es, als würde das Boot kentern. Doch in diesem Augenblick gewann Forster die Herrschaft über sich wieder zurück, der dumpfe, lähmende Zustand glitt von ihm ab, eine Zwangsjacke, die geöffnet wird: er konnte wieder handeln. Er rutschte auf den freigewordenen Führersitz und schob den bewußtlosen Mann mit der linken Hand auf die andere Seite hinüber, Pallstreen war anscheinend von einem plötzlichen Unwohlsein befallen worden, vielleicht war die übergroße Ruhe bei ihm nur Taktik und Selbsterziehung, die Nerven mochten nachgegeben haben in der Erregung des Kampfes, wer wußte es!

In diesen Minuten des Führerwechsels verlor ›Tornado‹ kostbare Zeit an den Gegner, der einen erheblichen Vorsprung buchen konnte. Aber Sensbride durfte noch nicht daran denken, die Zigarre in Siegerruhe zu rauchen, der Motor der Amerikaner brummte wieder in drohendem Takt, der Zwischenfall drüben schien erledigt.

Er war erledigt. Parnegg, der noch immer neben der fassungslosen Mrs. Glaid stand, konstatierte, daß sie aufholten, daß die Leistung zusehends besser wurde.

In der fünften Runde ging Forster mit Vorsprung an Sensbride vorüber.

Die Ufer waren jetzt in unruhige Bewegung geraten, man konnte vom Boot aus unterscheiden, daß die Menschen winkten, deutlich flatterten Taschentücher, Hupen signalisierten aufmunternde Fanfaren, Begleitboote gingen auf und nieder, bald mußte er wieder die Jacht passieren mit dem weißen Wimpel, auf dessen Grunde das blaue G leuchtete. Der junge Hilfsmechaniker Michael Forster fuhr wie in einem Traum, seltsam war es, daß die Sonne breite, spiegelnde Bahnen über eine dunkle Wasserfläche zog, daß ein Motor donnerte, ein Motor, der seiner Führung gehorchte, daß im Nebensitz der blonde große Pallstreen lag und bewußtlos war.

Als er diesmal Mrs. Glaid passierte, stand der Sieg des ›Tornado‹-Motors bereits fest, vierzig Aufnahmeapparate hatten den Augenblick im Bild festgehalten, in dem die Maschine der Giant Motor Company Rekordzeit fuhr, die Sportredaktionen der Tagespresse erhielten die ersten Berichte, Parnegg gewährte liebenswürdig jedes Interview und ließ sich mit Mrs. Glaid zusammen ungezählte Male knipsen, ›der geniale Konstrukteur und die Präsidentin der Giant Motor‹. ›Tornado‹ in Front! verkündete das Radio der Welt, die nicht vom Ufer und Beiboot aus das Rennen verfolgen konnte. Major Sensbride verzichtete auf einen aussichtslosen letzten Versuch und steuerte die geschlagene ›Miß‹ zu den Landungsstegen, an denen die kleinen flinken Outboards in Erwartung ihrer Rennen startbereit lagen.

Als Michael Forster, starrend von Öl und Benzin, abstoppte, half ihm der allmächtige Chefkonstrukteur Parnegg auf den Steg hinauf, Mrs. Glaid Spencer drückte ihm als erste die Hand und sagte Worte, die er nicht verstand. Alles verdichtete sich zu einem summenden wirren Etwas und er hatte ungefähr dasselbe Gefühl, das der arme Pallstreen gehabt haben mochte, als ihm das Steuer aus den Händen glitt.


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