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10

Der Drucker Paul Klahr war ein Mensch, der über ein gewisses Maß von Intelligenz verfügte, das mit seiner Energie nicht in Einklang zu bringen war. Ohne daß er es jemals vor sich selbst oder anderen zugegeben hätte, war er ein energieloser Charakter, erfüllt von vielen heimlichen ungestillten Wünschen, unzufrieden mit sich und seiner Umwelt, ohne die Kraft und den Schwung, den Versuch zu machen, mehr zu werden.

Eines Nachmittags, eines verführerisch warmen, heiteren Nachmittags, griff das Schicksal in sein Leben ein und riß ihn aus dem stumpfen Zustand mürrischer Unzufriedenheit heraus.

Es begann, als er aus dem mächtigen Eingang des Druckereigebäudes heraustrat und einen Augenblick stehen blieb und in die Sonne blinzelte. Die abgewetzte Ledermappe hatte er fest im Arm, er konnte die übriggelassenen Brote fühlen und die Thermosflasche. In diesem Augenblick ging eine auffallend elegante Dame vorüber; er sah sie sofort, denn es war geradezu das fleischgewordene Bild einer Filmdiva aus seinem Vorstadtkino. Und an diese Frau dachte er oft.

Klahr konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen, er wagte auch tatsächlich gar nicht, an eine solche Möglichkeit zu glauben – er hatte das Gefühl, daß diese elegante schöne Frau ihn angesehen hatte.

Das Hirn ließ nicht locker, es quälte und rief und bettelte: warum nicht zu dieser Dame hingehen, sie ansprechen – wie oft hatte er das im Film gesehen und neidvoll bewundert. Ein Schaufenster warf sein Spiegelbild zurück, er reckte den hageren, schmächtigen Körper, straffte das bleiche Gesicht – diese Schirmmütze, diese verfluchte Schirmmütze! Er griff grüßend an den Schirm und sprach mit einer imaginären Person. Zwei schmutzige kleine Straßenkinder blieben erstaunt stehen, lachten und liefen davon.

Er drehte sich um. War sie fort, um so besser, dann hatte er sich eben getäuscht und die Notwendigkeit, etwas zu unternehmen, blieb ihm erspart, denn er war sich bewußt, daß er, falls die Frau noch zu sehen war, zu ihr gehen mußte, mochte es noch so bittere Überwindung kosten, mochte es noch so sinnlos und ohne Hoffnung sein. Er mußte es, er war ihr schon in blinder Hörigkeit verfallen, als er sie das erstemal gesehen hatte.

Monna Treßler stand ein paar Schritte hinter ihm und betrachtete gelangweilt einen Blumenladen, der ärmliche Pflanzen und billige Kränze wies. Harry ist ein Esel, dachte sie wütend; eine Frechheit, von mir zu verlangen, daß ich mich mit diesem unrasierten Kerl hier abgeben soll. Aber der Scheck, den er ihr gezeigt hatte, verhieß Freuden, die die kleine Unannehmlichkeit wieder wettmachen würden. Harry hielt in solchen Dingen Wort; sie wußte es, der Scheck würde honoriert werden.

Ein aufmunterndes Lächeln auf den schönen, allzu roten Lippen, ging sie an dem Mann vorüber.

Klahr umfaßte mit gierigen Blicken ihre Gestalt, das Gesicht, er sog für einen Sekundenteil den Parfümhauch ein, der sie umgab, er trat einen Schritt auf sie zu, aber er wagte es nicht, sie anzureden, er wagte es nicht, weil er es einfach nicht konnte.

Monna Treßler kam ihm zu Hilfe, die Zeit drängte, sie mußte ihren Auftrag erledigen, denn sie war mit Harry verabredet.

Sie liebte Harry Speidler auf ihre Art, sie fand Worte der Verachtung für ihn und hatte ihn sogar einmal vor allen Leuten geohrfeigt – und doch konnte er von ihr haben, was er wollte.

»Können Sie mir sagen, wie ich hier nach der Wilnaer Straße komme, Sie sind so freundlich?!« Und wieder sah Klahr in dieses verführerisch lächelnde Gesicht, das wie aus einem der Filme, die er gesehen hatte, geschnitten schien.

»Ja, ja, gewiß, mein Fräulein, – meine Dame«, stotterte er, »vielleicht ist es besser, wenn ich Sie die paar Schritte begleite?«

»Aber bitte – gern!« sagte sie einladend und schien äußerst erstaunt, daß ein Mann wie Paul Klahr Zeit für sie fand.

Er trottete stumm und beschämt neben ihr her, faßte nach der Mütze, als wollte er grüßen, sah seine Fingernägel von Druckerschwärze gefärbt und zog bedrückt die Hand zurück.

»Ist es noch weit?« fragte sie gereizt, weil er es ihr so schwer machte. Fast mußte sie annehmen, daß sie ihm nicht gefiel, denn so viel Schüchternheit und Ungelenkigkeit konnte es doch gar nicht geben.

»Wir sind gleich da!« antwortete er und glaubte damit sehr geschickt gewesen zu sein. Er reckte sich, denn die Frau war etwas größer als er. Als sie an der Wilnaer Straße angelangt waren, ohne daß sie etwas erreicht hatte, begann die Frau für den hilflosen Mann zu handeln. »Ich bin schrecklich müd', wo ist denn hier ein Café oder so was?«

Klahr führte sie zu einem kleinen versteckten Café, von dem er wußte, daß es sogenannte ›Nischen‹ besaß. In seiner Ahnungslosigkeit traute er einer Frau wie Monna Treßler zu, daß sie sich zu etwas Derartigem herbeiließ.

»Ich kann Sie doch jetzt nicht stehen lassen«, meinte sie gewandt, »nachdem Sie mir so viel Zeit geopfert haben – darf ich Sie zu einer Tasse Kaffee einladen?«

»Bin so frei!« sagte Klahr und glaubte wieder, seine Weltmännischkeit bewiesen zu haben.

Das Café war still und menschenleer, irgendwo draußen rollte eine regsame Welt mit polternden Lastzügen, läutenden Straßenbahnen vorüber, Klahr war unendlich fern von dieser Welt. Die elegante Dame mußte sehr ermüdet sein, sie ließ sich weit in das ausgesessene Sofa zurückfallen. Dabei zeigte sie bewundernswert geformte Beine. Als sie den Blick des Mannes darüber hingehen sah, deckte sie sie ganz erschrocken zu. Sie war so empfindlich. »Es gibt heutzutage eine solche Menge leichtfertiger Frauen, wissen Sie, man möchte doch nicht gern mit solchen Geschöpfen verwechselt werden – auch wenn man ganz allein steht und sehen muß, wie man sich durchbringt!«

Klahr hatte gerade eine passende Entgegnung gefunden, als der Kellner mit dem Bestellten kam. So unterblieb die Antwort. Sie nahmen schweigend den Kaffee, vorn im Lokal hatte jemand das Radio angestellt, ein schmelzender Boston klang auf.

Und plötzlich fühlte sich Monna Treßler von zwei Fäusten ergriffen, ein Mund glitt in wahnsinniger Gier über den ihren – Es war, als habe der Mann neben ihr die Besinnung verloren; mit Mühe gelang es ihr, sich von ihm freizumachen; Klahr wurde zurückgestoßen, sein linker Arm fuhr in das klirrende Geschirr.

Er war unfähig, ein Wort hervorzubringen, nach Atem ringend, stierte er die Frau an, die sich schweigend zurechtmachte. Ging sie?

Etwas stürmisch, dachte sie. Aber das wird man dir abgewöhnen, mein Junge, warte!

»Gnädige Frau ...«

»Fräulein!« verbesserte sie und lächelte frivol.

»Ich wußte ja nicht, was ich tat!« stammelte er und hatte verzweifelte Augen.

»Das glaube ich auch«, sagte sie streng. »Ober, zahlen!«

Klahr saß geduckt neben ihr, noch immer flogen seine Hände. Erbarmungslos zog sie die dünnen, weißen Handschuhe auf, streifte gewissenhaft die Finger glatt, ergriff die Handtasche und versenkte den Schminkstift und die Puderdose darein.

»Noch etwas, mein Lieber?!«

»Gnädige Frau, – gnädiges Fräulein«, stotterte er hilflos. Sie warf einen schnellen Blick auf die Armbanduhr, eine überaus kostbare goldene Damenuhr, die ihr ein amerikanischer Bankier als Erinnerungsgruß an einen fröhlichen Abend verehrt hatte, und auf die sie kindlich stolz war:

»Ich will dir jetzt etwas sagen, mein Junge, allerdings müssen wir uns kurz fassen, denn ich habe leider keine Zeit mehr für dich – – du gefällst mir ganz gut – wenn du Lust hast, können wir uns sogar mal gelegentlich wiedersehen! Aber nicht in der Aufmachung, das geht natürlich nicht!« Er sank ganz in sich zusammen. »Schreib dir meine Telephonnummer auf: Bismarck 03138 – so, und wenn du vernünftig geworden bist, dann kannst du mich anrufen.«

»Ja!« sagte er gepreßt.

»Du verlangst Fräulein Treßler!« befahl sie und stand auf; fast hatte sie Mitleid mit diesem unbeholfenen Mann.

»Jawohl, gewiß!« Er sprang empor und half ihr in den dünnen seidenen Mantel. Als sie sah, daß er Miene machte, sie zu begleiten, verabschiedete sie ihn kurz, wie man einem Hund befiehlt: kusch dich!

»Ich geh' allein!« bestimmte sie und hielt ihm die Hand zum Kuß hin, mit der er nichts anzufangen wußte.

Klahr sah noch einen Augenblick lang ihre schlanke Gestalt in der Tür des Cafés, dann war sie verschwunden und überließ ihn dem Taumel der Gedanken.


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