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34. Die verschenkte Eisenbahn.

Dschulfa.

 

Es ist sicher eine ungewöhnliche Sache, daß jemand eine Eisenbahn geschenkt bekommt. Persien ist bekanntlich in dieser glücklichen Lage. Die Bolschewiki schenkten ihm, nachdem sie an die Macht gelangt waren, alle Anlagen, die die Zarenregierung in Persien geschaffen: Straßen, Telegraphen, Banken und eben auch jene Bahn von der russischen Grenze nach Täbris.

Die persische Regierung war also glückliche Besitzerin einer Eisenbahn. Allein es war ein Geschenk von problematischem Wert, denn gleichzeitig hatten die Bolschewiki Persien das genommen, was erst den eigentlichen Wert dieser Bahn ausmacht, den ungehinderten Verkehr durch Rußland.

Außerdem ist eine Bahn, die nur einige Male im Monat verkehrt, schon fast keine Bahn mehr. Ich wenigstens mußte in Täbris 13 Tage auf »den« Zug warten, wobei es von einem zum andern Tage hieß: Morgen fahre er sicher.

Schließlich war es ganz sicher, und wir fuhren zur Bahn. Diese Fahrt zur Bahn dauerte im Wagen bei flottestem Tempo mindestens drei Viertelstunden; denn die Täbriser konnten ihren Bahnhof nicht weit genug vor der Stadt haben. Es mußte doch Gelände für die nunmehr zu erwartende rapide Entwicklung der Stadt vorgesehen werden. Dieses Gelände war natürlich von Spekulanten aufgekauft worden. Durch den Krieg wurde es eine recht unglückliche Spekulation. Statt der erhofften großen Geschäftshäuser mußte man beiderseits der Bahnhofsstraße wieder Korn bauen.

Wir hatten übrigens Glück. Wir trafen eine halbe Stunde nach der angekündigten Abfahrtszeit auf dem Bahnhof ein und brauchten dann nur noch eine Stunde zu warten. Erst wollte allerdings der Stationsvorsteher mir keine Fahrkarte mehr verkaufen, und im Grunde hatte er nicht so unrecht; denn der Zug war bereits mehr als überfüllt. Er bestand aus einer Reihe Güterwagen, von denen einige auch zur Mitnahme von Fahrgästen bestimmt waren. Allein diese Wagen waren so voll und die Zugänge so gut verteidigt, daß ich es bald aufgab, in einen von ihnen einzudringen. Durch Protektion bekam ich dann einen Platz auf der Plattform eines »nur-Güterwagen« neben dem Bremser.

Schließlich gondelten wir los. Ich hockte auf dem Trittbrett und ließ vergnügt die Beine baumeln. Dieses Losfahren, wenn man sich und sein Gepäck verstaut hat, ist etwas Wunderhübsches. Man hat keine Ahnung, wie lange es dauert, wann man ankommt usw. Das ist einem auch ganz egal. Einstweilen ist man untergebracht, und das Weitere wird sich schon finden.

Es war eine wunderhübsche Fahrt durch eine in allen Farben schimmernde Felslandschaft. Wir fuhren auch schön langsam, denn die Russen vergaßen, mit der Bahn auch den nötigen Betriebsstoff zu schenken. So wird die Lokomotive statt mit Naphtha mit Holz gefeuert, und das will hier, in diesem holzarmen Lande, etwas heißen. Man sieht es diesen armseligen Stämmen an, wie mühsam sie zusammengesucht wurden. Da auf dem Tender mit seinem Naphthakessel nicht viel Platz dafür ist, wird noch ein eigener Wagen hinter der Maschine mitgeführt, und alle paar Stunden muß dann umgeladen werden.

Als die Nacht anbricht, halten wir in einem grandiosen breiten Felstal. An seinem Rande plätschert hell und klar ein Wasserfall. Einer der Fahrgäste macht sich mit einer Kanne dorthin auf. Ich bewundere seinen Mut, denn vor einer guten halben Stunde kann er gar nicht zurück sein.

Richtig dampft die Maschine auch an, ehe er wieder in seinen Wagen kommt. Allein sie läßt die Hälfte des Zuges stehen. Ihr Atem ist so schwach, daß sie jetzt, da eine stärkere Steigung anhebt, den Zug nur stückweise befördern kann. Am nächsten Morgen halten wir irgendwo endlos lange, bis die Lokomotive den während der Nacht zurückgelassenen Teil nachgebracht hat. Allein, was macht das aus? Man ist im Orient; man hat Zeit und man legt sich daher einstweilen unbekümmert in den Schatten einer Lehmhütte.

Gegen Mittag haben wir die Paßhöhe überschritten und kommen wieder in angebaute Regionen. Wo nur irgend etwas Wasser ist, liegen die Büffel und Rinder in den Gräben. Weiterhin in den Feldern wird gedroschen, nach biblischer Manier, indem man Ochsen im Kreise über das aufgeschichtete Korn treibt.

In Dschulfa werde ich von einem schwerbewaffneten Krieger abgeholt. Der Generalgouverneur von Aserbeidschan hatte die Liebenswürdigkeit, mich telegraphisch anzumelden, damit ich ohne Unbequemlichkeiten über die Grenze komme. Außerdem steht da noch ein bewegliches Männchen, das mich in gebrochenem Deutsch begrüßt und mir beinahe um den Hals fällt. Es ist ein Perser, der gerade aus Deutschland zurückkommt. Dort hat er eingekauft und er kann sich nicht genug tun in Lobeshymnen auf Deutschland:

»Deutschland gut, sehr gut. Fabriken, Berlin, Frankfurt überall gearbeitet. Oh wie gut gearbeitet. Deutschland sehr gut.«

Der Schwerbewaffnete führt mich in das Haus des Gouverneurs, wo er sich in einen bescheidenen Diener verwandelt, der den Tee serviert. Wie er mich dann aber zum Zollamt begleitet, schnallt er vorher erst wiederum seine sämtlichen Patronengürtel an und hängt das Gewehr um. Augenscheinlich erfordert das die Würde und das Ansehen eines so feierlich angemeldeten Fremden.

Das Zollamt liegt schlauerweise eine ganze Strecke von der Station entfernt, wie wohl überhaupt der Grenzübertritt in Dschulfa zu den allerunbequemsten gehört, die man sich vorstellen kann. Von der persischen zur russischen Station ist ein tüchtiger Fußmarsch von mehreren Kilometern. Irgendwelche Verkehrsmittel gibt es nicht. Das ganze Gepäck muß auf dem Rücken von Trägern befördert werden, was natürlich ein kleines Vermögen kostet.

Bis an die Araxesbrücke hat man persische Träger. Dort ist letzte persische Paß- und Zollrevision. Andere – augenscheinlich neutrale – Träger schaffen das Gepäck über die Brücke, wo es russisch-armenische Träger in Empfang nehmen, falls man das Glück hat, solche vorzufinden.

Das Ganze dauert mit all den verschiedenen Kontrollen und Revisionen viele Stunden, und als ich alles glücklich hinter mir hatte und müde und abgespannt der russischen Station zuschritt, mußte ich denken, daß es sicher sehr nett ist, eine Bahn geschenkt zu bekommen, daß jedoch der Vorteil für die Reisenden gering ist. Und ein wenig melancholisch hänge ich den Gedanken nach, wie schön das Reisen hier doch früher war, als man von Täbris nach Tiflis im bequemen Wagen direkt durchfuhr.


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